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V
• •
JAHRBÜCHER
DES
VEREINS VON ALTERTHUMSFREUNDEN
IM
KHEINLANDE.
HEFT LXII.
MIT 7 TArBliN.
AUSGEGEBEN AM 5. JUNI 1878.
BONN.
GEDRÜCKT AUF KOSTEN DES VEREINS.
BOXN, BEI A. lARCDS.
1878.
Inhaltsverzeichniss.
I. Geschichte und Denkmäler.
s«ito
1. Kleine röm.. Villa bei Stahl Von E. aus'm Weerth. Hierzu Taf. I. 1
2. Römische Alterthämer in Heidelberg:
I. Zwei röm. Töpferöfen und Häusersoaterrains. Von Hofrath Stark. 7
n. Inschriften. Von C. Christ 18
8. Ueber die röm. Befestigangen im Odenwald. Yen Pfarrer Seeger. . 38
4. Ueber die Limes-Frage nnd die römischen Alterthümer aus Obemburg.
Von C. Christ 42
6. Datirbare Inschriften ans dem Odenwald und Mainthal. Von dem-
selben 61
6. Ansgrabungen bei Bonn vor dem Cölner Thor 1876. •
D. eine gemalte röm. Wand. Von Dr. F. Hettner. Hierzu Taf. III— VI 64
7. Ein Nachbild der Venus von Milo. Von Dr. Flasoh. Hierzu Taf. II. 74
8. Erklärung zweier altchristlicher Grabsohriften ans Aachen. Von Ca-
nonicus Kessel. Hierzu Taf. VII Fig. 1 86
9. Der Ring des Dootor Ypocras. Von C. Binz 119
II. Litte ratur.
1. Giancarlo Conestabile, di un anello Etrusco u. s. w. Angez. von
Dr. Dätschke 122
2. Ad. Michaelis, Die Bildnisse des Thukydides. Angez. von dem-
selben 124
8. H. Brun, Die Sculpturen von Olympia. Angez. von demselben . . 126
4. L. ürlichs, Bemerkungen aber den olympischen Tempel und seine
Bildwerke. Angez. von demselben 126
5. R. Eeknle, Griechische Thonfigaren aus Tanagra. Angez. von dem-
selben 128
6. H. Heydemann, Die Enöchelspielerin im Palazzo Colonna in Rom.
Angez. von demselben 129
6a. L. Hölzermann, Localforsobungen, die Kriege der Römer und Franken
a. s. w. Angez. vop Prof. J. Schneider ' . . . . lÜO
7. AI. Ecker, üeber prähistorische Kunst u. s. w. Angez. von Schaaff-
hausen .* 140
■<*>
*"*
IT InhaltaTeneichniBS.
Seite
8. A. Conze und 0. Hirsobfeld, Arohiologisch-epigraphische Mit-
theiluogen aus Oesterreich. Angez. von Conze 160
III. MiBoellen.
1. Bacharaeh: üeber die Wernerskirohe. Von F. Sohaeider. Hierzu
Taf. VII Fig. 2 155
2. Bonn: Ueber die Torqaes. Von Dr. Mohnike 158
8. Ueber Schalensteine. Von Schaaffhansen 171
4. Bonn: Funde. Von van Vleuten 171
5. Cöln: Fund von rSm. Gläsern. Von Wolff 172
6. Fomich: Stiftungs-Urkunde der Kapelle. Von Dr. G. Terwelp . . . 172
7. HohenBeelbaohkopf : Ein Steinring. Von Schaaff hausen 177
8. Kessenicb: Funde am Rheinweg. Von £. aus'm Weerth 178
9. Kim: Gräberfund. Von Dr. med. Butry 178
10. Königswinter: Münze von Antonin. Von J. Freudenberg 178
11. Niedermendig: Das sog. Höhtges-Kreuz von demselben 179
12. Oberbilk: Terra-sigUlata-Sohalen. Von Wolff 184
18. Raversbeuren: Stempel. Von E. aus'm Weerth 185
14. Sponheimer Wald: Hügelgräber. Von Sohaaffhausen 185
16. Trier: Fundbericht. Von H. 185
16. Ueberlingen: Pfahlbauten 186
17. Wangen: Sohienerberg. Von F. Haug 187
^^' ■ ',: .-
*"■ \- *■*
^T. Oescliicltte und DeiLkmäler.
I. Kleine römische Villa bei Siahl im Kreise Bitburg.
Hiezu Tat. I.
Im Zusammenhange meiner Ausgrabungen des römischen Sommcr-
palastes bei Fliessem') und der damit verbundenen topographischen
Umschau im Kreise Bitburg, winden nicht allein die in diesen Jahr-
büchern bereits bekannt gemachten kleinen Tempel bei Nattenheira
and Neidenbach*}, sondern weitere römische Bau- Anlagen. zuStahi,
Brecht»), in den Gfirten westlich und ausserhalb der römischen
Umfassungsmauer des Castrums Bedense*), im Bitburger Ge-
1) Die Wahmehmung, dass dio von unBerem am die Rheinische Alter*
thnmelcnnde bo hoofaverdienten Archi(ect«Q Chr. W. Schmidt in Trier in der
IV. Lieferaag seiner: »Baudenkmäler von Trier und Umgebung, Trier 1843«
herausgegebene >JagdvilIa r.u Fliesscmt nicht vollitändig aufgedeckt sein könne,
veranlasst« meine weitere vor\'o]lBtandigendo Äuagrabung dieaes GehÄudca, Die
YeröfTentlicbang des Resultates wird demnächst gcsoheheii, vgl. Jahrb. LYII. S. 2S8.
2) Jahrb. LVII, S. 66 u. LFX, 8. 87.
3) lieber die höchst merkwürdige römische Bau- Anlage za Brecht wird
Toransaiohtlioh das nächste Jahrbuch einen Bericht bringen.
4) Unser verehrtce VereinsmitgUcd Herr P. Wallonborn jun. machte
dartTif anfmerksam, daaa sich ausserhatb und nahe der westlichen Umrassungs*
niBuer des Castrnms die Fundamente römischer Gebäude befänden, von welchen
dann auch 1875 unter Leitung dos genannten Herrn einzelne Theile aufgedeckt
wurden, welche nach ihrer Beschaffenheit auf wohlhabender Leute Wohnungen
flchlieasen Ueesen und jedenfalls den Beweis lieferten, dass man Eur Zeit ihrer
Erbauung, gleichsam unter den Mauern der Festung eines sichern Friedens sich
erfreute. Die Thatsaehe ist deeshalb nicht ohne Bedeutung.
1
2 Kldoe römiaehe YiBm bd StaU jk KrÖM KUmrg.
meindewaldBethard*), m Badern*), Oberweis*), and Badesheim*)
festgestellt und an den ersten Tier Ortai ancli Aosgrabangen, znm Theil
auf Kosten unseres Vereins vorgenommen. Diejenigen in der Feldflur des
Dorfes Stahl, am rechten Ufer der Nims, etwa 20 Minuten von
1) Im Bitbarger Gemeiodewald Bethard lien aoser Y«rein bereits ror einer
Reihe von Jahren dardi Herrn Baumeister Wolf Nadigrabaogen halten, welche
drei wahrscheinlich rasammengebörende Gebinde zom T(»scbein brachten. Die
YoIIendung der Aasgrabung and damit maammenhftngend der Berieht über die-
selbe massten bis dahin ans peraönlicben Gründen hinansgecchoben werden.
2) Zwischen Badem ond Pickliesaem worden im Frölgahr 1875 mächtige
Steinblöoke aasgegraben, som Theil mit BelieiVernernngen. Besondere Be-
achtung verdienen einige im Hanse des Hrn. Falter inPieklienem eingemauerte
römische Steine, welche ror Tiden Jahren aof dessen Ziegelei gefunden wurden.
Vor 80 Jahren sollen daselbst noch üeberreste von Ibaem, einer Holsbrücke
und einer Wasserleitung in Bleiröhren bestanden haben. — Viele kleine Funde,
ein Messer mit goldenen Nieten, Mausen, Eugelsteine Ton c 15" Durchmesser,
kamen angeblich in das Museum su Trier. Ein im Keller des Herrn Palxer
eingemauertei c. 26 cm. breites Insehriftenfiragment lautet:
lOPR
VSC
(pro)S E-F(ecit)
Die Hklfle dos Steines links Tom Beaehaaer fehlt, reehta folgt eine Belief-
venienmg in Form eines Amasonen-Sohildea.
3) Nach Mittheilungen des Hm. Thilmany, früherem Landrath des Kreises
fiitburg, wurden schon vor drei Jahraehntcn wiederholt römische Alterthümer in
Oberweis gefunden, i. B. ein kleiner Hund ron Bronse mit einem Ring in der
Naso auf einem Acker; eine gallische Goldmünse mit der bekannten Darstellung
einei Pferdes, um welches Storno gestellt sind am KoabSsch, einer Anhöhe zwi-
schen Brecht und Ilernesdorf. Letztere kam in das Trierer Moseum; ob auch
der kleine Hund ist mir unbekannt Aber auf demselben Felde wurden nach gef.
Miitheilung unsoret thitigen Vereinsmitgliedes des Herrn Pfairers Orth in Wis-
fnannsdorf in diesem Horbste Spuren eines röm. Geb&udes entdeckt Der Di*
r«oior de« Proviniialmuseums in Trier Herr Dr. Hettner, dem wir diese Mit-
tboilung sofort mit der Bitte lugehn lieesen, eine Aa^r^bung in Oberweis seitens
dai Trioror Provtmial*Mutoums vwanlasaen m wollen, hat diesem Vorschlage
ontsproohen und dürft« Ober das interessante Resultat wohl demnichst den Jahr-
bttohom ein« Mttthoilung lugehon lassen. Siehe die Miscelle: Oberweis.
4) Im Boiirk von Bfldosheim, der 2. Station (Ansava) an der Römerstrasse
roa Trier nach Cöln sind uns die Spuren mehrerer römischer Geb&ude unlängst
anffOMlgt worden, die voraussichtlich demnächst aur Ausgrabung gelangen. Man
vkI> f^f die Aufkftlilung der Alterthümer in diesen Bexirken. Barsch' und
Nohnniaor's MittheiluBgen, Holt I, S. 88 und UI, 8. 66 dieser Jahrbücher.
Kleine römiaohe VilU bei Stahl im Kreise Bitbnrg.
8
Bitburg entfernt, führten zur Aufdeckung dea Grundrisses einer kleinen
röraisehen Villa.
Wie bei den meisten Rheinischen Römer- Villen ist der Bauplatz
im aufsteigenden Terrain gewählt. Südlich sich seukend, gewährt er
den freien Blick herab in das liebliche Wiesenthal der Forellen-reichen
Nims; nördlich steigend, erreicht er die von Bitburg nach Neuerburg
führende Staatsstrasse, deren theilweise Identität mit einer Römerstrasse
aufgefundene Gräber bestimmen').
Nach meiner vorläufigen Vermuthung dürfte es eine von Bitburg^
ober Brecht, Oberweis und Bollendorf nach Ar Ion führende Traverse
der beiden grossen ältesten Militärstrassen, derjenigen von Rhcims
nach Trier und derjenigen von Trier nach Co In sein.
Auch die Gestalt des Grundrisses des Landhauses zu Stahl,
ein gebrochenes Viereck mit dem Eingange an der Nordseite, ent-
spricht der bisher beobachteten Regel.
Wir treten durch ein — eigenthümlicher Weise weder in der
Mittel-Linie des Baues noch des Atriums liegendes — Vestibulum in
crstere«», ein grosses 9,64 m. im Gevierte messendes Viereck, das mit
mächtigen Kalksteinplalten belegt war. Ob dieses Atrium einen offenen
oder ganz eingedeckten Hof bildete, ob es nur eine rund herum an
die Wände angelehnte theilweise üeberdachung besass und im Mittel«
räum ofi'en war, liess sich nicht mehr entscheiden, da weder Reste von
Säulen- noch von Pfeiler-Stellungen zum Tragen der Bedachung auf-
gefunden wurden. Freilich hat sich die Raubsucht bei den meisten
römischen Bauten, die nicht plötzlich sondern allmählig verschüttet
wurden, so fiilhzeitig auf die behauenen Steine geworfen, dass aus
deren Mangel kein Schluss zulässig ist. Wie sehr eine solche Steingewin-
nung aber auch in unserer Villa ihr zerstörendes Wesen trieb, gewahrt
man aus dem Zustande der Kellertreppe an der Westseite des Atriums,
welche bis auf eine sämmtlichcr Steinatufen beraubt war. Durch seine
1) Zwei dioeer Gr&bcr, kleine viereckigo Kaslengr&ber aus vier grossen,
■enkrecbt ins Erdreich gestellten Steinplatten gebildet, deckte ich persönlich auf.
Der Inhalt an gewöhnlichen Aschen-Urnen, kleinen Terra-aigillata-Tellern ohne
Stempel war ohne Belang, lieber ein drittes inhaltreicheres Grab berichtete
H«rr Peter Wallenborn jun. in Bitbarg im Mai 1875 folgendes: »In einem
Orabe nnforn der Villa von Stahl fand man beim Ansräumen eine niedrige kleine
Terra-sigillata-Sohale, 10 cm. breit und 4 cm. hoch, mit verziertem Rand; ein
L&mpchen von grauem Thon mit dem Stempel Comunis; einen 15 cm. hohen
gr»uen kloinen Henkelkmg and eine Kupfermünze des Kaisers Hadrian.
Tu»
tttiat LkBt vvitMluz. tgwaärnt obbet 'Esiar f^K
VBicnimir. Ite Enärarcnr äes ^*Tt"i^ söbs aat iaäit unnMXk za
ü ää Sfcca IHK V jätüiiiK mäc voriaüL **!£ «ser »ucÄe te
Eöriäfiais. \iiffigr aus cienuK nEncc^fs VaaÖBci« aa
Ecäex Tier WiAäex äs Eaüsmam» lk^> s. im« ihn iFTiii Waai-
D&s ijgaragä xie- «an. £a&Br. 4c ^iirTiii dma TiiTrair
SuL i3 «ea ä:^ xvec üanKznffSc MsscnäcK ii'MMf xai te •:«!-
ück &x ctssex ack aaffi'i^fvnäai VeiÄsiZäBaMr. vekir vier Biaae
bcHeL £3ii iJB cäe eöcex^üäie WjöirjTiiaBg ös lABäfeuaes xa be-
tcsf^scK. Az: Y«käip r^cfnarziu: «er Fai «■■teer Sc&ci» scnfikig
he^üMB WjafveEfVDies InMRBecBE. Ix enen «er tjs TTiif . im
s«dC€cIx^a ^ fCLher Fuk bis rttäex Usürn ädbnna EckpavJloB.
w aadk BC<^ öer jKMSseK EscnäiiiMn ^wriüeÄüu«. Drei in
rfyhfcjygpwr _^h^iiäF« bscm»? TVswfaat^n &knc9 cardk die
sttiücke ]iKi9«r «eAidKss s aez xnästa mt t» W«tKrinM. in
4«TTxt»ä2L.awekiimäASr«i«^n« weäerBiMiiiK^ »i frin«
Läiva K^itn-. Ke DicüxU «ieser T¥&vifci iijii ■ recteieftKt die
AiMhce*« cdisf säe zxii ii£« «^«siädea TlAiai geadtkuBOL tber^
iMopt pir ml.'i:« am. V«r«eklss? Sestixs:. ^«Mien nr Bit VoriaagcD
I^ 5ork\s«ädke Ecke 4<5 Hmsss u^ äe kiÖMi Bäobk des
IUa$bAde$ »«t «»e L»*«» «^* ilioäa^ ««4er «er Vcrachnft VitraTs
«•t${>r.ai: : ^F«r i* FJw«' wa« «inw«. 4« X«nMa a»i Xordüsten
»t^««aJecif« i>rt 5« «IW». »ömi «ßewar»« EÄfcrikrlichlTOBiSid-
wt»«« <ftMt^»i vtits»«*': "««wit «&f vVnibcU»t dies Tcrtadot, » doch
w« 5M»>i<>a» wtl d» Z«: «a R»Äea v«racsww» die n» Mitag bis
«um Ab«a K4*. »^^ «M 4« RM<-ABUf«mder tb*ig« IwnKts befind-
IkViiVilk« a^em»jiiÄa«*\ NxraÄsdwt RioKaVestdit das üeiae
l> IV«« l>«v»*to*» «*w«t »J«^ »A« jrft»i«« tb Herr Ksp.-BaÜi
$^vrr«rl)k 4w AuÄMÄtw A» «>«M»1«» «vcwlka. »»i 4eMhaIb ia letiMw
Kleine römiache Villa bei Stahl im Kreise Biiburg.
6
Bad, einem Apodyteriuin, Tcpidarium und Frigidarium. Das wanrn-
Wannenbad und das Schwitzbad: Caldariiim und Lacoiiicum fehlen. Als
Anklcidezimmer betrachteu wir deu mit wohlcriialtenem Rstrich versehe-
nen Raum östlich des Einganges, aus welchem >s'ir durch einen kleineu Cor-
ridor in das im EclcpAvillon befindliche Tepidarium, wie direct durch die
südlich belegene Thrtre zum Kri^iidariuni gelangen. Das Tei)idarium liat
weder eine Wanne noch Verrichtungen zur Erwärmung. Aber die
ausserordentlich kleine Kauiiiausdehiiuiig, die Ticferlcgung des l'uss-
bodens um eine Stufe, die sorgfältig in allen Käumen rümisdier (ic-
luiiide, iu welchen eine Wasserverschüttung stattfand» wahrzunehmende
Ausfüllung der Winkel, welche Wände und l'ussbÖden gegeneinander
bilden durch einen V« Itundstab im Verputz, um das Ansetzen von
Niederschlägen zu verhüten, rcsp. die Reinigung zu erleichtern, lassen
keinen Zweifel darüber bestehen, das.s hier cinestheils schnellem Ver-
luste der Wärme vorgebeugt werden sollte, andcrntheils Wasserver-
schilttungen stattfanden. Das nüthige warme Wasser für das lauwarme
Bad, d. h. hier für die lauwarmen Uebcrgiessungen — welches vielleicht in
Kesseln (Vitru v V, II) auf den» noch zu erwähnenden ileerdc im Atrium
bereitet wurde — ist wahrscheinlich hcrbeigi?tragcn worden. Unter dem
FussbodeD, der wie die Wände aus hydrauUschom Mörtel von scharfem
Sand, Ziegelbrocken und Kalk, aus opus signinum besteht, läuft durch die
nordöstliche Ecke ein kleiuer Canal, der wul das verschtittete Wasser
herausleitete. Besondere Beachtung verdient eine in der nordwestlichen
Ecke befindliche Wandnische, sie diente dazu, eines jener Kohlenbecken
aufzunehmen, die häufig anstatt der Fussboden- und Wand-Heizung be-
stimmt waren die Tcpidarien zu erwärmen. Südlich vor dem Tcpida-
rium liegt da-s Frigidarium, ein Raum von vierfacliem Umfang mit einer
grossen Wanne am östlichen Ende zum Vollbad, in welche drei — wie
immer sehr steile — Stufen hinabführen. Der V* Rundstab fehlt auch
hier in der aus opus signinum hergestellten Badewanne nicht. Ein
Bleirohr unter dem Fussboden des zum Tepidarium fiilirendcn Corri-
dors, durch letzteres laufend, führte das Wasser bei a herein. Senkrecht
darunter floss es an der durch einen kleinen Ring bezeichneten Stelle
nach geschehenem Gebrauch wieder ab. Der Mangel aller Vorrichtungen
zur Erwärmung des Fussbodens und der Wände lässt die Bestimmung
als Frigidarium ausser Zweifel. Südlich vor dem Frigidarium liegt ein
Stald and Ravenabearea ist demnach irrig^. In Weingarten udiI Nennig ist die
Situirung südweBtliob; in FlieBsem nordwestlich} in Mandersoheid Büdöetlicb.
6 Klüe räMMcfe Tib hä Sau ia KicM Bebos.
gros8es Zimmer, welcfaes vir nach der AasbdiBg dec södücfastai Theiles
desselben and n^ch der FngbodpnhpiTcng Ifd'^icfc dieses TheOes durch
Hypocansten für das Schlaigemach imd joMsi Thcd &r den Betten-
Baum halten. Die dorch eine kleine Umsiaimu$ abgegrenzte Hjpo-
caosis dieses Raames befindet ach im Atrimn, an dessen östikher Wand.
Neben derselben Tennerkoi vir noch einen mit ZL^elpIatten bekgtoi
Heerd, welcher — wie schon ai^edeotet — nefleidit zur Erwärmung
des Badewassers dioite.
Die drei grossem Bäume der nordwestlichen Haas-Ecke oübrigen
Ar den eigentlichen HanshalL Da £(±raanL dessen Thöre gegenüber
dem Eelleraufgang li^t, darf nach mannigfach darin geiimdenai Ge-
schirr-Bestoi als Küche, einer der danebenli^enden Gelasse als Auf-
enthaltsort der Dienerschaft aagesdien werden.
Der ganze Bau ist aas anrege]mää^igen Kalksteinen errichtet
und walr mit flachen rothoi Ziegeln dngedeckt, weldie wie gewöhn-
lich über den Fugen aufli^ende Randziegd zusammenhielten. Der
durchgängig an Aussenwänden römischer Gründe Torfindliche Ver-
putz mit rother Abfarbung zeigte hier noch einen starken Torspringen-
den Sockel, dessen Profilschnitt bei b im Plan beigegeben ist
Ob Ställe, überhaupt Wirthschaftsgebäude zur Seite lagen, liess
sich ebenso wenig feststellen, wie der Bering eines anschliessenden Hofes
oder Gartens.
Unter den kleineren mir zugekommenen Funden sind einige
Kupfermünzen *), das kleine 4 cm. mes^nde im Feuer v^goldete Bein
einer Bronze-Statuette, eine schön geformte Palmette mit Kettchen
von einem Bronzc-Geräth, zwei Siegelringe von Bronze, der eine mit
zerstörter Gemme, der andere mit gravirter runder Siegelplatte einen
Eroten darstellend, der auf einem Seepferde reitet, endlich eine kleine
Lampe von gn\ueui Thon mit dem vielfach und an verschiedenen Orten
vorkommenden Stempel Cl^MVXlS '). Unter den Gefässschcrbcn kam
der Stompol 0* ClllN- vor»).
1) 1. lUdrian, QroMon. Wahnoheinlich griechiBch, mit unleserlichem Re-
VOM. — a. H Ailr i« n, Mitt«lon. R. Pont max. u. s. w. drei Fcldseichcn. — 3. Marc-
Aurol, (Irttasorr.. U. ooncordi«, Pont max. tr. p. XJII u. ■. w. — 4. Julia
Doinna. MUlolora. Kov. uulcswlioh. — B. Gallienus. Kkinerz. B. Abondantia.
-^ (i. 7, und H aind aU)n«8ohli»seu und anleaerlich.
a) Hohürmanu*! 8. 04. Votk'I. S. 60, Anmerk. 1.
») Htfhttrmaun« 141B, Kröhner 787.
Kleine römiache Villa bei Stabl im Kreise Bitburg. 7
Dem Ucrrn Regierungs-Baurath Seyffarth, dem hier wiederum
die sorgfältige Aufnahme vcrdaiikt wird, dem Herrn Peter Wallen-
born juD. in Ditburg, welcher in meiner Abwesenheit der Mühe der
Leitung der Ausgrabung sich freundlich unterzog, sage ich im Namen
des Vereins gebührenden Dank. Auch des Eifers des Matthias
Thomas, Sohn des Besitzers des Villen-Terrains sei noch freundlich
gedacht. £. aus'm Wecrth.
2. Römiscbe Alterthümer in Heidelberg.
Im Frühjahre des vorigou Jahres wurden in Heidelberg unerwartet
eine Ileihe römischer Alterthümer aufgedeckt, und davon im vorigen
Hefte der Jahrbilchcr bereits die Meilensteine tiutgetheilt. Unser aus-
wärtiger Secretär llcrr Ilofrath Trof. Stark in Heidelberg wird über
den ganzen Hergang der htaltgehabten Ausgrabungen, über das Toim)-
graphiscbe und speciell Archäologische im Zusammenhang unter Vor-
lage eines Situationsplanes und mit beigegebenen Abbildungen berichten.
Inzwischen stehen wir nicht an weitere Einzelraittheilungen vorangehen
zu la.sscn, indem wir ^^unächst Starks Bericht über zwei römische
Topferüfcn und Häusersouterrains und dann C. Christ's Zu-
aendangen über das Inschriftliche abdrucken.
I.
Zwei römische Töpferöfen und Häusersouterrains bei
Heidelberg.
Bei den umfassenden Erdarbeiten, welche im Laufe der letzten
Jahre auf den dem Neckar benachbarten, nun von den grossartigen
Bauten des akademischen Krankenhauses wie der Irrenanstalt besetzten
Ländereien der alten Bergheiraer Gemarkung, jetzt des in den Stadt-
bereich gezogenen westlichen Baiiviertels vorgenommen wurden, sind
wiederholt römische Fundstätten, Gräber, Brandstätten, angebliche Ab-
zngskanäle, auch einzelne Mauerzüge durchschnitten worden, dabei
römische Geschirre aller Art, Bronzegegenstände, Fibeln, Armschmuck,
selten Münzen, gefunden. Soweit es noch möglich war, bei den man-
gelhaften und spät erfolgenden Kundgebungen darüber, ist Wissenschaft-
lömiscbe Altorthämer iu Heidelberg.
lieh Notiz genomineii und die besten der schliesslich abgelieferten
Gegeustände sind in die archäologische Sammlung der Universität in
eJDcr besonderen Abtheiluag eingereiht worden.
Im Dezember (1870) brach bei den Erdabfuhren auf dem für
Gartenanlagen bestimmten Terrain westlich von dem Krankenhause,
anmittelbar neben der neu augelegten, senkrecht auf den Neckar zu-
fuhrenden Thibautstrasse das Pferd von einem Wagengespann in ein
Loch, in eine sich öffnende Höhlung ein. Die tlberaus nasse Witterung
verhinderte die Enäarbeiteii an jener Stelle länger und erst jetzt sind
sie iu vollem Umfang in Angiifi' genommen, das Abtragen der oberen
Erdschichte um mehrere Fuss, zumeist für Herstellung breiter Fahr-
wege. Die Chaussirung der Thibautstrasse Hess eine ältere Strassen-
anlage entschieden altrömischen Ursprunges durchschneiden. Weiter-
hin hart am Neckar war eiuc jetzt bis auf das neue Strasscnuiveau
abgetragene Maueranlage in einem nach Norden offenen Viereck bloss-
gelegt; unter dem dort aufgehäuften Baumaterial liegen römische
grosse Ziegel herum ; wir sind aber über den ursprünglichen Bestand
bei dem Aufdecken gänzlich ununterrichtel gebliobea.
Durch die Freundlichkeit des jetzigen Verwalten des akademischen
Krankenhauses, Revisor Bau in er, ward dci- Unterzeichnete am 7. April
von jener üefl'uung in ein Gewölbe und dort zu Tage kommenden
Scherben verständigt und es ward sofort zur Untersuchung mit Hülfe
der mit Erdarbeiten beschäftigten Arbeiter mit Erlaubniss der bau-
Icitendcn Behörde geschritten. Das archäologische Institut übernahm
die Kosten der Ausgrabung, nachdem der Umfang der unter der Erde
befindlichen Gewölbanlagcn ungefähr festgestellt war und da keine
andere Kasse dazu die Mittel bot. Am 9. April gelang es in der
That, mit energischer Anstrengung der Arbeitskräfte die Ausgrabung
einem glücklichen Abschlüsse wesentlich zuzuführen, an welcher ein
Icbliafteres Interesse der zunächst Betheiligten sich allmälig kundgab.
Die ganze bauliche Anlage Ist in einer Tiefe von circa zwei Meter
unter dem allgemeinen Bodeuriiveau blossgelegt, ringsum zugänglich
gemacht und nach Südwesten hin, soweit das dem Krankenhaus ge-
hörige Terrain reicht, der von Gefässscherben erfüllte, nicht gewachsene,
sondern aufgeschüttete Boden entfernt worden. Sofort sind zwei pho-
tographische Aufnahmen der Lokalität gemacht und genaue Maasse
genommen worden.
Die Form der Anlage ist die eines abgestumpften Kegels
mit einem nach Südwest in convergirenden Linien von dem Kreisbau
Bömische ÄJlerthiimer in Heidelberg.
aus fortgesetzten, schrnul zulaufenden kleineren Vorbau. Die ganze
Länge beträgt 2,90 m.; der Kreisduiclimesser 1,79 m.; die erhaltene
Höhe durchschnittlich 0,70 in., ohne die einzelnen, höher anstehenden,
aufgestellten Mauertheilc; die äussere Mauerdicke 0,25 m., die Gewölb-
dicke durchschnittlich 0,28 m. Das Material besteht wesentlich aus
einem künstlichen, tuffsteinartigen, grauweissen Material, an der Luft
gelrockneten Thousteinen und einem ganz brenn endruthen bröckeligen
Backsteinniantel. Das Inneic ist mit Cenieut überkleidet, eine starke
Ccmentschicht bildet den Boden, wie die Oberfläche der Decke. - Die-
selbe ist durch die jahrhuudcrtlange Feuchtigkeit nach der Gluth wie
durchsintert. Hin von ßacksteinen gewölbter Bogen fühi-t von Südwest
in jenen kleinen VotTaum, dessen Gewölbe eingebrochen ist. Man
stösst sofort in der Mitte auf einen Stirnpfeiler, an den sich eine, den
Kreisbau in" zwei Hälften thetlcndc Scheidemauer ansdiliesst. So wer-
den zwei Feuerstätten gebildet, die in interessanter Weise gewölbt sind
durch je sieben Gewölbrippen, welche an die Mittelmauer wie an die
Aussenmaner sich anlegen, zwischen denen tiefe Rillen mit regelmässig
angelegten runden Löchern angebracht sind. So ist der obere Kreis-
boden regelmässig durchlöchert, untl zwar auf jeder Hälite in vier
Reiben von je 7, 6, 5, 4 Löchern. Ein bestimmter Kanal zum Abzug
des Rauches hat sich nicht gefunden, ebensowenig licssen sich senkrecht
aufsteigende öder horizontale Röhren vom Feuerraum aus nachweisen.
Die, also siebartig durchlöcherte, stark cementirte obere Kreis-
tiäche war umgeben von Chamottsteinen, die, auf die schmale Kante
gesetzt, sich kegelartig oder gewölbartig zusammenschlössen; auf der
Nordostseitc sind sie am besten erhalten. In der Mitte ist dann die
Abzugsöffnung für Rauch und Dampf anzunehmen, und dies ist also
der Raum, wo die zu brennenden Gefässe aufgestellt waren, der eigent-
liche Brennraura. An der Ostseite ist um jenen Steinrand noch eine
Lücke zu bemerken, wohl die Oeffnung zum Einführen der Gefässe.
Auf diesem oberen Boden fanden sich grosse Gefiissschcrbcn, eine
Anzahl auch unter den zwei Gewölben, dabei einzelne uniegelmässig
gebogen, durch die Glühhitze eingerissen und wie verplatzte Stein-
platten, welche wohl dazu dienten, kleiuere Gefässe gegen die jähe
Hitze zu schützen, natürlich viel herabgefallene Ccmcntmasse.
Wie wir bereits erwähnten, zieht nach Nordost sich der künstlich
aufgeschöttete Boden hin ; man kann noch genau die Abstufung der ge-
wachsenen auf den übrigen Seiten den Ofen bis zur Höhe jener Rost-
fläche zum Brennen umgebenden Erde verfolgen. Hier war der breite
10
Römische Altertbümer in Heidelberg.
Zugang, hier finden sich rohe Scherbeninassen, ferner, was wichtig ist,
Klumpen des plastischen Thoncs, hier auch an einer Stelle llolzkohle,
hier finden sich auch Thierkiiüchcn. Hier würden weitere Ausgrabungen
auf dem städtischen Terrain wahrscheinlich uns die Töpferawerkstitle
mit ihren Formen selbst neben dein Ofen zu Tage fördern.
Unter den uiassenhaftcn Gefässscherben begegnen wir all denselben
Formen, demselben verschiedenen Material, Farbe, derselben Glie-
derung, wie denselben, freilich nur sparsam vorhandenen Zierrathen,
die in jener Gegend bei früheren Funden zu Tage traten. Voran
treten die Thoile grosser Amphoren in blassgclblichem Thon mit zwei
und einem kurzen, zwei-, drei-, viermal geriefelten Henkel, mit trichter-
förniigen Mundstücken oder auch nur mit Randwulst. Die Oeffnnng
beträgt im Lichten mehrfach u, 12 ni., die Dicke der Gcfässwand ist über
0,01 ni., dann folgen die bekannten sogenannten Aschenkrüge, bauchig,
dünn, mit engstem Hülse, von inattgelber oder weisser Färbung. Sehr
gross ist die Zahl der nJedern bauchigen Gefdsse mit weiter üeffnung,
mannigfacher Umrandung theils von starkem grauem, grobem Material,
theils von sehr dünnem hellgeblichcm Thon, vielfach rostroth gefärbt.
Töpfcrschalen von braun rothor Färbung mit P'irniss oder silbergrau
und schwärzlich schliessen sich daran an. Endlich fehlt es an ganz
flachen, rund gedrehten Platten nicht. Von den feineren Töpferwaaren
der Terra sigillata mit dem fein glänzenden tiefen Roth und der glän-
zend schwarzen Färbung fanden sich im Verlauf der Ausgrabungen
zwar nicht sehr viele, aber doch hinreichende Bnicbstücke, zeugend
auch für die verschiedenen Gefässformen : Schalen, Tassen, Becher,
Teller, bis jetzt aber noch ohne Stempel, die häufig sonst eingedrückt
sind. Ein schönes Beispiel einer Reliefoniamentirung mit abgetheilten
Feldern und Tbierjagd ward niuthwilüg durch einen Knaben nach dem
Funde zersplittert. Merkwürdig ist eine kleine zweizinkige Gabel von
Thon, die dabei gefunden ward, also eine Zange zum Festhalten eines
Gefässes.
Von Metall ist fast nichts gefunden, nur ein eiserner, durch Hitze
und Feuchtigkeit sehr verrosteter Nagel, kleine Bronzeplättchen uud
ein kleiner Ring.
Ganz in der Nähe des Ortes war in diesem Winter eine Bronze-
münze gefunden, was wir durch einen Arbeiter zufallig erfuhren, mit
bekränztem Kaiserkopf und einer ganz undeutlichen, stehenden Figur
auf dem Revers, sehr in seiner Oberfläche durch Oxydation angefressen.
Die Münze ist uns jetzt übergeben worden. Der Kopf zeigt sich un-
KömiBohe Allertbümer in Heidelberg.
II
bärtig und sein Profil entspricht am meisten dem des Doiuitian. Auch
von der Umschrift sind nur wenig Duchütaben lesbar; deutlich: ...MIT
und weiter COSXII. Herr Prof. Zangenmeister stellt sie sehr
wahrscheinlich der Mittelbrüuze bei Cohen Med. Rom. I. p. -133 u. 380
gleich. Sie gehört dem Jahre 87 n. Chr. an.
Das Interesse, welches sich an diese Ausgrabung knüpft, ist ein
doppeltes, ein allgemein antiquarisches und ein lokal-archäo-
logisches. Wir erhalten hier ein sehr anschauliches, selten gut er-
haltenes Beispiel einer einfacheren Art römischer Topferöfen, wie solche
drüben in Rheiuzabern, hier freilich durth vielfache moderne FäLschun-
gcn verdächtig, dann am Oberrhein zu Heiligenberg, zu Ittersweiler,
ferner zu Westerndorf in Obeibayern, weiter am Wienerwald, ebenso in
Chatelet in der Auvergne und in Northainptoushirc in England nach-
gewiesen sind (vergl.RichDictionnaire des nntiquites Rom. s.v. fornax,
Brongniart Traite des arts cevamiques I. p. 424 fl'., voii Ilefner in
Oberbayer. Archiv Bd. XXII, Birch History of aucient pottery U. p.
303 ff.). Hr. Dr. Franz Keller, Rektor der künigl. Gewerbeschule in
Speier, hat im letzten Jahre seine interessanten Studien über die rothe
rumische Töpferwaare mit besonderer Rücksicht auf ihre Glasur (Hei-
delberg, K. Groos 1876) veröffentlicht und dabei die also hier nachge-
wiesene Einrichtung und andere komplizirtere, mit Doppelräudern und
aufrechtstehenden Röhren gut uulerschieden.
Das lokale Interesse wird aber jetzt durch den Nachweis geweckt,
dass wir nicht blos am rechten Neckarufer bei Neuenheim eine römi-
sche militärische Niederlassung, auch so wichtig durch seine religiösen
Anlagen wie das treffliche in Karlsruhe jetzt befindliche Mithräum nun
kennen, dass vielmehr auch am linken Ufer, an der Stätte des ver-
schwundenen Bergheim, sich neben Grübern technische Anlagen fanden,
zu welchen das Thouniatcrial mehrere Stunden weit, von der Gegend
von Wiesloch wohl, herbeigeschafft wurde. Wir erfahren jetzt zufällig,
dASS zwei ganz ähnliche bauliche Anlagen — nur viel schlechter er-
halten — bei der Fundamentirung des Irrenhauses längst zu Tage ge-
treten waren, aber nicht weiter untersucht worden sind.
In den vorstehenden in den Beilagen Nr. 91, 92 (18. 19. April)
der Karlsruher Zeitung zuerst abgedruckten Berichten über die Auf-
findung eines römischen Töpferofens bei Heidelberg war darauf hinge-
wiesen worden, dass man mit Sicherheit südöstlich von jener Fund-
stätte bei Entfernung der von antiken Bruchstücken erfüllton Erdmasson
auf weitere analoge römische .Anlagen stosseu werde. Diese Annahme
12 Römuche Alterthümer in Ueidelberg.
hat sich in erfreulichster Weise bestätigt, ja ist noch im weiteren
Verlaufe übertroffen worden durch die Funde selbst. Der Sfadtrath
von Heidelberg, in dessen Geschäftsbereich das angrenzende Territo-
rium, als zur neu angelegten Thibautstrasse gehörig, fällt, hat in
rascher und richtiger ErAissung* der Bedeutung des gemachten Fundes,
in umsichtigem und wohlwollendem Entgegenkommen gegen wissen-
schaftliche Interessen sofort die energische Verfolgung von Ausgra-
bungen auf diesem relativ schmalen Streifen des Bodens angeordnet.
Unter der Leitung des Stadtbaumeisters Schaber werden die Erd-
arbeiten sorgfältig überwacht, am Abend auch Wachen aufgestellt, die
iuteressanten Funde abgeliefert, die Aufnahmen sofort gemacht und es
ist die Absicht der archäologischen Sammlung der Universität freund-
lichst Alles schliesslich zu überlassen. Es gebuhlt der Stadtbehörde
der aufrichtigste Dank von Seiten des gebildeten Publikums, dass Gross
und Klein sich lebhaft für diese Ausgrabungen interessirt, sowie von
Seiten der archäologischen Wissenschaft.
Am 20. April verweilte im Auftrag der Grossh. Regierung der
Konservator der badischen Alterthümer, Geh. Hofrath Wag-
ner, hier und nahm genaue Einsicht von dem bis dahin Gefundenen,
sowie eingehendste Rücksprache mit den dabei betheiligten Behörden
und Sachverständigen. Eine besondere kleine Geldbewilligung ist für
die Förderung der Angelegenheit inzwischen bereits vom Grossh. Mi-
nisterium des Innern gemacht worden und umfassende Anordnungen
im Interesse der Funde sind getroffen worden. Auch von Mannheim
und Speier hat man diese merkwürdige Stätte mehrfach in Augen-
schein genommen. So steht zu hoffen, dass unter thätigcm Hitwirken
der verschiedenen Faktoren die jetzt so günstig wie in Jahrhunderten
nicht gebotene Gelegenheit, das brachliegende Terrain in dieser Ge-
gend wissenschaftlich zu durchsuchen, auch benutzt werde und ihre
reichen Früchte bringe.
Nur wenige Schritte südwestlich von dem jetzt in Trümmern lie-
genden ersten Töpfer ofen ward ein zweiter aufgedeckt, im Wesent-
lichen von ganz gleicher Einrichtung, gleichem Material, etwas kleiner
in den Verhältnissen, aber im oberen Theile noch besser erhalten. Die
Gesammtlänge beträgt 2,8 M., der Querdurchschnitt 1,60 M., die Höhe
des Rostes über der Basis 0,7 M., der obere, den Brennraum um-
gebende Mauermantel erhebt sich bis 0,65 M. und erweitert sich sicht-
lich noch etwas nach oben zu, um dann natürlich wieder im steilen
Kegel zu schliessen. Die Gesammtlage des Ofens ist von Osten nach
RöoiiATfae Altertbümer in Heidolborg.
18
Westen und bildet derselbe einen stumpfen Winkel mit dem ersteren.
Die Eingänge zur Feuerstätte liegen sich möglichst nahe, nur ist der
Eingangsbogen bei dem neuen Ofen ein steiler Spitzbogen, dort war
er fast hufeisenförmig gerundet, seine Masse sind 0.40 M. : 0,00 M.
Die innere Theilung in der Läogenaxe durch eine Mauer, die Art der
Wölbung sind gleich, die Zahl der Ocffnungen im Rost ist kleiner, die
auf beiden Seiten wesentlich in drei Reihen, jedoch nicht in strenger
Regelmässigkeit geordnet sind; es zieht sich die letzte Löcherreihe
haxt am Rande hin. Dieser Ofen ist jetzt uitifricdigt und mit einem
vorläufigen Schutzdache versehen. Eine Versetzung in Sammlungs-
räume ist vielfach besprocheu, doch kaum thunlich. Auch von diesem
sind Photographien verkäuflich. Soeben ist unter Theilnahme der
Grossh. Regierung an den Herstellungskosten ein Schirmdach be*
schlössen worden.
Die Erwartung, dass auch nach Süden hin ein dritter Töpferofen
sich finden werde, der vom gleichen Mittelpunkt aus besorgt wurde,
hat sich im weiteren Verlauf der Ausgrabungen nicht erfüllt. Inzwi-
schen sind aber in nächster Nähe zwei anders geartete Baulichkeiten
aufgedeckt worden, die unter sich die grösste Aehnlichkeit haben,
offenbar zwei Souterrains römischer Häuser, deren steinerner
Oberbau hinein und zusammengestürzt ist. Die eine liegt etwa 5 Meter
rein westlich vom zweiten Ofen, die andere ein paar Meter nördlich.
Kaum ein Meter unter der jetzigen Erdoberfläche tritt uns jetzt nach
der gänzlichen Ausräumung ein viereckiger ummauerter, aber in der
Erde steckender Raum entgegen mit längerem engerem Zugang von
Norden heraus, welcher noch deutlich in einer Erweiterung unmittelbar
beim Eintritt den Platz für die einst eingefügten Thürgewnnde be-
zeichnet. Der Raum ist nicht ganz rechteckig und quadratisch, in der
Grösse von 2,78 M. : 3,3. M.; die erhaltene Mauerhöhe beträgt 1,68 M.
Auf der Westseite befindet sich eine breite, schräg nach aussen an-
laufende, sich erweiternde Lichtciffnung, auf der Nordscite in gleicher
Höhe zwei zum Theil noch überwölbte kleine Nischen (loculi), um
Dinge darin abzustellen, nach Osten hin eine ähnliche kleinere, aber
rechteckige flache Nische, Je mehr man sich mit der Technik des
trefflich erhaltenen Mauerwerkes bekannt macht, um so mehr über-
rascht Einen die Sorgfalt und Zierlichkeit der Konstruktion. Sie be-
steht aus 13 regelmässigen Schichten von kleinen, unseren Backsteinen
an Grösse etwa gleichen Bruchsteinen (rother und heller Sandstein),
die mit Cement trefflich verbunden sind und einen durchgängigen fei-
14 Römisohe Alterthfimer in Heidelberg.
neu GementTerputz hatten, welcher in künstlicher Weise durch Ein-
ritzung quadrirt ist; alle diese künstlichen Fugen waren mit dem
ücfen, wohlbekannten antiken Roth gefärbt. Schon diese feine Technik,
wie die Sauberkeit der ganzen Architektur bei so kleinen, bescheidenen
Verhältnissen ist gegen die Annahme etwa eines Bauemhansplatzcs
aus dem Mittelalter entscheidend, abgesehen von der Masse antiker
Scherben im Innern. In der Mitte dieses Raumes sti«is man auf eine
grosse runde Sandsteinplatte von 1 M. Durchmesser mit ganz engem
rundem Loch in der Mitte; als sie abgehoben wurde, öffnete sich ein
cylindrischer, nach oben sich mehr verjüngender Raum, rings um-
mauert, aber nicht cementirt, der etwa 2 M. tief ausgeräumt ist. An-
tike Scherben und Thierknochen, besonders von Schafen, Zi^en, aber
auch Wildschweinen fanden sich darin. Man kam auf Kiesboden, auf
dem auch die Mauern aufstehen. Der Gedanke an einen Brunnen oder
eine Zisterne musste bei dieser Beschaffenheit bald aufg^eben werden,
ebensowenig hat es einen Sinn, eine Senkgrube mit verwesenden
Stoffen in der Mitte des Hauses anzunehmen. Immer wieder wird man
zu der Annahme gedrängt, hier unter diesem schweren deckenden
Stein einen Vorrathsraum für Gegenstände, die länger aufgehoben
werden, zu denken, im römischen Sinn an eine cella vinaria, condi-
torium, thesaurus, deien uns einzelne mit einem grossen Steine zu-
gedeckt (sazum ingens quo operitur Liv. 39, 50) ausdrücklich be-
zeugt werden.
Der Süden zeigt sehr viele solcher Räume, oft in den lebendigen
Felsen eingehauen, oder ausgemauert oder eingesenkt, aus riesengrossen
Thongefässen bestehend. Einer anderen Vermuthung, die uns ausge-
sprochen wurde, es sei eine Vorrichtung, um den Stecken fttr die
Töpferschdbe möglichst fest zu stellen, ist gerade von erfahrenen
Töpfom widersprochen worden.
Das zweite aufgedeckte Souterrain ist noch um einen halben
Meter länger, auch etwas tiefer als das erste, hat fünf solcher ge-
wölbten Mauernischen, von denen der gewölbte Bogen der einen noch
ganz erhalten ist Der Eingang ist hier ebenfalls ganz von Norden,
die Lichtöffnung liegt dagegen nach Süden, die Nischen je zwei auf
der Ost- und Westseite und eine auf der Nordseite neben dem Ein-
gang. Ein solcher tiefer Rundraum in Mitten hat sich hier nicht ge-
funden, trotz tieferer Nachsuchungen. Vollkommen übereinstimmend
ist hier die Masse der den Raum füllenden Mauersteine und römischen
Ziegel des Oberbaues; Reste verkohlten Holzes sind hier wie bei dem
Römiscbe Altorthümer in Heidelberg. 16
andern gefunden. Besonderes Interesse erweckt aber eine grosse Thon»
platte, zum Fussboden gehörig, in Rauten durch Vertiefungen gerieselt
mit Resten der blaugrauen und rothgelben Färbung. Zu einem mo-
saikartigen Fußboden (opus alexandrinum) müssen wir noch zwei Rund-
steine, auf der Rückseite mit Cementmasse verbunden, rechnen, deren
Oberfläche radformig mit zwölf Strahlen gegliedert ist, auch hier wech-
selt die Bemalung, und zwar zwischen Roth und Gelb.
Soeben i^t nördlich, aber unmittelbar neben jener schräg durch
das Terrain streichenden, in konvexer Profilirting mit dem Steinpflaster
und Eiesschicht etwa 25 F. breit gebildeten römischen Strasse, welche
in ziemlicher Breite hier abgetragen wird, eine weitere viereckige, noch
grössere Hausstätte gefunden, die in den nächsten Tagen der Aus-
grabung harrt.
Deutlich verfolgt man weithin an dem Rande der tieferen neuen
Strassenanlage die Grenze der römischen Bauten in den Erdmassen,
einzelne Aschenmassen, dann Scherbenmassen treten dabei immer neu
zu Tage, ja in 'neuester Zeit ein starker Cementguss-Boden auf
kleineren Sandstein-Massen als Unterlage.
Unter der Masse der zu Tage getretenen Thonfabrikate nehmen
vor Allem diejenigen ein Interesse in Anspruch, welche zugleich durch
Inschriften uns antike Persönlichkeiten des Fabrikanten oder des Be-
sitzers oder der leitenden Autorität vergegenwärtigen. Es ist eine be-
merkenswerthe Thatsache, dass noch kein einziger Ziegel mit Legions-
stempel zu Tage getreten ist, wie solche jenseit des Neckar in Neuen-
hdm massenweise sich zeigen. Unter den Gefässinschriften unterscheiden
sich die zierlichen, festgeformten Stempelinschriften und jene Inschriften
ans freier, oft recht ungeschickter Hand quer über dem Bauch grosser Ge-
fässe angebracht, eingeritzt, jene gehören durchaus den feinen Gefässen des
glänzenden rothen Thones, diese grauweissen, sehr starken (0,3—0,5 M.
dicken), nngefimissten grossen Bauchgefässen für Wein, Wasser u. dgl.
So lernen wir einen MEBBICVS zweimal kennen i), so einen ALIBLETVS
(ob Alibiccus?), so einen PLACIDVS, endlich trägt eine trefflich geformte,
im Feuer gebräunte, in zwei Theile gesprungen^ grosse flache Schale
die Inschrift lANVARIVS F (Januarius fecit). Natürlich haben diese
Fabrikanten nicht überwiegend hier gewohnt, sondern es befanden sich
1) Zu Mcddlons (BB) s. Bocker, Inschr.-IJeberrcBte der keltischen Sprache
in Beiträge von Kahn u. Schleicher III, 2 ff. Berlin 1868, in diesen Jahrbüchern
LIV, S. 812.
16 Römisohe Alterthamer in Heidelbwg.
in und bei der Töpferei auch Geschirre anderer Fabrikanten, dieselben
Namen kommen oft weithin vor am Rhein. Von der andern Gattung
der Inschriften besitzen wir jetzt eine ziemlich umfangreiche und zwei
Fragmente; jene befindet sich auf einem Bruchstack eines weiten be-
trächtlich grossen breit gedrückten Gefässes aus mattgeblich grauen
gebrannten Thonc von 0,02 m. Dicke; die Buchstaben sind 0,03—0,05 m.
hoch. Erhalten ist folgendes:
aCENVI
VBRNAICI
Die Ergänzung des ersten Namens zu Ingenui hat nicht die ge-
ringste Schwierigkeit, um so mehr die des zweiten Namens. Meine
Herrn (Kollegen Prof. Zangenmeister und Wachsmuth, welche
überhaupt far die ganzen Ausgrabungen sich lebhaftest interessirten
und bemühten, lesen Gubematoris; ich kann mich nicht damit einver-
standen erklären, da der obere Querstrich zum T mir nicht erkennbar
ist, man wird an ein ubciifaici vielleicht (g)uben]ai ofCficina) gewiesen.
Indem ich auf ein näheres Eingehen auf alle Möglichkeiten des Namens,
um die sich auch Herr C. Christ eifrigst bemüht hat, dessen Thätig-
keit in dieser ganzen Angelegenheit dankbar zu gedenken ich gern die
Gelegenheit ergreife, und auf die Beantwortung der weitem Frage ver-
zichte, ob hier der Verfertiger oder der Besitzer, wie dies Zangen-
meister aus dem Beispiel bei Bruzza, Inscript. Vercell. p. 192 wo
solche Grafitinschrift neben dem Stempel erscheint, sehr wahrscheinlich
macht, zu verstehen sei, bemerke nur, dass andere solche Grafiti im
Verlaufe der weiteren Ausgrabungen zu Tage traten, wovon in einem
spätem Bericht zu handeln ist. Das zweite erhaltene Fragment eines
bauchigen Gefässes mit Hcnkelansatz und Halstheil, das aber etwas
anders röthlicher gefärbt ist, im Bruch dunkeler und eine Dicke von
0,025 hat, zeigt den Buchstaben M also M. Ein drittes Fragment in
Dreieckform mit besonders tief eingeschnittenen Buchstaben hat Vi,
möglicherweise das Ende auch von Ingenui.
Zu diesen schriftlichen Zeugnissen auf Thon kommen nun auch
mehr und mehr einzelne Münzfunde hinzu. Neben dem zweiten Ofen
ward eine trefflich erhaltene Bronzemünze des Kaisers Hadrian
(Mittelgrösse) gefunden, mit der Umschrift IIADRIANVS AVG und
auf dem Revers COS III sowie S. C. Eine Salus (Göttin des Heils)
sitzt auf einem Thron und reicht die Schale der von einem run-
den Altar sich erhebenden Schlange. Die Münze, in die Jahre zwischen
Römisol^e Alterth&mer in Heidelberg. 17
120—127 n. Chr. fallend, entspricht ganz der von CJohen in seinem
grossen Münzwerk der Münzen der Kaiserzeit II. p. 191 n. 731 be-
schriebenen. Gleichzeitig wurden mir auch die bereits früher von der
Stadt- Baubehörde gefundenen und aufbewahrten Münzen mitgetheilt,
die bei den römischen Hausfluren gnnz in der Nähe am Neckar ge-
funden wurden; zwei sind römisch, eine ist eine frühmittelalterliche
Silberbracteate. Unter jenen ist eine Bronzemünze des Trajan aus
seinem vierten Konsalat mit einer ein Votivschild vor sich haltenden
Viktoria leicht bestimmbar, jedoch ist aus dem zweiten Konsulat und
der Designation zum dritten des Kaisers bisher nur eine mit solcher
Darstellung bekannt (Cohen Medailles imperial II. p. 53 n. 325). So
eben wurden zwei weitere Münzen des Trajan gefunden, von denen die
eine dieselbe Dai*stellung mit dem dritten Konsulat aufweist, die andere
in ihrem Revers ganz unkennbar ist. So reihen sich in glücklichster
Weise die Zeiten der drei bezeugten Kaiser Domitian, Trajan, Hadrian
eng an einander (81—138 nach Chr.).
Waren bei unserem ersten Berichte Metallsachen kaum zu ver-
zeichnen, so ist dies jetzt reichlicher möglich. Wir haben jetzt Gefässrän-
der, Instrumente, kurze, dolchartige Schwerter, ein kleines Gefass, grosse
Nägel, einen römischen grossen Schlüssel. Früher hat man bei dem nahen
Strassenbau am Neckar in einer Haasstätte eines jener merkwürdigen
rhombischen Eisen stücke, 4,6 Kilogramm schwer, gefunden, zu
welchen bereits in früheren Jahren ein Gegenstück, welches auf dem
weiteren Gebiete dieser Römerstätte sich fand, nachzuweisen ist^).
Ivlumpen verglaster Schlacke mit Kupfertheilcn traten in letzter Zeit
zu Tage. Von Gläsern sind kleine Fragmente, besonders auch mit
bunten, eingeschmolzenen Glasfäden gefunden worden.
Vergessen wir endlich auch nicht des interessanten Fundes in
jenem Haussoutervain, eines Gefäses mit verkohlten Erbsen, welche
1) Solche rhomboidale Eisenstücke sind in neuster Zeit erst eingehender
ge^vQrdigt worden, besonders vonFerd. Keller im Anzeiger f. Schweizer Gesch.
und Alterthumskunde 1858. S. 88 ff , dann von H. Genthe, lieber den etnisk.
Tanschhandel nach dem Norden S. 80, zuletzt von Dr. Lndw. Beck, Beiträge
Eur Geschichte der Eisenindustrie, Annalen nassauisoh. Alterthumskunde. XIV, 2.
Wiesbaden 1677, S. 817—830. Taf. VI, 1 ff. wo lang gezogene rhombische Formen,
(Yogelform) abgebildet sind. Sie bestehen aus gutem Schmiedeeisen, wurden
meist in grösserer Zahl zusammen gefunden und haben meist 12 Pfund = 6
Kilogpramm Gewicht, schwanken aber zwischen 10 und 15 Pfund. Vgl. Jahrb. LIX,
S. 183.
2
18 Römiache Alterthümer in Heidelberg.
die Untersuchung des Hrn. Prof. Pfitzer als Kichererbse, diese acht
römische Hülsenfrucht, erwiesen hat.
.So belebt sich immer mehr das todte Gestein, der yergcssene
Schutt vergangener Jahrhunderte und es steigt ein römisches Kultur-
leben, eine Stätte friedlichen Gewerbefleisses neben der römischen Mi-
litärstation am militärisch wichtigen Eingang der engen Gebii^schlucht
des Neckarthaies in den verschiedenartigen Thätigkeiten aus dem 2.
Jahrhundert nach Chr. vor unserem geistigen Auge empor. Neue Funde
kündigen sich uns soeben an, die weiter locken. Immer mehr gewinnt
das einzelne Interesse unter dem bereits Gewonnenen und die Hoffnung
wächst immer neu, über das Ganze der Anlage Licht verbreitet zu sehen *)•
Heidelberg, Mai 1877. Neu durchgesehen Anfang 1878.
Stark.
n.
Inschriften.
Bei Anlage der „Thibautstrasse" des neuen Weges zwischen den
Neubauten des akademischen Krankenhauses und der Irrenanstalt fand
man ausser den vorbeschriebenen Töpfer-Oefen auch die Ueberreste
mehrerer kleiner Wohngebäude aus rothem Sandstein, welche, wie
die gcsammte Fundstätte zu jener römischen Militär-Station gehören,
auf deren Terrain später das Dorf Bergheim entstand. Im Mittelalter
ist dasselbe aufgehoben und mit Heidelberg verbunden worden.
Eine Beschreibung der gefundenen Baulichkeiten liegt ausser
unserer Absicht und wir beschränken uns auf die Mittheilung in-
schriftlicher Funde.
Der hervorragendste derselben ist nun der eines römischen Votiv-
altärcheos, dicht am Neckar innerhalb eines der oben erwähnten Sou-
terrains (am 7. Mai 1877) ausgegraben, dabei aber leider von den Arbeitern
ein wenig beschädigt.
Dieses Haus- Altärchen besteht aus rothem Sandstein der hiesigen
Gegend, hat eine Höhe von 0,80, bei einer Breite von 0,40 Metern
und eine omamentirte Krönung, auf deren oberster Fläche inmitten
von WüKsten eine flachrunde Höhlung zu Libationen angebracht ist.
Die columna selbst ist nicht mehr vorhanden. Sie war wohl eine frei
1) Der Fortsetzung dieser Mittheilungen, die demnächst folgen wird, soll
zngleich der 8itiiationsplan der (ranzon Kundstätte und Abbildungen einzelner
wichtiger Funde 1)eigegoben worden.
Röraüolie Alterthfimer in Heidelberg. 19
daneben stehende Bildsäule des Juppiters; (bei Orelli 1313 wird z. B.
eine columna erwähnt). Die Inschrift aber ist grösstentheils noch er-
halten, das Fehlende leicht zu ergänzen und hier mit Klammem
eingeschlossen. Sie lautet:
lOM
ARAM • ET CO
LVMNAM
PRO-SE-ET (suis)
5 C • VEREIVS • (clo)
MENS • MILES
LECVillAVC-
BCOS-V-S- LL-M
was also zu lesen ist: „Jovi optimo maximo aram et columnam pro
se et suis Caius Vereins Clemens miles legionis VIII augustae, be-
neficiarius consalaris votum solvit laetus lubens merito".
Wir haben es mithin mit einem von einem Soldaten der achten
Legion, wahrscheinlich um die Mitte des zweiten Jahrhunderts unserer
Zeitrechnung, gesetzten Votivstein zu thun. f
Wenigstens glauben wir dies aus dem Fehlen späterer Beinamen
dieser Legion schliessen zu dürfen unter Verweisung auf einen ähn-
lichen Votivaltar eines Centurio dieser Legion, gefunden im Odenwalde
und aufbewahrt zu Mannheim (Brambach G.I.Rh. 1391 und Hang,
„die römischen Denksteine zu Mannheim" Nr. 22).
Die achte Legion stand übrigens vom Jahr 70 bis lange ins
dritte Jahrhundert in Ober-Germanien und hatte .ihr Hauptquartier
zu Strassburg.
In unserer ersten Mittheilung der Inschrift in der Augsb. Allgem.
Ztg. Beilage Nr. 132 v. J. ISV? und demnach im Correspondenzblatt des
Gesammtvereins etc. 1877 no.6 war die Vermuthung ausgesprochen wor-
den, man könne vielleicht statt VEREIVS lesen: VERNIVS (mit umge-
drehtem V\)> wie z.B. beiWilmanns Nr. 2851 ein Vernus vorkommt.
AUein der betreffende Buchstabe fallt in eine blos zufällige Verletzung
des Steins und war weder ein VA noch ein T, sondern ein bloses £.
Der widmende Soldat der VIU. Legion, der also Vereins Clemens
hiess, war Grefreiter, beneficiarius des C!onsularlegaten (consularis)
und genoss als solcher nicht nur Befreiung von den hartem Arbeiten des
aktiven Dienstes, sondern fand auch in Folge dieser bessern Stellung im
20 RSmitohe Alterthflmer in Heidelberg.
Ilccrc, ohne eigentlich beamtete Peraon zu sein, tine zeitweilige Ver-
wendung bei wichtigen Aufträgen und VerwiiHungsangelegenheiten.
Der Stein befindet sich im Archäologischen Institut zu Heidelberg.
Min weiterer bisher bei uns selbst aufbewahrter Inschriftstein be-
(Indi^t Mich Jetzt ebenfalls am genannten Orte *). Es ist ein 0,76 m.
hohnr, oben (),r>5 ni. breiter und 0,40 m. dicker Neptuns- Altar mit fol-
gender Inschrift:
IN HDD
NEPTVNO
iEDEM • CVM
SICNO VAL-
5 PATERNVS •
ARC • ET AELI
VS • MACER • EX
VOTO • FEC •
Die letzte Zeile ist mit kleineren Buchstaben geschrieben, die
schwierig zu erkennen sind.
Der Fundort des Neptunsteines ist der Thalweg des Neckars
zwischen der jetzigen Thibautstrasse und den gegenüber auf dem
rechten Ufer, unterhalb Neuenheim sich hinziehenden Gärten.
Die Neckartiefe ist in dieser Gegend eine sehr geringe, so dass der
Fluss im Sommer mit leichter Mühe durchwatet werden kann. Die
ganze dortige Neckarstrecke ftthrt den Namen »die Aul«, so genannt
von einem früher dort befindlichen, jetzt aus dem Fluss entfernten topf-
artigem Steine. (Das alte Wort Aul (altdeutsch üla) mit der Bedeutung
»Topf« ist dialektisch noch vorhanden und ist dem latein. olla entlehnt.)
So heisst z. B. ein noch vorhandener Stein beim sog. Wehrkopf oberhalb
der Bergheimer Mühle aus dem Wasser ragend und mit einer natür-
lichen kesselartigen Vertiefung versehen »Kesselstein«.
Noch weiter oberhalb ging nun die jedenfalls hölzerne römische
Brücke über den Neckar, wie die von uns schon vor vielen Jahren
im Neckar mit dem Neptunsstein entdeckten eichenen Hoste beweisen,
deren Entfernung von einander genau 36 Schritt beträgt, so dass der
Strombreite nach genau sechs solcher Roste im Wasser vorhanden ge-
1) Vergl. unsere Mittheilangen Augsb. Allgem. Zoiig. Beilage No. 145. 1877;
Heidelberger Zeitung vom ersten Juni 1877, No. 126; Heidelberger Familion-
bl&tter No. 46 n. 47.
Römiache Alterthfimer in Heidelberg. 21
Wesen sein mfissen. Hierzu kommt dann noch auf jeder Seite ein stei-
nernes Widerlager, von dem aber nur noch auf Neucnheimer Seite
die Ueberrcste gefunden, aber schon im Jahre 1812 bei Anlage des
Neckartaluts herausgebrochen worden sind.
Es waren also im Ganzen 6 Strompfeiler, zwei steinerne Wider-
halte an den Ufern und daher 7 Oefifnungen. Der dem Neucnheimer
Ufer zunächst gelegene Flusspfeiler liegt im Winkel zwischen dem Lein-
pfad und einer Traverse und ist in Folge dieser Wasserbauten jetzt
verlandet.
Diese Pfahlbrticke vermittelte nun den Verkehr zwischen den auf
beiden Ufern gelegenen römischen Niederlassungen an einem Punkte,
wo einerseits die römische Landstrassc von Spcier ausmündete, ander-
seits diejenige auf dem gegenüberliegenden rechten Ufer nach
Ladenburg abbog. An der Stelle wo beide schnurgerade Strassen
im rechten Winkel am Neckar auf einander zu stossen kamen,
war eben die Verbindung der beiden Ufer und Strassen durch
eine stehende Brücke hergestellt, die dadurch noch an Bedeutung
gewinnt, dass bei ihr (und zwar am linken Ufer) auch die Meilen-
steine aufgestellt waren*).
Ganz genau wird die Lage des römischen Uebergangcs durch
eine Linie bezeichnet, welche man von dem Desinfektionshause des
Spitals hinübergezogen denkt bis zu dem unterhalb Neuenheim ge-
legenen Hause des Schneidermeisters Geiz. Der dortige Brückenbogen
lag an einer etwas tiefern Wasserstelle, dem sog. Tflmpfel, und
ist jetzt wie gesagt abgeschnitten durch Leinpfad und Querdamm.
Mitten auf dieser Brücke war nun zu Römerzeiten der Neptunsstein
in einer Art von Capelle (aedes) errichtet, in derselben Art wie auf
späteren christlichen Brücken ein Nepomuk stand um den Hinüber-
gehenden zum Schutze zu dienen. Bei der Zerstörung der Brücke
stürzte der Stein ins Strombett und blieb dort dicht hinter dem
mittelsten Pfeiler, im Schiffwege liegen, bis er in neuerer Zeit mittelst
1} In Folge dieser unserer früheren Angaben in Bezug auf die römische
Brücke beantragte der Landesconservator Herr Oberschnlrath Wagner bei der
Regierung die systematische Anfräumung und Yermessung der alten Brücken-
roste im Neckar. Dies geschah denn auch im Herbst 1877 in umfassendster Weise
unter Leitung des Herrn Ingenieur H. Bär, der seine Resultate in einer eigenen
Schrift bekannt gemacht hat, welcher wir Betrachtungen über römischen Brücken-
baa sowie über die Neptunsateine beigefügt haben.
22 Römische Altcrthöiner in Ileidelberg.
Bagger-Maschine von Seiten der Wasser- und Strassenbau-Inspektion
herausgehoben wurde ')•
Solche Neptunsheiligthümer sind ziemlich selten und kommen io
den Rheinischen Gegenden nur wenige da?on vor. Ein Neptunsbild bei
dem römischen Uebergang von Trennfurt am Main nach Klingenberg
gefunden, ist leider nicht mehr vorhanden. Wenigstens waren alle
unsere Nachforschungen danach zu Trennfurt selbst, wo es in der Kirche
gewesen sein sollte, vergeblich (vergl. auch Steiner »Maingebiet«
S. 205). Auch zu Hanau, gleichfalls am Main, war ein solches Nep-
tunsheiligthum (Brambach No. 1433). Desgleichen wurde schon im
Jahre 1480 zu Ettlingen bei Karlsruhe ein Neptunbildstein mit In-
schrift von der ausgetretenen Alb an das Ufer geworfen und nach langer
Irrfahrt an verschiedenen Orten, schliesslich an einem ehrenvollen
Platze bei der Albbrücke eingemauert (Brambach 1678). Ein ganz
identischer Stein fand sicH* auch zu Baden-Baden, von demselben Mit-
gliede der Schifferzunft dem Neptun geweiht (ib. 1668).
(Aehnliche Widmungen von Neptunsheiligthümern kommen auch
vor bei Wilma nns 2325, 2373 und 2375.)
Sonst kommt dieser AVassergott im Rheingebict nur noch in den
Niederlanden und bei Oberwinter vor (vergl. diese Jahrbücher LllI— IV
S. 106, wo Scha äff hausen ausführlich über ein dort gefundenes
Neptunbild handelt).
Gehen wir nun zu unserm Heidelberger Neptunssteine über, so
weihen auf demselben zwei Personen, Valerius Patemus, den wir, ver-
anlasst durch den Fundort, für den Brückenbaumeister (architectus)
halten (den Pionier- oder Genietruppen angehörig) und ein gewisser
Aelius Macer, dem keine Charge beigefügt ist, dem Neptun eine Ka-
pelle mit einer Statue. Die Widmung fand Statt zu Ehren des kai-
serlichen Hauses nach einem gethanen Gelübde wahrscheinlich schon
vor dem Jahre 200 unserer Zeitrechnung.
1) Der Stein bildet die Basis zu einer Neptunsstatue, die sich aber nicht
mehr vorfand. Allerdings kam noch ein Bildstein aus anderm Material in der-
selben Gegend zum Vorschein, der gerade in die oberste Fläche der genannten
Basis hineinpasst und mit Recht jetzt auch im archäologischen Cabinet darauf ge-
stellt ist. Leider ist aber nur der unterste Theil dieses Bildes vorhanden, und
zwar scheint der darauf befindliche nackte Fuss eher einer weiblichen Figur
anzugehören, vielleicht aber auch einem Genius, der in dem Neptunsheiligthum
aufgestellt war. Stark nimmt ihn für Neptun, das anscheinende, tief herabhän-
gende Gowandstück für den Rest eines Delphins.
Bömisohe Alierthümer io Heidelberg. 23
Die einzige Schwierigkeit bietet die Abkürzung ARC, die auch
auf andere Art erklärt werden könnte. Anlässlich einer englischen In-
schrift erklärt Bergk dieselbe in diesen Jahrbüchern LVII S. 29
durch AR(moruin) C(ustos), eine Charge, über welche jüngst Freuden-
berg (ebenda S. 76) gehandelt hat (Auch bei Wilmanns II p. 596
sind Verschiedene Beispiele derselben zusammgestellt.) Da aber jene
Sigle ARG' auf unserer Inschrift eine von den folgenden Worten deut-
lich durch einen Punkt getrennte Gruppe von Buchstaben bildet, so
kann dieselbe hier nur ein einziges Wort ausdrücken, sonst müsste doch
wohl AR- G' getrennt sein, was aber durchaus nicht der Fall ist.
Auph bei jener englichen Inschrift scheint nun aber die gleiche
Funktion eines architectus vorzuliegen, denn in dem dortigen ARCX.
ist X vielleicht griechisch für GH, so dass also hier ARCCH)itectus) ge-
schrieben wäre.
Das Material unseres Steines ist rothö(« Sandstein aus hiesiger
Gegend, der aber durch das lange Liegen im Wasser ein etwas ver-
ändertes Aeussere und bedeutende Härte erlangt hat. Auf seiner ober-
sten Fläche ist der Stein platt, hat aber ringsherum einen Rand, in
welchem man noch die Spuren der Befestigung des ehemals darauf ge-
stellten Neptunsbildes sieht. Die Seiten des Altars enthalten weder
irgend ein Symbol des Neptun (dessen gewöhnliches Abzeichen der
Dreizack ist), noch die sonst üblichen Opfergeiilthe; sie sind vielmehr
ganz glatt.
Die Inschrift ist stark verwittert, so dass sie nicht überall gleich
deutlich erscheint Die Schriftzüge sind indessen von gutem Typus,
wie sie zu der, freilich nicht mehr genau zu bestimmenden Zeit der
Abfassung der Inschrift noch allgemein üblich waren. Die Form
EDES für ^DES, die vielleicht anzunehmen ist, wäre vulgäre Schrei-
bung, allein sie ist nicht sicher, da der Stein an dieser Stelle etwas
verletzt ist
Die vielfachen Schwierigkeiten, welche sich der Erklärung der
Sigle ARC und der richtigen Deutung dieser Abkürzung entgegen-
stellen, veranlassten uns schon bei unserer ersten Mittheilung
der Neptunsinschrift noch einige andere Versuche sie zn erklären
aufzustellen. In dieser Hinsicht konnten wir aber (in der Augs-
burger Allg. Zeitung Ende Mai 1877, Beilage) kaum die Frage er-
heben, ob dieselbe nicht ARG. laute, was (faber) argentarius bedeuten
würde und oft in dieser Weise auf Inschriften abgekürzt erscheint,
wo es in der Regel einen Silberarbeiter bezeichnet Es war das ein
24 Bömisohc Altcrthümer in Heidelberg.
Privatgeschäft, zumeist von Freigelassenen ausgeübt, das übrigens auch
als collegialisches Amt bekannt war, s. Wilmanns no. 988, no. 1727
und II, p. 645. Da die Silber- und Goldschmiede auch zugleich Handel
mit edlem Metalle trieben, so wurde argentarius in späteren Zeiten
indessen gewöhnlieh ein Banquier genannt
Da aber die L^ung ABC. doch zu deutlich ist, so wird mall also
bei einer der anderen vorgeschlagenen Erklärungen bleiben masseu,
als deren wahrscheinlichste wir architectus unter Berücksichtigung des
Fundorts und anderer Umstände aufgestellt hatten. In analoger Weise
wird z. B. archimimus bei Wilmanns exempla inscr. no. 1501 ebenfalls
abgekürzt durch ARG; architectus ebenda 1563 durch AKGITEGT.
gegeben, desgl. 728 *). Dagegen ist kein sicheres Beispiel zu finden,
worin ARG wirklich Abkürzung für' architectus wäre, wohl aber kommt
dieselbe für ein anderes Amt vor, was wir denn auch gleich zu Anfang
(Heidelberger Zeitung volh 1. Juni 1877 und in der Beilage dazu »Fa-
milienblätter« No. 47) ausgesprochen haben.
-Es ist dies nun der Vorstand irgend einer arca (avka), ein arca-
rius, oder wie er vielfach auch geschrieben wird arkarius, in der Regel
durch ARK. gekürzt, was indessen ebensowenig ernstlich gegen diese
von uns in zweiter Linie vorgeschlagene Lesung sprechen kann, wie der
Umstand, dass kein weiteres rheinisches Beispiel dieser Art vorliegt.
Ganz in unserer Nähe, zu Ladenburg, findet sich nämlich auf
einem römischen Grabstein ein ähnliches Amt belegt, d. h. dasjenige
eines dispcnsator, worunter ein Kriegscassier oder Stcuerbeamter zu
verstehen ist. Wie die Dispensatores überhaupt keine Soldaten, son-
dern Sclaven waren (vgl. Wilmanns II p. 646), so war auch derjenige,
welcher dieses Amt zu Ladenburg bekleidete, ein Sciave Namens Eu-
tyclias, welcher dem Paris, seinem verstorbenen Stellvertreter (vicarius,
1) Wirkliche Bräckenbauineiiiter sind bei Wilmanns No- 804 und 2144
genannt, der überhaupt II p. 645 noch mehrere solcher Privatingenieure au£führt,
die indessen allerdings selten erwähnt werden. Abgebildet ist ein solcher auf
einem Ileidelbcrger Grabstein (Brambaoh 1710) mit Messwcrkzeugun in den Händen,
hone dass freilich sein Stand inschriftlich erwähnt wäre. Aber nicht allein Archi-
tockteu civilen, sondern auch militärischen Characters kommen vielfach vor, wie
J. Becker in diesen Jahrbüchern LUI— IV S. 146 und in seinem Mainzer Catalog
No. 72 zeigt. Man wird wohl auch in unsei-m Falle an einen militärischen
Architeckt der 22. Legion zu denken haben, die so lange am Mittelrhein und so
auch zu Heidelberg stationirt war.
Römiiche Alterthümer in Heidelberg.
abgekürzt durch VIK. wie arcarius sonst durch ARK.) einen Grabstein
setzte. Derselbe wurde merkwürdiger Weise ebenfalls im Neckar ge-
funden. (Vergl. Brambach C. I. Rh. no. 1712) und zwar im Jahre
1845 beim Brückenbau, gegen Neckarhausen zu, aber nicht auf dem
Unken Ufer (wie die bisherige Angabe lautete), sondern beim rechten,
auf Ladenburger Seite.
Ganz in derselben Weise erscheint nun z. B. auf einer vcuctia-
nischcn Inschrift ein arcarius, Namens Philoxenus, ein Hausclave der
Kaiserlichen Familie, der ebenfalls seinem verstorbenen Sclaven und
A.mt"?gehülfen (vicarius), Ascanius genannt, einen Denkstein setzte. Ue-
berhaupt kommt der »iservus arcarius« häufig vor, meistens als niederer
Municipulbeamter, soz. B. bei Wilmanns 1833, 2762 c und d. Eb^2nda
no. 1^:30 erscheint ein publicus Tusculanorum arcarius; no. 15(52 Volceia-
norum ARK. u. s. w.
Nimmt man nun auch für unsern Neptühsstein diese Erklärung
nn, dann ist wohl auch hier ein solches kleineres Municipalamt gemeint,
d. h. der eine der beiden Dedicircndcn funktionirtc als Gemeindecassier
des leider nicht genannten vicus bei Heidelberg, welcher, wie die ganze
Umgegend überhaupt, zum Muuicipalgebiete von Ladenburg gehörte.
Wäre das Amt eines arcarius unter den Freigeborenen nachweis-
bar, so würde es freilich am nächsten liegen Valerius Pateruus, der
seinem Namen nach römischer Bürger war, für einen Militär zu nehmen.
Die arcarii waren nun aber in der Re^el Sclaven'), haben Sclaven-
namcn und entbehren daher des Gcschlechtsnamens, während unser
Valerius Paternus einen solchen fülirt. Derselbe war also entweder
ein Römer oder ein Fremder, der durch ein Mitglied der gens Valeria,
das römische Bürgerrecht erhalten hatte und in Folge davon den Gen-
tilnamen desjenigen annahm, welcher ihm da/u behülflicli gewesen war.
Die Vornamen beider Dedicanten fehlen, eine gewöhnliche Er-
scheinung bei Nichtrömeni.
Die arcarii dagegen waren, wie gesagt, und wie dies auch Wil-
manns anlüsslicli einer Inschrift aus Rom, No. 365 von denjenigen des
kaiserlichen Hauses bestätigt, fast immer Sclaven.
Der an dem genannten Orte erwähnte arcarius, Namens Sabiuus
wird zwar Augusti libertus genannt, jene erstere Würde stammt aber
aus der Zeit her, als er noch Sclave war, wenn man nämlich annimmt,
1) üeLer Sciavenaamcn von Künstlern und Ilandwerkem im Allgemoincn
rergl. WilmanuB No. 2620. Diese Art Namen war vielfach griecbiflch.
36 Römische Alterthumer in Heidelberg.
(lass er arcarius der Livia gewesen war. Wahrscheinlich bekleidete
er aber dasselbe Amt erst bei dem Collcgium des Golambariums der
Livia, in welches er eine Urne stiftete, also erst nach ihrem Tode. Im
letzteren Falle war er freilich Freigelassener der kaiserlichen Familie
zur gleichen Zeit, wo er auch arcarius des genannten Collegs war, eine
Würde, die hier ungefähr dasselbe bedeutete, wie der Quaestor anderer
GoUegien >). Eine ganze Rahe solcher collegialischen Qu&storen gibt
Wilmanns II, p. 643.)
Der arcarius eines anderen Collegiums, P. Tamudius Venustas,
bei Wilmanns No. 1488 (nota 21) scheint seinem Namennach in der
That ein Freigelassener gewesen zu sein, wenn er auch nicht ansdrOck-
lich als solcher bezeichnet wird. Die Charge desselben ist hier aber
durchaus zweifelhaft, indem sie lautet DAR.ARCAR, was Renier so
erklären möchte: discens a rationibus arcarii (?); Wilmanns dag^en:
discens armaturae, arcarius (seil, cotlegii Yeteranorum). Indem aber
auf derselben Inschrift (nota 12) der Ausdruck ex armatura bei einem
Veteranen in etwas anderer Bedeutung und fast ganz ausgeschrieben
vorkommt (wie auf zwei Mainzer Inschriften, wo armatura leg. gleich-
bedeutend ist mit miles vergl. J. Becker in diesen Jahrbüchern
LIII— LIV, S. 147 Anmerk.) so ist auch die letztere Erklärung nicht
wahrscheinlich.
Auch unter den niedem Magistratspersonen (vgl. bei Wilmanng
II p. 569 die officia publica civilia minora) finden wir arcarii. So den
arkarius provinciae Africae, einen kaiserlichen Haussciaven Namens
Antiochus Lucconianus, der, was bei derlei Sclaven öfters vorkommt,
ausnahmsweise zwei Namen trägt (vergl. Wilmanns II p. 405).
Der arkarius stationis Siscianae (seil, ferrariarum) trägt wieder
einen gewöhnlichen Sciavennamen Asclepiades. Desgleichen ein weiterer
niederer Staatsbeamter, Quintianus, der, ein vcrna Augusti, als vilicus
et arcarius bezeichnet wird. Ebenso waren die weitem, bei Wilmanns
No. 1391 und 1395 erwähnten, bei einem Collegium thätigen arkarii,
Victor und Theopompus, beide Sclaven.
Durchgängig Sclaven waren auch die dispensatores , deren Wil-
manns II p. 570 eine ganze Reihe unter seinen niederen Staatsbeamten
aufzählt. (Dass sie auch desshalb keine Soldaten sein konnten, be-
stätigt derselbe No. 1489 nota 3.)
1) Wilmaant 3G5 drückt sich wörtlich so aus: «aut cum servos etiamtum
esset, arcarius fuerat Liviae, aut arcarius coUegii, quod mihi magis plaeet." —
Bömiflcbe Alteiihümer in Heidelberg. 27
Von Wichtigkeit für uns wegen der Aelinlichkcit mit dem oben
erwähnten Ladenburger Grabstein, worauf ein Sciave Eutychas erscheint,
ist hierbei No. 1355 (vergl. auch 1356), wo einem Sciaven Entyches
za Born ein Grabstein gewidmet wird von einem Mitsclaven der kaiser-
lichen Familie, Namens Daphnus, der dispensator fisci castrensis war.
Ein Sciave Eutyches als Privat-Dispensator kommt ibid. No. 145 vor.
In gleicher Eigenschaft ein Freigelassener L. Junius, Silani libertus,
Paris, No. 1333. Auch kaiserliche Privatschatzmeister werden erwähnt,
wie Fortunatus, ib. 2762^ und Aepolus Galbianus, kaiserlicher Haus-
sclave, der wieder gegen die sonstige Regel zwei Namen trägt, ib.
2702. Ebenso ist dies der Fall bei einem Privat-ai'carius, Namens
Epaphröditus Yginianus, der gleichfalls als kaiserlich trajanischer Haus-
sclave bezeichnet wird ib. No. 2643, vergl. II p, 405.
Auch die municipalen arkarii sind Sciaven, so Apronianus, arkar.
rei publicae Aequicul. (WilmannsNo. 84); Albanus, colonorum coloniae
Augustae Aiexandrianae Abellinatium servus arkarius; desgleichen
EttBUS, coloniae Beneventi arkarius (ib. 2762); Moutanus, popnli Anti-
natiom Marsorum servus arcarius (608). Weiter Liberalis colonorum
coloniae Sipont. servus arckarius (sict) qui et ante egit rationem ali-
nientariam sub cura praefectorum; gewidmet ist die betreffende Inschrift
seinem Mitsclaven Augurinus, reipublicae ^ervus vcrna mensor (ib. 1833).
Ferner wird, wie schon oben gesagt wurde, einem servus publicus mit
dem Doppelnamen AntiochusAemilianus (vergl. desshalb WilmannsII,'
p. 405) von seinem Mitsclaven Primus, einem publicus Tuscul. arcarius
ein Denkinal gesetzt (ib. No. 1330). Endlich trägt auch Nymphicus,
als arcarius von Volceji ebenfalls schon erwähnt, einen Sclaven-
namen.
Aus diesen Beispielen geht zur Genüge hervor, dass sowohl die
dispensatores wie die arkarii fast immer Sciaven, selten Freigelassene
waren. Man wird daher den Heidelberger Valerius Patemus arc. auch
nicht blos desshalb als Freigelassenen betrachten dürfen, um dadurch die
Lesung arcarius zu erzwingen. Auch liegt hier natürlich nicht ein ganz
exceptionellerFall vor, den Hcnzen (und nach ihm Wilma nns No. 381,
385a u. 2644) bei einigen kaiserlichen Haussclaven beschrieben hat,
dass nämlich die bekannten Beinamen Patemus und Maternus in ge-
wissen Fällen als Beiwort eines Amtes , wie z. B. Epelys, dispensator
maternus verwandt sind, um bei Sciaven und Freigelassenen den gegen-
wärtigen oder früheren Herrn in ähnlicher Weise anzudeuten, wie
dies sonst die agnomina auf -anus thun.
28
Römische Altertb&mer id Heidelberg.
Was nun die ho häufigen cog:noaiina Patern us und Mat«rnus an-
betrifft, 80 sind dieselben nicht nur römi:^h, sondern auch keltische
Persoucnnaioen, wie dies Franz Stark in seinen keltischen Forschungen
(enthalten in den Wiener Sitzungsberichten, Jahrgang 1869, Februar
S. 262 und Juli S. 254) nachgewiesen hat.
Wir finden deshalb diese Namen auch häufig unter den rheini-
schen Töpfeni, die gröastentheils Gallier waren. —
Wie dem nun aber auch sei, so ergibt sich aus dem oben Aus-
geführten, dass die Sigle ARC. unserer Heidelberger Inschrift nicht wohl
anders als architcctus aufgelöst werden kann, und zwar wäre militäri-
scher Charakter desselben anzunehmen, denn sonst tritt auch hier
wieder der Umstand entgegen, dass Privat-Architecten vielfach Sclaven
oder doch Freigelassene sind.
So erscheint zu Pompeji ein Privatarchitekt Namens M. Artorius
M. libertus Primus (Wilmanns 2557); ein anderer zu Tarracina C. Po-
stuniius C. fiiius Pollio (ib. 2558). Ein A.Bruttius A. libertus Secundus
(ib. 2144) ist zu Concordia als Privatingenieur bei einem Brückenbau
thätig. Ein anderer, Namens Hospes, wird anderwärts ausdrücklich als
Sclave einer gewissen Appia bezeichnet; er schreibt sich: ARCITECTVS
(ib» 727), gerade wie ein weiterer Privatbaumeister, L. (3occeius,
L. C. Postumi libertus, Auctua, dessen Name ein Beispiel eines Frei-
gelassenen bietet, der einen andern Gcntilnamcn führt als sein Patron
Claudius Poötunuis (ib. 728). Bei dieser Gelegenheit sagt nun Wil-
manns, der Werkmeister (architectus), der ein Gebäude errichtete,
würde inschriftlich selten erwähnt. Im Allgemeinen ist dies sicher richtig.
Ein solcher Künstler (Lacer mit Namen) nennt sich aber doch
auch, freilich ohne ausdrückliche Bezeichnung als architectus, an der
Brücke zu Akäntara in Spanien, und zwar ähnlich wie dies auf der
Heidelberger Brücke der Fall war, auf einer dabei gelegenen Capelle,
deren Krbauer er gleichfalls war, während auf dem Mittclpfeiler
sich die Widmung an Kaiser Trajan befindet. Vergl. Wilmanns
No. 804. Auch zu Heidelberg nennt sich ja nicht direkt der Erbauer,
sondern er widmet blos als solcher einen Altar.
Noch weitere architecti civilerFimktion führt wie schon oben ge-
sagt wurde, Becker auf (Jahrb. LIII— LIV, 147), aber auch solcher
militärischen Charakters gibt es eine Reihe, die als Soldaten Freige-
borene, waren.
Solch ein militärischer Ingenieur war T. Flavius T. f. Pupinia
RofoS; Soldat zweier prätorischen Gohorten und zugleich als ordinatos
Römische Alterlhümer in Heidelberg.
29
architectus tesserarias in ccnturia bezeichnet (Wilmanns 1588). Auch
von der Flotte zu Misenurn wird ein architectus erwähnt {ib. 1062).
Becker führt auch weitere Beispiele aiL'!gedienter Soldsiten der
prätorischen Cohorten und Legionen auf, die derselben Genie-Truppen-
gattung angehörten. Darunter einen ARCITIvCT. armamentarii inip.
d, h. des kaiserlichen Zengha(i.qes (Wilmanns 15():3) und aussenleni
eincD solchen, der sich gornde/u als architectus Augustoi'um, d. h. des
kaiserlichen Hauses bezeichnet.
Am meisten Verwandtschaft mit dem Heidelberger Neptunsateine
hat aber der schon oben ei-wUhntc und zuletzt von Becker in seinem
Mainzer Museum No. 72 (vorher in diesen Jahrb. LUI— LIV, S. 14r»ff.)
beschriebene Votivaltar den Adius Verinus, architectus, und Gcminius
Priscus, custos armorum zu Mainz wo er 1872 gefunden wurde, errichten
liessen ').
Auch bei dieser Inschrift i.st die Weglassung des betreffenden
Truppenkörpei-s der beiden De<likanten zu constatiren, die sicher wie
wohl auch die 2 Altarspender zu Heidelberg, zunächst Soldaten waren.
Die Legion, wozu sie alle gehörten, war höchst wahrscheinlich in
beiden Fällen, zu Mainz wie zu FlotdclTjorg, die 22., die so lange Zeit
am Mittelrhein mit dem Hauptquartier Mainz .stand, dass, wie Becker
sagt, die ausdrückliche Bezeichnung derselben auf solchen Votivsteinen
als fa.st selbstverstäindJich leicht weggelassen werden konnte*). Diese
Legion stand überhaupt am längsten unter allen und zwar bis nach der
Mitte des dritten Jahrhunderts in (iertnanien und erscheint daher weit-
aus am häufigsten auf den rheinischen Inschriften.
1) Was das militärische Amt eines custos armorum, d. h. eines Waffen-
wartcs betrifft, eo hat ausser Becker auch FreuJonborg (Jahrb. LVIl, 7C)
dar&ber gcbaadolt, wie schon obna bemerkt wiirda.
9) Dasselbe ist der Fall such anf nndcron Maiiu-or Centuricn-Inschriflen,
Becker, M. Museum No. 70 und 74 und sodaun bei IIau|2f iMannheimcr Doak-
siein No. 64, wo gleichfalls nur die 22. Legion genannt sein dürfte. Anläss-
lich dieses letzteren Falles, dem Grabstein eines Legionars, zweifelt Hübner in
4er Jenaer Literaturzeitung 1877, Artikel 3flC, ob die obi^e Erklärung ilea Fehlens
der Bezeichnung der Legion hier die richtige sei, indem dann doch mindestona
beigefügt worden wäre „miles legionis''. Er moint, dass vielleicht auf einem
gemeinsamen Begräbnissplatz nur Legionäre einer Legion beigesetzt worden
wären. Man beachte indessen, wie auf anderen Mainzer Insehriften (Becker
No. I, 169 u. 212), anoh die blosse Würdo des Ceuturionnts obn« BeKcichmnig
de« Truppentheils Bt«ht. Ebenso fehlt zu Milleidierg (.lahrh. LII^ 75 n. LX, &2)
die LegiouBzahl.
j>> Bömiscbe AU«iihänm in Heidelberg.
Uebrger« könnte neben dieser regelmässigen Besatznng Ton Mainz,
n.^i des Dekumatenlandes, der XXII priroigenia, auch die andere der
röiei c-bersennaniichen Legionen in Betracht kommen, die legioYIIl
A::g-J5:a. Um das Jahr 170 p. Chr. waren nämlich nach der Ans-
fihr^Eg T»>n Urlichs ^Jahrb. LX, 5P) nnr diese beiden Leonen in
•-"^c^Tjeraaniea zaräck geblieben, welche mit ihren Halfstnippen etwa
:».■>'•> M:iS3 suirk sein mochten, und sich in die Vertheidignng der
Iisgen Linie des Grenzlandes the>!en roussten. — Bald darauf, etwa
33: das Jahr ISO. scheint nun aber in den Garaisonen des unteren
Neckars wie überhaupt des oberen Theils des Deknmatenlandes ein
Wev'hs«! der It-'shergen Disloofrun^en der beiden Legionen vorgenommen
Word« m sein. Während nämlich bfs dahin hauptsächlich die achte
:n liicsen Go-^eaden staiiocin war und sich ja auch der oben be-
schriebene He:delberv:er Votivsiein des Vereius Clemens in diese Zeh-
periAle stollea lässt — abgesehen von eiczelnen dem 1. Jahrh. ange-
höngen Abtheilnngen der XIV. usd der XXI. Rapax wovon wir Ziegel aus
Heidelberg bei Brambaoh mitgelheili haben, vorgl. dessen »Baden unter
römischer Horrschailt S. lo u. 17) — so scheint der grössoe Theil
der achten Legion um l>*> aus den verbälin^ssmässiz sicheren sfld-
liehen I^ndstriohen. weiter nördlich vorgeschoben wonien zu sein, nm
die gofährliohon Chatten zu beobitchten.
In die frühotvn Stellusgta dieser I.eg:i>:: richte danü die 22. ein,
welche vor. ran aa die einrice :r. diesem Thc^le des rVkuT.atenlandes
stativvi.rte bilvJeto. «oiv.'. Ksr. auch ru^e^^ec nirss» iass :m Allge-
mo.uen vnui '.vr.r.v.eU d:e ?.ohie [.eg.::: to:u Jibr; 7"^—?» mit dem
Standlaj^T Sti^fc^sburg .-uii OVcrrr.c:" s:äz.:.
l u*cr Nop;uji!*to:r. rc.^: aber s<'h;".i djrch eic^T .^iimUsisaiid an,
d,\ss er nicht \or der M:;:e dt-s -. jÄhrr.. ctsi«: <*■ i ks". iu-iem die
K»n}iAn»».toi nu'l dts.M**.b*".i t.a ho:;cr<":v. dvU'.:;s .i^v-^ü» v:r .ieiier Zeit
nicht voikxMinut. V':'s: e:w» se : dc:v. ,*Ai:r -.T."* --.t.-h C:.t. «.ri dieselbe
.Alis VKv<ov SCkiivo choic: »rx^^ien diis r..c ru vt^pssstnls Jiii*rbaus bei
KrvichJusvi; \oiU'ie\5ii:dvr.. A'.tArc:: ur.d Afr.v." .:J:f7.- r.i-r.^ v-c-rsügestellt,
So s;oV.{ s Vv üvV.OÄ ÄUi c -.e'. .Utir'.i" Vr.'.cr '.v^shrf: I-^f JiirxTS 1S«\
Iv; \\.h«,iv.us No. I.V7 v^>*.^'. .v«;>. 4:<"-.li. v i.r Irr C.:xmödi
Niv us.\' VN': luvh c.u .^v.dxTc* M.::t\ y-.:: e^ d;~ Kt ier:<-i^"'r
Nopt4'.n>;e;tt .iu«.^V,w.;d si; .iA:.:x'v. uv.a :>*ir x-sui; diÄttlx - dem
Ge!»tl«.««c« VoU;;s. H.Whv: .<;:•. c :u-v. \.t S';*r .•..es^^^ Ni-":=5 deutet.
IV« os>',o N\> ♦:\»«.*M".u« *,^j r.;r.^ V Vci .;s :-.,v;t .'.v-s. .i«r «'c<?r schon
11." l;'S ivsioiv.^K !v.o: «,>.; »vM *.• V-s::rÄx>: v.r.v.Vir fcir=. Eine
Bömisohe Alteriliümer in Heidelberg.
31
grosse Menge Parbaren und Freigelassene nannten sich nach ihm P.
Aelius unter Beifügung ihres früheren Barbaren — Sdaveii — oder
auch beliebigen andern Namens als cognomen (vergl. z. B. das Vcr-
seichnisB hei Wilmanns II p. 302),
Seinem Nachfolger wurde als seinem Adoptivsohn derselbe Gen-
tilname beigelegt, während sein Vorname Titiis war; er hiess demnach
^ T. Aelius Antoninus PiuB und regierte bekanntlich von 138—161. Nach
ihm setzte in analoger Weise eine Anznhl I'^emdor und Freigelassener
ihrem Namen ein T. Aelius vor. Des letzteren Adoptivsohn war
Marcus Aurelius, der von 161 — 180 als Aiigustus heirschte. Schon im
Jahr 139 war derselbe zum Caesar ernannt worden und hiesa als solcher
M. Aelius Aurelius Verus Caesar; als Augustus hiess er gewöhnlich
blos imp. M. Aur. Antoninus Aug. (Wilmanns No. 940 und II p. 512.)
Kine ganze Reihe von allerhand Leuten ndoptirten nach ihm den
N&men M. Aurelius (vergl. ib, p. 310.)
Dieser Kaiser könnte es übrigens auch gewesen sein, welcher
rioeni gewissen ^f. Aelius Titus, dem Dedikanten einer neuen Milten-
berger Inschrift, das Bürgerrecht verlieh and ihm damit ihn üblichen
Anlass gab zur Annahitn- des fJeschlecht^nainens Aelius. Wahr-
scheinlich ist es aber, dass sich derselbe nach Antonmus Pius An-
fangs Titus Aelius nannte, unter Mark Aurel aber das praenomen
des letzteren vor und in Folg« dessen Titus als cognomen nach-
B<^zle. So verband er die Namen zweier Kaiser in dem seinigon ').
Es war nämlich Sitte, dass Nichtrüraei-, wenn ihnen von dem
Kaiser das römische Bürgerrecht verliehen wurde, den Geschlechts-
namen (gewöhnlich auch den Vornamen) des verleilienden IkTi-schers
zu dem ihrigen machten und ihren ursprünglichen Persoualnamcn, der
bei Kelten und andern Fiarharen in der Regel nur ein einziger war,
als cognomen beifügten (vergh Jahrliüclier LH, 68). '
In dieser Hinsicht könnte vielleicht hei unserm Heidelberger Steine
auch Mark Aureis Adoptivbruder und Mitregent, der übrigens schon
lOÖ umgekommene Lucius Verus in Betracht kommen, der als Caesar*)
1) Vergl, UrlicliB in diesen Jahrbäcbern LX, 72 und Conrady indcaNas-
s&uischen Annalen, Band XIV. Da» cognomen Titu» kommt übrigens oftur vor
■la der letztere annimmt; vergl. Wilmanna II p. 400. Auch ist tlie Iiiachrin, atia
Oaterbuokea, worauf Calviniui Titus erscheint, nach meiner Aiitoptie diircliatis
xweilclloa; dieselbe ist nach meiner früheren Eililion in der Arch. Zeitung von
1889 S. 75 auch in diesen Jahrb. LV— LYI, \M von TTaug wiedergegeben.
S) Dieter L. Aelius Aureliua Venia hiesa übrigena uie Cäs»r allein,
S3 RömiBche Alterthüm^ in Heidelberg.
gloichfalls den Geschlechtsnamen Aelius führte (vergl. Wilmanns n
p, r»l4). Auch Mark Aureis Sohn, der Kaiser Commodus, der von
ISO— li>2 herrschte, nennt sich hie und da noch wie er als Caesar
hioss, Aelius (soWilmanns No. 76, 957u. 969) neben seinem gewölm-
liohou Namen L Aurelius. Besonders seit dem Jahre 191 führte er
den vollständigen Namen Imp. Caes. L. Aelius Aurelius Commodus.
Gleichwohl weist Aelius am Wahrscheinlichsten auf Antoninus Plus,
wir dies auch Urliehs in Bezug auf die schon genannte neue Milten-
berger Inschrift annimmt (Jahrb. LX, 72). Der Heidelberger Neptuns-
dtHÜkant Aelius Macer wClrde bei dieser Annahme also am die Mitte
des zweiten Jahrhunderts seinen Namen erhalten haben, während er
S|Mter, d. h. in den letzten Decennien dieses selben Jahrhunderts die
Inschrift setzen half, die wohl auch die Gründungszeit der Heidelberger
BrAcko anzeigt, wenn man nämlich die Sigle ARG', die seinem Collegen
als Charge beigoschrielK'n ist, in der angegebenen Weise als Bezeich-
nung dos Baumeisters erklärt. Aber auch wenn man Valerius Patemus
etwa fftr einen militärischen arcArius erklärt und Aelius Macer als
seinen Gehülfon (optio), so könnte die Brücke aus den Mitteln der Gasse
errichtet sein, welcher joner vorstand.
Nach dieser hier entwickelten Zeitbestimmung fallt die Errichtung
der Brücke in eine frühere Zeit als die Meilensteine, deren frühster vom
Jahr 2Ui^ uud deren spätester von 253— äi»«.^ stammt. Der letztere ist
:ib«n' nicht nur der spateste aus hiesiger liegend, sondern überhaupt
die letzte d«tirl»aiv itvlit-'^rhoinische Injichrirt. die man überhaupt kennt,
^abgesehen von der rtimischon Trininz Bätien\
In diesi^r Zeit, d. h. unter Gallienus wunlen die römischen Be-
sittuiigon auf dorn roi'hton l'fer unsicher uud konnten nur durch die
Tilchtigkoit do>* iJegenkaisors Tostumus ^JC»^^— 20^' der bei Galliern
uud deutschen sich Achtung und Gohorsani zu verschaäien wosste,
gehalton wenten.
IVstumus wirkte «war n^vh wahrend seiner lehcjährgen Regierung
<\\v die VerthoidiguMg dei rwhtcu l'foii> durch Frbauupg von Kastellen,
aber kaum war er enuv>nlct ^^^a'« in ooiv.st'Ibcu Jahre stattfand, wo
HU\-h tJaUienuH umkan«. d. h. uVv< vgl. W^wanus No. l'Xv»\ so fielen
(Hl ioH»'V K)s>olu« ^«>KA»u(hoh ko\i» IVitumo Wv»^^. *,»s!d#r5 blo« t»ia Titel, d. h
IIii\viiU>IkoO K\ »»i1>wU \x>u \uUmuuu« ^^•.:* \<.»a *-i=vr Adoptiva an bloss den
i\W\ \uKu«»t i»l»»i.. U«>ii S-» aIU'xu Ivi'sv^v. A» **.':^c ä-.«f*rr bL^wr I«l>t«. nach
tUvtaoM Vvsl V«» M«lki«kav>i uut »low Uiol \u^u»tu« wurde ^v^L W:'.m*BDs no- 947).
üeber die römiscben liefeBiiguogcti Jm Odenwald.
3S
die Deutschen aber dieselben her und zerstörten sie. Ja schon unter
Gallienas selbst wird uns der Verlust der rechtsrheinischen Besitzungen
ansdrücklich bezeugt (vergl. Brainbach »Baden unter römischer Herr-
schaft« S. 7), sodass der letzte der Heidelberger Meilensteine in der
That das Ende der Römerherrschaft im Dekumatenlande bezeichnet.
Zu derselben Zeit d. h. um die Mitte des dritten Jahrhunderts
räumten die Römer auch die nördlich vom Main am Pfahlgraben ge-
legenen Positionen (vergl. diese Jahrb. LVni, 213). Der Alemannen-
sturm unter Aurelianus um 270 vollendete die Austreibung der Römer
aus dem Grenzlande.
Heidelberg. C. Christ
3. Ueber die römfschen Befestigungen im Odenwald.
Die Richtung der von einem Strassenzug gefolgten römischen Be-
festigungslinie von Obernburg a. M. zum Neckar, über Eulbach, Würz-
-berg, Bullau, Schlossau ist im Allgemeinen bekannt; aber vkie viel im
Einzelnen noch zu erfoi-ifchen ist, davon möchten die nachfolgenden
Mittheilungen den Beweis Hefern, deren Verfasser eine kleine Strecke
dieser Linie, nämlich die von Obemburg bis zu dem sogenannten
»Heunenhaus« seit mehreren Jahren sorgfältig untersucht hat. Die
Veranlassung hierzu war die Auffindung einer bisher gänzlich unbe-
kannten, römischen Niederlassung in der Nähe meines Wohnortes,
Seckmauern, welcher in einem schmalen Seitenthälchen des Mains, an
der östlichen Grenze des Grossherzogthums Hessen, 2 Kilom. von dem
baierischen Städtchen Wörth a. M. entfernt liegt. An der neuen, im
romanischen Styl erbauten Kirche in Seckmauern führt ein Feldweg
in nördlicher Richtung nach den sogenannten n Gemeindehecken«, einem
derzeitig noch niedrigen Kiefernwald, in welchem mir, einige Schritte
neben dem Wege, wo diese »Gemeindehecken« au den w Wörther Stadt-
waldtt grenzen, schon früher eine von Baumwuchs entblösste, mit Im-
mergrün bewachsene Stelle aufgefallen war, an welcher hisweilen Stein-
und Mörtelreste zum Vorschein kamen und auf die Vermuthung führ-
ten, dass hier in früheren Zeiten ein Gebäude gestanden habe. Jeden-
falls niusste dieses aber lUngst zerstört worden sein, denn Niemand
3
34
üebar die römiecheu Befeatiguogea im Odenwald.
konnte auf meine Erkundigungen die geringste Auskunft geben. Auf
einem Spaziergang nahm ich eines Tags ohne Werkzeug eine ober-
flächliche Untersuchung der Stelle vor, entfernte Immergrün und Moos
und grub mit dem Stock etwas tiefer, als mir gleich zufälliger Weise
einige römische Gefässscherben entgegenfielen. Freudig überrascht durch
diescu glückliciien Fund, der mir sogleicli die Beweisstücke in die Haml
lieferte, dass au dieser Stelle ein römisches Gebäude gestanden habe,
dessen Auffindung ein neues Licht über die Richtung des limes im
Odenwald verbreitete, begab ich mich selbstverständlich an den folgen-
den Tagen mit den erforderlichen Arbeitskräften an die nähere Unter-
suchung der Stelle, welche nachfolgendes Resultat ergab. Wir fanden
die noch wohl erhaltenen Fundamente eines römischen Gebäudes, 9 Meter
lang und 5 Meter breit Die Mauerreste waren theilwcise noch mit
gelblichem Tünch oder Mürtelbewurf verschen, welchen inzwischen der
Regen meistentheils abgelöst hat. Bei der Aufsuchung der Mauerrich-
tungen kam eine Reihe von nicht uninteressanten Funden zum Vor-
schein, über welche ich in Nr. 301 und 302 der »Neuen Frankfurter
Presse« vom 3. und 4. November 1876 berichtet habe, die sich aber
seitdem noch vermehrten. Erwähnenswerth erscheint hier ein Stück
einer Amphora, auf welchem sich eine Inschrift: PATER eingeritzt
tindet. Hinter dem R ist das Gefassstflck abgebrochen, so dass die
untere Hüllte dieses Buchstabens nicht mehr ganz sichtbar ist. Wäh-
rend ich in dem oben erwähnten Aufsatz dieses PATER für den Anfang
einer Widmung oder für PATERA hielt, erklärte Herr Karl Christ,
der kürzlich mit mir diese Stolle und meine Fundstücke besichtigte,
es bestimmt für den Töpfernamen Paternus, der häufig vorkomme.
Wichtig ist aber dieses Bruclistück deshalb, weil die eingeritzten Buch-
staben, etwa 3 Ccntimeter hoch, theihveise eine eigcnthümliche Ge-
stalt haben, woraus sich vielleicht Schlüsse bezüglich des Alters des
Gefasses und der Entwickelung der römischen Cursivschrift ziehen
lassen. Auf einem Terrasigillatagcfäss-Bruchstück befiadet sich ent-
weder ein Satyr, der eine Nymphe, die das Gewand fallen lässt, ver-
folgt, kaum, unter Zuziehung eines anderen, dazugehörigen Bruchstückes,
der die Daphne verfolgende Apollo. Auf zwei aa<leren Bruchstücken
befindet sich ein Vogel (Adler?). Ausserdem wurden eine grosse An-
zahl von Nägeln in allen Grössen, Eisenbruchstückc, unter denen sich
einzelne als Schlüssel, Me.sser, Pfeilspitzen bestimmen lassen, dann ein
glattes, viereckiges Stück Talkschiefer, ein Stück Gelberde, ein Stück
Eisenerz und Anderes aufgefunden.
üeber die römiaohen Befeatigangen im Odenwald.
86
Wichtiger als die Bestimmung dieser einzelnen Jiindstücke ist die
Frage nach der ehemaligen Bestimmung der ganzen Niederlassung. Denn
aller Wahrscheinlichkeit nach sind die bis jetzt aufgedeckten Mauern
nlnnenmaiiernu zur Abtheilung der inneren liäume des Gebäudes, während
der Umfang des Gebäudes viel grösser war. Denn rings um die aufge-
deckte Stelle finden sich noch weitere Trümmer von grösserem Umfang,
während sich etwa 10 Schritte weiter rechts im Walde auf einer eben so
grossen Fläche die Trümmer eines anderen Gebäudes zeigen, Ton dem bis
jetzt nur ein kleines Stück Fundamentmaueru aufgedeckt ist. Gehörten
beide Theile zusammen, so bildeten sie ein Gebäude von der Grösse
der übrigen Odenwaldkastelle; da nun kein anderes Castell in der
Nähe ist, an dass sich die Gebäude als bürgerliche Niederlassungen
angeschlossen hätten, so liegt die Vermuthung nahe, dass sie selbst ein
solches Castell gewesen seien. Gewiss ist aber, dass die römische Be-
festigungslinie an dieser Stelle vorübergezogen ist. Eine kürzere Mit-
theilung über diese Auffindung römischer Gebäude bei Seckmauern in
Nr. I2ö der »Mainzoitung« von 1876 schloss ich mit den Worten: So-
mit ist die Ableitung des Namens «Seckmauernu von dem auf einer
römischen Inschrift zu Waldbullau im Odenwald ') vorkommenden römi-
schen Centurio «Seccianus^i sehr wahrscheinlich ; indessen durch Herrn
K. Christ unterrichtet, dass Secco ein celtischer Personenname sei,
müchte ich diese Vermuthung hier dahin präcisircn, (da ohne Zweifel
der Ort seinen Namen von diesen alten Mauern erhalten hat,) dass eben
dieser Centurio Seccianus von celtischer Abkunft gewesen sei. Da
derselbe nun in der Nachbarschaft einen der Fortuna gewidmeten Vo-
tivstein gesetzt hat, so liegt es doch nahe, au ihn als Gründer oder
Aufseher bei der Erbauung dieser Bcfeatigungswerke zu denken. Wie
dem nun auch sei, die Auffindung dieser römischen Gebäudetrümmer
bietet einen bisher unbekannten Anhaltspunkt bei der Bestimmung der
Richtung der römischen Befestigungslinie und nachdem dieser Punkt
aufgefunden war, lag selbstverständlich das Interesse nahe, die Rich-
tung dieser Linie nach dem von hier eine Stunde entfernten Obem-
bttsg a. M. aufzufinden. Zu diesem Behufe durclisuchte ich wiederholt
das Terrain, das hier meistentheils mit Wald bedeckt ist, bis ich 2 Kilo-
meter von der römischen Niederlassung in Seckmauern in nordöstlicher
Richtung in dem Wörther Stadtwalde einen Punkt fand, der ohne
1) Aufbewahrt zu Mannheim, vgl. Haag'a Catalog Nr. 22. Auch Knapp
§ SS env&hut die alte Sage, dass Seckmauern ^ mnras Secciani sei (?). Als
Töpfernamen kommt Secco nach Christ zu Ileidelberg vor.
ü«ber dia r&miseheD Befestiguugen im Odemvmld.
ZmdUL aadi doe römische Befestigung war Die Gestalt des 1,5 M.
ht^m WiOes, der von eioem Graben umgeben ist, ist viereckig, etwa
6 Meter in Quadrat ; der Eingang, der ganz kenntlich ist, befand sicli
mä der dem Main zugewend^n Seite. Diese Stelle, ganz von Gestrüpp
ood Waldbäamen bewachsen, war bisher ebenfalls unbekannt. Der
Wall iit mit liascn und Moos bedeckt, unter dem sich das noch in-
tad/t Maucnrerk befindet. Dieses kleinere, römische Gebäude woi-
offenbar eines jener kleineren Wachthäuser, wie sie an der ganzen
Linie in gleicher Entfernung vorkommen. Aber in der Ecke der hier
an den Wald angrenzenden Felder liegt ebenfalls ein Trümmerhaufen,
fto dass an dieser Stelle sich noch ein anderes, grösseres Gebäude be-
funden zu haben scheint Von hier aus suchte ich in der Richtung
nach Obemburg lange vergeblich nach einer weiteren Spur römischer
IkfeMtip^ung; ich vurroutbete dcsshalb, dass sich von hier aus die Be-
feitigungßltnic, den Wald verlassend, schon in das Mainthal hinabgc-
xogen habe und dass ihre Spur in dem cultivirten Ackerlande ver-
lebwuridcn sei. Endlich nach vielen Wanderungen im Walde fand ich
dstn weiteren Anhaltspunkt an einer höchst merkwürdigen Stelle,
etwa 2 Kilometer von der vorher genannten entfernt; wo die Sandstein-
fvlsen des Mainthals nahe an den Fluss sich herandrängen, finden sich
auf einem Vorsfirung mit ausgedehnter Aussicht über das Mainthal
und den Spcssart Uehcrreste einer grossen Befestigung mit wohlerhal-
lenem Wall und Graben, aber nicht in der üblichen viereckigen Qe«
Htalt, Homlern sich an die Beschaffenheit des Terrains anschliessend,
welches hier steil zum Main abfallt. Ist auch diese Befestigung röraU
Bchen Ursprungs, wofür ich freilich keinen werteren Beweis anführen
kann, als den, dass sich der Graben auswendig und der Wall inwendig
bettndot, wiUircnd es sich bei Verschanzungeii germanischen Ursprungs
umgekehrt vcrhiilt und dass dieser Punkt vortrefflich in die ganze
liinia passt, auch ganz nach denselben strategischen Rücksichten aus-
gcwtthlt Ist, die ich sonst beobachtet fand und die ich später erörtern
werde, dann ist die Richtung der römischen Befestigungslinie von Obem-
burg A. M. bis zu der Seckmaurer Niederlassung im Detail festgestellt
und eine kartographische Aufnahme kann nach unseren Aultindungen
kdae Schwierigkeit mehr verursachen.
Von den überraschenden Resultaten unserer Nachforschungen haben
wir seinerzeit dem Secretär des historischen Gesammtsvereins, Herrn llof-
gcrichi«advocatc.n Dr. Wörner in Darmstadt Kenntniss gegeben, der
_icht>n auf der (Seneralvcr&immlung der historischen Vereine in Wiesbaden
\p\\ dort einstimmig angenommenen Autrag vorbeixMtcte, dass die römische
lieber die römiMben Befestigangcn im Odenwald.
S7
Befestigangslinie im Odenwald ueu untersucht und aufgenommen werde.
In Nr. 10 des Correspondenzblattcs des GcsammtvereiDS der deutschen Gc-
schichts- und Alterthumsvcreinc von 1876 ist die an den Verein gestellte
Frage 14, also lautend, enthalten: Westlich hinter dem graden, durch
Würtcmberg ziehenden Pfahlgraben liegt auf der Höhe des Odenwalcles vom
Main zum Neckar eine Ileihc von römischen Castellcn und Wallstücken,
welche zwar von Knarpp 1814 beschrieben worden sind, aber noch
viele Fragen offen lassen. Durch die fortschreitende Cultur werden
]hre Spuren immer mehr verwischt und es müsste als ein unwieder-
bringlicher Verlust betrachtet werden, wenn das Vorhandene nicht noch
kartographisch und in Dctailzeichnung und Beschreibuogen festgestellt
und' publicirt würde. Es ergeht daher der Antrag, die Versammlung
möge beschliesscn, was sie in dieser Sache thun kann und will. Indem
f»ir in dieser Frage nur das berichtigen, dass weder von den oben be-
schriebenen Punkten römischer Befestigungen im Odenwalde, noch von
einigen anderen, die wir noch weiterhin beschreiben werden, weder
Knapp noch ein anderer Forscher eine Ahnung hatten, bemerken wir,
dass in Folge jenes Antrages das Präsidium des Gesammtvereins der
historischen Vereine beauftragt wurde, die erforderlichen Anträge bei
den Regierungen von Baden und Hessen bezflglich der Verwilligung
der nöthigen Geldmittel zu stellen, Diess ist geschehen; beide Regie-
rungen haben dem Autrag bereitwilligst entsprochen. Zur Vorbereitung
der Untersuchung wurden auch im Mai 1877 Fragebogen an gcschichts-
und localkundige Personen in der Nähe der in Frage stehenden Linie
zur Beantwortung versendet und beantwortet; aber die 4m Laufe
des Sommers erwartete Untersuchung durch den auf diesem Forscher-
gebiete rühmlichst bekannten Herrn v. Coliauaen in Wiesbaden hat
wegen eingetretener Hinderaisse nicht stattfinden können. Es sind
also alle unsere Niichforschnngeu bis jetzt lediglich aus wissenschaft-
lichem Interesse mit privaten Mitteln bewerkstelligt, wobei übrigens
der historische Verein fftr das Grossherzogthum Hessen durch gefälliges
Schreiben seines Secretürs vom 21. Januar 1877, des Dr. Freiherrn
von Schenk zu Schweinsberg uns zu weiterer Erforschung der rönii-
sAen Altcrthftmer im Odenwalde im Interesse der Sache ermunterte
und die bisher bewiesene geringe Theilnahme mit der Entfernung und
mit der geringen Anzahl von Vereinsmitgliedern entschuldigte, welche
fÄr derartige Arbeiten die erforderlichen Kenntoisse besitzen. Ob-
wohl wir daher eigentliche Nachgrabungen nur mit beschränkten
Arbeitskräften vornehmen konnten, ja dieselben hätten ganz unterlassen
müssen, wenn mir nicht die unermüdliche Augdauer meines Sohnes,
UelMT dio römtsobeo B«fcsliguDgen im Odenwald.
stud. juris Karl Seeger und zweier Zöglinge zur Seite gestanden
hätte, fuhren tvir unverdrossen bei günstiger Witterung in unseren
Arbeiten fort. Es handelte sich um weitere Feststellung der Linie von
Seckmauem aus in südlicher Richtung. Etwa 1 Kilometer von der
römischen Niederlassung in den Seckuiaurer »Gemeindehecken« in süd-
westlicher Richtung waren die Trümmer zweier Gebäude im Wörtber
Stadtwald bekannt, welche etwa 20 Schritte von einander entfernt sind
und die im Volksmund »Feuchte Mauer« genannt werden, ein Ausdruck,
welcher wohl dasselbe wie der Ortsnamen: Seckmauem bedeutet. Es sind
die Trümmer von zwei ganz gewaltigen Gebäuden ; denn von der einen
Seite liegen die Steine 4 — 5 Meter hoch. Die Frage, ob diese Trümmer
römischen Ursprungs sind, kann unbedingt bejaht werden ; denn ich
fand dort di&selben Sandsteinplatten mit Falz, wahrscheinlich Raste einer
Wasserleitung, wie in dem Castell bei Lützel-Wiebelsbach. Dem runden
Umfang der Trümmer nach waren beide Gebäude zwei grosse Wartthürnie
(speculae) Doppelthürme, wie sie öfter an Rumerstrassen vorkommen.
Es ist also nicht zweifelhaft, dass die Römerstrassc hier vorüberführte.
Aber während die früher beschriebenen, befestigten Punkte aUo
einen weiten, freien Ausblick in das Mainthal und in den Spessart
weit über die Grenzen des Dekumatlandes hinaus gewähren und
offenbar mit der Rücksicht auf die Beobachtung der feindlichen
Grenze ausgewählt sind, was auch bei den übrigen, früher bekannten
der Fall ist, so dass z. B. Knapp in seinen römischen Denkmälern
des Odenwaldes sie schwerlich aus eigener Anschauung kannte, wenn
er sie für rümiache Grabthürmchen halten konnte, so gewährt der
letzterwähnte Punkt, die »feuchte Mauer« keinen Ausblick in das
Mainthal; dagegen mündet hier eine in das Mümlingthal führende
Schlucht aus, mit Rücksicht auf welche diese Stelle befestigt
und bewacht wurde. Sicher liegen unter diesen grossen Trümmer,
häufen noch viele interessante römische Alter thümer verborgen. Von
hier zog sich die befestigte Linie wieder 1 Kilom. in südwestlicher
Richtung hin bis zu der Stelle, wo der Obernburgerwald an den Wör-
ther Stadtwald angrenzt, wo sich auf dem anstossenden Felde in der
Gemarkung Seckmauem eine weitere römische Befestigung befand. Der
Eigenthümer dieses Grundstücks grub vor einigen Jahren die grösse-
ren Steine aus und verwendete sie zum Bauen; doch sind die tiefer
liegenden Fundamente noch vorhanden. Dieses Gebäude war, wie es
scheint, ein gcwühntiches, römisches Wachthaus. Grössere, geschwärzte
Sandsteinplatten mit Falz, die jetzt nicht mehr vorhanden sind, scheinen
einem unterirdischen Heizaparat (Uypoeaustum) angehört zu haben.
Deber die römisohen BefcsliguDgea im Odenwald.
30
Dieser Punkt liegt nun wieder ganz auf dem Höhenzug mit weitem
Ausblick in das Maintlial und den Spessait Von hier ging die Rtch-
t4ing der Linie rein südlich, macht also einen Bogen, und senkt sich
an der Grenze der Gemarkungen Seckmauern und Lützel-Wiebelsbach
in eine Schlucht, den sogenannten «Kirschgraben«. Hier nämlich fand
ich diesen Sommer die weiteren Spuren einer römischen Befestigung
aaf, wodurch eben die Richtung der Linie in der angegebenen Weise
bestimmt wird. Auch dieser Punkt ist wieder mit bewunderungswür-
digem Scharfblick ausgewählt. Denn er ist von der einen Seite durch
die tiefe Schlucht geschützt, deckt den Eingang zum LützelbacherThal
aod gewährt einen weiten Uebcrblick über das vorliegende Land.
Von hier geht die Dichtung des limes in südlicher Richtung weiter
über den Kirschberg hinweg nach dem Lützelbacher Castelle. LUeses
letztere ist ja nach seiner Lage und Grösse bekannt und schon öfter
beschrieben, wesshalb wir es hier, wo wir uns nur mit den von uns neu
aufgefundenen befestigten Punkten bescbäftigen, iftergehen. Nur das
wollen wir im Vorübergehen bemerken, dass in dem Lützelbacher Castell
in der letzten Zeit recht interessante Funde gemacht worden sind.
So eine Victoria mit einem Siegeskranzc, ein Eber mit einem zu Boden
getretenen Manne, aus dem in der Gegend vorkommenden rothen Sand-
stein,' die beide in das Museum nach Wiesbaden gekommen siud.
Neuerdings ist eine 1,5 Meter lange und 1 Meter breite Sandsteinplatte
theilweise blosgelegt worden, welche zu heben und bezüglich darauf
befindlicher Inschrift oder Bild zu untersuchen ich bis jetzt noch nicht
zulängliche Muse gefunden habe. Dagegen wurde etwa 120 Schritte
von dem genannten Castell in südöstlicher Richtung, also nach der dem
Feindesland zugewendeten Seite neuerdings ein römisches Haus blos-
gelegt, dessen etwa 2 Meter tiefer Kellerraum mit regelmässigem
Schichteumauerwerk noch wohleihalten ist. In diesem Souterrain
befinden sich einige nach Innen abgerundete Nischen, eine nach Innen
sich erweiternde KelleröfFnung, wohl zum Einschütten von Vonäthcn
dienend. Leider ist dieses römische Haus trotz wiederholter Abmah-
Dungen des Verfassers von dem Eigenthümer, der die Steine zum Bauen
benutzte, ziemlich devastirt worden. Das Haus war etwa 9 Meter lang
und 7 Meter breit. Manche bei dem Graben des Eigenthümers zum
Vorschein gekommene werthvolle Gegenstände sind zerstreut oder zer-
schlagen worden. So z. B. der Stein einer römischen Handmühle aus
rheinischer Lava, dessen Bruchstücke wir dieser Tage retteten. Auch
die übrigen, in dem Kellerraum zum Vorschein gekommenen Gegen-
stände habe ich von dem Eigenthümer, um sie vor Verschleuderung
40
Deber die römiecben Befestiguogien im Odenwald.
ZU retten, acquirirt. Es befinden sich darunter 2 höchst interessante
römische Waffen, eine hasta und ein pilum (letzteres zweifelhaft); viele
andere Gegenstände aus Eisen, deren Bestimmung ich der demnäch-
stigen Untersuchung durch Fachmänner Oberlassen muss; eine grössere
Vase aus terra sigiJlata mit einem Jagdstück; ein abgerosteter oder
al>gebrannter Theil eines grösseren Scbmuckgegenstandes aus Bronze
oder Silber, eine Gewandnadel (fibula), ein Stilua, eine silberne Münze
(Denar); leider ist auf dieser keine Insrhrift mehr zu erkennen; nur
auf der Reversseite das Labarnm mit dem römischen Ad Irr und auf
beiden Seiten zwei Feldzeichen. Üeber eine grössere Anzahl römischer
Münzen, die bei Miltenberg aufgefunden wurden, habe ich in Nr. 153 der
N. Frankfurter Presse vom 10. Juni 1877 eingehend berichtet und
namentlich auf die merkwürdige Thatsache aufmerksam gemacht, dass
diese MQnzen in fast ununterbrocher Reihenfolge der Kaiser bis zum
Jahre 883 vorkommen, woraus ich den Schluss zog, dass die römische
Occupatfon dieser Gegenden, wenn auch mit Unterbrechungen durch ger-
manische F^intälle länger gedauert habe, als man bisher angenommen hat.
Diese unsere Ansicht scheint uns bestätigt zu werden durch das,
was Herr Karl Christ in ^iner werthvoUen Abhandlung über die
datirbaren Inschriften des Odenwaldes (in den Bonner Jahrbüchern LH)
mittheilt Die dort (Seite 94) mitgetheilte Inschrift, worin es für ex,
letus für laetus, libes für libens geschrieben ist, scheint mit dieser erst
später vorkommenden, corrumpirten Schreibweise jiuch auf das dritte
oder vierte Jahrhundort hinzuweisen. Jedenfalls findet das Vorkommen
römischer Münzen in einem römischen Castell bis 383 p. Chr. die na-
türliche ErkUlrunp dadurch, dass um diese Zeit noch oder wieder eine
römische Besatzung vorhanden war. Die Erklärung, welche ihr Kreis-
richter Conrady in der Abhandlung über »die römischen Inschriften
der Altstadt bei Miltenberg« gibt (vgl.II.'Heft, Band XIV der Nassaui-
schen Annalen sub BMünzen«)^ dass dieses Vorkommen römischer Münzen
in dieser Zeit, in dei^angeblich dieselGegend schon dauernd in den
Besitz der Alemannen übergegangen war, sich aus dem Handelsverkehr
erkläre, der noch lange zwischen Germanen und Römern bestanden
habe, scheint uns sehr problematisch, weil eben trotz dieses Handels-
verkehrs bis in das 8. Jahrhundert aus dieser Zeit keine römischen Münzen
n>ehr vorkommen und weil es unseres Wissens unerwiesen ist, dass sich
die Germanen nach Vertreibung der Römer römischer Münzen bedienten.
Doch kehren wir nach dieser t Abschweifung zu unserer Be-
festigungslinie'im Odenwald zurück.*' Verfolgen wir die Richtung der-
selben, welche'rein' südlich geht, weiter, so begegnen wir da, wo die
Ueber die römiBcbcn Befestigungen im Odenwald.
41
beiden Thäler von Heunengrund und Brcitenbninn zusaramenstossen, und
wo sich auf dem Kamm des ganzen Höhenzuges die Römerstrasse hin-
zog, weiteren Wachthürmen, die bis zum »Ileunenhaus«, wo bekanntlich
ebenfalls ein römisches Castell war, in regelmässigen Entfernungen
wiederkehren. Mehrere dieser Wachtthiirme wurden 1877 im Sommer
untersucht; es wurden, wie gewöhnlich, eine Menge römischer Ziegel,
sowie Bruchstücke aus terra sigillata und andere üeberreste von Ge-
lassen, aber ohne Legions- oder Töpferstempel aufgefunden. Noch
müssen wir über eine ebenfalls neu aufgefundene Niederlassung, welche
etwa 1 Kilometer hinter der Richtung der Linie westlich zurückliegt,
berichten. Dieselbe liegt in unmittelbarer Nähe der Kirche zu Breiten-
bmon, auf einer kleinen Anhöhe, Steinberg genannt. Ks war, wie es
scheint, eine bürgerliche Niederla-ssung von grösserem Umfang. Doch
beherrscht dieser Punkt das Breitenbrunncr Thal und kennte auch
eine militärische Aoiage gewesen .sein. Das Gebäude war nach den
Fundameuten, die diesen Sommer aufgedeckt worden sind, etwa 22 M.
lang und 15 M. breit. Dieser Tnnenraum war nun durch viele Zwischen-
mauern in kleinere Räumlichkeiten abgetheilt. Früher wurden, wie
mir der Besitzer des Grundstückes erzählte, hier grössere Sandst^ein-
platten, mit Sculpturen oder Inschriften versehen, denen Niemand Be-
achtung schenkte, zertrümmert oder zum Bauen verwendet, und so sind
denn auch hier vielleicht recht werthvolle Schätze unwiederbringlich
verloren gegangen. Da im Jahre 1771 in der unmittelbaren Nähe
dieses Gebäudes an die Stelle einer kleinen J^P^He die jetzige Kirche
gebaut wurde, liegt der Gedanke nahe, dass auch zum Kirchenbau die
grösseren, ip der Nähe betindlichen römischen Steine verwendet wurden.
Ja es ist gewiss, dass an der Kirche sich derartiges Material befindet,
da sieb an vielen Stellen ältere, theilweise verkehrt stehende Buch-
staben eingehauen zeigen. Aber eine zusammenhängende Inschrift konnten
wir nicht auffinden, was auch durch den Bewarf der Kirche erschwert ist.
Bei dem Graben nach den Fundamenten kam ein wohlerhaltener Teller aus
terra sigillata zum Vorschein, der den Töpferstempel : TOCCA f. hat, ein
Töpfername, der an anderen Niederlassungen wiederholt aufgefunden
wurde. Ziegel, Gefässstücke, Eisentheile u. s. w., die ebenfalls,' den
römischen Ursprung dieses Gebäudes unzweifelhaft bekunden," sind
ausserdem hier gefunden wurden. Es geht aus unseren Mittheilungen
hervor, dass die römischen Niederlassungen im Odenwald in der NUhe
des Uraea viel zahlreicher gewesen sind, als man bis jetzt wu!33te."Wenü
es mir gelungen ist, in dem kleinen Umkreis meines Kirchensprengels
80 fiele bisher unbekannte römische Niederlassungen aufzufinden, so
43 Uob«r die römuohon Befostiguogen im Odenwald.
ist gewisM dio Annahme gerechtfertigt, dass an der weiteren Unie eben
«0 viel noch unbekannt und unerforscht ist. Die bisherigen Anschau-
ungen nbcr den Aufenthalt der Römer im Odenwald werden durch die
nfttcrn Kutdockungon und Ausgrabungen, wie sie namentlich im ver-
floMoncn Jahre auch bei Miltenberg stattgefunden haben, bedeutend
erwcitt^t, xum Thcil auch cerrigirt und dürfte sich Tür die vaterlän-
diMtho (^«ichichtaforschung kaum ein lohnenderes und wichtigeres Ge-
biet (larbiotcn, als der limcs im Odenwald.
Sockmaucra i. 0. P£arrer Seeger.
4> UtMr (0« llMM^Frage und die rtaiwbM AtterthiMr
IVr w^nitohondcn hScbst schitibami Abhandlung des Herrn
Vfiirvxv^ $<^<»ger, die «ohl gi^cignot i$u dieAusdctoung and ¥annirh-
Cal(^tk«'<t der in dopivltmn Ijiuie dancb den Odenwald zidieikdai
litt',<« Anla^n s^a sxigxii. mj^n» hier noch einübe F^nerkongen beige-
tU$< M«K> dy' pNi^nM »ein ddnVs, d^e La^?? der hes^xiebeBcs Befesti-
p(:!t^s sxi «Ser il'sprsMi::e£ S;:sai:v'n des^ ^lirie^ inperü innsrbeianiis«
jikVr « jei.-SÄTfff^ ier er. j^irjyrä: ^s^rer. v^r OTWtrwfi::«» enthielt
SivixrjiBfrr xxi i>f is>T^^r. Kv'r.irscati.'Ka:. a5e r.a.r'b Seeger
<t>f« i^rwi i ^5J:lC(^fa >«• tf-T bcfftS-itec OirU'i Viifit. zu:^s TÄmtirh
T)ar <^i>f!T. 7'ie«;™ «c Axf i«- K:Äe c<* CvicEr.^rjLCis iiöeiaoie* Forti-
ne 3Lm»f jynäsäSw -rrrur "iiifc i>fr X3,-i; -»vr^T«»«! äi.t srü
Tsrnit hnm:'.n .». »rj tjc ihr Si'' iar ^Sn'sixyxmf. «^ TiftoaniaHLaaies
airra liu jumw »"ifv tx iujc U',iri»r«;in tw7.
Itiss £.j.s:r :*rf»nis ütf JLifjmuaor it 7^£rg ü~ t>«!r Bat I311»
. ^»r •fiT'sp.üiaB :3rs"& i. t. ätf "n"v««.''JV''Sw««v Sjw ivtm^im. ««eis«
IM. li
Ueber die litno»-Frag6 u. die römischen AUortfaümor aus Obernburg a. Main. 43
zarückgedräDgt habe, ist ganz unerwiesen. Die Alemannen waren viel»
mehr um das Jahr 270 unter Aurelian in das dekumatische Land
hereingebrochen und von da an im dauernden Besitze desselben.
Dass aber gar Kaiser Constautin der Grosse die ganze Ver-
theidigungslinie zwischen Main und Donau wiederhergestellt habe, und
^äter Julian dies, nachdem sie durch erneute Einfälle der Deutschen
'wieder zerstört worden sei, nochmals versucht habe, dies ist geradezu
unrichtig. Einzelne Züge dieser und anderer Kaiser über den Rhein
können hier nicht in Betracht kommen. Jedenfalls betrat keiner von
ihnen mehr die oberen Maingegenden. Wenn auch einzelne seit den
Zeiten Aurelians verlassene Castelle des rechten Rheinufers wiederher-
gestellt sein mögen, so war doch an eine dauernde Besetzung des Zehnt-
laades zwischen Rhein, Main und Neckar, sowie des Spessarts nicht
mehr zu denken. Dies bestätigen denn auch durchweg die datirbaren
Inschriften, die mit dem Beginn der zweiten Hälfte des dritten Jahr-
hunderts hier gänzlich aufhören.
Wenn sich nun aber trotzdem spätere römische Münzen in diesem
Gebiete vorfinden, ja sogar solche, die bis in die letzten Decennien des
vierten Jahrhunderts reichen, so dürfte die Erklärung durch den Han-
delsverkelir der Germanen sowie durch von ihnen gemachte Kriegsbeute
gewiss die richtigste sein,
Die äusserste Grenze, 'die man etwa gelten lassen könnte, bis zu
welcher sich die festen Plätze des limes mühsam gehalten hätten, wäre
der Beginn des vierten Jahrhunderts.
Nimmt man dazu, dass dieselben etwa um das Jahr 100 p, Chr.
erbaut wurden, so ergäben sich also bis zum Jahr 300 volle zwei Jahr-
hunderte der Anwesenheit der Römer in diesen Gegenden.
Dies spricht denn auch Walt her in seinen trefftichen hessischen
Alterthümern (Darmstadt 1869) aus, indem er sagt, dass die limes-Be-
Festigungen bis dahin wohl noch nicht definitiv aufgegeben waren, aber
das freie Land sei bereits von den Alemannen überschwemmt gewesen,
sodass nun die Verbindungen der limes-Castelle nach dem Rheine und
der Donau, die faktisch seit 270 wieder nur die eigentlich haltbare
Reichsgrenze waren, zu oft und zu lange unterbrochen worden sei.
Was die Zeit der Errichtung des limes betrifft, so wird auch
wieder von Kittel die ungenaue Angabe wiederholt, derselbe sei erst
unter Hadrian angelegt worden, während derselbe unter Trajan,"um das
Jahr'lOOJunserer Zeitrechnung im Grossen und Ganzen bereits vollen-
det ist ;(vgl. meine Bemerkungen in diesen Jahrbüchern LU, S. 67).
Der weitere Ausbau mag allerdings längere Zeit in Anspruch genommen
44 Ueber die Umet-Fnge u. die römiacben Alterthämer am Obembnrg a. Main.
haben. Man hat in neuerer Zeit den limes nicht als eigentliches mili-
tärisches Werk, sondern blos als eine Art von todtem Schutzwerke be-
trachten wollen fflr das vom Rhein landeinwärts abgeschlossene Gebiet
(s. Schneider in der Jenaer Literatnrzeitnng von 1877 No. 38 gegen-
über der neuen Schrift von Rössel aber den Ffahlgraben im Taunus),
dies konnte sich aber höchstens auf den äussersten vorgeschobenen Zug
derselben beziehen, den auch Paulus als blose Demarkations- und
Allarmlinie auffassen wolKe. Diese vorliegende Grenzwehr soll nach
ihm schnurgerade gezogen sein, was im Einzelnen nicht mit meinen Unter-
suchungen stimmt und auch gegen alle strategischen R^ln verstiesse.
Nur die Hanptrichtnng war im Allgemeinen gerade, im Besondcm aber
den Terrainverhältnissen anbequemt
Ueberblickt man nun die parallelen durch Castelle, ständige Lager,
kleinere Verscfaanzungen und Signalthärmchen gedeckten beiden Linien,
die zusammen den lime im Odenwalde ausmachen, so muss man nn*
bedingt von jener Ansicht zurückkommen und in diesen beiden Ketten
von Befestigungen, deren jede selbst wieder mehrere Abstufungen zeigt,
und die dadurch wieder unter einander zusammenhängen, ein militäri-
sches Werk von höchster Vollendung erkennen. Die Operationsbasis
war die Linie des Rheines, auf welche sich die Römer wie gesagt schon
vor 3i» zuröckgezogen haben, indem sie nur noch das linke Rheinofer
durch Vorwerke und Allannposten auf dem rechten Uferrande zu decken
suchten. Namentlich that dies Valentinian (.369).
Im Jahre 371 griff derselbe einen alemanni>chen Fürsten an,
Makrian, der in dem Mainz gegenüberliegenden Landstriche sich nieder-
gelassen hatte und schloss einige Jahre später, 374 einen Friedensbund
mit dem letzten. Seit jener Zeit fand kein Rheinübergang der Römer
in das Dekumatenland mehr Statt.
Wenn nun aber Kittel S. 10 behauptet, dass seit dem Jahre
374 keine Römerherrschaft auch auf dem linken «Rheinufer« mehr be-
standen habe, so ist dies vollständig unrichtig. Wahrscheinlich wollte
derselbe »linkes Mainufer« sagen.
Ueber alle diese Dinge, besonders über die tRheinuberg&nge der
Römer« hat Becker in so hervorragender Weise in den Nassauischen
.\nnalen EVI. X gehandelt, dass sich kaum irgendwie Neues noch hin-
zutügen lassen dürfte. .VUe diejenigen, welche sich mit der Geschichte
der Maingegendon befassen, müssen diese .Vrbeit zu Grunde l^en.
Jetzt noch eine Houierkung in l^ezug auf den obigen Aufsatz
von Seeger. Wenn derselbe S. ;V> den Namen eines unbedentendcn
Ortes wie Seckmauern von einem römischen Centurio oder gar ans dem
U^ber die Umoa-Fnige u. die römischen Alterthümcr aus Obemburg a. Main. 46
Keltischen ableiten will, so ist das sehr kübn. "Wie die Seckach im
t>adischen Odenwald und Scckbach bei Frankfurt ist auch Seckmaueni
sicher deutsch und verwandt mit dem Worte »sickern« und altdeutsch
sSkan, slgan, slgen = versiegen, sich senken, versinken, tropfend sich
.'bwärts bewegen oder niederrieseln, so dass die obigen Benennungen
af feuchte Lagen deuten, gerade wie die bei Seckmauern im Walde
e^elegene Römerstätte »feuchte Mauer» (vgl. oben S. 38). Seckmauern
l^eisst urkundüch Sickmuren (vgl. Wagners hessische WüstuogenS. 199).
XJies kann aber auch aus Sickenmuren entstanden sein, in welchem Falle
^^s soviel bedeutete wie »zu den Mauren des Sicko* (Kürzung der alt-
<aeutschen Mannsnamen Sikilo, Sigüo, Sigfrid). Ein deutscher Ansiedler
^Bicko (im (Jeuitiv Sickin) hätte sich bei den römisclien Bauresten, die
l::aier wie sonst, durch den Ortsnamen Mauren (alt mCtron im dat. plur.)
t>ezeichnet wurden, niedergelassen und so die Namen »Sickin müron«
"^^eranlasst. Ebenso heisst Seckenheim bei Heidelberg urkundlich Sickin-
Itieim, d. h. Heimstätte eines gewissen Sicko.
Gehen wir jetzt zu der Besprechung der römischen Alterthümer
«AUS Obernburg über.
Obernburg war eine der wichtigsten Römerstationen des Mains
^jnd ist in Folge dessen auch bekannt durch eine grosse Menge hier
gefundener Antiquitäten, worüber die i>Bavaria« IV, 1. S. 531; Knapp
-§44 seiner Denkmäler des Odciiwaldes (=S. 63f. der zweiten Auflage
"Von Scriba); Steiner »Maingebiet« S. 199 ff, und verschiedene andere
Schriften zu vergleichen sind, wozu in neuerer Zeit die oben erwähnte,
«luf Kosten der Stadt Obemburg veranstaltete und von ihr verlegte
jiGeschichte der Stadt Obemburg« von Kittel kommt.
Schon durch die Betrachtung des Terrains unterhalb der Stadt,
«lern Ausflüsse der Elsava gegenüber ergiebt sich, dass hier ein römi-
sches Castrum stand. Darauf weist auch die Lage am Ausgangspunkte
«ler römischen Fortificatiouslinie, die von hier aus auf der Mimlinghöhe,
dem Kamme des Odenwaldes bis nadiMudau lief und die zweite Stufe
des limes bildete, dessen äusserste Demarkatiousllinic, ebenfalls durch
Castelle geschützt, weiter Östlich, bei Freudenberg über den Main zog.
Diese äusserste Front war am Main durch das Castell bei Miltenberg
geschützt. Das nächste grössere Castell mainabwärts an dem besagten
2iTeiten, rückwärts liegenden Trakte des limes, war eben Obernburg.
Eine Karte, wie die in Walthers hessischen Alterthümern (Darmstadt
1869) befiadliche, versinnbildlicht am Besten die allgemeine strategische
Situation dieser den limes transrhenanus in so hohem Maasse zu einer
vertbeidiguiigsfdhigen Linie machenden Befestigungen, und gibt auch
46 üeber die liraes-Frage u. die römischen Alterthütner aas Oberttburg a. Main
ein deutliches Bild der zugehörigen Strassenläufe, die selbst wieder
armirte Linien bildeten.
Muss nun hier in Bezug auf die, auf der sog. Orleshöhe gelegenen
Befestigungen bei Obernburg auf Kittel verwiesen werden, so ist auf
der andern Seite Kittels gänzlich unhaltbarer Ansicht cntgegcnzu>
treten, dass die Hauptthore des römischen Lagers noch bestünden und
die jetzigen Stadtthorc wären! Leider trifl't man in allen Lokalschriflen
dergleichen schiefe, längst wicderlegte Anschauungen immer und
immer wieder. Die Stelle des Standlagers war gar nicht die der
heutigen Stadt, sondern liegt wie gesagt vor dem untern Thore bei
dein neuen Bezirksamte.
Wie oft soll es noch widerholt werden, dass in den dekumati-
schen L'ändcrn nirgends mehr ein römischer Bau über der £rde'steht.
Was nun die standige Besatzung dieses stehenden Lagers zu Obern-
burg betrifft, 60 geht aus den daselbst gefundenen Inschriften hervor,
dass zunllchst ein Theil der XXII. Legion dort lag.
1) Der betreffende Stein (bei Brambach 1749) wurde schon im
Jahre 1760 oder C7 gefunden und soll in die Grafschaft Erbach ver-
bracht worden sein. Von Erbach, wo er im dortigen Schlosse nicht
aufziifuideu ist, scheint er uns vielmehr damals als Geschenk des
Grafen von ICrbach nach Mannheim gekommen und der im dortigen
Antiquarium no. C2b befindliche Legionsstein zu sein (vgL den Mann-
heimer Catalog von Ilaug S. 46).
2) Hodann lug zu Obernburg die IV. Cohorte freiwilliger römi-
«Kther Bürger ( H r a m b ac h 1750). Die cohortes voluntariorum civium Ro-
man«» um gehörten zu den Auxiliar-Cohorten und diese bildeten nicht inte-
grlfiind«'. Berttniidthüilu der Legionen, sondern standen vielmehr als selb-
lUmtiK« klüitiere Corps neben denselben. Mau wird nun hiernach leicht
biurtlieilon ktiniiiMi, wie verkehrt es ist, wenn Kittel die genannte
v)«rt« Cohorto der Freiwilligen als eine Cohorte der 22. Legion betrachtet
und AUii«ord(Mti Jone Cohorte wieder mit den gleichfalls zu Obemburg
güHAndiiiien Ahtheilungcn der vierten aquitauischen Reitercuhorte ver-
nMOKit die nur daH(Jcuieiusume damit hat, dass sie gleichfalls zu den
illlfiicohürton gehört.
Vl«l l»CMH«r wäre es gewesen, wenn Kittel, anstatt diese und
Vlfl« Andor« ungenaue Angaben zu machen, nachzuforschen versucht
h)M(#( WO denn die von Steiner erwähnten drei Ziegelsteine, worauf
)#•« ITMtltvIiilgoncoliorto sich nannte, hingekommen sind.
IW Jlürgei'iuoihtrr von Obernburg, Herr Krcss, versicherte uns,
(H« »ffiMi Rchon vor üü Jahren vuti unbekannter Hand aus der Scheune,
üeber die Umes-Frage u. die rönÜBoben Aliertli&mer aus Obenibarg a. Main. 47
WO m eingemauert waren, entführt worden. In Obernbai^ befinden
sie sich jedenfalls nicht mehr.
Hinsichtlich der FreiwUligen-Cohorten überhaupt ist noch zu be-.
merken, dass sie aus römischen Bürgern aus Italien bestanden, die
Kriegsdienste unter den. Hilfstruppen thaten und die seit dem Beginn
der Eaiserzeit aufkamen, als die ordentliche Rekruten-Aushebung für
die Legionen in Italien aufgehöi-t hatte.
3) Was nun die erwähnte vierte Reitercohorte aus Aquitanien im
südlichen Frankreich betrifft, so sind zwei Steinschriften von derselben
zu Obemburg gefunden worden.
Die eine derselben befindet sich noch daselbst eingemauert, neben
dem Gasthans zum bayrischen Hol Sie lautet nach unserer dort ge-
nommenen Abschrift genau so:
I O- M-
LPETRONIVS
FLORENTINVS
DOMO SALOAS
PRAEF-COH-ilii
AQ»EQ'-CR-
V-SLLM
also = Jovi optimo maximo, Lucius Petronius Florentinus domo Sal-
das, praefectus cohortis quartae Aquitanorum equitatae civium Roma-
norum, votnm solvit laetus libens merito.
Was das Aeussere des Denkmales betrifft, so ist dasselbe ein Altar,
der aber oben an der Krönung als Baustein hergerichtet ist um in die
besagte Hausmauer zu passen. Das Inschriftfeld ist 55 cm. hoch und
ebenso breit; das Material rother Sandstein.
Die Buchstaben sind zwar von gutem Typus, aber ä\e P durchaus
geschlossen (vgl. unsere Bemerkungen hierüber in diesen Jahrbüchern
LH, 87 u. LXI, 16). Die Punkte sind dreieckig und stehn wie sie
hier angegeben sind.
Von den Buchstaben fehlt kein einziger, auch sind sie alle, abge-
sdien von den unwesentlichen Beschädigungen des Steines, ganz deutlich,
sodass hiemach Brambachs Edition derselben no. 1748 etwas zu
modificiren ist
Der donator dieses Altars war ein Afrikaner aus Saldae in Uaure-
tanien, auch Saide genannt, seit Augustus römische C!olonie. Die Form
Saldas ist der daraas gebildete Volksname, wofür sonst Salditanus oder
48 üeber die limeB-Frftge a. die römiBcben Alterthumer aua Obernburg a. Msia.
Saldeneis gebraucht wird (vgl. Wilma nns II, p. 458). Die Heimats-
bezeiclmung wird hier durch domo ausgedrückt, wie sonst in der Regel
durch natiooe.
£s hätte auch geschriebea werden können domo Saldis, wobei
der Städtename im Ablativ auf domo gefolgt wäre, oder man hätte
denselben auch in den Genetiv setzen können, sodass man Saldas selbst
als griüclusclien Genitiv von Saide ansehen könnte, obwohl dies weniger
wahrscheinlich ist (vgl. Wilmanns II, p. 410).
4) Eine weitere Inschrift aus Obernburg befindet sich jetzt zu
Aschaffenburg, wo sie Brambach verglichen hat (vgl. seine add.
ad no. 1747, p. XXXU).
Hier löst nicht der Spender der obigen ara, d. h. der Präfekt der
vierten Gehörte der berittenen Aquitanier sein Gelübde selbst, sondern
dies crfüDt der Cohorten-Arzt Uubrius Zosimus aus Ostia für des
ersteren Genesung. Der betreffende Altar ist zwar ebenfalls dera Jupi-
ter in erster Linie gewidmet, aber auch einer Familie von Heil- und
Badc-Gotthciten, die über die Gesundheit der Menschen wachten. Er
ist nämlich dem Apollo und seinem Sohne Aesculaptus, der Salus,
des letzteren Tochter und der Fortuna inschriftlich geweiht und ent-
hält ausserdem noch die Bildnisse der Fortuna, sowie, was besonders
bemerkenswerth ist, des Neptunus.
Diesen Wassergott trifft man sonst häufig bei alten römischen
Flussübergängen, wo er zum Schutze der Ueberfahrenden diente. Eine
solche üebcrfalirtsstelle mit Neptuubikl bi'fand sich auch weiter oben
am Main, zu Trenniui-t. Desgleichen stand ein Neptuiisheiligthum auf
der römischen Brücke bei Heidelberg. Zu Obeniburg könnte daher dieser
Altar, der bildlich zugleich dem Neptun und der Glücksgöttin er-
richtet war, in gleicher Weise bei dem römischen üebergang über den
Main nach dem gegenüberliegenden Brückenköpfe bei Elsenfeld ge-
Btanden haben. Fortuna hätte also hier, wie jedes glückliche Ereigniss,
80 auch den sichern Üebergang zu leiten gehabt. Da es sich aber um
die Heilung des Fräfekten handelt, so bezieht sich ihre Function, wie
die des Neptun auf die Hülfe bei einer Badekur (vergl. Becker im
Frankfurter Archiv 1865).
Der Name des Arztes Zosimus ist ein bekannter Sklavenname.
Sein Gentile Rubrius bezeichnet ihn als einen Freigelassenen der
Familie Rubria. üeber solche Militärärzte, vgl. Jahrb. L, 186.
Der Beisatz, den die vierte berittene aquitanischc Cohorte neben
dem Volksnamen hier führt, nämlich civium Ilomanorura, bezieht sich
auf das römische Bürgerrecht, welches dieses Corps von Peregrinen
C«ber die limee-Frage n. dje römischen Alterthfimer aus Ob«rnburg a. Main. 49
oder Nicbt-Italikem wohl als Auszeichnmig erhielt, wie dies mehrfach
bei aas PrcJ^nzialen ausgehobener Reiterei Yorkomint
Die Eigenschaft römischer Bürger findet man zwar gewöhnlich,
aber nicht immer nur bei Reitercohorten angeführt, wie Lehne I, S. 121
meint. Schon ein von ilim selbst gebrachtes Beispiel, d. h. die cohortcs
Thracum civ. Roman. (Wilmanns 2867) spricht dagegen. Vollkommen
jcht hat aber Lehne, wenn er sagt, Inschriften, wie die Obemburger,
kuf welchen die genannte Eigenschaft erwähnt werde, fielen in die Zeit
vor Caracalla, da derselbe allen Provinzen das Bürgerrecht verlieh, so-
dass von da an der Beisatz civ. Rom. gegenstaodlos geworden wäre.
5) Zu den voi-stehenden Inschriften, von denen bei Kittel keine
such nur erwähnt ist, kommt nun noch eine neue, die noch nirgends
bekannt gemacht wurde.
Wir sahen dieselbe bei einem Besuche zu Oberaburg im Sommer
dieses Jahres (1877) als sie gerade von ihrem Fundorte, am Waldrande
bei der Strasse mitten zwischen Wort und Obernburg, in das Stadt-
haus letzteren Ortes eingebracht worden war. Der Stein stellt ein Relief-
bild des Hercules vor, das leider zerbrochen ist und darunter steht die
Inschrift auf dem 38 cm. breiten, 14 cm. hohen und 30 cm. dicken Sockel :
HERCVLI
MALIATOR
Also = Ilerculi mal(l)iator(es), wobei das eine fehlende L nie auf dem
Sterne gestanden hat, wie ja überhaupt die volksthiimliche Form statt
malleatores gebraucht ist. Von der Inschrift fehlt nichts, sodass die-
selbe durch ihre Kürze auffallend erscheint Dass hier der Her-
cules der Steinbrüche und Bergwerke vorliegt, welcher unter dem Bei-
namen Saxanus vorzugsweise im Brohlthal und seinen Tuffsteinbnlchen
bei Andernach verehrt wurde (seit Römerzei ton bekannt durch die be-
rühmten von dort stammenden Lava-Mühlsteine) ist wohl unzweifelhaft.
Vgl. Jahrb. L, 192 und Haug, Mannh. Denkst, no. 27.
Die Steinbrüche bei Obernbürg bestehen dagegen aus gewöhn-
lichem rothen Sandstein, wie auch unser Denkmal.
Hinsichtlich des zweiten Worts könnte man nun die Frage er-
heben, ob dasselbe nicht etwa auch solch einen Beinamen des Hercules
enthielte, sodass hier eher MALIATOR(i) zu verstehen wäre. Statt
dessen ist aber wie gesagt einfacher maliator(es) zu ergänzen, indem
der deutUche Punkt nach dem 11 eine Abkürzung von doch wenigstens
zwei Buchstaben anzuzeigen scheint. Hiernach widmeten hier also die
Steinhauer, wohl mit dem ^Steinbrechen beauftragte Soldaten, dem
60 üeber die limea-Frage u. die römischen Alterthümer aoB Obernbnrg a. Main
Hercules ein Bild, wie zu Rom die in der kaiserlichei^ Münze be-
schäftigten Ilammerarbeiter »malliatores«, wie sie sich dort sdireiben,
ebenfalls dem Hercules weihen (Wilmanns 1378 c).
Die Dcdikationsforroel fehlt hier gänzlich, was öfters vorkommt
(z. B. ib. 1929 wo die fuUones ebenso widmen). Bei der Annahme
eines Hercules Maliator würde auch der Dedikant fehlen.
G) Ein an gleicher Stelle gefundener und von uns im Stadthaus
zu Obernburg eingesehener Stein enthält keine Inschrift, sondern blos
ein Keliefbild, aus demselben rothen Sandstein bestehend, 80 cm. hoch,
40 cm. breit und 20 cm. dick. Dieses Bildwerk stellt den Apollo vor,
jugendlich, in edler Haltung und gutem Style, das lang herabfallende
dichtgelockte Flaupthaar von einem hohen runden Haarschopfe bekrönt.
Die nackte Figur ist wie gewöhnlieh stehend dargestellt, auf dem
rechten Beine ruhend und mit übergeschlagenem linken Beine. Das
M&ntelchen (die chlamys) ist auf der rechten Schulter befestigt, be-
deckt die linke und fällt hinten hinab. Neben dem Grotte auf seiner
linken Seite steht auf einer Console die von ihm gehaltene viersaitige
grössere Lyra (cithara).
Die KOrpcrformen treten in starker Rundung hervor und sind in
durchaus kAustlerischer Weise behandelt, sodass eine photographische
Anfnalmie des Bildwerkes sehr am Platze wäre.
7) Kinigo zu Obemburg an der Stelle des römischen Standlagers,
beim .\mthausc gefundene Töpfcrwaaren sind im Besitz des dortigen
Bezirksamtmannes, bei welchem wir die mit Namen abschrieben:
a) auf einem schonen, ganz erhaltenen Teller von terra sigillata,
der 20 cm. Durchmesser hält, steht BITVNA'S F(ecit) auf der innem
Boitenfläohe, wie gewöhnlich;
h) auf einem Bruchstücke: MARTTNVS F, mit Ligatur von
M, A und R.
c) auf dem äussern (nntem> Boden zweier lüropchen aus ge-
wöhnlichem Thon steht einmal NERl. das zweite Mal SATTOMS =
Sattonis (.officina^ mit Ligatur von A und T. von .X. l und S.
Alle sind bekannte Töpfemamen. Ueber Nerus vgl. L Becker
im l-Yankfurter Archiv von ISiv».
Nach Aussage des Herrn Bürgermeisters Hess ein bayrischer Major
vor längeren Jahren durch Si^ldatcn an derselben Stelle Nach-
grabangen veranstalten und fand dabei eine so grctsse Menge römischer
Töpferwaaitn, dass er sie in einem gn>sson Güterwagen wegführen
uanto. Wo sind dieselbe» hingekommen?
Carl Christ
Dattrbare Inscbriften ans dem Odenwald und Mainthal.
51
5. Datirbare Inschriften aus dem Odenwald und Mainthal.
(Fortsetzung aus Jahrbuch LII 8. 62—96.)
Bei der Anordnung des epigraphischen Stoffes kann man, je nach
den spcciellen antiquarischen Fragen die man dabei verfolgt, von ver-
schiedenen Standpunkten ausgehn. Während in den grösseren In-
scliriftenwerken die rein örtliche Reihenfolge überall Anwendung findet,
muss bei historisch-topograpischen Studien, die sich ein bestimmtes
kleineres Gebiet als Object auscrwiLhlt haben, vor Allem der chrono-
logische Gesichtspunkt ins Auge gefasst werden.
Nur auf diese Weise kann die Geschichte eines Gebietes allmäh-
lich aus den Quellen, d. h. dem datirbaren inschriftlichen Materiale
aufgebaut werden. Diese Art der Erforschung der Territorialgeschichte
ist um so mehr angezeigt, wenn (wie dies beim Dekumatenlande,
dessen nördlichster Theil hier zum Vorwurfe dient, der Fall ist) andere
Quellen fast gJlnzUch schweigen.
Nach diesem selben chronologischen Principe soll denn nun nach
längerer Unterbrechung mit der Ausbeutung der inschriftlichen Denk-
mäler fortgefahren werden, die aber nicht selbst wieder unter sich in
zeitlicher Ordnung aufgezählt, sondern zusammengelesen sind, wo und
wie sich gerade die beste Gelegenheit fand sie unterzubringen. Auf
diese Weise mag denn im strengen Anschluss an die erste Serie von
Inschriften, die fünf Abschnitte enthielt, hier zunächst folgen:
VI.
Votivaltar aus Trennfurt.
In seinem bekannten Werke über das römische Maiogebiet (1834)
S. 204 f. handelt Steiner über den Ort Trennfurt am Main und dessen
Alterthümer. Mit Recht weist er zunächst die lächerliche Ableitung
des Namens dieses Ortes von Trajan zurück, indem er die alte Form
desselben Tribun-, Tribin-, Tribenford (-fürt) als allein massgebend be-
trachtet. Aus dieser älteren Form, die sogar noch im 15, Jahrhundert
gebräuchlich war (vgl. Wagner »Hessische Wüstungen« S. 199) '), hat
1) Ad gleicher Stelle wird auch eiae Flurbenennung iMiltehege* genannt,
die an den Ortsnamen Miltenberg erinnert; Bodann der in der Nähe gelegene
Ort Scckmauern in seiner urkundlichen Form »Sickmnrent, später »Sickmauem«
aufgeführt, wodurch unsere IlerleJtung von dem Worte i sickern • gerechtfertigt
wird. Auch wird gleichzeitig das benachbarte Wort am Main in eoiner älteren
Form Werda genannt (Wert = FluBainsel).
52
Datirbare Intchriften ans dem Odenwald ond Maiothal.
sich die heutige erst allmählich abgeschliffen. Die Herleitung des Na-
mens ergibt sich von selbst, wenn man die durch die dortige Boden-
senkung hervorgerufene starke Strömung des Maines beachtet, wie dies
denn auch schon Steiner (ib. S. 316) richtig andeutet. Nur hätte er
das altdeutsche Wort trib, das allgcntcin für unser heutiges »Trift»,
d. h. Stromschnelle gebräuchlich war, anführen sollen. Hiervon ist ein
Ortsname gebildet mittelst der alten Ableitungssilbe -un, um ihn mit
dem zweiten Elemente der Zusammensetzung, dem Worte Furt zu
verbinden.
Dass Trennfurt schon zu Römerzeiten wegen des seichten, schmalen
und daher eben heftig strömenden Maines eine bequeme Uebergangs-
stelle nach dem schräg gegenüber! legenden Klingenberg gebildet habe,
zeigt schon das daselbst gefundene Neptunbild an, das, wie Steiner
richtig bemerkt, den Ueberfahrenden zum Schutze aufgestellt war.
Leider ist keine Spur mehr von demselben an der dortigen Kirche
aufzufinden und enthalten selbst die Dorfurkunden keinen Aufschluss
darüber. Vielleicht dass sich im Kirchen- Archive des benachbarten
Wort Notizen von dem damaligen Pfarrer Zöller vorfänden. Nach
ihm war das Bildwerk in der alten Kirche zu Trennfurt eingemauert
gewesen, an deren Stelle aber seitdem eine neue entstanden ist. Nep-
tun hielt, wie gewöhnlich, darauf den Dreizack in der Hand. Ein
anderes zu Grosskrotzenburg weiter unterhalb am Main gefundenes
Denkmal Neptuns, lässt überhaupt nur noch dies Attribut Neptuns er-
kennen (Vergl. Steiner ib. S. 165).
Zu Trennfurt wurde nun aber im vorigen Jahrhundert ausser
jenem Neptunsbilrie auch ein römischer Votivaltar gefunden, der leider
lange Jahre einer durchaus unwürdigen Behandlung durch üeber-
Btreichung mit Kalk und sonstiger Verunreinigung ausgesetzt war. Der-
selbe ist heutigen Tags aber wieder gereinigt und in angemessen-
ster Weise freistehend neben dem Eingang zur Kirche aufgestellt und
zwar in ei;ier Aussenecke der nördlichen Seite derselben. Durch diese
Stellung wird aber das Sonnenlicht, welches man zur Lesung der fast
ganz verloschenen Inschrift dringend bedarf, abgehalten und waren
wir desshftlb genöthigt uns eines Spiegels zu bedienen um die Strahlen
aufzufangen und auf den Stein unter wechselndem Winkel refiektiren
zu lassen. Nur so ist es überhaupt möghch noch einige Reste der In-
schrift zu lesen.
Ausser der Schrift ist der Stein sonst sehr gut erhalten und be-
steht aus gewöhnlichem rothen Sandstein. Seine Höhe beträgt 1,10 m.,
Dfttirbare Inschriften ans dem Odenwald und Mainthal.
68
seine grös»te Breite an den Ansladungoi ist 70 cm. und die grösste
Did^ ebenda 43 cm. Das Mittelfeld mit der Inschrift ist 53 cm. breit
und 30 cm. dick. Oben ist der Altar platt, so dass anzunehmen ist
es habe ein Götterbild darauf gestanden. Die Inschnft ist von einer
eingehaaenän Leiste eingefasst und lautet dermalen noch so, wenn man
de auf die ang^ebene Weise untersucht:
I • O • M .
SI(L)VA(N)OCO
N////- DI(A)NAE
A//////////////C
XXIIP//////////
AC/////N///PSVB
CVR/////ERTIN
IVSTIOPTDIIASPR
COS
Bei der Entdeckung des Steines im vorigen Jahrhundert war die
Schrift desselben, wje sich aus Hans seimann (vgl. Brambach no.
1746) ergibt, noch viel besser erkennbar und müssen daher die damals
noch vorhandenen Buchstaben, soweit sie richtig mitgetheilt sind, da-
nach ei^änzt werden. In mehreren Fällen sind aber bei jener ersten
Edition gewaltige Fehler begangen worden, sowohl in der Abschrift,
als auch ganz besonders in der Erklärung. Bevor dieselben aber
näher betrachtet werden sollen, mag zuerst der Text folgen, wie er
nach unserer Ansicht ursprünglich wirklich gelautet zu haben scheint:
1 • 0 •
M .
SILVANO
• CO
N S • 0 1 A N AE 1
AVC-VEX-
LEG
XXII P • PF
•ARAM
ACSICNA
PSVB
CVR- MAMERTIN |
IVSTIOPTO
iT-ASPR
C • 0
S
a. p. Gbr. 212.
•4
DatirbarB Inachriften au dem Odenwald und Maiuihal.
Diese, unsere Restauration wäre folgender Massen aufzulösen:
.l(oTi) o(ptimo) in(aximo), Silvano cons(ervatori), Dianae ang(ustae)
Tex(il]atio) leg(ioni8) XXII p(riniigeniae) p(iae) £[idelis) aram ac Signa
p((Mait) sub car(a) Mamertin(ii) Justi opt(ionis) d(ecurionis), n('daobus)
A^itis) co(D)s(iiltbQs).''
Die Widmung an die drei genannten Gottheiten ist nach Hanasel-
manns Wiedergabe vom Jahr 1771 (enthalten in der »Fortsetzung
seines Beweises« p. 245, gedruckt 1773) wo die oberen Zeilen noch
vollkommen erhalten waren, unzweifelhaft. Juppiters Name ist, wie
in der Regel bei Vereinigungen mehrerer Gottheiten den beiden folgenden
blos als oberster Gott, gleichsam aus Hochachtung vorangestellt. Die
eigentliche Widmung galt dagegen den Göttern des Waldes und der
Jagd. Silvanus führt hier den Beinamen conservator d. h. des Beschützers
vor den Gefahren^ welche die Jagd auf wilde Thicre damals in unseren
Gegenden mit sich brachte. Auf andern Inschriften führt er häufig
ähnliche Beinamen, die sich ebenfalls auf den Schutz beziehen, den
er als Wald- und Feldgott vor Raubthieren gewährte. So heist er
z. B, auch Silvanus Silvester, sanctissimus pastor u. s. w. (vgl. Wil-
manns II p. 479). Hauptsächlich wurde er als Wölfeverscheucher
\erehrt, wie ihm denn auch für Erhaltung der Heerden Herbstopfer
gebracht wurden.
Auf einer zu Rom gefundenen ara wird er »Silvanus caelcstis« ge-
nannt (Wilmanns no. 2481), was Lehne I S. 193 für eine Identifi-
cirung mit Mars caelestis erklärt, da nur Götter, welche einem Pla-
neten am Himmelsgewölbe vorstanden, den Beinamen caelestis » himm-
lische geführt hatten. (Die du caelestes sind überhaupt bei Wilmanns
no. 253 erwähnt).
Von besonderem Interesse ist eine niederrheinische Inschrift, die
diesem Gotte von einem »ursariusa der 30. Legion gewidmet ist und
worauf deon auch ein Bär als Symbol abgebildet ist (Brambach 211).
In ähnlicher Weise weihen die »»venatores immunes« der cohortes
praetoriae et urbanae zu Rom der Diana Augusta ein Denkmal (Wil-
manns no. 1505). unter den Inschriftstiftern wird speciell auch deror-
dinatus custos vom vivarium dieser Cohorteu genannt, also von einer
Art Tbiergarten, wovon ein Beispiel auch auf einer an Silvan gerichteten
andern italienischen Inschrift erscheint (Wilmanns no. 95).
Aus diesen und andern Beispielen geht hervor, dass die römischen
Soldaten, die wir zur Zeit des Friedens sogar auch in den eigentlichen
bürgerlichen Gewerben antreöen, die mit dem mihtärischen Dienste so
Daiirbare laschriftoii aus dorn Odenwald und Maintbal. 55
nahe verwandte Jägerei walirsclieialkb zunftmässig, d. h. als militä-
rische Collegien geordnet betrieben ').
Ein besseres Terrain zur Ausübung dieser Kunst konnte aber
kaum gefunden werden, als dies am mittleren Main zwischen Odenwald
und dem wegen seines Wüdreichthums noch heute hochberilhmtcn
Spessai't vorhanden ist.
So sehen wir denn auch weiter unterlialb am Main noch andere
Widmungen an Diana gerichtet. Eine Abtheiloug d. h. ein numerus
Brittonum et exploratorum Nemaningensiuui erfüllt ein Gelübde dem
Apollo und der Diana unter einem centurio der 22. Legion im Jahr
178 nach Chr. zu Aschaffenburg (Brambach 1751, cf. add. ^ Wil-
manns 1525). Die betreffenden Truppentheilc stammten aus England
and gehörten zu den Hilfstruppen, die man mit den heutigen Fremden-
legionen vergleichen kann.
Wie diese z. B. tu Algier auf gefährliche Posten, wie die Grenzen
barbarischer Völkerstämme vorgeschoben werden, so geschah es auch
mit den römischen Auxiliartruppen, die zu einem grossen Thcil aus
Reiteiei bestehend, (welche ja auch heutigen Tages wieder vorzugsweise
I) Da di& Widmung an bestimmte Gottheitoo, wie wir dies an den ange-
führten Inschriften in Bezug auf Diana sehen, in der Regel einen Bezug auf den
Inhalt derselben zeigt, so darf man dies wohl auch bei einem zu Mannheim auf-
bewahrten Mainzer Votivstoiu annehmen, den Haug nouerdiags in suinon «rö-
mischen Denksteinen in Mannheim« no. 5 besprochen hat. Derselbe ist nSmlioh
der Diana geweiht von einem Soldaten der 22. Legion, der das Amt eines
»oustOB basilicaec versah. Unter dem Ausdruck basilica wurden in der Regel
grössere Prachtgebäude verstanden, besonder» Gerichtahäuser, aber auch mili-
tärische Gebäude von ähnlicher Gestalt oder überhaupt von grösseren Dimen-
sionen. So wird in En^^land einer militärischen Reitschule dieser Name beigelegt
und dieselbe ausdrücklich durch den Beinamen equestris als solohe gekennzeichnet
(WilmanuB no. 755 1^ ). Da dies zu Mainz niobt der Fall ist, so kanu die Be-
stimmung der dortigen basUioa vielleicht aus der Widmung an Diana errathen
werden. Wir hätten hier somit eine zu Jagdzwocken (zur Aufbewahrung d^r
Waffen, Beute u. a, w.). nach Art unserer Jagdschlösschen errichtete und zu
einem Jagdrevier oder Thierpark gehörige grössere Gebänlicbkeit der 22, Legion
vor uns und der Aufseber derselben hätte ungefähr dieselbe Funktion bekleidet,
wieder oben genannte Wächter eines Tbicrparkes. Freilich kanu er auch mit dem
oastos armorum, dem mililärischon Waffen- und Zeugwart vieler andern In-
•oluiften verglichen werden, sodass basilica hiernach ein Arsenal im Allgemeinen
bezeichnen würde, in welchem wohl auch die Jagdtrophaen und -Geräthschadea
verwahrt wurden.
56 Dldiilwre Insehriften warn dem Odenwald und Mamtbal.
mit dem Sicherhdts- und Aofklänrngsdienste betraut ist), den Yor-
postendienst in den Gegenden des limes zn versehen hattet
Die Brittones überhaupt, wie auch die speciell genannten Kund-
Schalter (exploratores) aus Brittannien waren als leichte Truppen in
waldbedeckten und gebirgigen G^enden hauptsächlich zum Siwhen
brauchbar und nothwendig. Sie mussten verhindern, dass die Grenz-
befestigungen nicht unversehens angefieülen und dieVertbeidigungstruppen
nicht flberrascht wurden. Ihr Dienst brachte daher schon von selbst
die Beschäftigung mit der Jagd mit sich, der sie denn auch wie gesi^
in den wdten Waldungen des Spessart ganz vorzüglich obliegen
konnten. Hierauf machte anlässlich der zuletzt genannten Inschrift,
hauptsachlich der verdienstvolle Lehne seiner Zeit aufmerksam. Yergl.
das von ihm in seinem Werke no. 63 über die römischen Jagdgebräuche
Gesagte.
Folgen wir dem Lauf des Hains nun noch etwas weiter abwärts,
so treffen wir unterhalb Aschaffenburg auf Seligenstadt, wo schon viele
römische Alterthümer zu Tage gekommen sind. Das wichtigste da-
runter ist ein Yotivaltar, den ein centurio der 22. Legion im Jahr 204
der Diana Augusta zu Ehren setzte (Brambach 1406). Die beiden
Seitoiflächen desselben sind mit Hirschen und sonstigen Waldthieren
geschmückt, während sie bei unserm Trennfurter Altare ganz frei von
bildlichen Darstelungen sind. Die beiden Altäre stimmen aber darin
überein, dass sie beide die Diana »Augustau nennen. Mehrere weitere
Beispiele derselben stellt Lehne (no. 125) zusammen. Darunter auch
zwei Inschriften aus Rom (= Wilma nns no. 1716 und 1505, letztere
schon oben erwähnt, aus Gordians K^ierungszeit, vom Jahr 241; vgl
auch no. 235S aus Afrika) u. s. w.
Den Beinamen Augustus und Augusta gab man aus Schmeichelei
gegen das Kaiserhaus fast allen Gottheiten, ohne dass ihnen derselbe
jedoch als Regel beigelegt worden wäre.
Wie die Herrscher nach ihrem Tode selbst vergöttert wurden und
dabei den Beinamen divi erhielten, der indessen schliesslich nichts weiter
als etwa «selig« bedeutete, so gesellten die Römer durch den Beinamen
Augustus ihre Gebieter gleichsam lebend den Göttern bei, wie sich
Lehne ausdrückt. Offenbar verflachte sich aber auch dieser Ausdruck
durch den häufigen Gebrauch zur blossen Formel.
Auch der zu Trennfurt genannte SUvanus führt anderwärts viel-
fach den Beinamen Augustus, >vährend er an diesem Orte den sonst
in der Regel bei Juppiter vorkommenden Beinamen conservator trägt
Datirbare Inachriften aus dem Odenwald itnd Mointbal.
67
Vergl. z. B. die Mainzer Inschrift in Beckers Catalog no. 6 = Wil-
manns 2269. Bei Letzterem wird no, 2100 auch ciu .Ju[»iiiter custos
conseryator aufgeführt; no. 92 und 1415 ein Juppiter aetemus con-
servator; no. 1004 wird derselbe als Erhalter des Kaisers und de^
ganzen kaiserlichen Hauses gefeiert. Ebenda 1481 erscheinen in gleicher
Eigenschaft überhaupt die »dii conservatores eoruma (seil. Augustorum).
Auch Mars conser(vator) wird genannt, ib. 1349.
Nachdem nun die Gottheiten, welchen unser Trennfurter Altar
gewidmet ist, des Nähern betrachtet wurden, ist es an der Zeit die
Frage zu untersuchen, wer die Widmenden selbst waren.
Da die vierte Zeile der Inschrift heutigen Tages fast ganz un-
kenntlich ist, so bleibt nichts übrig, alsdic bei Uansselmann stehende
alte Abschrift zu consultiren. Dieselbe bietet nun die Lesung
V1X////////R, wobei aber der letzte Buchstabe nicht sicher war, denn
er soll auch wieder P vorstellen. Hiervon ist aber keines richtig, denn
der fragliche letze Buchstabe der vierten Zeile ist noch heute in seinem
üntertheil erkenntlich, welches nur zu einem G gehören kann. Ebenso
kann das Hansselmann'sche VIX nur unrichtig gelesen sein statt
VEX" was die ganz gewöhnliche Abkürzung von vesillatio oder vexil-
larius ist (im Sinuc von Mitglied einer vexillatio oder von Fülmdrich)
(vergl. Wilma nns II p. 735). Das Wort kann kaum weitere Buch-
staben gehabt haben ( — es kommt nämlich auch in der Abkürzung
VEXILL vor — ) da sonst kein Platz auf dem Steine wäre für ein in
derselben Zeile noch folgendes LEG, dessen letzter Buchstabe wie
gesagt noch erkennbar ist.
Die vexillationes waren ursprilnghch die Veteranencorps der Le-
gionen, bei welchen nach 20 Dienstjahren belcanntlich in der Regel die
ehrenvolle Entlassung aus dem Kriegsdienste stattfand.
Dies war jedoch nicht immer die völlige Verabschiedung, denn es blie-
ben die ausgedienten Soldaten oft auch noch als besondere Mannschaft bei
dem vexillum ihrer Legion im Dienst, wobei sie jedoch von allen ge-
wöhnlichen Lasten frei waren und wie Lehne meint nur den Feldzügen
als «Snbsignaniu beizuwohnen hatten.
Wie nun das letzte Aufgebot als vexillationes zu Abtheilungen
vereinigt erscheint, so machten auch die nach den Völkern, von
welchen sie gebildet wurden, benannten Rekruten oder jungen Soldaten
in ihren ersten Dieustjahren als numeri, kleinere Hecresabtheilungen
von schwankender Grösse aus, die auch Reiterei einschlössen. Vergl.
Lehne I S. 225, II S. 323; sodann Orelli-Henzen no. 6i393; Diese
58
Datirbare InachriileQ aus dem Odenwald und Maiathal.
Jahrbücher LIl S. 79 und LX, 74; Härtung »Rom. Auxiliartruppen
am Rhein« I S. 5 und II S. 7; Wilmanns II p. 594—596, wo er
als dritten Bestandtheil der Auxüiares (d. h. neben den geschlossenen
Cohortes und alae derselben) nicht nur die verschiedenen »numeri«
der an sich schon zu den Hülfstruppen gehörigen Mannschaften an
Reiterei und Fussvolk aufführt, (darunter auch blosse Vereinigungen
und Genossenschaften von gleichfallä dazu gehörigen Soldaten ohne
jede Angabe einer taktischen Einheit) sondern auch die vexillationes
im weiteren Sinne. Hierunter sind aber zu besonderen Diensten de-
tachirte Abtheilungen einer Legion oder auch eines HüJfstruppentheUs
zu verstehn.
Auf unserer Trennfurter Inschrift scheint nun eine naher be-
stimmte Auzabl solcher zu einer vcxillatio gehöiigen Militärs sich
vereinigt zu haben.
Der grössere Truppenkörper, wozu sie gehörten, war die am läng-
sten unter allen in Germanien gestandene legio XXII primigenia, die
daher auch weitaus am häufigsten auf den rheinischen Inschriften vor-
kommt. Besonders in der späteren Zeit bildete sie die Hauptbesatzung
des Dekumateulandes bis zum Einbrüche der Alemannen in dasselbe
nach der Mitte des dritten Jahrhunderts. Meistens führte sie auch die
Ikinamcn pia Melis (vergl. die Beispiele bei Wilmanns II p. 584)
die wir auch hier ergänzen, wenn schon sie vielleicht wegbleiben köunten.
Es schien uns nämlich Anfangs beinahe als stände auf dem Steine
am Schluss der fünften Zeile ein letzter Schimmer von r(IÜMI)GEN
(also fast ausgeschrieben,, wie dies Wort mehrfach auf Inschriften vor-
kommt). Da sich aber bei der gänzlichen ÄbgeschlifFenheit des Endes
dieser Zeile über den letztern Punkt absolut nichts bestimmtes sagen
lässt, so mag nur soviel als ganz sicher behauptet werden, dass vor
der Zahl am Anfange derselben sich keinerlei Lücke befindet, die mehrere
Editionen irrig augeben.
Bemerkt mag -m dem Vorhergehenden nachträglich noch werden,
dass einzelne Äbtheilungen oder Mitglieder der vexiUatio der 22. Le-
gion auch auf andern rheinischen Inscbriftcu crscheiucu (so Bram-
bach Ü72 und 1283). Ebenso eine vexillatio veterauorum speciell
(ib. 1543).
Betrachten wir nun weiter die 6, Zeile, so ist auch von ihr nur
noch das Wenige, was oben angegeben ist, sichtbar.
Nur der erste Buchstabe ist noch ganz erhalten. Darauf folgt,
wie uns scheint, das llntertheil eines C. Vielleicht war es auch, wie
Datirbare Inschriften aus dem Odenwald und Maintbal.
59
Hansselmann will, eiu G, nach welchem ihm zu Folge niui LIGN
kommen solL
Dies soll nach AnderQ bedeuten AC LIGNarii, allein offenbar ist
hier falsch gelesen worden. Ein Privatgeschäft wie das von Zimnier-
leuten oder Holzhändlem (lignarii) in dieser Weise einer militärischen
Charge coordinirt, ginge liaum an. Zudem erscheinen die Zimraer-
leate inschriftlich nicht unter diesem Namen, sondern als »fabri tignarii«
oder «tignoarüti gewöhnlich unter der Abkürzung TIGN. Vergl. bei
WLlmanns II p. 633 die collegia fabrum tig. et dendrophoruiu.
Auch auf einer Inschrift aus üedderoheim bei Frankfurt (Brara-
bach 1447) ist die Zunft der Zimmerleute bezeugt als coUegium
TIGN. Ihr gewöhnliches Vorkommen als Iiiuimg beweist, wie wichtig
dieselben als Bauführer und Bauunternehmer waren.
Aber nicht allein als civiles, sondern auch als militärisches CoUeg,
kommen derlei Architekte vor, denn die baioli einer anderen rheinischen
Inchrift sind eine Gesellschaft von Pionicrn und vielleicht dieselben,
welche anderwärts tignarii und dendrophori genannt werden. Auf der
betreffenden Inschrift (Brambach 602 = Wil mann s 1520) vom Jahr
246, sowie auf einer zweiten vom Jahr 239 (Branib. 693 = Wil m,
1527) erscheinen überhaupt eine ganze Reihe solcher militärischen Ge-
nossenschaften, hauptsächlich von Fahnenträgern.
An der Spitze steht das collegium Victoriensium signiferorum, zu
Ehren der Schutzgöttin Victoria genannt. Hierauf folgen die imaginifcrl
dcrCohorten und die vexillarii der Centurien, endlich die baioli. Statt
der Signiferi erscheinen auf der zweiten der genannten Inschriften
neben den vexillarii die imaginiferi, offenbar in gleicher Bedeutung,
wie dies Urlichs in diesen Jahrbüchern LX S. G5 vortrefflich ausfuhrt
(Ein baiulus auch auf einer Mainzer Inschrift, bei Brambach 1008.)
Betrachten wir nun die 6. Zeile unserer Trennfurter Inschrift mit
Rücksicht auf das eben Gesagte, so wird man hiernach zu der An-
aahme veranlasst, es habe hier AC" SIGN" gestandeD,^sodass also statt
S ^chUch ein Lvon Hansselmann überliefert worden ist. Da nun
aber die Sigle SIGN* für signiier ganz gewöhnlich ist, so würden sich
vexillarii (Fähndriche) AC SIGNiferi ergeben. So scheint in der That
Knapp im Jahr 1813 (§ 107_seiuer Denkmäler des Odenwaldes) wo er
von einem Signifer der 22. Legion spricht, ohne unsere Inschrift indessen
mitzutheilen, noch gesehen zu haben. Heutigen Tages ist aber wie gesagt,
nur noch das N von diesem Worte zu erkennen, vor welchem der Raum-
vertheilung nach gerade drei Buchstaben gänzlich abgeschliffen sind.
€0
Dutirbare laBctuiften aus dem Odenwald und Mainthkl.
Da nun aber auch nach jenem N Raum für einen odei* zwei Buch-
staben voi'bamien ist und wie wir constatirt zu haben glauben, dort ein P
stand, dessen Haken noch übrig ist, so ist doch hiermit wohl be*
vdesen, dass die Dedikatiousformel, für welche sonst nirgends auf der
Inschrift Platz wäre, in der G. Zeile an der angegebenen Stelle ge-
standen hat.
In vielen Fällen bestand dieselbe nun aber nicht allein in dem
die Widmung aussprechenden Zeilworte (posuit) sondern auch der Ge-
genstand derselben wurde ausdrücklich benannt, wenn derselbe auch in
der Regel, weil er sich selbst der Wahrnehmung darstellte, wegblieb.
Nun ist die Sigle A welche diese Zeile anfängt in der Geltung ara
bekannt; das folgende C könnte für cum stehn, worauf dann wie gesagt,
SIGN. P. kommen wilrde, also im Ganzen naram cum signis posuit«,
eine sehr bekannte Formel.
Die Signa würden die ehemals jedenfalls darauf gestandenen Götter-
bilder oder Stallten des Silvanus und der Diana bedeuten. Noch wahrschein-
licher wird mau annehmen, dass das Wort aram (vielleicht auch aedem)
ausgeschrieben oder abgekürzt zu AR. (resp. zu AED.) noch am Ende
der !). Zeile stand und dass dann in der 6. folgte AC SIGNA P(osuit)
SVB II CVIl(a) etc. Möglich wäre hier aber auch AG(rum) SIGNA etc.
(vcrgl. solche agri bei Wilm. no. 95 und 862').
Von dem nun in der 7. Zeile stehenden Namen Mamertin. (viel-
jptcht Geschlochtsnamen Mamertinius) sind leider heutigen Tages die
drei engten Buchst^ibeii gänzlich verwischt, während zu Hansseim anns
Zciicti, wenigsttnis noch das erste M vorhanden war. Von den drei
folgenden ERT sind nur noch Spui-en vorhanden und bloss die beiden
letzten d. h. IN stehen noch ganz da.
1) Daa Wort ager (agrum) findet man auch sonst in der Abkürzung AG.
(ro«p. AOR.) Vorgl. Wilraanns II p. 711, besoaders aber eine iDschrift aoa
ObrlKbnim am Ncolcar und «u Mannheim aufbewahrt, auf welcher steht: AED.
BltJN. AGIl, 1 IUI. Hier ist einer Kapelle Merkurs mit Götterbild noch ein ager bn-
gofflgl, il. b. oin kleiner Becirk um das IJeiligthum, ähnlich wie besonder« bei
OmbiloineQ ,'ftr«a, locus u. dgl. vorkommen (vgl. Wilm, II. p. 678 f. wo z. B.
nu. 9084. »Jugern agri plus minus IUI, ita uti dcpalatum est« auf einer italie>
iilaobiiii Inscltrirt). Der geweihte Bezirk wird hier bestimmt durch das bekannte Zeichen
iliiN «oimt tv'iiturift btnloutct. Da nun aber dieses Wort in der hier allein raög-
Jlcluin llcdiMitung von Laudtnaass eine ganze Landschaft ergeben würde, so haben
wir b«i Iluug QO. 10 Jenes Zeichen für einen Sicilicus erklärt, was als V4»
«biiHmuiit mohrfauh vorkommt (z. B. bei Wilm. 2875). Hier wäre es = '/«e
Jugprum, was mit 4 multiplioirt =3 Vis =* 1 "'^•»a macht.
Datirbare Inschriften bub dem Odenwald und Mainthal.
61
Als cognomen kommt Mamcrtinus (bei Wilraanns no. 134 und
1419) auch im Namen römischer Consuln vor. Die Consuln des Jahres
182 nach Chr. waren nämlich Maraertinus und Rufus; die des Jahres
362 waren Mamertinus und Nebitta. liier gilt Mamerlinus als Stamm-
name, obgleich er eigentlich wie das folgende zweite cognomen Justus
Personalnfime ist. Ebenso z. B. hcisst der Stifter eines zu Mannheim
befindlichen Altars Mansufetus Natalis (bei Hang no. 83). Beispiele
hierzu gibt es überall. Mau kann aber auch Justi als Genitiv fassen
und filius ergänzen wie beim Namen Cambo Justi des dortigen Mu-
seums (Haug 9). Die Formel sub cura hczeiehnet den Auftrag, welchen
der Genannte von Seiten des Detachements erhalten hatte das Denkmal
ODter seiner Ohsorge zu errichten. (Vergl. über diese und ähnliche
Formeln Wilmanns II p. 706.) Diese Corporation tritt hier in der-
selben Weise als Dedikantin auf wie der dedicirende numerus anderer,
schon erwähnter Inschriften.
Betrachten wir nun schliesslich die mit etwas kleineren Buch-
staben geschriebene und noch ziemlich gut erhaltene 8. Zeile, so wird
darin zunächst die Charge des Mamertinus Justus aufgeführt, und
zwar in der Sigle OPT* D* die von dem Correspondenten Hanssei-
manns nicht erkannt wurde, da er den ersten Buchstaben irrthümlich
für ein G hielt, während er gauz deutlich das Untertheil eines 0 ist.
Auch von den folgenden 3 Bachstaben sind die Köpfe heutigen Tages
abgeschliffen, so dass ihre sichere Bestimmung nur mit Hülfe jener
froheren Abschrift ermöglicht wird. Der erste, welcher erkannte, dasa
die Sigle OPT hier wie gewöhnlich optio bedeute, war Wiener in
seiner Schrift «de legione XXII« (Darmstadt 1830) p. 110.
Ganz unerklärt wurde aber bisher die folgende Sigle D gelassen,
deren Obertheil übrigens wie gesagt ebenfalls abgerieben ist. In ihr kann
nur eine nähere Bestimmung des optio enthalten qein und zwar, da
sie sonst in der Regel decurio bedeutet, wird man also hier einen optio
decurionis anzunehmen haben.
Ein decurio war bekanntlich bei der Legions- wie Hilfs- Reiterei
ein Befehlshaber von anfangs 10 Reitern. In der spätem Zeit waren
es aber mehr, besonders bei der leichten oder Hilfsreiterei, die meistens
stärker war als die legionäre. Lehne II S. 283 nimmt an, dass unter
den Kaisem ein decurio 33 Mann d. h. die Hälfte einer turma oder
Schwadorn befehligt habe, da bei jeder turma, die damals aus 6G Reitern
bestanden habe, drei Dekurionen gewesen seien, wovon der erstgewäblte
•ber die ganze turma commandirte. Die Zahl der Mannschaft, wie er richtig
beifügt, war aber unter den Hdfstruppen wahrscheinlich sehr ungleich.
Ca Osliriiare Intdriftoi aoa dem Odenwald und MainthaL
Zn den letzt»«n irerden non, wie gesagt die TexiDatianes (jaa
Shme TOD Detachements im AllgemeineD gerechnet} venn sie andi nnr
anxiKi im ireiter» Sinne, d. h. L^onssoldaten and ik solche römiache
Baiser varen und nicht Peregrinen (oder Nicht-ItalikerX wie die
c^ntlichen aoxilians.
Da eine Rotte derselben auf unserer Inschrift onter einem decnrio
steht, so sind sie hier als Reiter charaktefisirt wie sie ja überiianpt
zum gfossten Theil ans Reiteret bestanden, die als besondere Abthei-
Inngen von den Legionen nndCohorten. die dieBesatrong einer Proyinz
hildHen, an bedrohte Pimkte und zn Expeditionen in benadihaite Pro-
Tinzen detachirt wnnlen.
Das Detachement in sdner Gesammtheit stand anter einem dnx,
der als solcher inschriftlich Tcrschiedene Male erwähnt wird (veigl.
Wilmanns II p. ö^). Man künme dem zn Folge annehrn*«, es nenne
sich anf unserer Trennfarter Inschrift ein optio dncis. wogegen sachlich
wohl nichts einzuwenden w-2re. allein der Umstand, dass doch nicht
die ganze Tcxillatio der 22. Legion hi«r am Maine gestanden haben
wild, indem sie ja auch noch anf andern rheinischen Ibsduiften nach-
wäsbar ist, spricht doch gegen die .Annahme einer so hohen Giaige.
Ausseidem wire in diesem Falle das Wort sich«- der Deatlichk^t
wegen in Doc abgekflrzt worden.
Bfittelst D alkin konnte man hier doch wohl nnr an decorio
denken.
Nach dieser .Annahme hätte also ein kleineres an den Main de-
tachirtes Commando. eine einzelne decoria der ganzen vexiDatio, anter
Obsorge des optio d. h. nach heutigem miüläriachän .Aosdinck des
locum tenens oiior Lieuui.uts des Decuronen ^^t«^ des Rittmeisters)
unser Denkmal errichtet.
Die decuria war die kleinste Abtheilung die bei der Rdterd über-
haupt bestand. Wie oben bemerkt wunie. war si-e die Hälfte einer
turma und wurvle wie dies^ gewöhnlich nach ihr» Dekurionen benannt;
Tergl. z. R tunna Longin: «.l^eckor. Mainxer Museam no.217); turma
Sillari (ib. li^^k eN*n?o decuria Capitonis aoi eicer verlorenen 3laiazer
Inschrift O'^rambach UV^l.
Die bCH4i$te K:nboit, d. h. die al^u Jas ganze Reite?«!irps wurde dm-
gegen in der Regel nach den Vc»Ikerscha:^en becacnt. aus denen es ge-
hiViet war. s. R. dit' a!a H-^'uxa oder HispaBorun i^rergL Hang,
Mannheimer Denksteine «a 4P aScr auA a!a .Aurana genannt, so
auf einem Militärviiplom v.^Viimancs a«x :^7V •
Datirbare Inachriften ans dem Odenwald und Mainthal.
63
Es kommen nämlich verschiedene Fälle vor, dass auch die alae
nach ihren Führern (Präfekten) genannt wurden; so z. B. ala Rusonis
(Haag no, 42). Gewöhnlich ist in diesem Falle ein Adjektiv auf -iana
gebildet, z. B. ala Indiana, eine der beiden alaeTrcvcrorum, nach einem
Trierer, Namens Julius Indus benannt (vergl. Wilmanns II p. 593,
wo auch eine ala Longinia genannt wird).
Endlich bleibt noch eine Möglichkeit übrig, auf unserer Trennfurter
Inscbriil den optio D. zu erklären, nämlich durch »optioduplariorum«.
Die duplarii oder duplicarii waren bekanntlich Doppelsöldner,
Soldaten die zur Belohnung, wenn sie sich ausgezeichnet hatten, mit
doppelter Getreideration und doppeltem Solde begünstigt wurden (vgl,
diese Jahrbücher LVII, S. 7G und die Beispiele bei Wilmanns II,
p. 507—598).
Diese Auszeichnung wurde auch Veteranen zu Thcil, wie denn
z. B. zu Mainz einem solchen duplarius, einem Veteranen der 22. Legion
von einem optio derselben Legion ein Grabstein gesetzt wurde
(Brambach no. 1081).
Für unsern Fall würde dies also vortrefflich passen, indem die
vexillationes in engerer Bedeutung ja ebenfalls Veteranen waren.
Auf einem andern Mainzer Monument (Brambach 1304) scheint
zudem dieSigleD ebenfalls duplarius zu bedeuten. Wenigstens nimmt
diesUrlichs in diesen Jahrbüchern LX, S. G8 an, wie in einem zweifel-
haften Falle auch Wilmanns no. 1489. Da dies Wort sonst aber in
der Regel durch dup. oder dupl. abgekürzt wird (vgl. Wi Im. II, p- 718),
80 kann diese Conjektur natürlich nur mit Reserve in Aussicht ge-
nommen werden.
Wäre auf unserer Inschrift die Sigle D nicht so sicher durch die
inehrerwähnte Abschrift aus dem vorigen Jahrb. überliefert, so könnte
man bei dem heutigen Zustand derselben beinahe versucht sein, sie für
ein S zu halten. Hierdurch hätten wir in Verbindung mit der obigen
Lesung vexillarii etc. AC SIGN(iferi legionis) einen Gehülfen der
Fahnen- oder Zeichenträger gewonnen. Ein solcher optio signiferorura
kommt auf einem Grabstein zu Mainz vor (Brambach 1048). Vgl. da-
zu Lehne no. 318, wo er bemerkt, die »römischen signa waren so
schwer, daSs es natürlich ist, dass die Träger (die übrigens nur aus
den besten und tapfersten Kriegern genommen wurden) eines Stellver-
treters bedurften, der ihnen die Mühe erleichterte und sie überhaupt
bei Verhinderung ersetzen rausste«.
Ueber die Bedeutung des Wortes optio im Allgemeinen handelt
64 DfttirlMre Inaohriften sna dem Od^iwftld und Mküithal.
derselbe no. 23 (= Brambach 1301). Eine ganze Reihe solcher
optiones militärischen Charakters zählt Wilmanns II, p. 600 aul.
Ebenda p. 571 sind solche als Verwalter von Civilämtem zasammen-
gestcUt Eine Anzahl Signiferi und vexillarii vgl. ib. p. 602.
Was endlich die Datirung unserer Trennfurter Inschrift betrifll,
so f&llt dieselbe unzweifelhaft in das Jahr 212, wo die zwei Aspri Con-
suln waren (U hier in Ziffern geschrieben, ohne dass aber der gewöhn-
liche wagerechte Strich aber der Zahl noch, wie z. B. bei Brambach
no. 385, erhalten w&re). Das R in dem Namen derselben ist hier
ebenso wenig wie das B am £nd^ von Zeile 6, kleiner als die flbrigen
Buchstaben. In der letzten Zeile ist die Sigle OOS (consulibus) durch
Punkte getrennt, was sonst nicht gebräuchlich ist. Der Grund war
offenbar nur der die drei Buchstaben, welche, obwohl nicht grosser wie
die andern, doch fast die ganze Breite des Raumes unter der fibrigen
Inschrift einnehmen, dadurch weiter auseinanderzuzidben und so richtig
tu vertheUen.
Heidelberg. Carl Christ
6. Die AusgrabuRgea bei Bonn vor dem Cöhier Thor in Heriwtl876 ')•
HiersQ Tafel lU— H.
D. Eine römische gemalte Wand.
Bei den Grundarbeiten für die neue Klinik in Bonn sind im
Herbste ISTO eine grosse Anzahl Bruchstücke «) von römischem Wand-
bewurfe aufgefunden worden. Da sich durch Zusammensetzen derselben
die Composition der gesammten Zimmerdecoration wenigstens im Allge-
meinen feststellen liess, so sind diese Stücke für die Beurtheilnng der
römischen Wandmalerei in den Rheinlanden von hervorragendem In-
teresse, Wir werden es daher dem Vorstände unseres Vereins Dank
wissen, dass er keine Kosten gescheut hat, um dieselben durch eine
wflTxiige Publication weiteren Kreisen bekannt zu machen und sie der
Wissenschaft selbst dann zu erhalten, wenn die Originale zerfallen
sein sollten.
Die Bruchstücke sind 2.30 M. unter der heutigen Erdoberfläche längs
der Säd- und Westmauer des östlicheren der beiden römischen Gebäude
V S. Hoft UX S. 29 ff., LX & Tö.
2^ Oi<wlb«B beficden sich im rniver»it«t£inujeam riwiaisrlifr AHcrthümer
ni Bonn.
Die AusgrabuD^n bei Bonn vor dem Cölnor Thor im Herbat 1876, 65
aufgefunden worden '), deren Grundrisse im 59. Heft Taf. II abgebildet
sind, und haben daruTn walirscheinlich den von diesen Mauern einge-
schlossenen Raum geschmückt. Eine kleine Ausgrabung, welche im Fe-
bruar vorigen Jahres auf Kosten des bonner Provinzialmuseums unter
meiner Leitung angestellt wurde, ergab für beide Mauern eine Länge von
sechs Metern im Lichten. Im Uebrigen verweise ich für die architek-
tonischen Fragen auf den Aufsatz des Herrn General von Veith (Bon-
ner Jahrbücher 59 S. 31 ff.). Ich beschränke mich auf die Beschrei-
bung der Malereien selbst und auf die Darlegung der Gründe, welche
mich bei der Zusammensetzung der Bruchstücke leiteten.
Schwarze mit farbigen Ornamenten gezierte .Pilaster theilen die
VVandtläche, welche roth gestrichen ist, in einzelne Felder, Ueber den
rothen Feldern befinden sich Friede von schwarzem Grund mit weissen
Ranken und Amazonenkämpfen, über den Pilastern gelbe Felder mit
rothen Verzierungen. Die gelben Felder und Friese begrenzt ein grüner
Streifen; an diesen stüsst das Gesims an, welches die Decke trug. —
Unter den rothen Feldern und den schwarzen Pilastern zog sich ein
breiter Sockel liin, welcher schwarz gefärbt ist unter den rothen Fel-
dern, roth .unter den schwarzen Pilastern. Die Decke war weiss ge-
strichen und mit rothen, grünen, schwarzen Einfassungslinien und rothen
Ranken mit grünen Blättern geziert ').
Den Beweis für diese Beschreibung soll eine Besprechung der
Tafeln III und IV erbringen» auf weichen die Bruchstücke in sechs-
facher Verkleinerung abgebildet sind. Die rothen von weissen Linien
«ngefassten Flächen werden durch einen schwarzen, 0,30 M. breiten
Pil&ster getrennt. Auf diesem erhebt sich ein Aufhau, welcher am
ehesten aufeinander gestellten Schirmen gleicht, aber in die Reihe der
phantasti-sch umgebildeten Kandelaber gehört, welche sich sehr zahl-
reich auf den pompejanischen Wänden finden. Vögel und geflügelten
Panthern ähnliche Thiere mit phantastischen Köpfen sitzen auf Ranken,
welche aus dem Stamme des Kandelabers hervorwachsen, unter den
Schinnd&chern. Auf dem obersten Schirmdach steht eine Schale, aus
, 1) Nor die auf Taf, V und "VI als Nummer 7 nnd ß aligebildeten Stücke
■ind am weetlichea Gebäude gefunden ; sie sind von Herrn Geaeral von Veith
s. B. 0. S. 37 bcapruchen. Sie ^büren einer viel Bpäteren Zeit als die Brticb-
stficke des ÖBilichen Gebäudes an; dio Farben Bclieinen mir nicht a fresco aufge-
tragen zu Min.
2) Die zur Decke geUöreuden Stücke haben nur eine Stftrke vün 0,006 M.
5
66 Die Änsgimlmi^ten bei Bonn tot dem Cölner TlK>r im Herbet 1876.
der ein Vogel zu trinken scheint, anf den folgenden zwei perspectirisch
gezeichnete Scheiben.
Ueber dem Pilaster, von ihm darch eine weisse Linie geschieden,
befindet sich ein 0,18 M. hohes gelbes Fdd, auf welchem man Theile
Ton roth gemalten Gegenständen gewahrt Der Yei^leich mit Frag-
menten von zwei anderen dieser gelben Felder (Taf. Y and VI 6a
und b) macht es wahrschdnlich, dass ein stehendes and ein li^endes
zierliches Deckelgef&ss daT^estellt ist, wie sich solche auf pompejani-
schen Wänden,* and zwar an ähnlichen Stdlen Tiel&ch finden. An da»
gelbe Feld schliesscn rechts und links schwarze Friese an: der linke
ist mit einer weissen Ranke geziert, der rechte mit Amazonenkämpfen.
Anf die Besprechung der letzteren komme ich unten zurück.
Ueber den Friesen und dem gelben Felde läuft ein etwa 0,045
M. breiter grflner Streifen. An diesen Streifen stösst das Gesims an.
Dasselbe hat eine Höhe yon 0,17 M. und erhebt sich 0,015—0,08 M.
aber die Wandfliche; es ist mit einer graugelben Farbe übenM^en
und auf seiner unteren geradflächigen Hallte sind aufsteigende Pal-
metten eingepresst Dass das Gesimsstück unmittelbar an den grünen
Streifen ansetzt, beweist ein Rest grüner Farbe, welcher sich an einem
Gesimsbruchstflck erhalten hat Und noch zwingender ist folgender
Grund. Die oberen Schichten des Gesimses besteben aus einer rüth-
liehen Masse, der Bewurf der übrigen Wand ist weiss; nur in dem grünen
Streifen und in der anstossenden Hälfte der Friese finden sich einzelne
Stellen, wo der Bewurf ebenfalls theilweise aus jener röthlichen Masse
besteht. Das findet nur seine Erklärung, wenn die genannten Theile
unmittelbar unter dem Gesims lagen. Beim Auftragen der Masse für
das Gesims, welches fnlher gearbeitet wurde als die oberen Schichten
der übrigen Wand, ist der Bewurf an einigen Stellen zu tief aufgetragen
worden. — Oben auf dem Gesims sieht man deutlich Einschnitte
zur Aufnahme von Latten, welche die Decke tragen.
Aus dem unteren Theile der Wand sind nur wonige Bruchstücke
erhalten, aber allgemeinere Erwägungen werden uns auch hier die
Composition erkennen lassen. Selbstverständlich reichten die rothen
Wandfelder und die Pilaster nicht bis unmittelbar auf den Fussboden,
sondern es waren diese, wie es ein gesunder Sinn für Decoration for-
dert und sämmtlichc pompejanische Wände zeigen, auf einen hohen
Sockel gestellt. Nun ist für einige Bruchstücke mit rothen und schwarzen
Feldern, welche durch einen grünen IStreifen getrennt werden, in der
oberen Abtheilung der Wand schlechterdings kein Platz zu finden; sie
Die Aolgrabungen bei Bonn vor dem C51n«r Thor im Herbst 1876. 67
müssen dem unteren Theile derselben angehört haben, und hier finden
sie leicht ihre Einordnung. Die rothen Felder sind die untersten Theile
der rothen Wandfläehen, die schwarzen die obersten Theile des Sockels.
Denn dass der Sockel vrenigstens zum Theil schwarz gefärbt war, lehrt
sowohl das Stück k, wie die Stacke g, h, i. Diese haben unzweifelhaft
zam Sockel gehört: das Stück k, weil seine ilntere Hälfte unbemalt
ist, also an den Fussboden angestossen haben muss; die anderen, weil
sie mit einer grossen grünen Blattpflanze geziert sind, die nach
Massgabe der pompejanlschen Malerei ausschliesslich zum Schmuck
des Sockels verwendet worden ist. — Andererseits aber wird durch
das Fragment m gezeigt, welches ebenfalls an den Fussboden anstiesB,
dass der Sockel theil weise auch roth gefärbt war. Die Schwierigkeit,
in der wir uns zu befinden scheinen, löst das Stück l, welches nur
dabin erklärt werden kann, dass der Sockel schwarz gestrichen war
QQter den rothen Feldern, roth unter den schwarzen Pilastern, —
Dies ist die Composition der Wand in ihrer Ausdehnung von
oben nach unten. Für die Frage nach dem Schmuck der Wände in
ihrer Längenausdehnung wird es vortheilhaft sein, zunächst die noch
nicht erwähnten Bruchstücke einzeln zu betrachten.
Ausser dem beschriebenen Pilastcr sind noch Fragmente von drei
anderen Pilastern aufgefunden worden; von diesen haben zwei dieselbe
Breite wie der schon beschrieliene, der dritte überragt dieselben um
zehn Centimeter. Alle weichen in Einzelheiten von einander ab, aber
gleichen sich insofern, als auf allen ein stilisirter Candelaber mit grossen
Schirmdächern dargestellt ist.
Von den schmäleren Pilastern bietet das grössere Interesse der-
jenige, von welchem auf Taf. V 'unter n. 2 vier unzusammenhäogende
Theile abgebildet sind. Hier werden die Schirmdächer, auf welchen
tbeils Fültliönier theils Urnen stehen, von langgeatreckten stilisirten
Figuren auf dem Kopf getragen. Die Figur b c ist unzweifelhaft männ-
lich, ein Chiton hängt über ihrer linken Schulter. Die Figur d
ist vollkommen nackt und auf dem Kopfe mit einer rothen Mütze be-
kleidet. Auf dem Fragment a ist, wie ich glaube, der Kopf einer
Schlange zu erkennen.
Einfacher ist, soweit die arge Verstümmelung einen Schluss erlaubt,
die Malerei des anderen schmalen Pfeilers (Taf. V u. VI, 3). Zwischen
je zwei Schirmdächern grosse Rankenornamente, an den Enden der
Schirmdächer herabhängende Schleifen. An dem Stamm des Cande-
labers ist mit einem Bande ein grüner, gelb eingefasster Gegenstand
68 Die Ausgrabungen bei Bonn vor dem Cölner Thor ini Ilerbat 1876.
angehußden, welcher leider zu stark fragmentirt ist^ als dass man seine
Bedeutung erkennen könnte.
Am reichsten ausgestattet ist der breiteste Pfeiler (Taf. V u. VI, 4).
Auf eckigen Postamenten, welche auf das Schirmdach aufgesetzt sind,
stehen rechts und links vom Candelaberschaft je ein Amor — von dem
rechten sind nur die Beine bis zum Knie erhalten — und giessen aus
Urnen Wasser herab. Unter den Schirmdächern sieht man jugeudliche
Köpfchen mit grünen Mützen. Da diese Köpfchen nicht, wie es auf
den ersten Blick scheinen könnte, an den herabhängenden Biändern be-
festigt -eind, 80 müssen sie zu freistehenden Figuren gehurt haben.
Die drei Fragmente, welche als Nummer 5 der genannten Tafeln
abgebildet sind, rühren von der Einfassung einer Thiir her. Dies zeigt
das abgestumpfte Profil.
Wir wenden uns nun zur Beti'achtung der mit Kämpfen von
Amazonen und Griechen geschmückten Friese. Die Amazonen sind an
der rothen Mithra, an den Doppeläxten und den ovalen, oben ausge-
schnittenen Schilden kenntlich und meist mit einem grünen oder grau-
grünen Chiton bekleidet. Die Griechen sind in voller Rüstung. Sic
tragen stiiblerne Helme mit grossen Federbüschen, stählerne Brust-
' hämische, unter welchen der Chiton herabhängt und stählerne Bein-
schieneUj an den Füssen Saodalen. Das Schwert hängt bald an der
rechten, bald an der linken Seite. In der Rechten führen sie Lanzen,
am linken Arm länglich runde Schilde. Die Griechen kämpfen nur
ZU Fuss, die Amazonen zu Fuss und zu Pferde. Die Pferde sind über
der Stirn mit einem Hurn geschmückt. Das Hörn ist deutlich zu er-
kennen und es bleibt der Gedanke ausgeschlossen, es sei etwa nach
der in der Campanischen Malerei gebräuchlichen Manier die Mähne auf
der Stirn in ein Büschel zusammengenommen. Freilich weiss ich für
das Hörn als Stirnschnmck aus den antiken Monumenten kein Bei-
spiel anzuführen, dagegen sah ich denselbe vor Kurzem in Rom am
Pferde eines Campagnolen.
Von dem Amazonenkampfe sind uns vier unzusammenhängende
Bruchstücke erhalten.
Taf. Ol u.IV zeigt uns zwei Einzelkämpfe zwischen je einem Griechen
und einer reitenden Amazone. Links erwartet ein Grieche in fester
Stellung eine mit geschwungener Doppelaxt auf ihn zustürmende nackte
Amazone. Rechts wird eine Amazone von einem (»riechen verfolgt. Die
Amazone wendet sich fliehend nach dem Verfolger um, um sich zu ver-
thetdigen.
Die Änsgrabungen bei Bonn vor dem Cölner Thor im Herbst 1876. 69
Eine Gruppe von drei Figuren enthält das Stück P auf Taf. V,
welches in den Farben am besten erhalten ist. Ganz links eine Ama-
zone zu Fuss, deren Chiton auf der Schulter gelöst ist und die linke
Seite frei lässt. Die Doppclaxt in der Rechten schwingend eilt sie
ihrem Gegner entgegen. Nach ihrer Gefährtin zurückblickend reitet
eine andere Amazone nach rechts gegen einen Griechen, der mit ein*
gestemmter Lanze ihren Anprall erwartet.
Die Stücke 1* und 1" sind stark fragmentirt. !• enthält einen
Zweikampf zwischen einer Amazone zu Fuss und einem Griechen, 1° eine
nach links reitende Amazone.
Dies sind die Stücke, welche uns für die ßeconstruction der
Längenaosdehnung zur Vei^ügung stehen. Leider hat man auf die
Fundorte derselben nicht genügend geachtet und dadurch der Recon-
struction die sichersten Anhaltspunkte entzogen. Nur wird mit Be-
stimmtheit versichert, dass die auf Taf. III und IV abgebildeten Pi-
lasterfragmente a, b, c, d einige Meter entfernt von den andern mit
Pantfaern und Vögeln gezierten Pilastcrstücken gelegen hätten; so wird
es wahrscheinlich, dass diese Stücke nicht alle zu einem Pfeiler gehurt,
sondern dass zwei gleiche Pfeiler vorhanden waren. Ferner hat zweifellos
der Amazonenfries die Mitte der Wand eingenommen, dagegen ist der
Bankenfries in die £cke der Wand verlaufen. Demnach ist der auf Taf. III
und IV abgebildete Pfeiler ziemlich an das FiUde der Wand zu setzen und
ein ihm entsprechender Pfeiler mit anschliessendem Rankenfries für das
andere Ende der Wand anzunehmen. Da nun die Länge des Ranken-
frieses etwa 0,45 M., die Breite des Pilasters 0,30 M. beträgt und anderer-
seits die ganze Wand wahrscheinlich eine Länge von 6 Meter hatte, so
liegt zwischen den Pilastern eine freie Wandfiäche von 4,50 M. Diese
grosse Fläche fordert noch eine weitere Gliederung, aber sie giebt Raum
nicht für zwei, sondern nur für einen Pilaster. Für diesen Pilaster, welcher
die Mitte der ganzen Wand einnehme, würde sich der breite, reich
ausgestattete Pilaster auf Taf. V, 4 besonders eignen. Wir erhielten als-
dann eine Breite von 2,05 M. für die zwischen den Pilastern liegenden Felder.
Trifft diese Anordnung das Richtige, so bildeten die Pilaster auf
Taf. V n. 2 und 3 den Schmuck der anderen Wände. Aber wie ich
die^ nur als Vermuthung hinstelle, so bemerke ich auch, dass die
auf der Taf. III angenommene Höhe der Wand durchaus auf keinem
Beweise beruht: denn wir können nicht ermitteln, wie hoch der Sockel,
wie hoch die Pilaster waren.
Noch ist die Frage zu beantworten, ob die rothen Flächen unserer
M Die Ajflgrakiacsa ieL Bobl «qc isB. Cäinar Gor 3il Hbö« L?3IL
Waad mit GenäldoL & freaeo s^,en weil Di^ i«s aoeb is
Germanien daa Verf^Itrei Genäliie aof £e Wud xz maLea ibEck «w,
basen äch axhere Beveiae aikfibreo.
Zanädisc die sedete HjQe des Aasoosc £«ui äese ist die
p<>eciacbe Aiciaiining eäes fiznrairadifli Waalaenüläes. «ek&es Aswa
im Treiimom exnea Trierer Hxoäes ^eaäen hat. D«ägefise 5ttlhe Amor
dar, vie er ron den Heroinen, wekae a. Lebzecen iKrch Lesern G«tt
geUUea, um in der üotervdt aas Badie an eine Mrrtke feagämi-
den wird.
Ferner Bmchstficke toq zwei Gemilden. Das eiae ist die tob
Bone ') im Torigen Hdte dieser Jahrtücha' pabbcirte I^usceilung etnor
weiblichen Figur, welche nenenüngs Eigenthom des ProfiuialmBäewms
zu Trier gewordea iit. Erhalten öt der Koi^ der en £ue ge^Qt
l) VAer die Aoffindong dieses Bfldriifiw od dca in— 1 1 ii ZwUad
deaaelben buh ick den Aogmlxn Bone'« ein^ea lüz^zoföfen. Dm IMiirhrn iat
TOT etw» zwanzig Jahren ron einem noch jetzt in Trier lebenden Herra. »ekhei
daanla allerlisnd Alterthöaier Hunmelte, in Trier Ton einem Etiler Baoem an-
gekauft worden. Wober der Bauer dasKlbe erbahea. wnaate mir jener Herr
iriefat aazogeben nnd die Äuaage Bone'i, der Baoer bsbe ericiärt. es ilannnft
aas FliesseaSr mnis demnach fnr einen Irrthnm gdten. Dagegen macht der
Umstand, dasi ein einfacher Baoer das Klddien verkaoft hat und nodi
dazu für einen Spottpreis, es onzweifdhaft, dass dasselbe einheimischen Fand-
ortes ist und nicht etwa aas Italien stammt. Herr Domcapitolar T.Wilmowskj
hatte die grosse Freundlichkeit mir mitzutheilen, daas nach seinem Dafürhalten
das Stück in Trier beim Baa des Redemptoristen-Klosters gefunden sei: wenig-
stens seien um jene Zeit, als das Bildchen aoflaachte, ebenda riele Freseobruch-
■tücke Tvon einem derselben : einen Olivenzweig mit grünen Blättern und weissen
Früchten auf schwarzem Gründe, besitzt Herr T.Wilmowskj eine Abbildung) ge-
funden worden, deren Technik mit diesem genau übereinstimmte. Ehemals war
das Bildchen ein vielzackiges Bruchstück; seine jetzige Medailionfonn erhielt es
erst durch Herrn Maler Steffgens hierselbst. Um die ovale Form zu gewinnen
hat derselbe den linken Ellenbogen mit einem Thcil des Unterarmes abgesehlagen
und den gröastcn Tbcil der Brust und einen Theil des schwarzen Grundes er-
gänzt. Die Linie, welche das Moderne vom Antiken trennt, bewegt sich vom
untersten Theile des linken Armes nach der rechten Schulter und zieht sich
alsdann in einiger Entfernung vom Kopfe nach dem Scheitel hin. Der Unterschied
des Antiken und Modernen ist an Farbe und Technik ein so stark in die Augen
fallender, dass er selbst im Lichtdruck deutlich erkennbar ist. Ueber den ehe-
maligen Zustand des Bruchstückes konnte ich mich aus einer farbigen Copie,
welche Herr v. Wilmowsky noch vor der Restauration angefertigt hat, genau
ttoterrichten.
Die Auxgrabimgeu boi Bonn vor dem Cölner Thor im Herbst 1876, 71
ist und ein Theil der Brust. Der Kopf ist mit einem Kranze geschmückt.
Das Haar ist hinter den Ohren in je zwei FJechtcn zusammen gc-
uonimen, welche mit einem weissen Bande durchwunden sind und an
, beiden Seiten des Halses herabhängen. Der Körper ist mit einem röth-
lichen Chiton bekleidet, dessen Falten dunkelroth gemalt sind. In der
erhobenen J..inkcn hält das Mädchen einen Korb. Das Bildchen int
mit einer sicheren gewandten Hand gemalt und steht den besseren
Malereien Pompeis nicht nach.
Zweitens sind hier ntehrere Fragmente einer Landschaft ^u
erwähnen, welche neuerdings dem hiesigen Museum von Herrn Dom-
capitular von Wilmowsky als Geschenk übergeben worden sind.
Dieselben sind im Schutte der Basilica gefunden und haben wahrschein-
lich zugleich mit einer Menge Bruchstücke einer vielfarbigen, reich
decorirten Wand und eines Sockelstückes, auf welchem eine Wasser-
pflanze und ein Delphin gcmult sind, ehemals die Wände der Basilica
geschmückt*). Da die Bruchlinien der einzelnen Stücke dieses Land-
schaftsbjldes nicht aneinander passen, so vermochte ich nur mit Rück-
sicht auf die dargestellten Gegenstände und die Farbenabtönungen eine
Zusammensetzung zu vei'suchen. In der rechten oberen Ecke ein
kleines Haus mit einem Giebeldach, vor diesem, etwa die Mitte des
Bildes einnehmend, eine Wiese, auf welcher eine Ziegenheerde unter
der Obhut zweier Hirten weidet. Von hier ab senkt sich das Terrain:
In der unteren linken Ecke ein See, welcher von Felsen umgeben ist;
im See steht eine Kuh.
Diese Beispiele zeigen, dass es auch in Deutschland Maler ge-
I geben hat, welche im Stande waren, nicht nur ornamental gehaltene
Figuren, sondern aucK Gemälde a ire.sco auszuführen. Demnach liegt
e^ nahe zu glauben, dass auch bei der booner Wand, deren Friese und
Pilaster reich ausgestattet sind, die Felder mit Bildern geschmückt
waren. Trotzdem halte ich dies für unwahrscheinlich. Wäre es doch
eio sonderbarer Zufall, wenn uns auch nicht das kleinste Bruchstück
eines Bildes erhalten wäre^ während aus allen übrigen Theilen der
Wand Stücke auf uns gekommen sind. Auch möchte ich die Vernm-
thung wagen, dass gerade damals als diese Waaddecorationen ange-
fertigt wurden, in Bonn kein Maler zur Hand war, welcher der Aus-
führung von eigentlichen Gemälden gewachsen war. Sonst hätte man
1) Oie«elb«Q befinden liob im Provinzialmuseuin zu Trier. Vgi. Wilmowsky:
Die römiacbe Villa zu Ncuaig 18(18. S. HO ü.
72 Die Aosgrabungea bei Bonn vor dem Cölner Thor im Herbei 1876.
diesem wohl auch die Amazonenfriese übertragen. Wenigstens war der-
jenige, welcher sie gemalt, offenbar dieser Aufgabe nicht würdig. Denn
diese Darstellungen sind bar jeder Ck)mposition, sie sind steif und ohne
Leben. Vergleichen wir sie auch nur mit der der Technick nach nächst-
verwandten Amazonendarstellung, mit dem Amazonenfriese im Hause
des tragischen Dichters in Pompei (Hei big, Wandgemälde No. 1250),
so sehen wir dort eine reiche Mannigfaltigkeit in Stellungen und Grap-
pirungen, ein wirkliches Toben des Kampfes, hier nur ein Gegenflber-
stvhen der streitenden Parteien. Diese Steifheit, die ihren Grund hat in dem
Unvermögen unseres Decorationsmalers, einen Körper in starker Be-
wegung darzustellen, zeigt sich am deutlichsten an der einzigen Ama-
zone, welcher eine etwas kühnere Bewegung gegeben ist, an der sich
Umwendenden auf Taf. lU und IV. Der Körper dieser Figur ist voll-
kommen verkrüppelt und den Schild trägt sie am rechten Arm, die
Lanze in der Linken.
Dagegen muss im Hinblick auf die Ornamente die Gewand-
heit der Decorateurs, mit wenig Alitteln einen vollen Eindruck zu er-
reichen und die Sauberkeit der Ausführung anerkannt werden.
Der Auftrag der Farben auf den Wandbewurf ist ganz der
in Pompei gebräuchliche und darum unzweifelhaft a fresco ausge-
führt.
l>cr Bewurf besteht in der obersten 0,002 M. hohen Schicht,
auf woleher die Farbe aufgetragen ist, aus feinstem Kalkmörtel und
Kalkspatkürnchen, darauf folgt eine 0,0')7 M. breite Schicht weissen
Sandmörtols und zwei Schichten gröberen Mörtels, eine jede von einer
Breite von 0.02 M. Der Bewurf entspricht demnach, wie alle rheinischen
FrtwoarlHMton, an Güte nicht den Forderungen des Vitruv und Plinius
(Donner bei llelbig S. XXXIW zeichnet sich aber immerhin unter den
mir Wkanuton einheimischen Froscobruchstttcken aus. Vielleicht ge-
lingt OS später, wenn eine reichhaltigere Sammlung des Materials vor-
liegt, gwtittzt auf die Twhnik dos Bewurfes die Zeit der Entstehung
dieser Wand annähernd zu bestimmen.
Die (.\MuiH>sitiou der lK>nner Wand untenjcheidet sich in einem
Punkte wossoutlich vv>n sämmtllchen iH>mi>ojania*hen Wänden. Unsere
Wand ist i:weitlioilig. sie zerfällt in einen Sockel und eine breite Wand-
tläche. welche mit einem Friese abschliesst. Dagegen sind die pom-
|>ejauische« Wanvie dnnt heilig, sie bestehen aus einem Sockel, einer
Mittelwaud uu\l einer dem Sivkel an Hohe etwa gleichen Oberwand.
Die iH>erwaud ist in heller Farbe gehalten und durch ein- gemaltes
Die Antgrabungen bei Bonn vor dem Cölner Thor im Herbut 1876. 73
oder in Stuck ansgefdhrtes' Gesims von der Mittclwand abgetrennt.
Dass die bonner Wand auf keinen Fall in dieser Weise coinponirt war,
hoffe ich durch das oben über das Gesims Bemerkte bewiesen zu haben.
Leider lässt sich nicht beurtheilen, ob hierin ein allgemeiner Unter-
schied italienischer und germanischer Wandmalerei liegt. Denn bei
den beiden einzigen rheinischen Wänden, deren Composition wir ausser-
dem wenigstens im Allgemeinen kennen, lässt sich gerade über den
oberen Theil nichts aussagen.
Trotzdem werde ich im Folgenden diese Wände kurz beschreiben,
da sie einige Aehnlichkeit mit unserer Decoration haben.
Die eine dieser Wände, von der auch nicht ein Bruchstück mehr
erhalten ist, ist von Wilmowsky in den Jahresberichten der Gesellschaft
für nützliche Forschungen in Trier, für 1865—1868 S. 56, besprochen
voideu. Sie befand sich an den Mauern eines an der Südallee in
Trier gelegenen Gebäudes. Die Grundfläche auch dieser Wand war
roth und durch schwarze ebenfalls 0,30 M. breite Pilaster in einzelne
Felder getheilt. Unter den Feldern und Pilastern befand sich ein ge-
malter Sims, welcher die obere Wand vom Sockel abhob. Dieser Sims
bestand aus einer vorstehenden Platte und aus einem darunter lie-
genden Wulst. Die Platte war wie Giallo antico, der Wulst wie grün-
lich weisser Marmor behandelt. Der Sockel war zweitheilig. Unmittelbar
am Boden lief ein 0,25 M. hohes rothlich braunes. Band ; der darüber
liegende Theil des Sockels war von schwarzer Farbe, nur unter den
schwarzen Pilastern befanden sich 0,42 M. breite rothe Felder. Also wie
bei der bonner Wand ist auch hier unter das Roth der oberen Wand
im Sockel Schwarz, unter das Schwarz der oberen Wand im Sockel Roth
gestellt. Die schwarzen Felder des Sockels waren mit grünen aloeartigen
Pflanzen und grossen Wasservögeln, die rothen Felder mit gelben Vasen
verziert*).
In unmittelbarer Nähe von dem Fundort dieser Wand wurden
im August vorigen Jahres bei der vom hiesigen Provinzialmuseum vor-
genommenen Freilegung eines grossen römischen Gebäudes in St. Barbara
eine Anzahl von Wandbewurfsstücken aufgefunden, deren Zusammen-
setzung ergab, dass die Hauptfläche der Wand wiederum roth gemalt
und durch schwarze Pilaster in Felder getrennt war. Auf den Pilastern
1) Aach in Mainz ist neuerdings im römischen Castrum ein schwarz ge-
malter Sockel mit Pflanzen und Vögeln aufgefunden worden, welcher im Museum
daselbat aunMWahrt wird.
74 Di» AiagcabwiKan bä Bonn rar dem Cöfaisr Tbor im Heitei 1876.
befindet sich ein Aufbau, welcher dem toi den Pflastom der bonner
Wand sehr gleicht Aach hier die Schirmdacher und von den Schirm-
didieni heraUängende Bändw . Aber der Stamm ist nach Art einer
Pflanxe stilisirt und in grüner Farbe mit granbraonoi Schattenlinien
gcmak.
Xkht ohne Grand habe ich bei der Besprechong der bonner
Wand, so weit es möglidi war, auch andor«' einheimischer Frescomale-
reien Erwähnung gethan. Es galt der vielfach veitreiteten Meinoiig
eatgegen n treten, als ob die Rheinlande Ton dieser Kunstgattung des
AJierthnms nichts anfraweisen hätten. Xatürlich können wir in unseren
GcgeniioL, wo ron den meisten römischen Getüaden nur noch die
Fuftiamaite erhalten sind und die beser conservirten Bauten die
langen Umwandlangen des Mittelalters und dar Xeozeit lu erdulden
gehabt, nicht erwarten, die Wände in guter Erhakuig auünfinden,
wir müssen uns mit Bruchstackea begnflgen. Aber wom man der Zn-
sammensetiung derselben, womC^lich gleich ho. der Auffindung, die ge-
hörige Sorgfalt widmet, werden wir in nicht allzu langer Zeit hoffent-
lich in den Stand gesetzt sein, den Verlauf der Decorationsmalerei auch
in den Rheinlanden zu überblickea.
Trier im Januar ISTS. Felix Hcttner.
7. Ehi NachMId d«r ViMi vm Kto.
Ui«ntt T«M II.
Voll freudiger Erw^inung nahm ich den Marmor zur Hand, der
auf Tafel II nach einer Vhou^tnraphie lithograph£«h wi<dergegeb«i ist;
ennäiLscht habe ich ihn <ur Seite ^k^t.
Das Monument ist im Jahr« IS74 bei Tieierlegung der Boden-
&khe der Porta a:$r» auf dem alten IMaster von Trier zum Vorschein
sekocuuen. Herrn Kcg.-l^urath Setffarth, vier uns dasselbe freund-
Lchät zum Studium Ubermittt^U hat« erstatten «ir hiermit unseren Dank.
E^r Marmor :$t i>ahÄ'h. S^iue Höhe beträft OjIS; unsere Ab-
bildung g-.bi -.ho also iu halber Ori)«>$e. Auf seiner Vorderdiche sieht
man ihn mit einem br^jiuaen l'ebersu^ N>d«\'kt> hier «iUcker dort dünner,
der sich fest mit dem Marmor verbunden hat 1^ ist esenechüssiger
Ein Nachbild üer YeDus voa Milo.
7ß
Thon, in den zahlreiche Quarzkörner eingebettet sind'). Das Bild wird
also bei seinem Sturze mit der Vorderseite auf eine so beschaflene
Erdschicht zu liegen gekommen sein und duich lauge Lagerung darin
den Ueberzug erhalten haben.
Dargestellt ist in leidlicher Arbeit eine Frauengestalt, an der fol-
gende Theile verloren gegangen sind: Kopf mit Hals; der linke Vor-
derarm mit dem grössten Theile des angrenzenden Oberarms; 'der
rechte Vorderarm; die untere Hälfte der ünterbeine mit der Basis.
Thorax und Leib der Figur sind bis zu den Hüften hinab nackt;
von dort abwärts aber ist der Körper in ein Gewand (llimation) ge-
hüllt. Dasselbe ist ausgehend gedacht von der linken Flanke, sodann
nm die rechte Hüfte und den Rücken gezogen, so dass es Ober der
linken Hüfte wieder zum Vorschein kommt, worauf das Ende über das
linke Bein nach innen geschlagen ist und ruhig abfällt. An der rechten
Seite, wo das Gewand keinen gleich festen Halt hat wie links, sehen
wir es etwas abgeglitten und einen schwachen Wulst mit mehreren Pa-
rallelfalten bilden. Daher erscheint die Figur hier um ein geringes
tiefer hinab entblösst als links, wo dasHimation fast bis zur Höhe des
Nabels hinaufreicht.
Das Gewicht des Körpers ruht auf dem rechten Beine. Das linke
ist im Knie gebogen und vorgesetzt, zugleich so viel gehoben, dass wir
schliessen müssen, es habe bloss mit der vorderen* Fläche des Fusses
den Boden berührt oder sei auf irgend einer Erhöhung der Basis, kurz
nicht auf gleichem Boden mit dem rechten Beine aufgetreten.
Der Unterkörper ist dem Beschauer so ziemlich in seiner vollen
Breite zugekehrt. Dagegen vollführt der Oberkörper eine Wendung nach
links, folgend den Armen, die sich gleichfalls nach dieser Seite bewegen.
Der linke Arm war nämlich gehoben und ging, wie sich aus dem er-
haltenen Stumpf noch erkennen lässt, zunächst ungefähr in gleicher Höhe
mit der Schulter seitwärts. An dieser Bewegung nehmen nicht allein
der gesammtc Thorax Theil, sondern, wie schon erwähnt, auch der
rechte Arm, dessen erhaltenes Stück an den Busen angedrückt liegt
and zwischen Brustkorb und Becken sich weiter quer nach der Seite
bewegt haben muss. Auch das Haupt folgte dieser Gesammtrichtung
des oberen Theils der Statuette, wie wir aus der Form des Bruches
noch ersehen können, und zwar in solchem Grade, dass es dem Profil
1) Nach Prof. F. Saadborger'B Angabe.
76
Ein Nachbild der Veous von Milo.
nahe gekommen sein muss, was sich im Verlaufe unserer Betrachtung
auch noch anderweitig ergeben wird.
Unsere Figur eiitsprkht also, wie in die Augen fallt, in allen
wesentlichen Motiven einer vielgenannten und wohl bekannten Statue,
der Venus von Milo. Dieses berühmte Bildwerk zeigt die gleiche
Körperanlagc d. h. die unteren Partien mehr gegen den Beschauer ge-
richtet, die oberen nach der linken Seite, zugleich mit dereelben Be-
wegung beider Arme, von denen der linke sicherlich zunächst in Schul-
terhöhe seitwärts führte, der rechte zwischen Thorax und Becken quer
den Körper durchschnitt. Dazu gesellt sich das gleiche Verhältniss
von Nacktem und Draperie, ja selbst die gleiche Anordnung dieser
letzteren, zuletzt jene charakteristische Stellung des linken Beins, die
an beiden Werken sich wiederholt.
Da also alles Wesentliche, was bei Komposition eines Jßildwerkes
in Betracht kommt, dem Trierer Marmor mit dem von Melos gemeinsam
ist, so müssen wir annehmen, unser eben publicirtes Bildwerk sei nicht
unabhängig von jenem entstanden, sondern gehöre in die schon be-
trächtliche Reihe von besseren und geringeren Nachbildungen jenes fm
Altcrthumc wie in der Neuzeit hoch angesehenen Originals.
Keine der zahlreichen Wiederholuiiigen stimmt bekannthch in allen
Kinzeihdten mit der Statue im Louvre überein. Hier ist dieses, dort
jenes Motiv voränd^i't, hier dieser, dort jener Charakter in das Nackte
oder in die Gewandung gebracht. Wir brauchen die Pariser Statue
nicht als das Original zu betrachten, als künstlerische Leistung steht
»ie jedenfalls so hoch über den übrigen Wiederholungen, dass wir filr
jetzt wenigstens die Motive und den Kunstcharakter des Originals am
richtigsten und treffendsten in ihr ausgeprägt anerkennen müssen.
Mit ihr nun darf das Trierer Werk als Kunstwerk kaum in Vergleich
gesetzt werden. Niemand entgeht, wie wenig exakt die einzelnen Partien
gezeichnet sind, wie der Künster weder ein tieferes Verständniss des
Nackten noch der Gewandung bcsass, wie wenig er um genaue Verhält-
Di88e bekümmert war. Die ganze Arbeit, eher eines besseren Stein-
metzen al» eines eigentlichen Künstlers würdig, ist eben nur auf eine
gewiflwGesammtwirkung berechnet, will einen im aHgcmcinen rich-
tigen und naturentsprccheudeu Eindruck machen, nicht mehr. Dies ist
auch erreicht; für kritische Augen aber ist das Werk nicht geschaffen.
Wenn wir dennoch kurz die Verschiedenheiten anmerken, welch«
der Marmor gegenüber der als Original betrachteten Statue aufweist,
«0 gescliiebt c», um Anhaltspunkte zu erlangen dafür, ob wir ihn uns
Bhi Ntohbitd der Venu« von Milo.
77
ZU ergänzen haben im Sinne des Originals, oder ob gewisse Aenderungen
auch eine veränderte Bedeutung und Handlung mit sich geführt haben.
Im ersten Falle aber würde das Trierer Bildwerk trotz seines un-
tergeordneten Kunstwcrthes ungemeinen Werth erhalten, insofern ein
nicht zum Körper gehöriger grösserer Marmorrest, der am linken Ober-
Arm anliegt, vorausgesetzt dass seine Erklärung glückte, endlich Auf-
scbluss geben würde über die noch immer in Dunkel gehüllte Hand-
lung des Originals selbst. Dieser Gesichtspunkt war es, der mich beim
Anblick des Trierer Marmors in freudige Erwartung versetzt hat.
Einigermassen variirt ist sowohl die Haltung des Oberkörpers als
die Stellung der Beine. Die Aphrodite von Melos nämlich hat zwar
ebenfalls mit ihrem Rumpfe eine Wendung nach links eingeschlagen,
doch ist dieselbe weniger bedeutend als in der vorliegenden Imitation.
Der rechte Arm der Melischen Statue berührt den Busen, doch sanft sich
anlegend, ohne ihn wie hier zusammenzupressen. Auch ihr Kopf bleibt
zwar nicht unberührt von der Uauptwendung, allein der Beschauer, wel-
cher sich gerade vor dem Bildwerke aufgestellt hat, umfasst mit seinem
Bücke immerhin einen beträfbtiichüu Tlieil der linken Gesichtshälfte.
Anders unsere Replik, wo wir den sichern Beweis liefern können, dass
der Kopf weit mehr dem Profil sich näherte.
Auf dem rechten Schulterblatt der Trierer Figur sind nämlich
zwei Pflöckeben (puntelli) mit Bruchliäche zu gewahren, die in einer
Flucht von oben nach unten liegen. Sie sind durch einen geringen
Zwischenraum von einander getrennt; das obere ist geräumiger —
man erkennt es auch in unserer Abbildung auf der Hölie der
rechten Schulter — , das untere geringer. Ohne Zweifel gehören sie
zusammen, d. h. rühren von einer und derselben Sache her, die
hier auflag. An dem kleineren puntello sass das Ende dieser Sache
auf, an dem grösseren ein bedeutenderes Mittelstück; die kurze
LDtexbrechung aber zwischen ihnen zeigt eine Entfernung der Sache
au von dem Körper hinweg, so dass der Meissel unter ihr hingeführt
werden konnte. Nach der Richtung zu schliessen ums.ste der Gegen-
stand, von dem diese puntelli Ueberreste sind, von dem Haupte herab-
hängen oder sich herabziehen, wobei für die Betrachtung von vorne nur
derTheil zwischen Haupt und Schulter sielitbar hWch. Fassen wir dazu
die erwähnte Unterbrechung ins Auge, so ergibt sich nichts wahr-
scheinlicher, als dass vom Kopfe ein langer Haarschopf niederwallte,
von dem eine Welle an der oberen breiteren Bruchflächc ansass, eine
andere und zwar die letzte an der unteren. Auch die Statue vuu Melos
TB
3ia Nachbild der Venus ron Milo.
trägt einen in Wellen abfliessenden Schopf, jedoch reicht er weniger
tief hinab. Da nun die Bruchflächen dieses Schopfes an der Trierer
St^ntuette sehr weit aussen auf dem Schulterblatte sitzen und mit der
Richtung derselben jedenfalls die Mitte des Hinterkopfes bezeichnet ist,
so nms3 das Haupt der Figur nothwendig stark ins Profil gerückt ge-
wesen sein , stärker als an der als Original angesehenen Statue
und vielleicht selbst an der aus Capua stammenden Replik*).
Mit ihrer Wendung nach links verbindet die Statue von Mclos eine
Hebung der linken und eine Senkung der rechten Rurapfseite oder eine
schiefe Haltung des Rumpfes, die nothwendige Folge ihrer Annbewe-
gong, so lange vorausgesetzt wird, dass der linke Arm ziemlich hoch ge-
griffen hat. In dem daraus entstehenden rhythmischen Gegensatre der
Rumpfpartie zu den Bauchtheilen beruht ein Hauptverdienst des erfin-
denden Künstlers. Diese Schönheit fehlt, wie sich wohl denken lässt,
in dem Trierer Marmor gänzlich; Ist sie ja selbst in den meisten libri-
gen Wiederholungen grösseren Formats und künstlerischeren Werthea
kaum angedeutet und sogar in der Replik von Gapua nicht kräftig genug
betont. Hier aber sind die Schultern nicht einmal richtig gezeichnet, ge-
schweige denn rhythmische Antithesen zur Schau gestellt.
Auch der Unterkörper zeigt innerhalb der schematischen Uebcr-
einstimmung namhafte Verseil iedenheiten, besonders das linlie Bein.
An der Melischea Statue biegt sich der gehobene Oberschenkel sanft
nach innen, um vom Knie ab schräg nach aussen zu gehen. Welch*
eine Festigkeit, welch' eine gesicherte Ruhe verleiht dies der B'igur,
die damit ein treffliches Gegengewicht gegen die dramatische Wendung
zur Seite und die Schiefstellung des Thorax erhält I Diesen wirksamen
Koutraat von Ober- und Unterschenkel kennt das Trierer Bildwerk nicht
der Unterschenkel scheint sogar, wie wir nach der Wade schliessen
müssen, vom Knie leicht einwärts sich erstreckt zu haben. Das linke
Bein muss also näher dem rechten auf dem Boden geruht haben als
in der Pariser Statue, und es leuchtet ein, dass dieser Mangel an ver-
ständiger Anordnung eine gewisse Unsicherheit, Unruhe in der Stellung
der Figur zur Folge hate. Denselben Fehler sehen wir übrigens auch
an bedeutenderen Repliken wiederkehren, wenn auch weniger derb und
verletzend, so z. B. an der Replik Torlonia (s. Valentin, Die hohe
1) DmsB der Haarschopr im VerhlUiiisa «ur Fijur etwas lang erscheint,
darf uDs bei der geringen AufmerksaTukeit, welche der Bildhauer für richtige
Yerh<nisRe bekundet, nicht Wunder nebinen.
Ein Nachbild der Venna von Milo.
79
Frau von Milo, Taf. IV, 10), an der Kopie aus Capua, die, wie sie das
ganze Werk überzuckert wiedergibt, so auch die Position schwächlicher
ttud weniger entschieden gehalten hat. Frische der Auffassung, Energie
der Kontare ist eben unter allen Repliken nur der Melischen eigen-
thümlich, die wenn sie nicht das Original ist, so doch zeitlich dem-
selben am nächsten stehen muss').
In der Draperie finden wir eigentlich nur den Grundgedanken
wiedergegeben. Schief sich hinziehende Falten folgen dem Wurfe des
Gewandes, und da das auf- und vorgesetzte Bein das eng um den
Körper geschlungene Hiraation nur noch mehr spannt, so ziehen sich
die Falten an den hohl liegenden Theilen straff und umschreiben, wo
unmittelbar darunter Körper liegt, denselben knapp. Wie jede Dra-
perie, so zeigt auch diese so einfache der Melischen Statue einige mehr
müssige, spielende Faltcnpartien, Partien nur zum künstlerischen Be-
hagen, nur zur ästhetischen Befriedigung an und in die noth wendigen
Draperiezüge eingelegt oder eingewebt. Jene sind selbstverständlich in
dem Trierer Bildwerk ausserordentlich verkürzt worden. Der Ueberfall des
einen Hinjationcndes über das liakc Bein ist äusserst schmal gehalten
und mit einer einzigen groben Faltenfurche bedacht. Mehrere plumpe
Parallelfalten gliedern den Himationabfall am rechten Schenkel, der an
der Melischen Statue so überaus originell in gross und scharf gehal-
tenen Brüchen angelegt ist, auf die primitivste Weise.
Alle diese Varianten berechtigen uns tlbrigens nicht, daraus ohne
weiteres auf eine andere Bedeutung und eine andere Handlung der Trierer
Figur zu schliessen, als für die Melische vorausgesetzt und vermuthet wird.
Alles Wesentliche des Vorbildes ist geboten, also müssen wir, so lange
Dicht das Gegentheil erwiesen ist, daran festhalten, das Abbild habe die
gleiche göttliche Person und zwar in der gleichen Handlung begriffen dar-
gestellt wie das Vorbild. Es überkommt mich ohnedies manchmal ein
Grauen, wenn ich sogar die Melische Statue und jene von Capua wegen
einiger kaum das Wesen der Erfindung, sondern nur den Charakter
des Kunstwerks berührender Differenzen so getrennt behandelt tinde,
Als ob sie nie das gleiche Original gehabt hätten, wenn ich für die
1} So bedeutend ist die Variante jedoch nicht, das« daü Unke Sein über
das rechte hinäbergegriffen und dnnn auf der Spitze des Fussea geruht hätte,
womit eine wesentliche Veränderung des OriginalBcbemaa constatirt und eine
fremde Position (vgl. Clarac Mua. d. ac. 296, 1670-1671. 295, 1018. »00, Ia59.
548, 1151 B. 600, 1518 o. ä.) an SteUe der unprünglicheQ gesetzt w&re. Dazu
•t«ht das linke Bein doch tu weit entfernt von dem Aussenkontur des rechten
80
Ein Nachbild der Veoas von Milo.
eine (die Capuaniscfae) eioe Restauration (mit dem Schilde) als höchst
wahrscbetnlich, für die andere aber als unmöglich bezeichnet lese; al3
ob eine Hebung oder Senkung des Kopfs, eine Wendung mehr nach
links oder rechts von einem kundigen Künstler nicht durch entsprechend
verschiedene Anordnung der Arme oder des gehaltenen Gegenstandes
hätte ausgeglichen werden können! Auch der Umstand, dass unser
Werk an der liukeji Schulter diciieste eines nicht zum Körper gehöri-
gen Gegenstandes zeigt, trennt es noch nicht von seinem Vorbilde.
Dort konnle ja dieser fragliche Gegenstand separat in Marmor gear-
beitet oder in Bronze hinzugefügt gewesen sein, wie diesz.B. bestimmt
für den Schild vorauszusetzen wäre.
Doch beschreiben wir nun jenes Fragment! An der inneren Seiten-
fläche des erhobenen linken Arms, der bis auf eine Länge von 0,ö frei-
lich verstümmelt erhallen ist, und dem linken Busen liegt ein aus
demselben Stück gearbeiteter fremder Körper an, dessen Oberfläche in
der Hauptsache Bruchfläche ist. Die ehemalige OberÖäche des frag-
lichen Gegenstandes habe» wir also nicht mehr vor uns, sie ist durch
einen Bruch verloren gegangen. Der Gegenstand folgt scharf anliegend
dem ümriss des nien?>chlichen Körpers und beschreibt gegen die Figur
hin eine Kurve. Nach der andern Seite lässt sich seine Form wegen zu
sta.rker Verstümmelung oben niclit mehr ermessen, wohl aber hat sie
sich unten, da wo der gehobene Arm mit derErusteincn Winkel bildet, wenn
auch nur auf eine kurze Strecke, so doch unversehrt erhalten. Wir unter-
scheiden einen schmalen Streif der Seitenfläche von glatter, unver-
sehrter Bearbeitung, wie sowohl durch das Vergrosser ung.sglas als
mit dem Finger zu constatiren ist. Weiter nach oben, schon am Arme,
zeigt sich diese Seitenfläche umgebogen, so dass sie sich mehr nach
der Seite entwickelt und zwischen ihr und der dem Beschauer ent-
gegengekehrten oberen Bruchflüche deutlich ein trenneuder Grat oder
scharfer Rücken sich bildet. Dieser charakteristische Gang des fra^;-
lichen Gegenstandes in Verbindung mit der Kurvenbewegung seines
inneren Umrisses gibt uns völlige öicherhcit zu entscheiden, was
dargestellt war. Doch zuvor wollen wir an der Hand der bis jetzt
gewonnenen Anzeichen noch einige negative Entscheidungen treffen.
Unser Resultat wird dadurch nur um so zweifelloser dastehen.
Erst jetzt nämlich können wir behaupten, dass unsere Figur eine
andere Handlung vornehme als man ihrem Vorbilde zumuthet, oder
mit anderen Worten, dass keiner der für die Venus von Milo und
ihre Nachbilder gemachten Hcstaurationsvorschläge auf sie passt. Oder
Ein Nachbild der Yeuus von Milo.
81
Itann der beschriebene Rest Bestandthcil eines Schildes gewesen sein?
Das Weib musste den Schild mit der konvexen Seite sich zugekehrt
halten. Wie sollten da auch nur annähernd ähnliche Knrvaturen sich
ergeben, ja wie hätte überhaupt, da der Schild von der vorgestreckten
Linken am oberen Rande gefasst werden musste, derselbe bis zu dieser
Stelle sich erstrecken sollen ? — Oder kann eine zweite Figur neben dem
Weibe gestanden haben? Nach den Wiederholungen aus römischer
Zeit, in denen mit dem Weibe eine Marsgestalt verbunden ist, könnte
der Rest nur zur Schulter der männlichen Figur gehört haben, ent-
weder direkt oder indirekt. Allein die greifbaren Konture des Frag-
mentes lüugnen durchaus die Möglichkeit, dass dasselbe irgendwelcher
Partie eines menschlichen Körpers zugehört haben könne. Und es
läset sich auch nichts denken, was irgendwie zu dem männlichen Kör-
per hätte hinzugehören und annähernd gleiche Form haben können. —
Oder könnte ein Dritperiestück gemeint sein? Unmöglich; denn wie
sollte es so schmal und dick sich zusammenschieben, wie so eng an
Arm und Busen sich anlegen, wie Kurven beschreiben denen unseres
Fragmentes gleich?
Wir sind also auf neue Wege angewiesen, und diese zeigt uns
das Fragment erkennbar genug. Fragen wir zunächst noch: Lässt
sich der Stoff, die Materie bestimmen oder vermuthen, woraus der
Gegenstand? Derselbe liegt allenthalben so eng an den Körper ange-
schmiegt, dass er unmöglich von hartem, stÄrrem Stoffe, z. B, Holz,
Metall gewesen sein kann, selbst angenommen, was an und fttr sich
ganz unwahrscheinlich, dass der Gegenstand angedrückt worden sei. Der
Stoff muss veränderlich, oder für Druck empfänglich gewesen sein, wie
jene durch den Busen veranlasste Biegung unzweifelhaft dartbut.
Zugleich aber muss der Gegenstand eine gewisse Massigkeit besessen
haben. Sonst könnte er nämlich bei jener Umbiegung der Seitenfläche
sich nicht so hohl halten, wie er thut, sondern musste schärfer und
leichter umgebrochen sein ; ein Stück dicken Leders, nicht ein leichtes
Band könnte solche Biegungen beschreiben. Wir haben also einen
biegsamen und doch widerstandsfähigen Körper vor uns, von dem zwei
"Windungen zu sehen sind.
Unsere Wahrnehmungen sind damit noch nicht zu Ende. Auch
die ehemalige Beschaffenheit der dem Beschauer zugekehrten Ober-
fläche lässt sich genauer bestimmen. Das abgesprungene Stück war
nicht Oberall gleich tief. Gegen den Körper hin war es weniger er-
haben als nach aussen. Das ergibt sich durch eine Betrachtung der
6
Ein Naclibild der Venas von Milo.
Körperstellen, wo das Stück anliegt Oben sehen v?ir nämlich den Kontur
anheben in einer sanft gefichwungetien Linie; an der Mammelle aber
Diuss dasselbe der Fall gewesen sein, weil sie bis dicht an die Bruchfläche
hinan glatt und unbehindert gearbeitet ist. Führen wir im Geiste diesen
von innen ansteigenden Kontur sanft gebogen bis zu jenem Grat zwischen
den beiden Flächen und beachten wir, dass die Seitenflädie unten, so weit
sie erhalten ist, ebenfalls eine geschwnngene Begrenzung muthniassen
lässt, so erhalten wir einen wurstartigen Gegenstand, aber dennoch von
scharf sich begrenzenden Seitenflächen, der eng am Körper anliegend
zwei Windungen beschreibt und einmal *eine andere Fläche vorkehrt.
Das aber darf mit völliger Gewissheit für nichts anderes betrachtet
werden als den Rest einer Schlange. Bei ihr erklärt sich das An-
schmiegen an den Körper sofort von selbst. Vgl, die Schlangenwin-
dungen bei Clara c Mus. d. sc. 545, 1145. 547, 1152. 549, 1159. 552,
1172 C. 552,1172. 555,1176. 550,1174. 557,1185.
Die Schlange setzte sich ursprünglich noch weiter nach unten fort;
eine genaue Untersuchung der unteren Fläche des Fragments kann
keinen Zweifel darüber lassen. Jedoch muss dieselbe von dort ab sich
wieder nach aits.5en gewandt haben, da gleich unterhalb der Bruch-
fläche das Nackte des Körpers ungehindert zur Ausarbeitung kommen
konnte. Die Schlange wird sich demnach bis zu der Stelle, wo pie
die rechte Hand der Figur erreichte, fortgesetzt haben.
Sehr beengt war die Hand des Bildhauers in dem Winkel zwischen
der äusseren Fläche der Schlange und dem Arme, beengt bis zu dem Grade,
dass dieser Winkel nur in der rohestcn Weise ausgehöhlt worden ist. Ver-
ursacht konnte dies nur sein durch eine Stütze, an und auf welcher
der linke Arm aufgelegen sein muss. Unten am Arme gewahren wir
nämUch noch ein Stück Marmor, das kein Theil des Armes gewesen
sein kann, wie die Form sowohl als die Richtung besagt. Wir werden
aber auch kaum irregehen, wenn wir mit dieser Stütze einen grösseren
Marmoraussprung (0,4 hoch, 0,5 breit) an der Hinterseite des linkeu
Beins ungefähr in Km'ehöhe in Verbindung bringen. Der Aussprung
befindet sich in der Richtung jenes Ansatzes unter dem Arm, so dass
anzunehmen ist, dass eine hohe Stütze zur Linken des Körpers gewiss
mit der rechten Hand in Verbindung stand und wahrscheinlich auch
den erhobenen Vorderarm überragte. Wenigstens scheint darauf
die eigenthümliche Behandlung des Armes auf der Rückseite zu
deuten, so dass also auch der gegen die Schulter zurückgebeugte
linke Vorderarm an ihr geruht hätte. So erklärt es sich wohl, dass
Ein Naobbild der Venas von Milo.
88
mit der Stütze sowohl der aDlicgende rechte Arm, so weit er frei
gearbeitet war, als auch der grösste Theil der Schlange und des linken
Arriies wegbracb.
Für die Richtung des linken Vorderarms haben wir als Anhalts-
punkt nur die Schlange oder ihre Windungen. Dieselbe rauss von
der Hand gefasst gewesen sein, da sonst keine weitere Spur von dem
Tbiere mehr zu finden ist, und demnach wäre wie am natür*
iichsten so nm wahrscheinlichsten, dass der linke Vorderarm sich nach
oben gegen das Haui)t einwärts bog, wobei die Schlange sehr wohl an
der Stelle sich hinabwindea musste, wo wir das Fragment von ihr
vorfinden.
Die Situation oder Handlung der Trierer Figur ist nunmehr all-
seitig genug aufgeklärt und damit auch ihre Bedeutung. Dargestellt ist
Hygieia, die in der erhobenen Linken ihr heiliges Thier gefasst hält,
das sich ihr an der Brust hinabwindet, um aus der Schale getränkt
zu werden, welche die Rechte der Göttin entgegenbietet,
Ist aber dieaes Resultat etwa auch massgebend für die übriget»
Repliken dieses Typus oder gar für die Statue von Melos selbst? Wir
müssen diese Frage um so mehr kurz berühren, als an der ursiirüngiichen
Bedeutung des Originals noch immer gezweifelt oder gerüttelt werden
kann, als die Verwendung der Originalmotivc zur Schöiifung einer Nike
schon früher irregeleitet hat, um so mehr schliesslich als sich die Kom-
position auf den ersten Blick wohl /.ur Handlung der Hygieia zu
eignen scheint.
Genau betrachtet jedoch hält das Bildwerk nicht Stich. Man
sieht den Grund nicht ein, wesshalb Hygieia die Schlange mit dem
Arme erbebt, wenn sie dieselbe unten aus der Schale tränken will.
Ebenso wenig lag irgend eine Veranlassung vor, die Figur zur Vornahme
dieses Akts nach der Seite sich drehen zu lassen. Was soll der mensch-
liche Körper der leicht hierhin, leicht dorthin sich windenden Schlange
zu Liebe eine so bedeutende Wendung vollführen? Diese Gesichtspunkte
allein schon haben Bedeutung genug zu erhärten, dass die Statue nicht
für die dargestellte Handlung erfunden, sondern nur für dieselbe be-
nutzt worden ist, weil ihre Motive im allgemeinen entsprachen, weil eine
solche Umwandlung vom technischen Standpunkte aus möglich schien.
Um die höheren Anforderungen an eine Komposition aber war derjenige,
der zum ersten Mal diese Variante schuf, weniger bekümmert oder über-
haupt mit ihnen unbekannt.
Die vollständige Nacktheit des Okerkörpers vollends bis zur Scham
84
Ein Nnchbild der Tenna von Milo.
hin ist durchaus unpassend Tür eine Hygieia. Diese Göttin kann ja
immerhin als Personifikation der blühenden Körpergesundheit (fttxa
a€io, fiäy.ai^' 'YyUia, xiÖuXt nuviu xal läfinti Xaghiov tag Ariphroü
b. Athen. 15, 702) ihren jugendfristheu Körper zeigen. Allein die grie-
chische Kunst hat in der Enthlössung schon angesichts dessen, dass die
Göttin als Mädchen galt, immer Mass gehalten. In ihren bedeuten-
deren Bildwerken sehen wir sie daher mit dem Chiton augethan oder mit
Chiton und Hintation und hüchstens einen Busen entblösst (O. Müller
Hdb. d. Arch. d. K. §. 394,3. Clara c Mus. d. sc. pl. 552—558 A.
Ann. d. Inst, 187:^ tav. d'agg. A p. 4 sgg. (A. Flasch)). Hygieia
blieb den Hellenen stets ein züchtiges jugendliches Wesen, und mit
dieser Anschauung stimmt eine so derbe Entblössung wenig überein.
Sie oiTenbart vielmehr die grobe Anschauung der römischen Epoche
und einen Bildhauer, dem es nicht um innere Charakteristik, sondern
nur um Charakteristik mit Hülfe von Attributen zu thun war. Kurz
auch das Verhältniss von Nacktem und Draperie zeigt, dass die Figur
ursprünglich für ein anderes Wesen geschaffen war, als wofür sie der
Imitator benutzt hat.
Auf die Bedeutung des Originals hier weiter einzugehen, scheint
mir keine Veranlassung gegeben. Für die verschiedenen untergeord-
neten Repliken aber ist nach Auffindung dieser Variante geboten
(Bernouüi, Aphrodite p. 172— 177), mm auch diesen neuen Gesichts-
punkt behufs Feststellung ihrer Bedeutung im Auge zu behalten. Diess
um 30 mehr, weil schon ein anderes Bildwerk, welches seinen Zusammen-
hang mit der Melischen Statue nicht verleugnen kann, dieselbe Variante
bietet, zugleich aber den eben gerügten Felder allzugrosser Nacktheit
beseitigt. Es ist dies die Durand'sche Terracotta: Clarac, Mus. d.
Bc. 556, 1175. Die Kompositionsmotive der Terracotta sind die be-
kannten: Da.s linke Bein ist auf eine Erhöhung gesetzt; zur Seite steht ein
Pilaster, wie er sich üfter in den Hcpliken findet und wie er (wenigstens
sicher eine Stütze) auch neben der Trierer Figur vorausgesetzt wurde;
der Oberkörper ist nach links gewandt mit erhobener Linken und nach
derselben Seite folgender Rechten ; das Haupt hat die gleiche Wendung
und ist mit einer Stephane bekrönt; die Linke hält die Schlange fest, die
Rechte die Schale, aus der dieselbe getränkt wird, also genau die An-
ordnung, zu welcher wir das Trierer Bild nach den Fragmenten er-
gänzen mussten.
Das, was ich oben tadelnd hervorgehoben habe, nämlich dass die
ganze Handlung zu demonstrativ wirke, dass man, um eine Schlange
Ein Nachbild der Yeniui von Milo. 86
zu tränken, nicht den ganzen Körper verdrehen dürfe, tritt in der
Terracotta ordentlich grell und verletzend zu Tage, fUr mich wenigstens.
Das Himation der Dur and'schen Figur lässt seinen Ursprung noch
erkennen, aber auch kaum mehr; es ist zum sinnlosen Dekorationsstück
geworden. Dagegen ist der Bildner der Terracotta einer besseren Tradition
gefolgt, indem er nicht die Nacktheit des Originals übernahm, sondern
seiner -Figur jenen Hülfschiton, wenn ich ihn so nennen darf, an-
zog, den wir von den Replikatoren gebraucht sehen, so oft es galt den
Typus für eine Darstellung zu verwenden, in der so umfangreiche Nackt-
heit nicht am Platze war, so z. B. bei Umbildung zu einer Nike,
bei Gruppirungen mit Ares, wo zwar Aphrodite dargestellt sein sollte,
aber unter. dem Porträt einer ehrbaren römischen Matrone, für die
dne so ostensive Nacktheit weniger passend erschien (Glarac Mus. d.
8C 634, 1428: Gruppe im Kapitel, Porträts; 326, 1431: Gruppe im
Louvre, ebenfalls Porträts). So hat der Bildner der* Terracotta der
Umbildung, die er erstrebte, oder dem Wesen der Hygieia mehr Rech-
nung getragen, der Bildhauer der Trierer Replik aber dem Aussehen
des Vorbildes.
Nach dem Stilgefühl oder richtiger nach dem Mangel an Stilgefühl,
welcher durch die Statuette geht, nach der oberflächlichen Darlegung
des Nackten und der schematischen Faltenbehandlung zu urtheilen^ge-
hört das Werk gewiss nicht vor die Zeiten des Septimius Severus, am
wahrscheinlichsten in die Zeit von 200—250 n. Chr. Ich mache
schliesslich darauf aufmerksam, dass schon eine andere Replik des-
selben Originals aus Trier stammt (Jahrbücher d. V. XIII, T. 2).
Wenn wir uns auch getäuscht sahen in der Hoffnung, neue Ge-
sichtspunkte für die Statue von Melos aus dem Trierer Marmor
zu gewinnen, seine eingehende Betrachtung war uns lohnend genug in
Hinsicht auf die Rolle, die das Original in den Werkstätten der römi-
«hen Reproducenten gespielt hat.
A. Flasch.
86 Erklsnmg zweier altohristlicher Ghrabsohriften in der Stiftskirche zu Aachen.
8. ErMärung zweier altchristlicher GrabschrHteB In der Stiftskirche
zu Aachen,
zugleich ein Beitrag zur Geschichte des,h. Spes, Bischofs
von Spoleto (f c 400).
ffierzQ Taf. VII, Fig. 1.
Als ich mich im Winter des Jahres 1873/74 mit der kritisch-hi-
storischen Untersuchung über die ^Echtheit und Herkunft der Aachener
Heiligthümer beschäftigte, musste es mein erstes Bestreben sein, die
Art, Zahl, Grösse und Beschaffenheit derselben genau festzustellen, um
so fflr die einschlägigen Forschungen die nöthige Grundlage zu ge-
winnen. Zu diesem Zwecke wurde auf mein Gesuch im Schöosse des
Stiftskapitels eine Commission gebildet, bestehend aus den Herren Dr.
Grafen von S^fiG, Dr. Bock und mir, welche sämmtliche Gefässe,
Kapseln und Beutel, worin die Heiligthttmer verschlossen aufbewahrt
werden, öffnen und über den Befund der Reliquien ein genaues Proto-
koll aufnehmen sollte. Auf diesen Untersuchungen, welche vier Wochen
hindurch mit grosser Sorgfalt vorgenommen wurden, beruhen die in
meiner Festschrift^) zur Heiligthumsfahrt des Jahres 1874 mitgetheil-
ten- Notizen über die Beliquien selbst,- sowie über alle Funde, welche
bei dieser Gelegenheit in den Reliquiarien gemacht wurden.
Nicht wenig war die Commission erstaunt, in der mit kostbaren
Klfcnbeintafeln bekleideteu Reliquienladc des h. Spes einen Zettel zu
finrlcn, welcher unzweifelhaft constatirte, dass diese Lade über 400
Jahre nicht mehr war geöffnet worden ; denn auf demselben waren die
Namen der Canonici des Krönungsstifts verzeichnet, welche den Inhalt
zum letztenmal im Jahre 1454 einer näheren Untersuchung unterworfen
hatten. Dass übrigens seit dieser langen Zeit eine Eröffnung des
Schreines nicht mehr stattgefunden hat, ist nicht auffallig. Seltene Er-
öffnung der Rcliquienschreine war Brauch der alten Zeit. Im Jahre
l.'ilO hatte man in Trier den in dortiger Domkirche aufbewahrten
heiligen Rock solange nicht mehr gesehen, dass seine Existenz daselbst
vielfach bezweifelt wurde und erst Kaiser Maximilian diese durch eine
licsondere Untersuchung constatiren liess*); im 10. Jahrhundert wusste
1) Geschichtliche Mittheilungen über die Heiligthümer der Stiftskirche zu
Aachen. Köln and Neuss bei L. Schwann.
2) Ein Yerzeicbniss der bei dieser Gelegenheit in der Domkirche aufge-
fundenen Ileliquien, das nach Art eines Protokolls vom Kaiser und vielen Reichs-
Erklärung zweier allchrisüicber Grabsohriflon in der Stiftskirobo »u Aaohen. 87
man in Chartres nicht mehr, ob die dortige Domkirctie den Schleier
der Gottesmutter und das Unterkleid derselben, oder bloss eine dieser
Reliquien besitze; man machte nämlich aus der Umhüllung des Schleiers
eine zweite Relitiuie und nannte') sie tunica oder supparuni U. M. V.
Auch in Aachen ist man von dem alten Gebrauch der seltenen Eröff-
nung der Rehquiarien nur dann abgegangen, wenn die höchsten Wür-
denträger der Kirche und des Staates es verlangten, und so erklärt
gich auch die Thatsache, dass die Elfenbeiulade des h. Spes seit 400
Jahren nicht mehr war geöffnet worden.
Bei der Aufschlieasung derselben durch den Goldschmied Herrn
Witte traten zuerst drei Gewäuder zum Vorschein, die durch ihre
alten Musterungen und durch ihre characteristiache Webeart die Auf-
merksamkeit der Commission fesselten, Das erste Gewand gehörte
unzweifelhaft dem XII. Jahrhundert an, da die Musterungen in sehr
bekannten Laubformen, wie sie der si/iltanischeii Weberei eigenthUmlich
sind, auftreten'). Das zweite Gewand war ein weisser Seidenstoff,
welcher an den Rriudern mit breiten bunten Längcustreifcn verschen
war; die Bänder waren von abwechselnder Breite und verschiedener
Musterung und aus ruthen und grünen Seidenfädeu gebildet, in deren
Mitte schmale und breite Goldfäden mit einander abwechselten. Auf
diesem äusserst delicaten Seidenzeug ^) war eine Pergamentschrift aus
der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts oder aus dem Anfange des
Xlll. herstammend aufgenäht, also lautend: Reliquie sei Spei Episcopi.
Der Stoff selbst, der an einigen Stellen rissig geworden, liess sich als
förstea unterzeichnet ist, fand ich in einAr Handacbrift dca Klosters zur h. Drei-
faltigVeit in Wiener-Neustadt XII. D. 21; letztere gehörte ehedem dem Kloster
B. M. V- in Bardesholm, Diöze«e Bremen.
1) Melangee d'ArcheoIogie von Cahier et Martin I, p. 67. 62; Gallia
chrutiana lib. VII, p. 1108, Kessel, Aachener Ileiligtbümer S. 138.
2) Diesus Gewaiid kann als äusseres Umfaüllungst^icU betrachtet werden.
Ee bat eine Länge von 4ö" rhein, und eine Breite von 27" rheiu. Die Dosuius
sind gebildet aus Weinlaub mit Kronen über sitzenden Thierunholden, die in
Goldfaden cinbrochirt sind. Der Stoff selbst besteht aus gclbrolber Seide mit
dunkelrothem Muster; eine Borde von grünem Sammet an einer Langseite ist
Zusatz späterer Zeit.
3) Dasselbe hatte eine Breite too 28" rhein. und eine Länge von 43" rhein.
Nach der Ansicht des Herrn Dr. Bock ist dieser Stoff zu den pallia holoserica
trifata mit eingewirkten, rotben, grünen und goldenen Streifen von dereelben
Textur und Dessinirung zu z&bjeo, wie solche die tibialia der Bisohöfe im 13.
und 13. Jahrhundert ^seigen-
88 Erkl&ruog sweier allohristlicher Grabsobriften in der Stiftskirche su Aachen.
eine ad hoc neugewirkte Umhüllung erkennen. In diesem zweiten
Tuche eingewickelt befand sich das dritte, bestehend aus einem hoch-
rothcn Seideutaffet, wie er als Futterzeug in kostbaren liturgischen Ge-
wändern des XIV. und XV. Jahrhunderts häufig vorkommt. Die ganze
Anlage dieser dritten Umhüllung mit einer zusammengezogenen Borde
und einem kupfernen Krampen am Obertheil sowie einem umbordeten
Einschnitt zum Durchlass der rechten Hand gibt deutlich zu erkennen,
dass dieses Gewandstiick abs Bekleidung einer Madonna-Statuette im
XV. Jahrhundert gebraucht worden ist.
In dieser letzten Umhüllung befanden sich die Gebeine*) des b.
Bischofs Si>es und beiliegend eine wohlerhaltene, aus frühkarolingischer
Zeit stammende Fergamenttafel mit zwei altchristlichen Inschriften,
deren nähere Erläuterung den Gegenstand dieser Abhandlung bildet.
I. Die Inschrifttafel. Die in Rede stehenden altcbristlichen
Inschriften sind nicht bloss an sich, sondern auch in Buchung auf
die Frage ihrer Herkunft von grosser Bedeutung. Wenn Inschriften
schon im Allgemeinen, wie Mommsen sagt, von grosser Widitigkeit
sind, indem sie für die Keuutniss des Alterthums einen ähnlichen Ge-
winn abwerfen, wie für die Kenntniss eines aus Büchern bekannt^i
Landes das Beisen in demselben erzeugt*), so sind Inschriften wie die
vorliegenden von doppeltem Nutzen, weil sie nicht bloss über einen
bisher weniger bekannten Gegenstand Licht verbreiten, sondern auch
zur Aufhellung anderer wichtiger Fragen sichere Wege zeigen. Ksher
war der h. Spes i^eiuem .\mte nach in Deutschland so gut wie unbe-
kannt und selbst sein Name wurde in Aachen unrichtig genannt: man
nannte ihn i^peus, und unter diesem Namen kommt er auch schon iu
den -Vinuileu dos I^imbertus von AschafFeuburg vor'); in manchen
MiUtyrologion und hagiologisohon Werken wurde er bald als Bekenner,
baUl als Marivrer Uvoichuet. Unsere Inschrift nennt ihn Bischof, nicht
Märtyrer. Aus der.» Todestag desselben und aus anderen Notizen er-
gibt sich, dass derselbe mit dem h. Bischof Spes von Spoleto, der c
1' Aus*or ilor IVr^HmonttÄtVl I»g«n Uvvh rwei Pcryiaientretctfi l-ei den G«-
Ivii^er IVr oxvo l*u:oto; Corj"j* *ci VY'.swp Sj'^i; der ludert: IS:!vercs reü-
v;«'.*r«iu «v'i Sjv» l"?\»\*copi. l"*«.**«- luschnftxeilel »iud uaob Stil usd Alter rer-
»^•hi<^^e■.!. dov-lt rx>u-h', kosv.i'r ulvr U** Xlll, JAhrhviuden turück.
-" Ih MvnMiujo«. Vi«rh*isdlvi:\j:x'u dor k. »«obtischea G««e4elI$cluLfl der
.<^ t.«v.-.\vrti Aiiis*lM ad *. I07i la IVru ntonuB!. 0. seript. tsm. Y. p. 190.
ErkläruDg aweier altchriBllicbei* Grabschriftei^ in der Stiftakirobe zu Auchen, 80
400 gestorben ist*), ein uDil dieselbe Person Ist, and so haben wir
einen neuen Beleg für die Wahrheit des An gilbe rt 'sehen Zeugnisses"),
»dass Karl der Grosse für den kaiserlichen Palast zu Aachen eine
grosse Anzahl von Ueiligthünierü gesammelt habe, und zwar nicht
bloss zu Rom, Constantinopel und Jerusalem sondern überhaupt aus
den verschiedenen Theilen der ganzen Christenheit, naqientlich aus
Italien, Deutschland, Burgiind und den gallischen Piovmzen«. Jeder
Beitrag aber zur Geschichte dieses grossen Kaisers, der als Baumeister
eines Weltreiches, als Gesetzgeber vieler Nationen und als leuchtendes
Meteor in der Nacht der Zeiten wie kein zweiter Gewalthaber der Erde
glänzt, muss um so freudiger bcgrüsst werden, je mehr seine Helden-
gestalt schon im zweiten Jahrhundert nach seinem Tode in das Zwie-
licht der Sage gezogen") und daher für unsere Zeit Manches dunkel
geworden ist, was ehedem in halb Europa bekannt war.
Die beiden Inschriften auf der gedauhtea Pergamenttafel, sind
auf Taf. VII, Fig. 1 facsimilirt.
Es musste auftäHig erscheinen, bei den Gebeinen des h. Bischofs
Spes eine Sepulcralinschrift von einem verstorbenen Kinde zu finden;
daher hatte Herr Dr. med. M. II. Debey dahier auf Ersuchen der
Commission die Gefälligkeit, dieselben einer osteologischen Unter-
SQchung zu unterziehen, um sicher zu ermitteln, ob sich etwa unter
denselben auch Kindesgebeine befänden. Es stellte sich aber nach
sorgfältiger Prüfung bis zur Evidenz heraus, dass alle Gebeine, 57 an
Z*hl, wie sie vorliegen, von einem erwachsenen Manne, und zwar nur
von einem, herrühren. Ihr Zustand war zwar zum Theij trümmerhaft
und meistens frei von organischen Resten, aber die einzelnen Gebeine
lie&seu sich alle noch wohl erkennen und in ihrer Zusammengehörigkeit
constatiren. Alle zeigten eine ziemlich dunkelbraune Färbung mit Aus-
nahme zweier Bruchstücke des rechten Oberschenkels, bei welchen
durch starke Zertrümmerung die Obertiäche des Knochens fast ganz
zerstört war und eine weisse P'arbe der unterliegenden Koochensubstanz
vorherrschte. Das Haupt des Heiligen fehlte.
Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die jetzt in
der Elfenbeinlade des h. Spes aufbewahrten Reliquien von keinem an*
1) Wir werden dies später aus italienisobeu Quellen darthun.
2) Mabillon. Act. Sanct. Ord. a. Benedicti ed. Venet. V. p. 108.
3) Chronik des MöQobs Benedict im Kloster St. Andreas am Berge Soracta,
und Perla, Archiv V, 148 f.
90 Erklftrang zweier i^iohristlicher Orabsohrifleu in der Stiftskirehe xa Aachen.
deren Heiligen herrflhren als vom h. Spes selbst. Wo aber die Gebeine
des Kindes, das vielleicht ein Märtyrer gewesen, hingekommen oder ge-
blieben sind, ist unbekannt 0*
II. Deutung und Erklärung der Kindes-Inschrift Wir
lesen: Accipite, Sancti, vobis venerabile dignumque minestrium
Tnllium Anatolium Artemium c(um) p(ace) p(aus^t)
qui vixit annos sex, menses octo dies
XXni. Depositus die III. Idus Octuber
Ricomere et Clearcho viris clarissimis conss.
Sancti, dieses Wort bezeichnet im Sinne des neuen Testaments
und der ersten Jahrhunderte nicht bloss heilige Personen, sondern
überhaupt alle Christen *), eben weil dieselben durch Christus zu einem
neuen Leben der Gerechtigkeit und wahren Heiligkeit erschaffen sind').
uobis far euch; das Pronomen ist abhängig von venerabile; es
wird dadurch den Christen zugleich der Gegenstand der Verehrung
ans Herz gelegt.
t Dieses Kreuz, crux immissa oder lateinisches Kreuz genannt,
kommt auf den uns erhaltenen Monumenten des christlichen Alterthums,
auf Grabsteinen, Münzen, Gemälden, Mosaiken, Lampen, Trinkgef&ssen
u. s. w. der acht ersten Jahrhunderte am häufigsten vor').
Vre = venerabile, d. i. verehrungswürdig im kirchlichen Shme,
wie aus dem Folgenden sich ergeben wird. In den »geschichtlichen
Mittheilungen über die Aachener Heiligthümeru habe ich vorstehende
Abkürzung des Originals durch vestre gedeutet und in dem darauf
folgenden Herzzeichen <^ einen symbolischen Ausdruck für Liebe
(charitas) gefunden'). Herr Professor Dr. Becker aber, der grfUid-
liche Kenner profaner und christlicher Inschriften, hatte die Freund-
1) Da dor karolingisube Reliquicnschate des Aachener Münaters im Laufe
der Zeit manchmal bedeutende Einbusso erlitten hat, so ist es nicht unwahr-
scheinlich, daas diese Gebeiue zu den verlorenen gehören. Das Stiftsarchiv gibt
keine Auskunft über dieselben.
2) I. Petr. 1, 15.
8) Ephes. i, 24.
4) Ciampini vet. monument. tom. I, lab. 14. Münz, archäolog. Bemerkun-
gen über das Kreuz, Monogramme Christi u. s. w. Annalen des Vereins für
nassauische Alterthumskunde Bd. YIII, 18.
6) Pellicin de christianae ecclesiae primae mediae et novissimae aetatis
politia III., 169. Auch der Jesuit Papobrock meinte diese«, et aoi SS. BolL
Mali tom. V. p. 223.
Erkl&ruDg zweier aUobristUcher Grabschriften in der Stiftskirche zu Aachen. 91
liebkeit, mich zu belehren, dass das fragliche Zeichen des Herzblattes
nichts Auderes sei als ein auf heidnischcu und christlichen ItiHchriften
häafig vorkommendes Mittel zur Zierrath, Raumansfülliinp, vielleicht
sogar Interpunction '). Unsere Inschrift spricht für diese Deutung als
die richtige dadurch, dass sich das Herzblatt in dcrselbca vierzehumal
wiederholt»).
dignumque. venerabile und diguura beziehen sich auf minestriura.
Die anscheinend störende Tautologie derselben schwindet, wenn man
venerabile im liturgischen Sinne als vcrehrungswerth nimmt, wie es
auch, falls der Knabe als Märtyrer gestorben ist, mit Rücksicht auf
dessen heilige Gebeine genommen werden muss. Desshalb aber möchte
ich ihn als Märtyrer ansehen"), weil auf der Pergamenttafel seine Grab-
schrift mit der des Bischofs Spes vereinigt erscheint, was vielleicht auf
den m altchristlicher Zeit herrschend gewesenen Gebrauch der Christen
hinweist*), ihre letzte Ruhestätte, wo möglich, in der Nähe der Mar-
tyrcrgräber zu wählen.
minestrium = minister ium. Dieses Wort ist offenbar die
lateinische üebcrsetzung des griechischen SovXeia. Nach Lehre der
katholischen Kirche in Betreff der Heiligenverehrung gebührt den
Heiligen die dovhia, Gott dem Herrn aber ist die XazQtia d. i.
der höchste Cult, zu erweisen. Zwar ist diese Unterscheidung an
sich bloss eine begriffliche, da dovkevuv und largecety sprachlich sy-
nonyme Begriffe sind; aber in der Kirchensprache oder iu der Sprache
der Theologen, die in vorliegendem Falle dogmatisches Ansehen ge-
wonnen hat, dient diese begriffliche Unterscheidung dazu, die sachliche
desto genauer festzuhalten oder schärfer hervorzuheben*).
Wie nun minestrium grammatisch aufgefasst das Object des
Satzes ist, so ist es auch logisch genommen, als Object der Verehrung
1) So deutet dieses Zeicheo aucb schon Lupi S. J. : Dissertatio et animad-
versiones in mipor inventum Severae martyris epitapbinm. Panormi 1734 p. 56.
2) Eine beidniscbe Inschrift mit zehn derartigen Herzblätteru s. in deu
Jahrbüchern der rhein. Alterthumsfrounde, H. XXYI, 8. 202.
3) Beruoksicbiigcu wir, dass von einem sechsjährigen Kinde kaum ein mit
vollem Bewusatscin abgole^ca Bekenntniss der Lehre Christi zn erwarten ist
und dass in den ersten Jahrhunderten des Christenthums der dulische Cult vor-
sugsweise den Märtyrern gezollt wurde, so erscheint die Annahme, dass dasselbe
«in Märtyrer gewesen, wohl begründet.
4) et Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfrennden im Rheinland
XXVI, 167.
5) Vgl. AugnstinuB, de oivit. Dei I, 6.
92 Erklärang zweier altohristlioher Grabsohriften in der Stiftskirche sa Aaohea.
ZU erklären und dieses Object ist das sechsjährige Kind ToUius Ana-
tolius Artemius.
X Diese überzwerge schräge l^orm des Kreuzes, crux decussata,
auch Andreas-Kreuz *) genannt, war als solches viele Jahrhunderte vor
Christus bekannt Da im Griechischen der Name Christus mit diesem
Buchstaben beginnt (xQtarng), so liegt darin unzweifelhaft der Grund,
warum X die heilige Chififre fflr den Namen Christi sowohl wie für das
Kreuz geworden ist*).
Füglich knüpft sich hieran die Erläuterung des Monogramms
Christ] Q^, welche unsere Inschrift in derselben Zeile bringt und
ausserdem noch viermal im Contexte wiederholt
Die das Kreuz symbolisirende Figur des X verband sich, wie
Cavaliere de Rossi auf Grund der in den Katakomben entdeckten
Denkmäler nachweist'), im dritten Jahrhundert mit einem I, so zwar,
dass letzteres senkrecht in die Mitte kam ^. Diese beiden Symbole, die
in die Arcanlehre der alten Christen aufgenommen wurden, bezeichnen
den Namen ^Ir^aoig XQiaxog und bilden das älteste Monogramm des Er-
lösers, d. h. die älteste Namenschiffre, wodurch Name und Amt des-
selben bei den Christen kurz pflegte ausgedrückt zu werden. Diese
Entwicklung hatte sich schon um*s Jahr 250 vollzogen. Später,
vor dem Jahre 298, setzte man an Stelle des I den zweiten Buch-
staben des Wortes x^ioroc, also P, und so entstand jenes Monogramm
Christi, wie es Kaiser Constantin vor der Schlacht mit seinem Gregen-
kaiser Maxentius im Jahre 311 am Himmel gesehen haben soll') und
welches dadurch erst unter den Christen allgemeine Berühmtheit und
Verehrung erlangt hat*). Durch das ganze vierte Jahrhundert«) prangt
es auf den Bannern des Reiches wie der Kirche, an Tempeln und
Altären, an öffentlichen und Privatgebäuden, auf den Münzen der
1) Weil eine alte aber höchst sagenhafte Tradition den h. Apostel An-
dreas an einem solchen Kreuze gemartert werden lässt.
2) Münz, archäolog. Bemerkungen über das Kreuz, Monogramm Chrisii
u. 8. w. (Bd. VII. S. 27 der Annalen für nassauische Altcrthomskunde) ; femer
derselbe im Katholik 1867, S. 216.
3) De Kossi, insoriptiones I, 16 No. 10.
4) Eusebius, vita Constantini I, c. 27— SO.
b) Krliess doch der Kaiser Constantin, wieSozomenes berichtet (bist. trip.
hb. I. 0. i>\ die Verordnung, dass das göttliche Symbol auf den Reichamünzen
und Kriegsfahnen dargestellt werden sollte.
6) Die einzige Erweiterung, die das Monogramm Christi anter Conataatin
ErklfiruTig zweier (Jtchri«tliclier Grabachriften in der Stift«kirche zu Aachen. 93
Kaiser*) wie auf den Helmen und Schilden der Krieger; am meisten aber
kommt es auf Grabschriften jener Zeit vor, wo es recht sinnig den Glauben
an Christus und die durch das Kreuz erworbene Erlüsungsgnarie des-
selben ausdrückt. Und wie auf den Münzen Constantins d. Gr., so
erscheint es auch auf den Münzen seiner Nachfolger bis auf Arcadius,
wo es in andere Formen übergeht. Interessant ist dabei die Wahr-
nehmung, wie mit dem Siege des Christenthums die symbolische Halle
allmählich abfällt und ihre Bedeutung verliert. Schon im Jahre li'S
findet sich das Monogramm Christi in der Form dercrux immissa") -p,
die mit dem gradcn Balken des P schon das Kreuz erkennen Ifisst,
bis dieses ums Jahr 409 wenigstens zu Rom ganz aus der symbolischen
Hfille heraustritt. Das Constantinische Monogramm kommt nämlich zu
Rom*) auf Inschriften vom Jahre 298 bis 474 vor, in Gallien ') vom
Jahre 377 bis 493, das Monogramm in der Form der crux immissa
zu Rom') vom Jahre 355 bis 505, in Gallien«) von c. 400 bis c. 540.
Gleichwohl tritt an die Stelle der abgefallenen Hülle noch nicht das
Bild des Gekreuzigten. Zuerst erscheinen als Sinnbilder der Erlösungs-
gnade Blumen, Edelsteine und Sterne, dann das unter dem Kreuze
stehende Lamm, des Martertodes unschuldiges Opfer, das recht eigent-
dem Or. erfuhr, beftia&d darin, daes man um 825, nachdem die Irrlehre des
Arial vemrtheilt worden war, deimaelbeii die Buchstaben n und to, entweder allein
oder in Dreiecken eingeschlossen, hiDEaluglo.
1) Besonders interessant und zur Yersinnbildung des dnrch daa Cbristen-
thum überwundenen Heidenlhumt geeignet ist eine Kupfermünze Constantin des
Gr.^ dieH. Cohen (les monnaiea roniaines VI, IGO) mittheilt. DaaLabarum stellt
nämlich auf einer durchbohrten Schlange. Letztere steht ulTenbar in BezIehuDg
XU jenem Gemälde, welches der Kaiser, wie Easobius berichtet [vitä Conslantini
111, 3), nach dem Siege über Maxcntius anfertigen und in seinem Pallaste auF-
■tellen Hess. Er selbst war auf demselben als siegprangender, bewaö'neter Deld
mit dem Krenze dargestellt, während sich zu seinen Füssen ein durchbohrter
Drache windet.
2) De Rossi, inscripHones I, N. 121.
3) Do Rossi, inscripliones I, N. 26—758; im Jahre 409 ist es schoD
•elten geworden; de Rossi, de ohristianis tttulis Carthagin, 1. c. N. 39.
4) Le Blant, inscriptions chretiennes de la Gaule anterieures au VIII.
•iede. Paris 18&6. I. p. XIY.
6) De Rosai, inscriptiones I, N. 121 — llOO.
6) Le Blant, I.e. I, p. 11.5, N. 55; 11, p. 62, N. 412. Vgl. auch die gründ-
lichn Schrift des Herrn Capinn Dr. MiJnz, Archäolog. Bemerkungen etc. S, 4G.
94 Erkl&rang zweier tltohristlicher GrabBchriften in der Stiflskirohe ta Aaoheii.
lieh zu einem liturgischen Kirchenbilde geworden ist ') ; erst im sechsten
Jahrhundert zeigt sich das Grucifixbild vollständig und un verschleiert').
Tulliü Anatolium Artemis. So lautet der Name des Kindes
dem die Grabschrift gewidmet ist. Da alle Ortsbezeichnung fehlt, so
bildet derselbe die einzige Quelle, an welche sich die Untersuchung
über die Herkunft des Kindes anschliessen kann.
Seit Vertreibung der Könige führten die Römer gewöhnlich') drei
Namen: 1) einen Vornamen (Praenomen), der meistens abgekürzt ge-
schrieben wurde; 2) einen Geschlechtsnamen (Nomen), der gewöhnlich
auf ius oder aeus ausging, z.B. Fabius, Poppaeus; 3) einen Familien-
namen (Cognomen), der die verschiedenen Zweige des Geschlechts be-
zeichnete. Hierzu kamen bisweilen noch Zunamen, doch waren diese
lediglich zufällig und meistens durch merkwürdige Thaten oder durch
Adoption veranlasst; z.B. P. Cornelius Scipio Africanus. Hiernach haben
wir Anatolius als den Geschlechtsnamen des Kindes zu betrachten,
TuUius als Vornamen und Artemius als Familiennamen; denn wenn
auch die genaue Gliederung der Elemente jedes Personennamens sowohl
bei den Römern als bei den Grieclien im Laufe der Zeit öfters ver-
nachlässigt worden ist^» so haben wir doch bezüglich des in Rede
stehenden Kindesnamens keine Veranlassung, eine Anomalie anzunehmen.
Der Vorname TuUius ist zweifellos lateinisch, Artemius und Anatolius
sind zwar ihrer Herkunft nach griechisch, kommen aber auch auf
lateinischen Inschriften häufig vor. Als Geschlechtsname findet sich
Artemius in einer lateinischen Inschrift' der römischen Zeit, die zu
Brixen in Tirol gefunden wurde'); als Geschlechtsname erscheint Ar-
temia in einer lateinischen Grabschrift derselben Zeit, die zu Köln ge^
funden wurde"). Ein h. Bischof Anatholon regierte im vierten Jahr-
1) Ktmstgcschiohto des Kreuzes von Dr. J. Stockbauer S. 1S8.
2) Kunstgeschichte des Kreuzes von Dr. J. Stockbauer S. 148 f.
3) »Drei Namen habenc hoisst daher soviel als ein Freier sein; daher
sagt Juvenal Sat. V, 126:
Et ponere foris, si quid tentaverie umquara
Hiscere, tamquani habeas tria nomina.
4) H. Cannegieter, üb. singul. de mutata romanorum nominum sub
principibns ratione. Traiecti ad Rhenum 1766. Orelli, inscript. lat. I. N. 2703.
Boeckh, Corpus inscript. graec. I. 200, 1248, 1782. II, 2900, 3676.
6) Jani Gruteri inscriptioncs lat. totius orbis romani, ed. d. G. Oraevius.
Amstelaedami 17U7, II. p. 863.
6) L. L e r 8 ü h , Ccntralmuseuiu rheinl&nd. Inschriften 1842 1, S. 66 (III. S. 36).
Ericänmg zweier altcbrisüioher OrabBohriften in der Stiftakirche zu Aachen. 96
himdert zu Mailand; seine Grabschrift ist bei Gruter zu lesen *); ein
G. Pantuleins Anatellon kommt in einer römischen Inschrift zu Nismes
Tor, ein Aug. Lib. Anatellon zu Präneste; die bezüglichen Inschriften
finden sich ebenfalls bei Gruter'). Ja, es gibt sogar einen römischen
Consnl, der den Namen Anatolius führte "). Diese Romanisirung grie-
chischer Personennamen ist nichts Auffalliges. Seitdem man in Rom
mit besonderem Eifer angefangen hatte, griechische Bildung, nament-
lich Philosophie, zu lernen und auf römischen Boden zu verpflanzen, und
dies war schon zur Zeit Cicero*s der Fall^), entspann sich unter beiden
Völkern ein lebhafter allseitiger Wechselverkehr, der durch die Herrschaft
der Römer ttber Griechenland und Mazedonien mächtig gefördert wurde.
Die berühmtesten und reichsten Familien Italiens, namentlich der Stadt
Born, umgaben sich mit griechischer Dienerschaft und liebten es, grie-
chische Gelehrte in ihren häuslichen Kreis zu ziehen. Es gehörte
fast zum guten Ton der Gesellschaft, von griechischen Lehrern gebildet
worden zu sein '^). Dass sich demnach in Italien griechische Geschlechts-
namen finden, obgleich die Personen selbst römisch sind, kann nicht
aaffällig erscheinen, und so ist auch der Name des in unserer Inschrift
gaannten Kindes ein römischer, wenngleich der Geschlechtsname ur-
sprünglich aus Griechenland stammt.
c p. p. Diese Abkürzungen kommen in christlichen Inschriften
hinfig vor; sie lauten aufgelöst*): cum pace pausat und besagen^).
1) Omteri inaoript. lat. II. p. 1161.
- 2) Oroteri inaoript lat II, p. 895; I, p. 889.
8) Derselbe regierte mit Valentiuian im Jahre 440.
4) Prof. Dr. Cromo Abhandlung: Quid Graecis Cicero in philosophia,
qoid aibi debuerit. Düsseldorf 1855.
5) Daher lesen wir in Cicero's Werke de oratore II, 87: Et certe non
tolit nlloa haec civitaa aat gloria clariores aut auctoritate graviores aat huma-
nitate politioroa P. Africano, C. Laelio, L. Furio, qui secum eruditissimos homi-
naa in Oraecia palam semper habuerunt. Cicero selbst hatte zum Lehrer den be-
rfifamten griechiaohen Dichter Liciniua Archias.
6) Steiner, Sammlang und Erkl&rung altohristlicher Inschriften N. 8,
16, 21, 80, 74.
7) Morcelli, de stylo vet. inacriptionnm p. 168. Am bestimmtesten drückt
sieh darüber Mazoochi aus (dissert. epist ad titulam Hilari Romae 1745, p. 4,N. 6),
indem er sehreibt: Illud in pace, quod chriatianis titulis vix unqaam deest,
noa dabito, quin de pace ecclesiaatioa sit accipiendam aive de communione, per
qoam veluti glutinnm membra in unum corpua coalescebant. Reperitur et non-
nomqnam matila formnia: Te in pace, qaae mihi videtur initium hymni aot
96 Erkläriin«; «weier Ritchristlicher Grahschriften in der Stiftskirche zn Aachen.
daas der Verstorbene im Frieden mit Gott und der Kirche verschieden
sei, namentlich soll das Letztere besonders hervorgehoben werden, wie
aus zahlreichen Inschriften erhellt. Der genannte Ausdruck hebt also
sehr bezeichnend die kirchliche Genieiuschaft hervor, in welcher der
Verstorbene während seines Lebens gestanden und bis zu seinem Tode
verblieben ist. In seinem schönen Aufsatze *) : »Die Grabßchriften der
alten Christen« begleitet Prof Dr. Piper diese Erklärung mit treffenden
Belegen und Bemerkungen.
qui uixit annos sex. menses octo. dies XXIIl — eine be-
kannte Redeformel, die sich in ht^idnischen und christlichen Grab-
Bchriftcn häufig findet. Die Genauigkeit, mit welcher die Alten die
Lebeu-sdauer eines Verstorbenen in (Irabschriften anzugeben pflegten und
die sich bisweilen nicht bloss auf Jahr unil Monat, sondern sogar auf Tag
und Stunde erstreckt, erscheint unserer Auflassung fast übertrieben.
Einen andern Grund als den, dass dadurch die Hinterbliebenen das
Andenken lies Verstorbenen in seinen letzten Lebensmomeuten fixiren
wollten, habe ich nicht finden können.
dopositus d. i. beigesetzt. Das Wort deponere ist der stereotype
Terminus für die Bestattung eines verstorbenen Christen in den ersten
Jahrhunderten; ihm entspricht im Griechischen das Wort natcni&ivat.
Die ursplingliche Bedeutung desselben ist niederlegen, ablegen und
dieser Bedeutung enssprechend wurde dasselbe ohne Zweifel, wie Dr. Kraus
hervai'hebt, ursprünglich rein technisch verstanden, gerade wie positus
est, hie Situs est, tttmulatus est, hie iacet u. s. w., lauter termini, die
eigentlich der heidnischen Epigraphik angehciren, wenn sie auch auf
christlichen Grabsteinen sporadii<ch nachweisbar sind»). Da indessen
der Ausdruck depositiis est auf heiduischen Grabsteinen gar nicht, oder
doch enorm selten sich findet^), wie anderseits das Wort sepultus est in
cbristlicheu Inschriften jener Zeit noch nachzuweisen ist, so kann auch nur
die christliche Auffassung des Todes den Maassstab zur Erklärung dieser
precationis fuisse, quam defnncto in ecclesiae paoe fidelea accinere conBoeTerant,
farmo ut nos carmon Requiem aeternaoi etc. aot aimilia modulamar. Apud
Rcinoaiuin tamon expresse habetur: In paoe Christi.
1) Dr. Piper, erangelischer Kalender 1666, S. 48.
2) Gruter, inacript. lat 1,562», 662», 577', 643», 446», 569", 676», 840*.
8} Dr. Kraaa fuhrt in leiner vortrefflichen Schrift Koma aotteranea S. 424
ita* Qrab*elihft aus Koppaoh in Oeaterrcich an, welche die Sigle DP haben soll.
AlWn dieMt eine Beispiel, wenn es richtig gelesen, was ich sehr besweüle,
iai nicht beweisend ; ein «weites aber weiae derselbe nicht ancnftihren.
Erklärung zweier altcfaristUcber Grabsohriftea in der Stiftskirche zu Aacheu. 97
Erscheinung abgeben. Der Christ betrachtet den Tod oder die Tren-
nung der Seele vom Leibe als eine Ablegung der sterblichen Hülle,
die erneuert oder verklärt er nach Abschluss der Zeit wieder annehmen
wird. Die Todten werden, wie Cardinal Wiseman bciucrkt'). Qur fiir
einige Zeit, nämlich bis sie wieder gefordert werden, dem Grabe an-
vertraut, wie man ein Unterpfand oder eine Kostbarkeit zur sichern,
aber nur -scitweisen Bewahrung irgendwo hinterlegt. Indessen haben
nicht erst die Christen dem Worte deponere diesen Begriff untergelegt,
sondern derselbe ist ihm eigenthümlich, auch bei classischen Schrift-
steilem. Cicero braucht häufig die Redensart; pecuniam apud aliquem
deponere. Cornelius Nepos") sagt: Amphoras deponit in templo
Dianae. Livius: Corinthum ut ibi obsides deponerentur coiivenitur.
Suetonius: Testamentum deposituoi apud Virginea Vestales. Der Ort,
wo dieTodten ruhen, heisst in altchristhchen Grabschriften Coemeterium
(Schlafetütte) '). »Schon dieser Name, sagt mit Recht Wiseman, weist
darauf hin, dass es nur ein Ort ist, wo Viele ruhen, wie in einem
Schlafsaale, eine Zeit lang schlummernd, bis die Morgenruthe kommt
und der Posaunenschall sie weckt. Darum wird das Grab auch schlecht-
hin der Platz (locus) oder noch gewöhnlicher das Plätzchen (loculus)
der in Christus Gestorbenen genannt.
Die weitere Begründung der chi-istlichen Bedeutung des Wortes
depositio und die Ausdehnung dieser Beileutuiig in spätrömischer Zeit
wird später bei Besprechung der zweiten Inschrift erfolgen.
die III. idus Octuber, d. i. am 13. October. Solche sprach-
liche Incorrectheiten, wie Octuber für Octobres oder Octobris, kommen
in Inschriften des 4. und 5. Jahrhunderts häuiig vor.
Ricomere et Glearcho vv. cc. Conss. d. i. unter dem Con-
sulat der hochangesehenen Männer Ricomer und Clearch. Die Ab-
kürzung Conss. für Consuhbus oder Consule weist auf das vierte Jahr-
hundert. Im dritten und noch früher herrschte statt dessen die Form
1) Wiseman, Fabiola, or tho Church of Catacumbs p. 145. BeiBoeckh,
Corpus inscript. graec. IV. n. 9439 heiaat es daher ia einer laBcbrift: xoaft>p^Qiot>
Jvs ipftnaaitus.
2) Com. Nep. vita Hannibalis c. 9, 2.
8) Im Sinne von Friedhof ersohetut Coemeterium zuerst bei Tertuliliaa de
anima, 61. Cfarytiostorous sagt, dasa durch diese im N.T. zwar nicht vorkommende
aber doch analoge Benennung (Hatth. 27, 52 f.) nicht nur das Ende aller Mühselig-
keiteu uud fiesobwerden, soadern auch die UoSnung der Auferstehung ausge-
drückt werden «ollef cf. bomil. 81.
7
'tt-- Erklärung zweier altchriailicher GrahBohrLften in der Stiftaki rohe zn Aachen.
Cos. vor; seit Diocletian wurde die Abkürzung CJonss. mit zwei s
bräuchlich*). Im vierten Jahrhundert begann man auch den Namen
derjenigen Consuln, welche nicht zugleich Augusti oderCaesares waren,
die Siglen vv. cc. oder v. c. (viri clarissirai) als Ehrentitel beizufügen*).
Diese Sitte wurde so constant, dass manche Schriftsteller jener Zeit
iu diesen Siglen keinen Unterschied für den Singular oder Plural be-
obachten; denn es findet sich das w. cc. für einen Consul gerade so
wie das v. c. für zwei angewandt»). Was die Begierungszeit der ge-
nannten Consuln anlangt, so fällt*) dieselbe nach der Chronik des
Prosper von Aquitanien und nach den Fasti consulares von Idatius iu*a
Jahr 384 bis 385.
Wir sind hiermit an den Schluss der Kindes-Inschrift angelangt.
Ueberblicken wir nochmals den Inhalt derselben, so deutet das erste
Wort Accipite, dessen Besprechung wir absichtlich bis hierhin ver-
schoben haben, offenbar darauf hin, dass die Reliquien des vielleicht
für seinen Glauben getödteten Knaben, welche den Christen als ein
Gegenstand der Verehrung (vobis venerabile) Übergeben worden, anders-
woher nach Aachen dirigirt worden sind. Den muthmasslichen
Ort, woher sie gekommen, werden wir erst später angeben, da die
Spes*sche Inschrift die nöthige Begründung bietet. Bei Gelegenheit
dieser Uebergabe der ehrwürdigen Gebeine copirte man, wie aua der
cigenthümlichen Fassung der Inschrift hervoi'geht, die bereits vorhandene
Kindes-Inschrift, leitete sie aber mit den Worten ein: Accipite Sancti
nobis uenerabile diguumque rainisterium. Dermalen sind die Gebeine
des Kindes wie bereits erwähnt, in Aachen nicht mehr vorhanden, auch
ist nicht bekannt, wohin sie gekommen sind.
III. Die auf den h. Bischof Spes bezügliche zweite In-
schrift der Pergamenttafel lautet:
Depositio sauctae meraoriac uencrabiüs Speis
epiecopi die Villi Kai. Decembres, qui uixit
in sacerdotio annis XXXH :
■ 1) Tergl. Dr. Kraus, 1. c. S. 428.
2) Vergl. GotLofredufi Eum cod. Theodo«. Bd. VI. Thl. 2. 8.4. Zell, Hand-
buch der römischen Epigraphik II, S. 248, Daas die Sigle v. c. nicht vir con-
sularia, sondern vir clariasimus bedeutet, erweist evident de Roasi. Pulletino
1869, p. 70 unter v. c.
8) De RoBsi, inacript. lat. I, N. 49r) und N. 789.
4) Chronicon integrum Proaperi Aquitani ad h. a. in Canisii, thea. monusi.
MoL t. 1, p. 296 ed. Baauage; ferner Idalii fuati conaularea ed. Schalstrate, anti-
quitaa eocleaiae I, D58.
Grklärang^ sweier altchristlicher Ornbsohriften in der Stiftskirche zu Aachen. 99
Diese Inschrift stebt zur ersteren, soviel sicij äiisserlich erkennen
Ifisst, in keiner weiteren Beziehung, als dass sie auf ileniselben Perga-
inentstUck geschrieben ist. Dieser Umstand ist jedoch nicht als irre-
levant zu erachten ; denn was von der Heimath der einen Inschrift
bzw. der einen Gebeine gilt, mass auch von der Heimath der anderen
Inschrift bzw. der anderen Gebeine als massgebend anerkannt werden.
Das Archiv der Aachener Stiftskirche, das sonst für die Heiligenge-
schiebte noch einen reichen Schatz unbenutzter Quellen birgt, weiss
über den h. Spes nur wenig mitzutheilcn ; erst vorstehende Inschrift
gibt ober Namen, Amt und Lebenszeit desselben sichere Kunde. Wir
erfahren daraus, dass der Heilige nicht Speus, wie man in Aachen
seinen Namen seit dem XL Jahrhundert') ausgesprochen hat, sondern
Spea (Speis) heisst; ferner dass derselbe ein Bischof gewesen und zwar
32 Jahre lang, und endlich, dass der Tod desselben auf den 23.
November fällt. Fast alle Nachrichten, die frilherhin über ihn publicirt
wurden, werden durch diese Inschrift widerlegt. Molauus') berichtet,
derselbe sei ein Bischof und Märtyrer gewesen, da es in einem Reliquien-
Verzeichnisse der Aachener Stiftskirche hcisse; Pulveres reliquiarum s.
Spei Epci. et Mart. Das erwäiinteReliquien-Verzeichniss haben wir zwar
nicht gefunden, aber wirklich existirt diese Notiz auf einer im Re-
liquienschreine des h. Spes gefundenen schedula, nur fehlt das Wort
Mart., was offenbar vom Abschreiber willkürlich hinzugefügt worden
ist Ferner wird auch die Meinung derjenigen widerlegt, welche den
Heihgen für den Abt Speus von Nursia halten, dessen Pabst Gregor
der Gr. in seinen Dialogen 8), und das römische Martyrologium*) auf den
28. März Erwähnung thun^); denn der Aachener Heilige heisst Spes
(Speis), jener Speus, der Aachener Heilige war Bischof, jener Abt, der
Todeötag des Aachener Heiligen ist der 23. Noveniber, der des Nur-
«ianischen Abtes der 23. März.
Auch ist es crwiihnenswertb, dass grade am 23. November das
Fest des h. Sisinnius, dessen Gebeine nach dem Reliquien-Verzeichnisse
1) Die« erhellt aus Lamberti annal. ad. 1072 and 1074 (in Fertz mODiim.
0. Mript. Y, 190), BUB verAohiedenen Keliquietii;ettela im Scliretna dea Heiligen
vad aas mehren Leotionarien, welche das Stiftaarchiv aufbewahrt.
2) Natal. Sanctorum Belgü ad 23. Nov.
8) Gregorii M. dialog. lib. IV. c. 10.
4) Acta 8anct. Boll. ad 28. Januar p. 507.
b) Molanua fährt ihn in seiner Ausgabo des Usaard auf den 26. Dezember an.
100 Erklärung zweier altchristlicher Grabschriften in der Siift«kirche tu Aachen.
des Abtes Angilbert von Centulum ') schon zur Zeit Karls des Gr. in
der Schatzkammer des Aachener Münsters vorhanden waren, gefeiert
wird und von jeher gefeiert worden«). Sisinnius war nach dem grie-
chischen Menologium, welches Cauisius im thesaurus monumentorum
ecclesiast. et historic. veröffentlicht hat, ein Märtyrer aus Cycikus ira
ilellespont,. der in der Diocletianischen Verfolgung mit dem Schwerte
enthauptet wurde'). Es bleibt freilich unaufgehcllt, wie die Gebeine
beider Heiligen mit einander in Verbindung gekommen sind ; allein die
Thatsache, dass letztere schon zur Zeit Karls des Gr. in Aachen auf-
bewahrt wurden und dass ihr Fest an demselben Tage gehalten wurde,
macht es wahrscheinlicli, dass sie ursprünglich an demselben Orte auf-
bewahrt worden sind, •
Nach langem Suchen habe ich endlich diesen Ort entdeckt; es ist
Spoleto*). Nach Ferrarius^) war der h. Spes Bischof von Spoleto und
filllt sein Todestag auf den 23. November, wird aber gewöhnlich auf
den folgenden Sonntag gefeiert ; nach dem allgemeinen Martyrologium,
welches Adalbert Müller im Jahre 1860 zu Regensburg herausgegeben
hat, ist derselbe c. 420 gestorben. Der Tod des h. Bischofs Spes fällt
also nur 20 Jahre später als der des Knaben Artemius, und wenn die
Verbindung der beiderseitigen Grabschriften auf ein und derselben
Tafel an sich auffallend erscheinen muss, so gewinnen wir in diesen
Notizen ein richtiges Moment zur Erklärung, da die Heiligen beinahe
gleichzeitig sind und insofern die Vereinigung ihrer Gebeine in ein und
demselben Schreine nahe lag.
IV. Geschieh tlicbe Nachrichten über das Leben und
den Tod des L. Bischofs Spes. Zu diesen hat mir, nachdem
ich mich vergebens brietlich nach Spoleto vei'wandt hatte, der durch
seine Gelehrsamkeit und Dienstgefälügkeit ausgezeichnete Priester
Dr. Pick in Rom, auf Ersuchen in der bereitwilligsten Weise die
nöthigen üülfsmittel und Aufschlüsse verschafft. Ich freue mich, dem-
selben auch au dieser Stelle meinen Dank auszusprechen.
1) MabiiloD, Bot. SS. ord. a. Benedicti saec IV. p. I, p. 109.
2) Browcr anoal. Trever. Hb. VIII. N. 11-t, p. 414. Auch im Lotbar-AlUr
EU Prüm waren Reliquien des h. Sisinnius, die aber wahrscheinlich von Aachen
Btammen; vgl Prof. Dr. Marx, die SaJ?atorkirobe su Prüm S. 12; mein Buch
über >die HcilißthQmer der Stiftskirche zu Aachen« S. 147.
8) Canisii, thoaaurus etp. tom. III. p. 490.
4) Beschreibung der Erde ron Hoffmann, Pahl ond Pfaff, Stattgart
1834. 11. Bd. 8. 846.
b) AoU SS. Boll. ad. 98. Jaanar. t. U. p. 507.
Erklärung xweier altchriBtlicherGrabschriilen in der Stiftskirche zu Äachcu. 101
Nach den alten Denkmalen und der Tradition der Kirche von
Spoleto war der h. Spes Bischof dieser Kirche zur Zeit der Kaiser
Honorius und Ärcadius (305—408). Der Cisterzicnaer Abt Ferdinaudo
U ghello, der im 17. Jahrhundert ein vorzügliches Werk über die Bischöfe
Italiens und der umliegenden Inseln geschrieben, hat auf Grund dieser
Quellen die Lebensgeschichte des Heiligen entworfen '), die, wenn freilich
etwas kurz, doch noch immer die beste Zusammenstellung seiner Lebens-
notizen ist Da aber heutzutage durch den Aufschwung der Alterthums-
wissenschaft, namentlich der InschriftenkuDde, manches historische
Denkmal an den Tag getreten ist, welches früher entwetler unbekannt
oder unentziffert war, so lassen sich auch derartige Biographien, die
in den letzten Jahrhunderten geschrieben worden, in manchen Punkten
mehr aufhellen und erweitern. So werden auch wir, indem wir Ug-
hello's Nachrichten über den h. Bischof Spes unserer Darstellung
seines Lebens zu Grunde legen, zugleich eine Reihe wichtiger Zusätze
bringen, wodurch erst die Biographie desselben eine feste historische
Unterlage gewinnt: Wir entnehmen dieselben theils den historisch-
archäologischen Untersuchungen des gelehrten Cavaliere de Rossi,
theils anderen bisher unbenutzten Quellen.
Die kurze Lebensgeschichte des h. Spes, welche im Brevier der
Spoletanischen Diözese enthalten ist, rühmt von ihm neben anderen
vortrefllichen Eigenschaften schliesslich eine nicht geringe Kenntniss in
der Poesie und Abfassung von Gedichten, namentlich von religiösen,
welche zur Verherrlichung des Gottesdienstes und zur Ausschmikkung
der Kirchen und Martyrergräher dienten. Vor 200 Jahren, vielleicht
noch sj)äter, existirte in der Domkrrcbe zu Spoleto noch ein schönes
Denkmal seiner poetischen Gabe, nämlich ein Elogium auf den h. Mär-
tyrer Vitalis, dessen Gebeine er selbst unter dem Uauptaltarc der Kirche
Tcrzo della Pieve, einer Landkirche, acht Miglien von Spoleto entferat,
zuerst aufgefunden hat. Das Elogium war auf einer Marmortafel in
Buchstaben vom reinsten antiken Character eingehaucn und bewahrte
den Namen seines Verfassers in der Ueberschrift. Da dasselbe zur
Familiengeschichte des h. Spes fast noch wichtiger ist als zur Ge-
schichte des h. Vitalis, so verdient es hierorts vollständig mitgetheilt
1) Ct. Italia sacra aive de Epieoopia Italiae ei insutamm adjacontium otc.
nutore D. Ferdinando üghello Florentino, Abbato es. Vincentii et Anaataaii ad
Aqua« Salfiat Ord. Cisteri. Editio sccunda eiuota et om«Ddata cura ei studio
Nicolai Coleti. Yenetiia apud Sebast. Coleti MDCCXYII iom. I, p. 1255.
102 Erkknas
■Hebrällk^Br GnliMihnftM in 4flr I
za «erdeo. Wir reprododren die correete Jkhidinft, wdcke de Rossi
viedcr aolgefnideB mid im senieai Bolktioo & Arcboftlo^ ouliaiia
1871 y. 3, n. Serie, anno secondo zum Abdrndt gebracht hat :
SPES BSCOPAVS OEI SERV ^ VS SANCTO VITALI MARTIRI
A SE PRIMVM INVENTO ALTARIS HON (JÜOREM FECIT
MARTIRIS HIC LOCVS EST VITAUS NOMINE VERO »)
QVEM SERVATA FIDES ET CHRITI PASSIO VOTAT «)
SOLVS HIC E NOSTRIS VICTRICIA PONA REPORTANS
AETERNAM COELO MERVIT PERFERRE CORONAM
HVNC PRECOR VT LVCIS PROMISSAE CAVOIA CARPAM
ETQVAE VIRCOPRAECANS POSCIT CALVENTIA PRAESTET
CORPORIS INTACTO PVRI DECORATA PVDORE
PLVSQVE OATVRA FIDE DECORIS QVAM QVOD PIA PATRI
EXHIBET OFFICIA ET PVRO VENERA tur a)MORE
VTQVE PROBANTE OEO MANEAT PER (sae)CLA F10ELI(8)
PRAEMIA LAETA SIBI CONCESSO MVNERE SVME(ti8)
SANCTIS LAETVS EGO SPES HAEC MVNVSCVLA (dono)
SANCTt ViTAUS MARTYRIS PASSIONIS N(a|TALIS DIE (K&L Martiaa)
Wann die Marmorplatte aus dem Dome zu Spoleto TcrschwaDdeD,
ist nicht bekannt. Mittlerweile steht der Steinsarg, worin ehedem
sätnintliche Gebeine des h. Vitalis geruht haben, mit Asche und eiuigeiii
Gebein erffiUt, noch immer hinter dem Altare der jetzt verlassenen und
verödeten Kirche Terzo della Pieve. Eine Inschrift an der Kirchen-
mauer, aus dem XVI. Jahrhundert stammend, die auch des h. Spes Er-
wähnung thut, besagt, dass Paulus Sanvitalis, Bischof von Spoleto, am
24 Juli 1597 eine Reliquie des heihgen Märtyrers (cms) und die Mar-
mortafel in seine Cathedrale habe versetzen lassen.
Die Uebertragung der h. Reliquie von St. Vitalis sowie der be-
schriebenen Memorieutafel wird auch von dem Spoletani sehen Gcschiclits-
1) Da Vitalia als Adjeciiv von vila gebildet an sich kein Nomen proprium
iat, so wird damit einerseits bezeugt, dasa das Wort bicr gleichwohl als nomen
proprium aoizufasseD «ei, anderseits auf die inhaltreiche Bedeutung hingewieaen.
AehnJicbe Beispiele Tgl. bei Lupi s Severa p. 131.
2) Gleichbedeutend mit conaecrat; der Sinn iit: »ein Opfer dea Glaubens
und Leidens für Giristoa«.
Erklärung xweier aUobrUtlicher Grabscfarifien in der Stiftskirche zu AMbon. 103
Schreiber Campelloi) bezeugt Die berogte, vom h. Spea verfasste
Io8cbrift aber sandte Bischof Sanvitalis in getreuer Abschrift nach Rom
an den gelehrten Oratorinncr P. Gallonius, in dessen Nachlasse de Rossi
sie gefunden liat. Auch ist sie mitgetheilt in LeonscilU's historia
Spolelina, per seriein episcojiorura digesta, correcta et locupletata a
Seraphino de Scraphinis a, MDCLVI., die handschriftlich in Spoleto
aufbewahrt wird. Aus diesen Quctlen hat sie de Rossi 1. c. zum Abdruck
gebracht.
Verwerthen wir jetzt den materielleo Inhalt der Inschrift für die
Geschichte des h. Spe.s. Aus den Worten : solus hie e nostris geht
ohne Zweifel hervor, das der h. Bischof aus der ländlichen Ortschaft
Terzo dellaPieve gebürtig war, ebenso wie derb. Viatalis'); denn von
Spoleto, das viele Märtyrer, auch schon im fünften Jahrhundert, auf-
zuweisen hatte, konnte unmöglich gesagt werden, dass der Märtyrer
Vitalis allein daher stamme.
^Eine nicht minder interessante Nachricht über den b. Spcs lieat
man iu v. f», nämlich dass der Meilige eine Tochter »), Namens Calventia,
hatte, die sich durch Herzensreinheit, Glaubenstreue und kindliche
Liebe gegen ihren Vater auszeichnete. Indem dieser sie als solche
preist, eniptiehlt er sie dem Schutze des h. Märtyrers Vitalis. Daraus
folgert de Rossi, dass Spes aus oder nach dem Ehestande in den
Friesterstand getreten sei. Durch diese Notiz gewinnt auch das Wort
solus in V. 3 erst recht seine Bedeutung, nämlich der h. Vitalis ist
der einzige Märtyrer von den Unsrigen, d. L aus unserem Dorfe, wo
ich und Calventia geboren sind.
Die miuuscula (üaben) des letzten Verses sind oflenbar von dich-
terischen Inschriften auf die Gräber der Märtyrer zu verstehen. Solche
poetische Verherrlichungen der Martyrergräber waren in den ersten
christlichen Jahrhunderten sehr beliebt, man sah darin eine Art reli-
l^öser Verehrung gegen die Märtyrer, wesshalb sich auch Bischöfe und
Priester mit der Abfassung derselben beschäftigten. Besonders tüchtig
und eifrig in diesem Fache erwies sich Pabst Damasus (t 384), wie
noch dermalen die römischen Katakomben ausweisen. Auch der b.
1) Campello, delle faiaioire di Spoleti p. 235.
2) Vergl. darüber de Hob ei 1. o.
3) Campello 1. c. p. 213 fasat diesea Wort in geiiUicbem Sinne auf uud
ventebt darunter eine DiaconisBin, die dem b. Spcs im Dieost« seiner Kirobe
bcbUlflicb gewesen sei, aber durchaus unriobtig, wie auch de Rossi anerkennt.
I
104 ErkliruDg Kweier altchristlicber Grebscbrifton in der Stiftskirohe zu Aachen.
Bischof Spes war in dieser Kunst nicht blos wohl erfahren, sondern
auch eifrig thätig. Wie der über pontificalis *) von Damasus saugt:
Hie multa corpora sanctorum inartyruni requisivit et itivenit, quorum
etiam concilia (i. e. coemeteria) versibus decoravit, so sagt das Spoleta-
nische Brevier*) vom h. Spes: Ornavit ecclesias et martyrum memo-
rias, quas carraiaibus decoravit. Und so zeugt in gleicher Weise hier-
für der letzte Vers seines auf den h. Märtyrer Vitalis verfertigten
Grabgedichtes.
Einen wunderbaren Vorgang aus dem Leben des h. Spes gelegent-
lich der von ihm vollzogenen Einweihung der Kirche zu Montefalco
berichtet die Lebensgeschichte') des h. Priesters Fortunatus, die ein
spoletanischer Priester Namens Audelaus ums Jahr 700 geschrieben
hat und aus welcher u. A. auch ereichtlich, dass Bischof Spes bei dieser
Gelegenheit den Leichnam des Fortunatus in der neuen Kirche be-
stattet hat.
Wichtig für die ÄufheUung der Geschichte des heiligen, jetzt in
der Stiftskirche zu Aachen ruhenden Bischofs Spes ist die in deRossi's
Bulletino di Archcologia cristiana enthaltene überraschende Mitthei-
lung, dass der Sarcophag des h. Spes im Subterraneura der Apostel-
kirchc bei Spoleto, ungefähr eine italienische Meile von der Stadt ent-
fernt, noch heute vorhanden sei, und dass sich auf dem Deckel desselben
in Buchstaben des 4. oder 5. Jahrhunderts eine Inschrift befinde, welche
über die Würde, Lebenszeit und den Todestag des Heiligen sichere
Auskunft ertheile. Vordem gehörte die Kirche dem Domcapitel zu
Spoleto, welches am Feste der heiligen Apostel Simon und Judas dort
feierlichen Gottesdienst hielt; sonst war dieselbe wenig benutzt, jetzt
ist sie durch die italienische Regierung säcularisirt. Die Inschrift lautet
nach de Rossi*):
DEPOSITIO. SANC
TAE MEMORIAE VE
NERABILIS SPEIS
AEPISCOPI -DIE. Vim.
, KAL. OECB. QVI V(
XIT IN SACERDOTI
O. ANNIS. XXXII.
1) LiK pontific. ad Damasum § 2.
2) Lectio n. Nooturai d. 23. Nov.
9) Ein correcter Abdruck dereelben findet eich in den Acta 88. Boll. Jumi
t. I, 76. Lectionanuni Spoletan. ccclesiae t. I.
4) de RoBBi, Bulletino di Aroheologta cristiana 1871, II. •eric, auuo
leoondo p. 113. *
Erkl&niDg zwoier altebristlioher Grabaohrirten in der Stiftskirche zu Aachen, 105
Die Abschrift auf der Aachener Pergamenttafel stimmt also mit
dem Original wörtlich überein, und zwar bis auf die Buchstaben und
Abkürzungen; nur hat die Abschrift drei Zeilen, während das Original
ihrer sieben hat.
Aus der Inschrift geht hervor, dass »der verehrungswürdige
Bischof Speis heiligen Andenkens« am 23. November im 32. Jahre seines
bischöflichen Amtes gestorben ist. Der Name Spes als weiblicher
Personenname ist nicht selten. Wir kennen die h. Spes ^), Schwester
TOD Fides und Charitas, die mit diesen unter dem Kaiser Hndrian
die Martyrkrone erlangt hat; Urittia Spes') in einer Grabschrift, die
Gruter mittheilt; Cornelia Spes*) in einer anderen Grabschrift eben-
daselbst; aber als Mannsname ist er selten. Wir fanden nur ein Bei-
spiel in den Dialogen Gregors des Gr., wo ein h. Spes, Abt des Klosters
Kample bei Nursia, erwähnt wird*). Sein Fest fällt auf den 28, März.
Cavaliere de Rossi'') entdeckte noch zwei andere Spoletaner, welche
Spes geheissen haben, nämlich Flavius Spes, einen der vornehmsten
Bärger der Municipalstadt Spoleto im Jahre 346, und einen zweiten,
der mit Domitius unter dem Kaiser Theoderich die Austrocknung der
Spoletanischcn Sümpfe unternommen hat. Beide Männer werden bei
Cassiodor, der dieses berichtet*), angesehene Leute (viri spectiibiies) ge-
otnot; den ersteren hält Campello') in seiner Geschichte von Spoleto
filr einen Verwandten oder Vorfahren unseres heiligen Bischofs, doch
vermag er einen stringenten Beweis dafür nicht zu liefern.
Es erübrigt nunmehr die Frage, wann der h. Spes gestorben Bei.
Wäre das auf der Stirnwand der St. Fortunatus-Kirche zu Moutefalco
verzeichnete Jahresdatum*) der Einweihung dieser Kirche, nämlich 402,
1) Ihre Acten sind von Metbaphraat aus älteron Documenton abgseohrieben
nnd veröffentlicht worden (ad 17 Sept.). Auch das gricchieche Menologium von
Canisiu« (thesaur. monum. eocl. tom. III) setzt ihr Fest auf diesen Tag und
bringiseine kurze Biographie. Im römischen Martyrologium dagegen, ferner bei
Uauard, Ado nnd A. fällt ihr Feat auf den 1. Auguat.
2) Gruter, inscript. antiquae II p. 775*.
3) Gruter, I. c. p. 796". Andere Beispiele ebenda: I, 608*, 666«, 6fi6*,
776», 776'«, 786». 818", 949"> u. s. w.
4) Gregorii M. dial. lib. IV, c. 10 ed. Migue totu, III. p, 334.
6) Bulletino 1. c. p. 114.
6) Cassiodori Variar. 11. p, 21 ed, Paris, d. a. 1679.
7) Campello, histoire di Spoleti p. 196 u. 311.
8) De Botai, Bullelino I. o. p. 114.
I
106 Erklärung zweier altchriaUicher Grabschriften in der Siiftskirohe sa Aaohen.
richtig, so wäre damit zur Beantwortung dieser Frage ein fester An-
haltspunkt gewonnen ; aber diese Angabe ist nichts Anderes als eine
willkürliche Meinung des Geschichtsschreibers Camp eil« '), wie de Rossi
nachweist. Ug hello setzt seinen Tod ungefähr in's Jahr 453, indem
er sagt'): »Sein (Spes) Leben fristete er bis auf die Zeiten Leo's des
Gr. und des Kaisers Valentiuian. Um den Sturz des Römerreiches
und die heftigen Angriffe der Ketzer auf den Apostolischen Stuhl nicht
zu sehen, berief ihn der Herr am 28. November 453 vom irdischen
Schauplatz ab; er starb als ein Mann von grosser Heiligkeit, Wissen-
schaft und Verdienst«. Aber auch diese Meinung hat wenig Gewicht,
weil ihr jeder positive Anhalt fehlt und muss daher der gewöhnlichen
Angabc, welche sich auf die Tradition der Spoletanischen Kirche stützt,
weichen. Letztere lautet aber dahin, dass der h. Bischof Spes entweder
gegen Schluss des vierten, oder gegen Anfang des fünften Jahrhunderts
gestorben sei. De Rossi stimmt dieser Meinung vollkommen bei und
findet gerade in der Spes'schen Inschrift auf den h. Vitalis einen
ziemlich starken Beweggrund dazu. Diese Inschrift zeichnet sich näm-
lich durch grosse Einfachheit im Sinn und in der Construction aas,
was eher auf das vierte als auf das fünfte Jahrhundert deutet; sie
zeichnet sich namentlich vortheilhaft in dieser Beziehung vor den
Inschriften des spoletanischen Bischofs Achilles aus, den die unvor-
denkliche Tradition dieser Kirche in den Anfang des fünften Jahr-
bundeil^ versetzt. Wenn man die Inschriften beider mit einander ver-
gleicht, so wird man de Rossi sofort beistimmen, wenn er den h. Spess
eher für einen Vorgänger als Nachfolger des Achilles hält') ; denn die
des Achilles sind, wie die meisten Gcistesproducte der spätrömischen
Zeit, in schlechtem Latein geschrieben und sehr breitspurig*).
So hat also die gewöhnliche Meinung, dass der h. Spes am
1) L'anno 402 e stato proposto dal Campello (bist, di Spoleti p. 207, 213,
231 — 233); il quale non solo oredette ciecamente al Ferrari affermaute Spes avere
tioritu sotto Arcadic ed Onorio; ma ardi aucho senza prova Verona stabilire nel
370 il principio dei 32 anni scgnati noU' epitafio e nell' ultimo di queati, cioe
nel 402. la oonoacrazione doUa basilica di a. Fortanato.
2) Ughelli 1. c. col. 1266.
3) De Rossi. Bulletino 1. c. p. 116.
4) Di« Inschriften finden sich beide Rossi. inscript. christ. tom. I. praef.
p. Yll. Derselbe copirte sie aus dem Cod. Palat. Vatic. 863 fol 75. Auch
fiudeu BIO sich bei Gruter, inscript. antiq. p. 1175, 7, 8, 9. abgedruckt, doch
fehlerhaft.
Erklärung zweier aUcbrisllicher Grabsohriflen in der Stiftskirche eu Aftchea. 107
Schlüsse des 4. oder im Anfange dos 5. Jahrhunderts oder, um die
Zeit bestimmter zu begrenzen, während der Regierung der Kaiser
Honoriua und Arcadius gestorben sei, das meiste Gewicht; das Todes-
jahr desselben mit aller Bestimmtheit anzugeben, wird wolil nur von
der Entdeckung neuer (Quellen abhängen.
V. Verification des Grabes und der Gebeine des b.
Spes. Da, wie bereits erwähnt, die Schatzkammer der Stiftskirche zu
Aachen fast alle Gebeine des h. Spes besitzt, war es wichtig zu wissen»
ob und welche Gebeine noch heute in dessen Sarcophag zu Spoleto
sich befinden. Ueber seine bezügliche Untersuchung berichtet uns H.
Dr. Pick aus Rom iu einem ausführlichen Schreiben vora 31. October
IST.*» Folgemies;
•Der Erfolg meines Besuches in Spoleto war wegen der Abwesen-
heit des Herrn Erzbischofs leider ein unvollständiger. Ich besuchte
den dortigen Seminarregens und Erzdiacon, Mspr. Luzzi, einen liebens-
würdigen Herrn, der mir die Ihnen neulich mitgetheillen Nachrichten
gegeben hatte. Wir machten darauf beide zusammen den Weg durch
die Ebene nach der Apostelkirche, worin die Urne des h. Rischofs Spes
sich befindet. Der gegenwärtige Besitzer der Kirche, Dr. Sinibaldi, ge-
stattete uns in liberalster Weise dieselbe zu inspiciren. Arbeiter waren
daselbst beschäftigt, da der Eigcnthüraer die Kirche in ein Magazin
umwandelt. Ich liess den Eingang zu dem sogenannten Subterraneum,
welcher durch Holzwerk verdeckt war, bloss legen. Derselbe ist mitten
in der Kirche, gerade vor den zwei Stufen, welche zur Absis führen.
Dicht an den Stufen befindet sich der den Eingang theilweisc deckende
Stein mit der Inschrift : DFPOSITIO 8ANCTAE etc., wie sie de Ros.si
verzeichnet. Sechs oder sieben Stufen führen in das Subterraneum hinab.
Dieses besteht nur aus einem sehr niedrigen, engen und kurzen Gange,
in den man sich nur knieend hincinbegeben kann. Der Boden des
Subterraneums ist fast ganz durch den Deckel des- im Boden befind-
lichen Sarcophags verdeckt. Der roh aus einer Steinplatte ausgehauene
Deckel trägt keine Inschrift und hnt eine oblonge, dachioraig construirte
Form. Bei näherer Untersuchung fand ich, dass der Deckel in jüngster
Zeit zum Theil aufgehoben worden war, wahrscheinlich von den Ar-
beitern, die vielleicht Werthsachen, Metall oder Antiquitäten darin ver-
mutheten. Man hatte ein paar kleine Steine zwischen den Deckel und
den Rand des rohen Sarcophags gelegt, vielleicht um gelegentlich den
eingebildeten Schätzen weiter nachzuforschen. Da also doch einmal
der Deckel gehoben resp. geöffnet worden war, wie auch Magr. Luzzi
106 Erklärung zweier altchriBÜicherGrabschrift-en in der SlifUkirchc ea Asciwa.
selbst sah, so nahm ich keinen Anstand, durch einen Hebel den Deckel
80 weit lüften zu lassen, dass ich das Innere beleuchten und hinein-
blicken konnte. Ich bemerkte nun, dass eine Lage ziemlich dicht und
flach nebeneinander gefügter Ziegelstücke ohne Mörtel das Innere bis
zu ungefähr <>— 8 Zoll vom Rande abschloss; den unter den Ziegeln
belindlichen Inhalt aber konnte ich nicht untersuchen. Im vorderen
Theile des Sarcophags waren die Ziegel aus ihrer Lwge gebracht, wahr-
scheinlich durch die raubsüchtige Hand eines Arbeiters. Auffallend war,
dass der Mörtel, welcher Deckel und Sarcophag verbindet und welcher
durch die ersten Eindringlinge an der vorderen Seite hinab- und in den
Sarcophag hineingestossen worden war, aus einer Art Tun bestand,
welcher sehi* feucht und weich war. Uebrigens soll dieses Subterraneum
mitunter dem Eindringen des "Wassers ausgesetzt sein. Ich Hess den
Deckel wieder sinken und vereinbarte dann raitMsgr. Lazzi, dasa er
bei Rückkehr des Herrn Erzbischofs dessen Autorisation nachsuchen
solle, den Inhalt des Sarcophags zu verificiren. Auch der Besitzer der
Kirche erklärte sich damit einverstanden. Ueber den Modus» die voll-
ständige Oeftnung des Sarcophags vorzunehmen, habe ich bereits mit
Msgr. Luzzi und Dr. Sinibaldi gesprochen. Diese Herren meinten, es
sei am besten, die Decke des Subterraneums ganz zu entfernen. Da ich
Jedoch vemiuthe, dass der eigentliche Sarcophag weiter keine Inschrift
tragen wird und, nach dem Deckel zu urtheilen, kaum von weiterem
historischen Interesse sein dürfte, so erbot ich mich, den schweren Deckel,
durch einige Arbeiter unter meiner Leitung ganz herausnehmen zu
lassen. Dann wird die Untersuchung ohne weitere grosse Schwierigkeit
vorgenommen werden können. Mser. Luzzi versprach mir, mich zur
Vcrjfication einzuladen, und werde ich llineu sodann den Befund nebst
etwaigen sonstigen Erhebungen, die für Sie von Interesse sein können,
mitth eilen.«
Die briefliche Mittheilung des genannten Herrn, welche mir drei
Wochen später zu Theil wurde, lautet:
>»Ich benachrichtige Sie, dass das Grab des h. Spcs in Spolcto,
das vor wenigen Tagen geüffnct worden, leer war; auch nicht eine Spur
von dessen Ciebeinen war vorhanden.u
Hiernach kann ea keinem Zweifel unterliegen, dass die Gebeine
desselben, welche heute in der Stiftskirche zu Aachen aufbewahrt wer-
den, dieselben sind, welche ehedem in der zu Ehren dieses hl.
Bischofs erbauten Kirche zu Spoleto geruht haben und dass
dieselben zur Zeit Karls des Gr. nach Aachen transferirt worden
£rkl&riuig zweier altchrietlicher Grabtcbriften io der Stiftskirche zu Aachen. 109
sind. Wo aber das Haupt desselben geblieben, ist bis zur Stunde
unbekannt.
VI. Späteres Schicksal der Gebeine des h. Bischofs
Spes. An diese geschichtlichen Nachrichten über Person, Ileiniath und
Zeit des h. Spes reihen sich passend dit^jeuigen an, welche uns Lam-
bert von Hersfeld Aber die Verschleppung seiner h. Gebeine von
Aachen nach der Harzbiirg in Sachsen inittheilt. »Der König (Hein-
rich IV.) reiste, so heisst es in dessen Jahrbüchern') zum Jahre lo72,
nach Aachen, nahm dort don h. Hekenner Speus und den Arm Siineons
des Gerecht«!, dessen im Evangelium gedacht wird, ferner das Haupt
des Mönchs und Märtyrers Anastasius und die Reliquien anderer
Heiligen und brachte sie nach Hartesburc.« Der Chcouist beschreibt
sodann, wie sich der Kaiser seit jener Zeit im deutscheu Reiche, na-
mentlich in Sachsen und Thüringen, durch sein unchristliches Leben und
seine gottlose, tyrannische Regierung verhasst gemacht und dadurch
in den beiden letztgenannten Territorien die Revolution hervorgerufen
habe. In den gcellsten Farben schildert er wie die verschiedenen in jenen
Gebieten gelegenen Burgen des Kaisers, namentlich Kytfhausen, Heim-
burg, Äsenberg, Volkenroth, Spatenburg, vor Allem aber die Harzburg,
wo sich derselbe gewöhnlich aufhielt, im Sturm der entfesselten Volks-
wath zu Grunde gegangen seien. Letztere wunie dem Erdboden gleich
gemacht. Anfangs war sie, wie der Annalist berichtet, bloss zum Theil
niedergerissen worden. »Aber das gemeine Volk in Sachsen, nameut-
lich diejenigen, welche die näclLsten Dörfer bei der Hartesburc be-
wohnten, nahmen daran grossen Anstoss, indem sie glaubten, der
König werde in Kurzem den Krieg erneuern und den Ort wieder auf-
bauen and besetzen lassen .... Daher überfielen sie die Hartesburc,
brachen Alles, was noch von den Mauern übrig war, von Grund aus
nieder und streuten die Steine weit und breit umher. Mit den übrigen
Bauten, welche die Nachsicht der Fürsten unverletzt erhalten hatte,
verfuhren sie auf gleiche Weise, verbrannten sogar die Kirche-), welche
am den Bau zu beschleunigen, einstweilen von Holz aufs Geschmack-
vollste gezimmert worden war, plünderten die Kleinodien und zcrtriim-
merten die Altäre. Die Reliquien der Heiligen, welche nach Erbrechung
der Altäre herausgewühlt worden waren, und die ausgegrabenen Leich-
1) StrnTÜ, rerum Germ, script. Ratisbonae 1726 tom I. p. 351.
2) Diese Kirche beabaiobiigic der Kaiser zu einom ChorherrDstifte einzu-
ncht«D. Lambert! annales, ad- a. lO?-!.
110 Erklärung zweier altchriatlinhcr Grabschriften in der Stiftsldrohe eu Aaofaea.
name der Verstorbenen entriss der Abt eines benachbarten Klosters,
welcher noch zur rechten Zeit hinzukam, dem wüthenden Pöbel und
übertrug') sie ehrerbietigst in sein Kloster«. Welcher Abt diese Helden-
that vollbracht und in welches Kloster er die geretteten Reliquien der
Heiligen gebracht hat, verschweigt Lambert"). Wahrscheinlich hat
auch derselbe Abt die heiligen Reliquien, die Heinrich IV. dem Aachener
Marienstifte entzogen hatte, demselben wieder zurückerstattet; denn
mit der Harzburg war auch die dazu gehörige Schlosskirche in Asche
gelegt und an Wiederaufbau derselben war nicht zu denken. So fiel
jeder Grund fort, der Krönungskirche zu Aachen den ihr ungerecht
entzogenen Reliquienschatz länger vorzuenthalten.
Seitdem aber derselbe wieder an seinen rechtmässigen Ort zurück-
gekehrt war-*), wurde er hier der Gegenstand grosser Verehrung, In
allgemeinen Nüthen, uamenthch bei Erdbeben, Krieg, Thcnerung,
Hungersnoth u. s. w. nahm das gläubige Volk zu Aachen gern zum
h. Spes seine Zuflucht, und so oft eine Bittprocession durch die Stadt
gehalten wurde, wurden seine Gebeine im verschlossenen Reliquien-
behälter mit herumgetragen. So berichten die alten Kapitels-Protokolle
des ehemaligen Krönungsstiftes. Die jetzige Heliquienlade des h. Spes,
die in meinem Buche über die Aachener Ileilgthümer näher beschrieben
ist*), stammt gemäss der Technik des Werkes und dem Buchstaben-
Typi^s der daran befindlichen Inschrift aus dem Anfange des XH. Jahr-
hundert<5 und weist also selbst darauf hin, dass sie zur Bergung des
kostbaren Schatzes bald nach seiner Riickkehr nach Aachen angefertigt
worden ist.
VH. Deutung und Erklärung der Spes'scheu Inschrift.
1) Reliquiaa SAnclorum, quae efl'ractia altcribus erutae fuerant, et efFoMa
defunctorum corpora ablias ex vicino coetiobio opportune superveniena furenii
vuIjBfo en'puit aique in fmum mounsterinm cum honore transvexit. Lamberti, anoal.
ad. a. 1074 1. c. p. 372.
2) MabilloQ denkt au den Abt des Si. Petri-Kloater« in Fritzlar (anoal.
tom. y. p. 72); Deliua (Ocsohicbtc der Uarzburfo^ S. 86) und der neuste Ueber-
Betzer von Laraberts Jahrbücher, L. Fr. Hesse (Berlin 1855, S. 1G6) vor-
muthen den Abi von Ilsenburg.
3) Auch der Arm des h. Simeon und das Haupt des b. Märtyrers Ana-
Btasius sind mit den Gebeinen des h. Spus nach Aachen znrüuk^ebracbt worden;
von den unhenannten Reliquien, die Kaiser Hd^inricb IV. aus der Aachener
äcbatzkaoimcr wegenommen hat, kann dioa nicht nachgewiesen werden.
4) Vgl. S. 114.
Erklirnng zweier altchristlicher Grabachriflen in der Stiftskirohe zu Aachen. 111
Depositio. Wir haben bereits oben den Begriff dieses Wortes im
christlichen Sinne dargelegt; es bezeichnet ira gewöhnHchen Sprachge-
braache die Beisetzung einer Leiche mit dem Nebengedanken: für
die kflnftige Auferstehung. Dieser Begriff wurzelt, wie wir gesehen
haben, in dem auch bei den heidnischen Schriftstellern üblichen Sprach-
gebraache dieses Wortes und ist nicht willkürlich in dasselbe gelegt;
«wt durch die nähere Beziehung wird er ein specifisch christlicher.
Da aber einmal die Bedeutung des Wortes auf solche Weise in Fluss
gcratben, so war vorauszusehen, dass dieselbe damit für die Folge
Dicht abgeschlossen sein würde. Und so finden wir in den letzten
Zeiten des Römerreiches und noch später, dass deponi nicht bloss in
Beziehung auf die Beisetzung der Todten, sondern auch in Beziehung
auf den Tod selbst gebraucht wird. Das Wort erhält geradezu den
Sinn von Sterben; der dies dopositionis ist der eigentliche Sterbetag.
Wir wollen versuchen, ^dieses im Anschluss an das früher Gesagte
näher zu begründen.
1. Wie jetzt, so bezeichnete man auch schon in der ersten Zeit
des Christcnthums das himmlische Leben als das wahre Leben des
Menschen, als das eigentliche Ziel desselben; daher war den alten
Christen der Todestag der eigentliche Geburtstag für die Ewigkeit').
Der Tod hat daher für den Christen die höchste Bedeutung, da er
einerseits die Noth und Unzulänglichkeit des irdischen liCbens ah-
schljesst, und anderseits die Vollendeten in die Herrlichkeit des himm-
lischen Jerusalem einführt.
2. Aus diesem Gesichtspunkte feierten die ersten Christen blos
den Tag des Todes und der Auferstehung Christi. Sie begannen ihre
Zeitrechnung und ihr Kirchenjahr mit Ostern, und der erste Tag der
Woche, welcher statt des siebenten gefeiert wurde, erhielt den Namen
Tag des Herrn (dies dominica). Diese Anschauung bildete die funda-
mentale Grundlage^ auf welcher in der Folgezeit die Feier der Ge-
dftchtnisstage der Märtyrer und Heiligen, und schliesslich die Feier
der Gedächtnisstage für alle verstorbenen Christen, die im Frieden der
Kirche dahin schieden, sich entwickelte. Der Todestag aber galt immer
]) Digne natalem, sagt der b. Augustinus, eoruni colimus, quoa lieatius
Betemaa vitae tnundua edidit, quam mundo materaorum visoerum {larlas «ffudit.
•arm. X. de Sanctis. Der b. Petrus Cbrysologu« sagt: Natalem Sattctorum cum
«oditi«, obariasimi, nolite putare ilhim dici. quo nascuntur in terram de carne,
wd de terra in coeium, de Iftbore aJ requiem eto. serm. 129 ed. Seb. Pauli
YenetUa 17&U.
112 RrklAnrog zweier allofarwtlicker GnlMehrUt«» ia darSUAakiniw »m AkcHflo.
ala der Anfang des wahren Lebens, welches den Verstorbeneo zu Tbeil
geworden ; er worde daher natale, nat&litium oder dies natalis (Gdmrta*
tag) genannt. Die Kirche von Smyroa betlient sich schon dieses Aoa-
drttck» ') in dem Senduchreiben Ober den Martertod des h. PolycannM.
Ebenso redet der gleichzeitige Verfasser der Martergeschichte des b.
fgnatius *). Der h. Cyprian hielt daher sehr streng darauf), dass ihm
die Tage, an welchen die Bekenner in den Kerkern gestorben waren»
oder die Märtyrer ihr Leben beendigt hatten, genau angezeigt wQrden,
dUDiC jedesmal am Jahrestage, wie er sagt, das feierliche Gedächtniss
derselben durch Gaben und Opfer gefeiert werden könnte. Die meisten
altchristiicbcn Grab:$chriiten geben daher nur den Todestag der Ycr-
storheiien an, über das Todesjahr gehen sie mit Stillschweigen hinw^.
Stand aber einmal der Todestag eines Märtyrers oder Heiligen fest, so
ist es leicht erklärlich, wie derselbe im Leben der Christen ein Termin
cur Bestimmung anderer Gedächtnisstage werden konnte. Z. B.*):
HIC REQVIESCrr VITALIS Hier ruht Vitalis
MOLITOR. DEPOSITVS
IN PACE.IN NATALE
OOMNES SOTIRETIS.
Au solchen Jahrestagen der Märtyrer und Heiligen stiegen die
Christen in die Katakomben hinab, wohnten dem über dem Grabe des
Heiligen dargebrachten Messopfer bei und stärkten sich durch den
Genuss ber b. Eucharistie zur Nachfolge desselben. Noch heute ge>
währen die alten Kaiendarien*) einen lichten Einbhck in das religiöse
Leben der alten Christen.
der Müller. Beigesetzt
in Frieden am Feste
der Herrin Soteres.
1) flag/^u 6 xv^oi tnniXtiv t^ tov fittQTi'Qfov aitov fift/^v yiy(9ijov', cC
Ilefele, Patrum apostoHc. opp. cd. IV. p. 21K).
2j Hcfele, 1. c. p. 265.
3) Cyprian ep. 37 ad preabyt. et diac.
4) Marlyrologium rotn. adnot. illast. ed. Roaweid S. J. Aatverpiae 1628
p. 74. Diese h. Juogrfi-Ba gehörte dcnuelben Gosohlechte an, sua dem später
der h. Ambrosius hervorging. Sie wurde im Jahre 804 in ihrem eigenen Coe-
meterium beerdigt, daa in der Folge nach ihr benannt wurde und in der Nähe
▼on St Calliato lag.
6) IHcflc Kalendarien haben in unserer Zeit, wo Terhältnissmässig nur
wenige der BltcbristUohen Coemeterien bekannt und offen gelegt sind, auch noch
den Vortbeil, dass sie cur Auffindung derselben, s<)Wie der in denselben depo-
nirten Gebeine der Martjrer und heiligen Bekenner vortrefilicbe Anhaltspuxücie
gewähren.
EiUimng zweier altchriBtlicher Orabscbriften in der Stiftskirche zu Aachen. 113
3. Bei der grossen Wichtigkeit, die der Tod im Sinne des Christen-
thums sowohl für das Jenseits als Diesseits besitzt, kann es nicht auf-
fällig sein, dass der in Rede stehende specifisch christliche Terminus
f&r den Ort der Bestattung eines entseelten Leichnams auf den Tod selbst
übertragen wurde, wobei der gewöhnliche Sprachgebrauch desselben,
wie er sich bei den heidnischen Schriftstellern findet, massgebend war.
Bei Ovid^) heisst es z. B.: Depositum nee me qui fleat, ullus erit?
Cicero*) sagt: Maxime aegra et prope deposita reipublicae pars.
VirgiP) sagt: Ille, ut dcpositi proferret fata parentis. In all diesen
Stellen heisst das Wort depositus so viel als abgelebt, verstorben, todt,
was sich auch leicht begreift, wenn man die Gebräuche der Römer bei
der Leichenbestattung berücksichtigt. Die Leiche wurde nämlich bald
nach dem Tode des Menschen vom Sterbebette herabgenommen und
auf die Erde gelegt (deponere), um gewaschen und mit wohlriechenden
Oelen und Salben gesalbt zu. werden. Diese Handlung, welche der
Libitinarius besorgte, diente dazu, theils um den Anblick des Todten
weniger abschreckend zu machen, theils um der allzu raschen Ver-
wesung Einhalt zu thun, indem bei den Vermögenden der Leichnam
7 Tage lang ausgestellt zu werden pflegte. Mit seinen besten Kleidern
geschmückt, bekleidet mit der Toga, wurde der Todte sodann auf den
lectus funebris gelegt. Dadurch also, dass die Niederlegung der Leiche
auf die Erde stattfand, wurde zugleich constatirt, dass der Tod ein-
getreten sei, und so ist es gekommen, dass das Wort depositus selbst
den Begriff des Gestorbenseins, des Todtseins erhielt*). Auch bei
den Griechen waltete derselbe Brauch in der Behandlung der Leiche
und in der Sprache ob, daher sagt Homer'):
Kaz&€fi£voi yoaoiev ' o yaq yigag iarl d^avovziov.
Beispielie dafür, dass das Wort depositio in diesem Sinne bei den
alten Christen gebraucht worden ist, finden sich indessen, wie gesagt,
erst in spätrömischer und fränkischer Zeit ; wir fanden solche erst bei
1) Oridii Trist, lib. III eleg. 8 v. 40.
2) Cioeronis orat. sec. Verrina I, 2.
8) Yirgilii Aeneis XII, 896.
4) Vgl. Ernst Gubl nnd Wilhelm Koner, Leben der Griechen und
Römer II. Bd. 375. I, 318.
6) Homeri Odyes. XXIV, 189,
8
114 Ericlirong xweier «Itcbristlichor Gnibschriftcu in der SUflskirche zu Aachen.
Ambrosias*), Beda') und in den ältesten Kaiendarien and Har-
tyroU^en.
Dieses Resultat der Untersuchung aber weist darauf hin, dass das
Wort depositio, depositus wenig^ns fttr die ersten Jahrhunderte nach
Christus im gewöhnlichen Sinne von Beisetzung, in Frieden beigesetzt,
zu nehmen sei. Da aber auch für die spätröraischc Zeit der neue Ge-
brauch kcinesw^ herrschend gewonlen, sondern, wie die Inschriften
l)eweisen, nur sporadisch auftritt, so ist es gcrathen, auch für diese
Zeit das Wort solange in der gewöhnlichen Bedeutung (von Beisetzung)
aufzufassen, bis aus anderweitigen Zeugnissen die Interpretation auf
den Tod sich als nothwendig erweist.
Sanctc memoria d. i. heiligen Andenkens. Wiewohl die alten
Christen im Gebrauch des Wortes sanctus und beatus sparsam waren'),
so finden sich doch Beispiele, wo dasselbe nicht einen von der Kirche
als Heiligen Verehrten bezeichnet, sondern nur ein abundantes Epitheton
zur Bezeichnung frommer und edler Gesinnung ist. Z. B.'):
GAVOENTIVS. PRESB. SIBI
ET CONIVGI SVAE SEVERAE CASTAE HAC (für ac) SANC(tae)
FCMINAE QVAE VIXIT ANN. XLII. M. III. 0. X
DEP. III. NOW. APRIL. TIMASIO ET PROMOTO.
Aber amlers verhält es sich mit unserer Inschrift. Hier ist nicht
oin Grttte oder ein Kind, woloho der vorstorbonen Mutler eine lobende
Gnibi^ohrifl soiami und in ihrem aberniä&?:con Trauorschmerze nm die
Verlorono es nnt ihren Worten nicht iienau nohmeo, sondern die In-
schrift spricht von oinem Bischöfe, dts<?en Lob nicht Jem Einzelnen,
auch nicht oinor (.'orpon;tion ulorlAsscn co^oson sein kann, dass viel-
mehr durch dio Worte sanctus und vonerabilis .^uf eine voniufgegangene
kirchliche CxHnoniscUion hinweist.
uonorabilis Speis. Was rucn?i das crawmatische Verhältniss
diosov Worte aulHOsit, so stehen dieselben oitciilvir ::r. oosi:;v. der von
O .V*.v.Vrosi'. .'i'p ♦.. 11. 1^ .*. V 4r^. s.u.' i.r' .»•..* IN-jv*:::^ $. E;:jwbii.
l\.» M*xsr-.v.or *v-h;v.V<-« vl..>*o U.vl.> do-.v. V Miv.r.v.-.j j :
Erklärung' zweier altchristlicber Grabschriftcn in der Stiftskirche zo Aachen. 115
depositio abhängt; sanct? memoria dagegen hängt als prädicativer
Genitiv von veoerabilis Speis ab.
Die Namensforra Speis nauss nach den vorhergehenden Miithcilungen
anflallig erscheinen; denn er selbst nennt sich in seiner Grabschrift auf
den h. Märtyrer Vitalis ausdrücklich Spea. Auch ist der Name zu
Spoleto, wie die Zeugnisse der verschiedenen Jahrhunderte nachweisen,
stets Spea ausgesprochen und geschrieben worden. Dafür ist das Zeugniss
in dervita s. Fortunati (c. 700) bereits niitgetheilt worden; ein anderes
aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, welches ein dreibändiges Lectio-
narium MS. der Domkirche za Spoleto bietet, lautet also : in beatorum
ecclesica apostolorum Spes insignis est repertus episcopus, mirifico
rcconditua calatho, qui post sui corporis inventionein diverais inclaruit
signis. In der oben erwähnten Muralinschrift aus dem 16, Jahrhundert,
die sich gegenüber dem Steinsarg des h. Vitalis in der Kirche Tcrzo
dclla Pieve bcöndct» beisst der Name im Genitiv Spei, im Ablativ Spe,
was den Nominativ Spes vorau.ssetzt. So steht die Namensform Speis
aaf seinem eigenen Grabmal vereinzelt da. Nach meiner Ansicht ist
dieselbe als archaistische Aussprache zu erklären, wie z. B. deiva für
divu, deicito für dicito, eidas für idus, leibertus für libertus. Derartige
Beispiele sind in römischen Inschriften, namentlich der späteren Zeit,
nicht selten ').
die Villi Kai. Decb. d.i. 23. November. Noch heute gilt dieser
Tag in der Spoletanischen Diözese als der Todestag des h. Spes und
wird in officio et Missa gefeiert. So berichten Campello, Ughello
und Jacob illi, letzterer in seinen fasti dell' Ömbria. Demnach irrt
das deutsche Martyrologium von Müller, in welchem das Fest auf
den 23. October notirt ist').
in sacerdotio. Das Wort sacerdos wurde in altchristlicher Zeit
sowohl zur Bezeichnung eines Bischofs als eines Priesters gebraucht,
und zwar vermöge des vornehmsten Theiles ihrer Amtsverrichtungen,
der Darbringung des h. Opfers, den beide gemein haben.
VIII. Alter der Aachener Inschrifttafel. Nachdem wir
nun die beiden Inschriften, welche die Eingangs dieser Schrift erwähnte
Pergamenttafel enthält, nach ihrer historisch-archäologischen Seite er-
örtert haben, erübrigt zum Schlüsse die Frage, wann ist die Tafel ge-
schrieben worden und woher stammt sie?
1) Qruter, inscript. lat. I, 88'*, 206», 307« etc.
3) Allgemeines Mariyrotogiuni, von Adalbert filQlIer. Regenftburg 18C0.
116 Erklinui|r nreier altebristlioher Gnbscfariften in derStifUkirche za Aachen.
Um die erste Frage mit hinreichender Sicherheit zn entscheiden,
bieten nns die gründlichen Arbeiten von Mabillon, Letronne, von
Kopp und Sickel die nöthigen Anhaltspunkte. Nach diesen Werken,
die zur Vergleichung der verschiedenen Gattungen lateinischer Schrift
eine Anzahl correcter und verthvoller Schriftproben enthalten, sind
unsere Inschriften in der karolingischen Minuskel geschrieben, d. h. in
der merowingischen Schrift, die in karolingischer Zeit in mancher Be-
ziehung refonnirt worden ist. Watten bach') erklärt diese Schrift (tir
zu eigenthQmlich, als dass sie nicht auf einen bestimmten Ausgangs-
punkt znrflckgefflhrt werden könnte, und dieser kann nach seiner
Meinung kein anderer sein als Alcuins berühmte Schule im Martins-
kloster zu Tours. Da aber die erwähnten Schriftproben, die von Kopp*)
nach karolingischen Urkunden der Jahre 753 bis 82)3 angefertigt hat,
eine unseren InschriAen frappant ähnliche Schrift zeigen, so ist diese
Ansicht nach meiner >f einung wohl nicht haltbar; denn AIcuin stand
jener Schule vom Jahre 796 bis 8W vor. Hierzu kommt noch ein
zweites Argument, welches für ein höheres Alter. der karolingischen
Minuskel spricht. Die Herausgeber derLitnrgia Sacra, Marzohl und
Schneller, haben im vierten Bande ihres Werkes ein kostbares Mar-
tyrologinm des alten Bonedictinerstifts Rheinau. das sie auf Grund
gewichtiger Indizien in's achte Jahrhundert versetzen, veröffentlicht').
IMeselbe Handschrift aber, welche dieses Martrrologiura enthält *), birgt
noch einen zweiteu Schatz in sich, nämlich ein Sacraroentarium aus
jenor /eil, oino Mischung von Gelasianismus und Gresorian Ismus. Auf
S. VM ist ad coream benetlicemlam in Sabbatho sancto folgendes Ge-
ltet vorgi^sohrielKMi : et pro dementissimo rege N. coniugeque eius ac
filiis ounoto«iuo oxervitu Franoorum quiote temponim concessa etc. —
ein lU'Wois. dass dieser (.Vnlex vor Horstellung dos abendländischen
Kaisertluuns anjioferiigt ist. Wahrscheinlich "St dieses jenes berfthmte
(5eM, welches die Bischöfe auf der SyncKie von Düren 77l> für tlen
Koiiig, seine Kanülie und das könisiliche Heer verorvlnet haben *\ Das-
3^ Vjjl. Siv'kol* WwW ülvr vlto rr»,-.:r.Ji»K d.T Kan>l-.rc>»r r-hrt dea »lara
jjt'lu»rij;vii JH>hriftt*fv*l« »us vh-m Naol'.Usso xon l'. K. tos Korv. Wi^n 1*71.
S> I.Ktiiv^^ «on». od«rr VielTAUoh* «r-d AIwrthüx*r d#r nthol. Kiiche
l.u«fru ISll. 4 Ih S. TiV.
4^ Im J«hr\« IS;;*,» w.irvU« »IwscUv «-.sf Uho:r.jk". r.vvh «■.:fbow^hrt: wo sie
.iot't Iwiilit, »*t nur »ü'.K'iwä'.'.'.h.
.N> Tort- M»'tc.!w» ».; "lOjt l. .<0 V^^;iViit>T i«rv> rv^.' tt <:\-rc:t ; eius hac
luttAuti tnlniUtioux* a nJolitu» lu v»r*tuK!Vu* oJ {•«•?*o»>—.* rVv *'.:ppl:caadiim
•tl V|{1 m'v'li NX.iit'. Vci!*»»in'|S»sv»\V'v'.<o lU. S.>! r»
ErkÜruag zweier alluhristUcher Grabschrirten in der BUftskirohe su Aachen. 117
8clbc hatte zum Zweck, in jener bedrängnissvollen Zeit, wo Spanien,
Sachsen und Pannouien sich gegen Karl erhoben, die Gnade und Ilillfe
des Himmels für Karl's Sache herabzuflehen. Mit diesem Gebet stimmt
hinsichtlich der Schrift ein breviarium apostolorum üUerein, welches
die Handschrift enthält und wovon die Herausgeber eine Schriftprobe
niittheilen; dieselbe ist dem Werke I.e. S. 760 beigefügt. Diese Schrift-
tafel nun trägt, wie Jeder auf dem ersten Blick erkennt, dcnsellicn
Schriftcharacter, wie unsere Inschrifttafi-I; es linden sich nur wenige
und unbedeutende Verschiedenheiten in den Nuancen der Buchstaben.
Dadurch ergibt sich aber die Folgerung von selbst, dass auch die In-
schrjfttafel vor dem Jahre 7110 geschrieben sein nmss. Noch näht-r
vfcrden wir dem wirklichen Abfassungsjahr derselben auf die Spur
l(ommen, wenn wir die zweite Frage, welche den Ort der Abfassung
betrifft, beantworten.
Wir wissen bereits aus dem Werke von Ferdinand o Ughello,
dass dei" h. Spes Bischof von Spoleto gewesen, und unsere Untersuchung
hat ergeben, dass derselbe c. 4(»0 gestorben sei. Ist aber dieses der
Fäll, dann weist die luschiifttafcl durch die Worte: Accipite, Öancti,
vobis venerabile digntinuiuc miuestrium etc. deutlich darauf hin, dass
sie zu Spoleto, vielleicht vom dortigen Bischöfe selbst, geschrieben sei;
denn dieselbe gehört zu den Gebeinen des h. Spes, ihr Inhalt, sofern
den Heiligen betrifft, ist eine wörtliche Reproduction der Grab-
chrift desselben auf dem ursprünglichen Sarcopbagc in Spoleto; auch
documentirt sie durch das Wort accipite, dass sie bei Ucbergabe der
heiligen Gebeine mit übergeben worden sei. Vielleicht aber die treffendste
Illustration zu dem Gesagten bieten die Jahrbücher Einharts'). Der-
selbe erzählt nümlich, als König Karl im Frühlinge des Jahres 77ft zu
Conipcudium (Compiegne) gewesen und von da auf seiner Heimreise
nach Austrasien bis zu seinem llofgute Virciniacum (Vcrcj bei Rheims)
gekommen war, da sei der Herzog Hiltibraud von Spoleto*) vor ihm
1} Aunal. Eiuharti ad a. 779.
2) Nach dorn Sturiso des Longobardea-Königs Dcsidcriua ballcu mebro
Städte desselben, z. B. Spoleto, Rcata u. a. deu Pabüt aiiascbltcsslicb alu ihi-cii
Herrn und Beherracber anerkannt, ihm Treue geschworon mid sich in der PerHon
des erwälinten Hiltibraud einen Herzog crwähltj der vom Pabste boalätigi wurde.
(Anastas. üb. pnntif. vitalladriani ed. Vignoli II. p. 186.) Karl biess dieae Aiiord-
nang bei seiner Anwesenheit in Italien im Jahre 776 gut. Nacbdoni derselbe
aber ins Frankenland zurückgekehrt war, entzog sich Hiltibraud der Pabatlicben
ObcrLerrsohaft und ewar in ofTener Auflehnung gegen dieselbe. Es bildete
118 Erklärung sweier altchrisUicher GrabBohrifteu in der Stiftskirebe su Aaoh«n.
erschienen und habe ihm grosse Geschenke gebracht. Welcher Art
diese Geschenke gewesen, wird nicht gesagt. Da aber in jener Zeit
hl. Reliquien allgemein zu den kostbarsten Geschenken gerechnet wurden
und namentlich Karl der Gr. dieselben vorzflglich liebte, so dass die
Herrscher von Byzanz und der Patriarch von Jerusalem durch solche
die Gunst und das Wohlwollen desselben zu erlangei^ suchten, so ist
es wohl annehmbar, dass der erwähnte Herzog, dem die Gunst des
fränkischen Königs bezüglich seines Herzogthums eine Existenzfrage
war, demselben bei dieser Gelegenheit jene Reliquien geschenkt habe,
welche die in Rede stehende Pergamenttafel beschreibt Letztere dient«
in diesem Falle zweifelsohne als schriftliches Document für die Echtheit
derselben.
Hiemach fällt der Ursprung der Inschrifttafel ins Jahr 779, was
mit dem vorhin Gesagten vortrefflich abereinstimmt.
Aachen, den 10. September 1877
Ganonicus Dr. Kessel.
sich nämlich unter den Herzogen von Friaul, Beoevent, Cbiusi u. a. eine Ver*
schwörung und nach den Briefen Hadrian's zu urtbeilen, gehörte auch Hiltibrand
zu den Verschworenen. Die Yerachwörung aber hatte nichts Geringeres zum
Zweck, als den Pabst gefangen zu nehmen und den Thron der Longobarden
wieder herzustellen ; zum künftigen Könige war Adalgis, der Sohn des gestürzten
Disiderius, ausersehen. Der Pabst theilte die Sache sofort, nachdem er sie er-
fahren hatte, dem Könige Karl mit und bat ihn um schlounigo Hülfe. Hiltibrand
aber scheint das Gefahrliche des Unternehmens rechtzeitig erkannt und sich von
den Verschworenen zurückgezogen zuhaben; denn süs Karl noch im Winter dos
Jahres 776 mit einer auserlesenen Schaar (strenuissimum qucmquo secum ducens)
nach Italien aufbrach und den Herzog von Friaul, Rotgaud, die Seele der Yer-
schwörung, unschädlich machte, blieb Hiltibrand ungestraft in seinem Herzogthum
Spoleto und wir hören auch nicht, dass er sich dem Kaiser, wie die andern
Städte unterworfen habe. Dass er in Folge dessen vor seinen Feinden einen
schwierigen Standpunkt haben mochte, ist erklärlich, und wir begreifen voll-
kommen, warum er noch im Jahre 789 so sehr bedroht war, sich der Gunst des
fränkischen Königs zu versichern, indem er persönlich die weite Roiso über die
Alpen machte, um demselben »grosse Geschenke* zu bringen.
Der ILiog des Doctoi- Ypooras.
119
9. Der .,R]rig" des Doctor Ypocras.
Höchst aDzielieod in Wort unJ Schrift hat Kinkel uns den
Quacksalber der Osterkoniödie des 14. Jalirhunderts vorgeführt. Nur
den Ring, welchon er auf der linkea BriisLscite an einem GriflF in der
liand hält*)> l'fss er unerklärt. Ich erlaubte mir, Kinkels Aufiorde-
rung in seinem Bunner Vortrag vom 0. Üec. lS7ö niichkouimcnd, meine
Meinung dahin abzugeben, der Ring sei ein Vcrgrösserungsghvs, dessen
sich der salbenreibende Doctor zum Prüfen seiner Schminke bedient.
Das steht fest, VergrösiseruDgsgläser (Loupen) werden beim Bereiten
von Salben vielfach genaiiDt. Die Pharniakopüen der Schweiz und
Norwegens") verlangen noch heute von der Grauen Quecksilbersalbe,
dass eine Loupe kein unzerriebenes Kügelchcn des Metalls in ihr dürfe
erkennen lassen ; i^ . . . . donec t?lobuIi Hydrargyri amiuto Oümlo üi'rni
neqneanta . . sagt letztere auf S. 276. Und die Editio VII. der Prcussischen
Pharmakopoe von 1SÜ2 bestimmt von dem nämlichen Präparat auf p. 215
»Sit coloris .... liydrargyri globulis oculo inermi non distinguendis«, und
von dem Emplastrum llydrargyii auf p. 54 rtoado nonarmato globuU con-
spicul sint nulliu. Es sollte das offenbar die Apotheker gegen die
hergebrachte Sitte der amtlichen Revisoren .schützen, ihre Präparate
mit der Loupe in der Hand zu beurtheilen. Die Deutsche Pharmacopöe
voüi Jahre 1872 hat diese Bestimmung sich angeeignet, was darauf
hinweist, dass noch jetzt bei der Revision der Salben das Vergrüsse-
iTiügsglas in übereifrigem Gebrauch ist.
Wenn Ypocras von seiner Schminke sagt 3) nir ist nicht geliehen,
so musste die Verreibuog des scharfkörnigen Zinnobers mit dem Fett
eine höchst feine sein, damit nicht einzelne Stückchen von der Wange
herab verrätherisch durchleuchteten. Zu venn'nthen ist, dass die mit-
telalterlichen Quacksalber beim ö^Teutlieheu Anpi'eiscn ilircr Waarc den
demonstrativen Gebrauch der Loupe gerade als Zugmittel in den
Vordergrund stellten.
Der Einwurf dass man zur Zeit der ^Vollreifen Gothik des 14. Jahr-
hunderts« die Anwendung der Gläser zum deutlichem Sehen nicht
1) Dieee Jahrb. 1877. LX. Taf. V. Fig. 2., und S. 131.
2) Nach B. IlirBoh, Dio Prüfung der Arzneimittel, mit Rücksicht auf die
wichtigsteo europäisoben PbarmacopöeD. II. Berlin 1870. S. 1373. — Vgl. ferner
ebenda I. S. 533.
8) DLeae Jahrb. Heft LX. S. 126.
120 Der Bing des Doctor Ypocras.
kannte, wird zuerst beantwortet durch eine Stelle bei Plinius. Er
schreibt in Nat Hist. lib. XXXVII. cap. V. (Ausg. Lugd. Bat. et Rotterd.
1669): »Nero Pnnceps gladiatorum pugnas spectabat smaragdo«.
Einige Zeilen vorher heisst es: »— plerumque et concavi (smaragdi),
ut Visum a)Uigant .... Quorum vero corpus extensum est, eadcm,
qua specula, ratione supini imagines rerum reddunt«.
Eine gute Ueberschau dieses Gegenstandes gibt anknapfend an
die Notiz des Plinius neuerlichst Aug. Hirsch in seiner Geschichte
der Ophthahnologie*). Im Mittelalter, sagt er, wurden für diesen Zweck
auch andere durchsichtige Steine (berilli) und Glas in Gebrauch ge-
zogen, die Erfindung des dann später mit dem Namen Berilli = Brillen
bezeichneten Instrumentes fällt höchst wahrscheinlich in das Ende des 13.
Jahrhunderts ; in dem Wörterbuch der Academia della crusca heisst es bei
dem Worte »occhialea, dass Bruder Jordan da Rivalto, der 1311
in Pisa gestorben, in einer im Jahre 1305 abgefassten Sammlung voü
Predigten seinen Zuhörern mittheilt, es sei noch nicht 20 Jahre her,
das Augengläser (occhiale) erfunden wären ; und in einem im Besitze
von Redi gewesenen Manuscripte vGoverno della famiglia di Scandro
di Pipozzo« vom Jahre 1299 findet sich folgende Stelle: »mi truovo
cos^ gravoso di anni, che non avei valenza die leggcre e scrivere senza
vetri appellati ohiali truovati novellamente per la commodita delli
poveri veki quando affiabolano del vederea.
üeber den Erfinder selbst herrscht übrigens Dunkel. Wie Volk-
mann*) in seinen Nachrichten von Italien mittheilt, trägt der Grab-
stein eines im Jahre 1317 verstorbenen Florentiners Salvinus Ar-
m a t u s folgende Inschrift : »Qui giace Salvino Degli Armati — inven-
tore degli occhiali;« von Andern wird Alcssandro Della Spina,
Predigermönch in Pisa, wo er im Jahre 1313 starb, als Erfinder der
Brillen bezeichnet, von einzelnen Seiten allerdings mit dem Bemerken,
dass er bei Jemand, der aus dem Instrumente ein Geheimniss machte,
eine Brille gesehen und nun durch eigenes Nachdenken auf die Con-
struction derselben gekommen sei, Brillen angefertigt und an viele
Leute vcrtheilt habe. Im Anfang des 14. Jahrhunderts scheint der
(icbrauch der Brillen bereits ganz allgemein bekannt gewesen sein;
die früheste Nachricht hierüber findet sich beiGordon, der im ersten
1) In A. üräfo und Th.Sämiscb, llandb. der ges. Augenheilkunde. VII.
1877. S. 309.
2) Th. I. S. 542.
Der Bing des Dootor Ypocras. 121
i>ecenDium des 14. Säe in Montpellier als Professor der Medicin thätig
war ; bei Empfehlung eines CoUyriums gegen Sehschwache ') fügt er
hinzu: »est tantae virtutis quod decrepitum faceret legere literas mi-
nutas sine ocularibus«, und sein Zeitgenosse Guido bemerkt') bei £m-
pfelilung verschiedener Collyrien gegen debilitas oculorum, »et si ista
noo Talent, ad ocularios yitri aut bcrilloi'um est recurrcndumu.
Alias das setzt einige Fertigkeit auch im Schleifen der Gläser
and Sterne voraus, und der Künstler aus dem 14- Jahrhundert war
demnach gewiss in der Lage, seinen Ypocras mit der Handbrille, die
dessen Gewerbe entsprach, zu versehen.
Bonn, im December 1877. C. Binz.
1) Liliam modic. Part. IIL cap. 5. Lugd. 1674. S. 284.
2) Chirurgia magna. Tract. vi. Lugd. 1672. S. 3S6
11. Litteratnr.
1. Giancai-lo Cunestabilu, Di un Anello Et^'usco in argunto
della collezione Strozzi in Firenze; Auszug aus den „Me-
moire della R. Accademia dci Lincci, CGLXXIV". Roma 1877.
Wenn wir mit obigem, kaum 9 Seiten umfassenden Schriftchen unsere
Besprechung der neu erschienenen Litteratnr der klassischen Archäologie
eröffnen, so erfüllen wir damit zugleich eine Pflicht dankbarer Erinnemng
an den erst in vorigem Jahre dahingegangenen Verfasser, der nicht nur
wie kaum ein zweiter seiner Landsleute auf dem Gebiete des etmskischen
Alterthums thätig und bewandert war, sondern auch als langjähriges Mit-
glied unseres Vereins bewiesen hat, wie sehr er den Zusammenhang mit
den deutschen Archäologen zu schätzen wusste. — Wer die Zustände, in
welchen die klassische Archäologie in Italien befangen ist, kennt und weiss,
mit welchen Schwierigkeiten ihre Vertreter gegenüber der materiellen Rich-
tung der Geister zu kämpfen haben, der wird seine Achtung den Männern
um so wehiger versagen, welche unbeirrt ihrem Forschungstriebe nach-
gingen und von dem Bewusstsein durchdrungen waren, dass auch das
kleinste Fragment der antiken Kunstproducte fähig sei, ganze Gebiete des
Alterthums aufzuhellen, wofern es nur selbst erst in das klare Licht einer
methodischen und erschöpfenden Untersuchung gerückt sei. Die letzte
Arbeit Gonestabiles bietet einen sprechenden Beleg für diese Gesinnung.
Vor etwa 40 Jahren tauchte in Italien im Besitze eines venezianischen
Kaufmannes ein silberner Fingerring (abgebildet S. 3) von 0,022 m. Durch-
messer und 50 gr. Gewicht auf, welchen der Marchcse Strozzi in Florenz
alsbald erwarb. Der Ring trägt in der Mitte einen Carneol und in dem-
selben eingeschnitten das ßildniss des Sonnengottes, mit erhobenen Händen
auf einer Quadriga stehend (e. f.\ deren Pferde bei aller Rohheit der Dar-
stellung als in vollem Galopp dahinsprcngend dargestellt sind. Die Innen-
Giancarlo Cunostabile*. Di un AneUo ia argenio etc.
128
pferde wenden In der bekannton typischen Weise die Eöpfe nach innen.
R. TOD dieser Darstellung beiludet sich in lüterthüinlicliäQ etruskischeu
Bachstaben die von Cone stabile als LVCMEV (linkslüufig) gelesene In-
Bchrifl und 1. davon eine zviroitc VALISIC ebenfalls linkaläußg geschriebene,
deren Lesang jedoch erst bei einer horizontalen Drehung des ßinges mög-
lich wird, so dass auf diese Weise der linksläufige Charakter der Schrift
auf daa entschiedenste gewahrt bt. In dem ersteren der beiden Namen
erblickt der Verfaßser die vielleicht nordetrubkischo Form — dass der Ur-
sprung des Ringes wirklich Norditalien sei, erscheint durch seine Provenienz
ftls gesichert — des bekannten LTCVMV, eines Wortes, daa nichb nur als
Vorname (vgl. das lut. LVGius) überaus gewöhBlich auf etruskischeu Denk-
mälern ist, sondern auch auf das engste durch die Wurzel LVG (leuchten)
mit dem für die höchste etruskische Obrigkeit üblichen lateinischen Namen
des Laoumones zusammenhängt. Hieran knüpft nun der Verfasser eine
interessante Bemerkung. Er behauptet, doss in der bildlichen Darstellung
des Sonnengottes (als des ,J<euchtenden") gleichsam die figürliche Ueber-
setzuDg des dabei stehenden Wortes LVCMEV enthalten sei, der Hing daher
das Abzeichen eines Lucumonen gewesen sein ojüsse^ und die Bedeutung
des Wortes durch die bildliche Darstellung sicher gestellt werde. Diese
Vcrmuthuug hat etwas sehr ansprechendes. Weniger allgemeinen Beifall
wird vielleicht die Erklärung des zweiten Wortes ,,ValiBic" finden, das der
Verf. nicht als Familiennamen sondern als Ortsbozeicbiiuug aufzufassen ge-
adigt ist. Indem er nämlich von der Behauptung ausgeht, dass nach der
loTasion der Kelten sich in Norditulien auch keltische Einilüaso neben der
eiruskischen Kultur geltend gemacht haben müssen, erkennt er in der En-
dung -ic des Woiics dns keltische -iacus oder -acus (vgl. Divitiacua,
Caratacus, Dumnacus, Segontiaci) entsprechend dem mitteletruskiscfaeu -ch,
' c (vgl. Rumacb = Romanus, Veknacb = Volsinieusis, Cusnach = Cosanns)
wieder und meint, dass in dem Valisic des Lucunionenringes die Bezeich-
oung eines Ortes, den man vielleicht in Gallia Trauspadana aufzusuchen
habe, stecke. — Man sieht leicht ein, dass der ganze geistreiche Er-
klftrnngs versuch mit der Lesung steht und fällt, und es ist daher von
Wichtigkeit, dass Conestobile im Stande ist, den Einwurf Fabretti'B,
die Inschrift müsse vielmehr LIKMEV VALISK gelesen werden, wie uns
sefaeint, mit triftigen Gründen zurückzuweisen und an seiner Lesung festzu-
halten. Am Schlüsse seiner Abhandlung titeilt der umsichtige Verf. auch
die Ansicht Gamurrini's mit, dessen übrigens für die Deutung unwichtige
Lsiang LVCMES VALISIC entschieden falsch ist, der aber doch in seiner
Auffassung des VALISIG mit Conostabile übereinstimmt und in dem er«
124 . Ad. Michaelis: Die Bildnisse des Tbukydides.
sten Theile des Wortes sogar das lat. „vallis", welches nachweislicb (Fa-
bretti, G. J. I, I, Y) auch im 7. Jahrhaudert in Italien „Yalis** ge-
schriebeu wurde, wiedererkennen will.
2. Ad. Michaelis, Die Bildnisse des Thakydides. Festschrift der
Universität Strassburg zur vierten Säcularfeier der Universität Tflbin-
gen. Strassb. 1877. Mit 2 Tafeln und 2 Holzschnitten.
Bei der Dürftigkeit des wirklich kritisch bearbeiteten Materials der
antiken Ikonographie ist jeder nene Beitrag dazu sehr willkommen, doppelt
willkommen, wenn er aas so umsichtiger und gewissenhafter Hand wie die
Michaelis^ dargereicht wird. Ein sicher beglaubigtes Abbild des grösstmi
griechischen Historikers war bis jetzt ein frommer Wunsuh gewesen, denn
die insobriftlich dem Thukydides zugesprochene Neapler Doppelherme,
deren andere Hälfte den Kopf des Herodotos aufweist, hat sich keiner be-
sonderen Beachtung erfreuen dürfen, einmal, weil die Aechtheit der In-
schrift angefochten worden ist und femer weil der Kunstwerth des Portraits
überhaupt nicht allzu hoch anzuschlagen war. Das gegen die Inschrift er-
hobene Bedenken weist Michaelis wie uns scheint mit vollstem Rechte
zurück. Aus der Yerschreibnng zweier Buchstaben (bei dem Namen des
Herodot) folgt noch keine Unächtheit. Unsere modernen Urkunden in
Schrift und Stein — man vei^leiohe z. B. die Inschriften unserer Grabsteine
— überragen die antiken an Genauigkeit wahrlich nicht allzu sehr.
Entscheidend übrigens für die Aechtheit der Inschrift ist vor allem der
paläographische Charakter des K. Die Doppelbüste selbst lösst sich mit
einiger Wahrscheinlichkeit bis in den zwischen den Jahren 1570 — 1598
liegenden Zeitraum, in welchem sie Fulvio Orsini erworben haben wird, su-
rückverfolgcn. Was darüber hinausliegt, entzieht sich jeder Gontrole, und wenn
der Herr Verf. die Umgegend Tivoli's als Proveuieuz der Büste wahrschein-
lich zu machen sucht, so kann seine Deduction doch nicht als mehr denn ein
dankensworther Beitrag zur Mnseographie gelten. Uebrigens ist die ganze
Frage nach der Herkunft der Neapler Büste nicht von sonderlichem Belang.
Hauptsache ist, dass wir in der von Michaelis entdeckten, in Italien er-
worbeneu englischen Büste des Schlosses Holkham (Grafsch. Norfolk), eine
weit bessere Wietlorholung des Neapler Thukydidesexemplares besitsen.
Michaelis war so glücklich, die Gipsabgüsse beider Exemplare mit ein-
ander vergleichen zu können, und so darf seine Eutdeckimg wohl nicht an-
goxweifelt wonleu. Die Darlegung des Verhältnisses, in welchem beide
Büsten zu einander stehen, besonders aber der stilistischen Eigeuthümlich-
Adolf Michaelis: Dio Bildnisse des Thukydidea.
125
keit dea englischen Exempl&re, bildet dann den zweiten Haupttheil der Ab-
handlang, die auch knnstgeBchicbtlich zu mancherlei anregenden Bemerkun-
gen Veranlassung bot. Indem der Verfasser den Charakter der „FantaBiepor-
traits" der hellenistischi-n Epoche analysirt, Poitraits, in donen «ich „maleri-
acher Effect und ein natnralisti.tcher Sinn itir die {üuschende Darstellung alles
Aeueserlichen" vereinigen '), indem er ferner den stilistischen Gegensatz des
älteren, strengeren und sich mehr auf das wesentlichste beschränkenden
Portraits von den Bildnissen dea Pcrikles an bis zu denen dea Euripides
hei-vorbebt, kommt er dazu, der Thukydidephrnno den Platz am Schlüsse
jener älteren Reihe anzuweisen. Damit würde die Büste nicht nur zeit-
lich der Lebenszeit dea Geschichtschreibcrs naliegerückt, sondern auch dio
rKöglichkeit gegeben sein, dass in ihr eine wirkliche Tradition von dem
Aeusseren des Mannes steh erhalten habe. Dass das von Michaelis an-
jene Citat dos Marcellinus dazu nicht gerade einen Beleg bildet, dar-
nbber darf man sich trüaten, so lange überhaupt ein klarer Sinn in die bf-
treffenden Worte nicht gcbrncht werden kann. Spcciell in dem englischen
Exemplare will Michaelis den Charakter eines ßronzeoriginala erblicken,
and es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Büste wirklich auf das pherne
Standbild dts Tliukydides, welches später nach dem Zeuxippos von Konstanti-
nopel verschleppt war, zurückgeht. Der ITr. Verfasser ist vorsichtig genug,
diesen z;weifelhftften Pnnkt eben nur leise anzudeuten, aber das können wir
ihm xngestehen: „ein Zn.saTOuitnbang zwischen der erhaltpupn Rüste und
jener Statae ist immerhin mügUcb''.
3. IT. Brnan. Die Scnlptnrcn von Olympia. München 1B77.
So mancherlei iinch in TagesbläWern und wiaBenschafllichen Zeitschriften
über die Fnnde in Olympia geschrielien worden ist, sind wir doch bei den
liistorischen Erört.enuig*:ti und Reconutructiotisveisttclion der Gicbetffrappen ku
einer aeslhetischen Würdigung des gesn turnten Fun da toff es noch nicht
gekommen. Der Hr. Verf. obiger Schrift iai ei>,'oiitlich der erste, welcher
mit gewohnter Meisterschaft eine eingehende künstlerische Analyse der
Denen Olympischen Moniimente vornimmt. Nach seinen Auseinandersetzungen
aber „raicnios und die nordgriechiacho Kunst" durfte man die Rcsultato
seiner neuesten Untorsuchung fast voraussehen. Was dort nur mehr au-
dentend ausgesprochen werden konnte» scheint sich ihm jetzt vor d^n neu
1) Zum Belege dafür mag auch auf die in der Arcb. Ztpf. XXXV, Taf. 9
loltannt geinachlo und ala Portrait des Königs Pyrrboa in Anspruch genommene
fiiiste hingewiesen werden (vgl. ebendaa. S. 74).
126 H. Braon: Dio Soalptaron von Olympia.
entdeckten Werken selbst zu zweifelloser Oewissheit zn gestalten. Indem er
die Figuren AeB Ostgiebels stilistisch auf das schärTste analysirt, kömmt er
dazu, den „Mangel speoifisch plastischer Gesetzmässigkeit" die „Natfirlich-
keit'*, das „bewusto Streben des Künstlers, den malerischen Gesichtspunkten
vollkommen gerecht zn werden" als das wesentliche Merkmal ihrer künst-
lerischen Seite aufzustellen. Dasselbe Prinzip wird dann auch bei den filte-
ren Metopeu und sogar der Nike als massgebend bei ihrer Gestaltung nach-
gewiesen, dio scheinbare Abweichung davon aher bei der Siegesgöttin mit
der nothwendigen stilistischen Differenz zwischen Relief und freistehen-
den Figuren entschuldigt. Ganz conscquent ist es demnach auch, wenn
die stilistisch diesen Werken diametral entgegengesetzte Atlasmetope dem
Paionios abgesprochen nnd als ein „Meisterstück peloponnesischer Scalptur,
das schönste, welches wir bis jetzt aus der Zeit vor Polyklet besitzen", be^
zeichnet wird. Für unser» geistige Aneignung der Kunstwerke bt viel-
leicht nichts so fördernd nnd fruchtbar, als eine derartige künstleriBche
Analyse, die historischen Schlüsse jedoch, welche der Herr Yerf. daraus
zieht, vermögen wir wenigstens nicht zu acceptiren. Wo kämen wir hin,
wenn wir aus der stilistischen Differenz eines „Sposalizio** des Rafael und
der „Vision des Ezechicl" — da der Herr Verf. gerade diese Werke er-
wähnt — einen Schluss auf die Lebenszeit des Künstlers machon wollten?
Der Et. Yerf. irill den Paionios zn einem Vorgänger des Pheidias machen,
aber dieser Schluss würde doch nur dann volle Beweiskraft haben, wenn,
was bis jetzt nicht der Fall zu sein scheint, die historische Untersnchnng
zu demselben Resultate führte. Dürfen wir aussprechen, wie uns das Ver^
hältniss des Paionios zu Pheidias erscheint, so wäre es etwa dies, dass wir
jenen mit Giulio Romano, diesen mit Rafael vergleichen. Warum sollte es
nicht möglich sein, dass der Schüler einen Zug des Meisters aufgegriffen
und einseitig entwickelt habe? Doch wie dem auch sei, in der Beurthei-
lung der stilistisch so neuen und unerwarteten Thatsachen, wie sie die in
Olympia gefundenen Bildwerke zur Diskussion gebracht haben, wird auch
die Schrift des Hrn. Verf.'s wesentlich zur Klärung der Frage beitragen.
4. L. Urlichs, Bemerkungen über den olympischen Tempel und seine
Bildwerke. Neuntes Programm zur Stiftungsfeier des v. Wagner'schen
Kunstinstituta. Würzb. 1877. Mit 1 Tafel.
Vorliegende Schrift behandelt in drei Abschnitten die Zeit der Er-
bauung des Tempels, Paionios und die Nikeinschrift und endlich die
neuentdeckten Bildwerke selbst. Das Resultat der Untersuchung über die
beiden ersten Punkte lässt sich kurz dahin zusammen fassen: 1. Der
L. ürlicba: Bemerk. Qb. den olynipiflchen Tempel u. seino Bildwerke. 127
olympische Tempel ist nicht, wie 0. Müller aad Barsian hehaup-
teten, Dach Ol. 50 oder 52 begonnen, so dnss seine Bauzeit mindestens
100 Jahre in Ansprach genommen haben würde, Bondem war erst i. J. 470
in Folge oinos von den Eleern errungenen Sieges in Angriff genoinraen
and nnch einer Banzeit von höchstens 24 Jahren etwa und 44!V vollendet
worden. 2. Als Veranlassung f&r die Messenicr und Naiipukticr dem
olympischen Gotte eine Nike zu weihen, hält der Verf. die Retliciligung
derselben hei der Erüberung von Sphaltteria oder viclmohr die daran sich
flohliessendo BedrüDguiss der Spartaner im eigenen Lande fest. Die Dedikatlon
dos Denkmals fallt demnach in die Jahre 422 — 420, und mit diesem Zeit-
punkt findet der Verf. nicht nur die s. gen. Nacheoklidoischc Form einiger
Bachstahon der Inschrift vcioinhar, sondern mich den Stil der Nike selbst,
welcher in der schwiingvollon Bewegung ein Motiv derjenigen Richtung
zeigt, die von Skopas weiter ausgebildet ist. Für jene Zeithestininiung hat
sich inzwischen nicht nur Michaelis ontschiedeii (Arch. Zeit. XXXIV, 170),
sondern dieselbe ist auch wie nns scheint durch Schubrings eingehende
Untersuchung (Arch. Zeit. XXXV 59—63) ausser Zweifel gestellt, und
damit endlich ein sicherer Maestab für die Abschätzung der Werke des
Paionios gewomiuen. Die Deutung der axQ(oii^()ta dagegen als „fastigiuni"
resp. „Figuren des Oslgiebols" wird der Verf. wohl aufgeben müssen; die
sprachlichen Gründe dafür sind nicht nur von Michaelis (a.a.O.), sondern
nachträglich auch von Schubring (a. a. 0. S. 64 f.) dargelegt worden. —
Nach der Fixirung dieser ZeitverhültniBse wendet sich der Verf. zur Be-'
trachtung der Bildwerke. Während das Urtheil über den Stil der Giehel-
fignren sehr zurückhaltend ausgefallen ist, erscheint die Charakterisining
der Nike um ho trefTender: ,,Der Stil des Werkes ist originell, dem der
Kiobidin des Museo Chiaramonti wie den Gewnndstatuen des Parthenon
ähnlich." Der Felsen, auf den die Göttin herabschwebt, wird sinnig als
der Kronionhügel gedeutet, was durch die erkennbaren Spuren des Adlers
nuterstQUit wird. Der Meisterschaft, welche diese Arbeit auszeichnet, slehen
die Giebclßguren nicht unbeträchtlicb nach : „sie machen einen gcftllligen, aber
keinen idealen Eindruck". In der Erfindung leuchten hie and da die Vor-
bilder der Giebelßgnrcn des Parthenon durch; unverkennbar sind sie vor
ollem bei den gelagerten FlnssgötterD der Ecke. Bei dem RecoDstructions*
versuch ihrer Gruppirung weicht der Verfasser mehrfach von den Angaben
de» Pansanias ab. Dass der sitzende Greis (Fig. 6. der Ililfstafel), den
auch Treu (Arch. Zeit. XXXIV zu Taf. 13) als Hippokora hezeicliiiet, ein
Hellanodike sei, möchten wir doch bezweifeln, da die sorglose Stellung des
Alten mit der Würde eines üelknodikcn uns nicht recht vereinbar er-
118
R. Keknle: GriechiBche Thonfignron aus Tanagpra.
scheint. Ansprechender dünkt uns die Erklärong der jüngeren, mit anter-
gelegtem fieine hockenden Fignr E (bei Treu 0 „Hippokom") als MjiTtiloa,
,, welcher trüben Sinnes noch dem Kladeos binach&ute, wo eeino Fahrt ihren
Anfang tiehmon sollte, von dem Heros und seinem Gespann abgewendet,
welche er vcrrieth". Aber womit hat sich der Herr Verf. gedacht, den so
entstehenden leeren Raam über dem sogenannten Myrtilos ausiüllcn zu
können ?
5. R. Kckn16, Griechische Tbonfiguron aus Tanagrn, im Auftrage des
Kais. D. Arch. Instituts hcrausgogeben. Stuttg. 1878. .
Der eriftuternde Tett des Um, Vcrf.'s giht uns nach einer kurzen
geographischen und hiHtoriachen Einleitung zunächst nn der Hand des
Pseudodikniarcb wie des Pausanias vorgehend eine Schilderung von dem
alten und neuen Tanagra; wir hürcn von der Sittenreinheit seiner Be-
wohner, der äusseren Erscheinung der nöotcrinnen, sowie der Tempel and
Kunstwerke der kleinen Landstadt, für welche die Entdeckung der aus
mehreren Tausenden von Gräbern bestehenden Stätte besonders seit dem
Winter 1875 plötzlich ein, wie man weiss, aasBerordentlich rt^es Interesse
hervorgerufen hat. Diese G ruber fanden sich tbeils in den thonigeu Boden
eingegraben, thdls in den Felsen eingehaucn, oft waren sie dachartig durch
Thonplatten zugedeckt. Ihr Inhalt bestand, abgesehen von den besonders
zahlreichen und schonen Terracotten, meist aus Vasen, Lampen, Gläsern,
Muscheln, Schmucksachen und vcrschiedooca Geräthen aller Art, also Gegen-
Btändeu, wie sie auch in andern Grübcrn gefunden werden. Außullig war,
dasa die neben den schönen Terracotten gefundenen Vasen, soweit aas den
durch die athenische archäologische Gesellschaft festgestellten wissenschaft-
lichen Resultaten der Aasgrabnngeu zu ersehen ist, nur schwarz oder
schmucklos waren. Die Terracotten selbst bieten eine stofflich ungemein
reiche Auswahl von Darstellungen dar, uuter denen natürlich die
genrehaften die mythologischen bei weitem übenviegeu. Stilistisch zeigen
sie, wenn man absieht von einer Reihe sitzender Fraucnbilder von alter-
thümlichem Gepräge, nicht eben sonderliche Unterschiede, so dass der Hr.
Verf. geneigt ist, ihnen allen einen kunstgeschicbtlichen Flatz zwischen dem
3. und 4. Jahrhundert anzuweisen.
Die Abbildungen, denen besonders eine Anzahl mehr oder weniger
genrehafter Mädcheofiguren zu Grande gelegt ist, dürfen in jeder Beüriehung
ab Muster eleganter und sorgHiltiger Publikationen gelten. Unklar ist uns
dabei nur der Ansatz geblieben, welcher sich an dem Kopfe des Ball
schlagenden Eroten auf Tafel IV befindet; auch der Text gibt darüber keine
Auskunft.
U. HeydemBnn: Die Ko&oho\8pielerin im Palaxxo Colonoa eu Rom. 129
6. U. Heydemann: ,,Dio Knöclielspiolenn im Pnlazzo Colonna zu
Rom." Zweites Halliscbes Winkelmaunsprogratuni. HaUe 1877. M. 2
Taf, D. 2 Holzschn.
Die kleine Marmorfigur des aoiQayctUtovaa des Palazzo Colonna,
die bisher mit Unrecht mit den übrigen erhaltenen DarstelluDgen von Knochel-
spieteripnen zusammengeworfen wurde, erhalt durch die vorliegende Unt-er-
snchung zum ersteh Mal ihren besondern Platz in der Kuustgeschichle an-
gewiesen. Indem der Hr. Verf das Knöchelspiel der Alten in seinen ver-
schiedenen Abarten untersucht, stellt sich heraus, dass sich dasselbu nicht
nur der grössten Beliebtheit zu erJreueu halte, sondern in der Dichtung
wie bildenden Kunst geradezu zu einem ,, Symbol kindlichen Leichtsinnes
und der sorglosen glücklichen Jogt'ndlichkeit überhaupt*' geworden ist.
Darstellungen des Kuöchelspiela oder Andeutungen desselben finden
sich daher auf den verschiedenartigsten Werken der Malerei wie in Rand-
werken, auf Vasenbildem, Wandgemälden, einem Sarkophagrelief, Gemmen,
Mfinxen, Terracotten und Marmorfiguren, von welchen letzteren jedoch leider
keine einen Rückschluss auf das von Polyklet geschaffene kla<iBi8che Vor-
bild der „Knöchelspielergruppe" erlaubt. Sie gehören vielitielir alle der
nach Alexandrinischen Epoche an. Aber auch der in mehreren Exemplaren
erhaltene Typus einer Kuöchelspielerin, der eben deswegen auf ein im
Alterthume berühmtes Original zurückgehen rauss, lilsst sich '^leitlJch
nur allgemein fixiren. Die ihm kunstgeschichtlich am nächsten stehende
Figur soll nach des Ilru, Verf.'s Urtheil die zu Tyndaris gefundene,
jetzt verschollene Neaplor Figur sein, von der uns der kleine Holzschnitt
auf S. 3 eine Anschauung giebt, und welche der Hr. Verf., dem Urtboile
Gerhards und Panofka's folgend, in die Zeit des Praxiteles zu setzen
geneigt ist; erat der hellenistischen Zeit sei das genrchafto Motiv hadernder
Knöchelspieler zuzuwelBen und in diese Kategorie müsse auch die auf Taf. I
zum ersten Male pnblicirte Figur des Palazzo Colonna gehören. — Ea
fällt auf, dass der Hr. Verf. die so nahe liegenden Parallele mit dem nea-
gefundenen marmornen Dornauszieher (vgl. Monum. d. Inst. X, XXX) da-
bei nicht berücksichtigt hat. Hier wie dort zeigt sich das Bestreben, eine
Erscheinung des alltäglichen Lebens so scharf wie möglich, auch uubc-
kümmert um ftuasere Eleganz, zu individualisiren; daher bei beiden Figuren
der bäurische Gesichtsausdruck, bei dem Müdchen die unschickliche, aber
durchaus charakteristische Entblüssitng des rechten Beines, hei dem Knaben
die gleichfalls gegen den Anstand verstossende, wenn auch fiir die Situation
bezeichnende Lage des übergeschlagenen Beines (vgl. hierzu die trefilichcn
Bemerkungen von Robert ülwr den Dornauszieher Annali d. Inst, arcli.
> 9
ISO L. Höleertnann: Lokalfoncb.. die Krieg« der Römer a. Franken betr.
1876, p. 124 fr.). Ist aber die Knöchebpielenn des PaIozzo Colonna ein
Prmluct derselben Kanstrichtnog wie der mannonie Dornaoezirber, »o liegt
der ScbluBB nahe, daaa die wenige^r iDdiTidaalJBirten, daher aocb weniger
genrolmftcn, aber eleganteren Stataett«n der KDöchelspielerinnen, nicht die
Vorliluforinnen jener, sondern jünger sind. Was die verschoUeae Figtir
Tön Tyndariff betrifft, »o reicht ihre Abbildung doch nicht bin, irgend einen
Gogonbcweis gegen diese Annabrac zu liefern. Die übrigen erhaltenen Fi-
guren crkl&rt aber der Hr. Verf. selbst ala Productc aas römischer Kaiaerzeit.
Hanibarg. Dr. Dütschke.
6. Localforachaogen, die Kriege der Rötner and Franken sowie die Bc-
festignngsiDanieren der Germanen, Sachsen »owie de» späteren MiUel-
oUcrs betreffend, von L. HöUerinann, Hauptmann und Compagnic-
Chef im 3. niederschlesiscben Infant erie-Regimente Nr- 50. Nach
dessen Tode beransgegeben von dem Verein für Geschichte und Alter-
tbamsknnde Westfalens. Mit 2 Karten und 51 litbograpbirten Ztäch-
nnngen. Münster, Druck nnd Verlag von Friedrich Regensburg. 187P
Der K. pr. Hanptnuinn Hölzermann, welcher in der Schlacht bei
Wörth den Heldentod fand, hat in den Jahren 1867 — 70 im Gebiet« der
Lippe Localuntersucbangen, betreffend die römisch-germaniachen und
fränkjach-s^hsischen Kriege, angestellt, und eine grosse Zahl alter Ver-
scbanznngen nntersncbt und aufgenommen. Die Ergebnisse dieser Unter»
sncbungcn sind ans dem Nachlasse des Verstorbenen mit namhafter Unter-
stützung Sr. Excellonz des Ministers der Geistlichen, Unterrichts- und
Medidnal- Angelegenheiten, Herrn Dr. Falk, von dem Vereine für Gepchichto
und Alt«rthumskunde Westfalens herausgegeben worden ; auf 53 gut aus- '
geftlbrten lithographischen Tafeln sind die trefflichen Uölzerinonn'schen
Zeichnungen wiedergegeben und von einem erklärenden Text« begleit«!.
Da die Angaben des Verfassers über alte Befestigungen und die römisch-
germaniachen Kriege im Allgemeinen meist Auszüge aus dem bekannten
Werke des Generals von Peucker „das deutsche Kriegswesen der Urzeiten"
sind, so beschranken wir uns in der Besprechung auf diejenigen ResnltAte,
welche ans den eigenen örtlichen Untersuchungen des Verf. hervorgegangen
sind, nämlich die alten Grenzwehren, Strassen nnd Befestigungen.
Dio Untersuchungen über die Grenzwebren sind, sowohl hinsichtlich
dos Laufes als der Construction, im Ganzen sehr dürftig : Der Verf. hat
auf der luiken Rbeinseite nur einzelne Tbeile bei M. -Gladbach kennen ge^
Wnt, nnd auf der rechten bloss abgebrochene Stücke in den Umgebungen
der Lippe nntersncht: weder ans den Ucbersichtskarton noch ans dem
L. Hölzermann: Localforach., die Kriege der Römer und Franken betr. 181
Texta geht hervor, dass er auch mir eine einzige Landwehr bis zu ihrem
Ende verfolgt bat. So dankbar nun jede auch noch so kleine Mittheilung
über diese Anlagen, bei der noch immer anhaltenden Unthätigkeit in der
Erforschung derselben, ist, ao sehr müssen wir uns vor den aus einzoluon
ahgeriflsenen Tbatsachen gezogenen Schlüssen oder ganz allgemein ohne De*
grfiodnng hingestellten Behauptungen verwahren, wie sie der Verf. zuweilen
mit grosser Bestimmtheit ausspricht. S. 68 z, B. heisst es: , Dieselben
(die Landwehren der linken Rheinseite) darchschneiden die niederrheinische
Ebene noch jetzt in mcilenlangen geraden Linien, und zwar theils in der
Richtung West — Ost, den Rhein mit der Maas verbindend, theils aber bo-
gleiten dieselben den Lauf des Rheines in ziemlich paralleler Richtung".
Wenn es schon unzulässig ist, solcbo weitgreifende Aussprüche ohne jeden
factischen Nachweis zu thun, dergleichen Behauptungen vielmehr nur die
Schlassfolgerangen ans dem vorher detaiUirt dargelegt«Q Matorial sein
können, so wollen wir anderseits nicht unerwähnt lassen, dass die von uns
auf Grund langjähriger Forschungen in die Generalstabskarten eingotragenen
Landwehren keineswegs gerade Linien, weder mit dem Rheine parallel noch
darauf senkrecht, am wenigsten den Rhein mit der Maas verbindend, auf-
weisen, vielmehr in geschlossenem Lanfe entweder vollständige EioBchlüsse
darstellen, oder, wo sie nnr fragmeatarisch untersucht sind, dus ßestreben
Beigen, lolche Einschlüsse ^u bilden. Die Landwehren nördlich der Lippo
glaubt der Verf. zu dem Zwecke angelegt, einen Landstrich zwischen Hamm
und Lippstadt zu befestigen (S. 71), wobei er freilich die von ihm aufge-
funden Stücke nur so weit verfolgt hat, als es ihm zur Stütze einer solchen
Meinung nöthig war. Die übrigen dort vorhandenen Landwehren bleiben un-
erklärt, dagegen ist der Verf. geneigt, die südwSrts der Lippe vorhandene
sogen. Königslaudwehr mit dorn römischen Marechlager, der sogen, liuumnns-
burg, in Beziehung zn setzen (S. 62). Wir haben auch hier wieder den
bedenklichen Fall , dass aus unvollkommen erforschten Tbatsachen all-
gemeine Schlüsse gezogen werden, die für eine richtiges Auffassung nur nach-
theilig wirken können: die von uns in die Geueraletnhsknrten gezeichneten
Landwehren an der Lippe laufen bald dem Flusse parallel, bald unter vcr-
Rchicdenen "Winkeln auf denselben zu, und letztere überschreiten öfter den
FluBS, am sich mit den landeinwärts vorkommenden Armen aa ver-
hindeu, ganz so wie es aller* arte in meilenweit von der Lippe entlegenen
Gegenden der Fall ist. Demoach kann den Landwehren an der Lippe,
da sie sich weder in ihrem Laufe noch der Construction von den übrigen
unterscheiden, ein besonderer Zweck nicht beigemesHen werden, lieber die
Bestimmung der linksrheinischen Grenzwehren können wir uns, soweit
1S2 L. Hölsermann: Localforsch., die Kriege der Römor and Franken betr.
unsere Uotersuchungeii big jetzt reichen, mit dem Verf. im Allgemeinen
einverstanden erkl&ren, wenn er (S. 68) sag^: „Obgleich diese Linien (die
Landwehren) aagenblicklich hier und da (gewöhnlich nnr) theilweise als
Grenzen benatzt werden, sind dieselben im Ganzen doch derartig angelet,
dass sie nicht als orsprünglicfa zn Landes- oder Bezirksgrenzen bestimmt be-
trachtet werden können; vielmehr geht ans der überall gleichartigen Gon-
atniction und ausserordentlichen Verbreitung derselben unzweifelhaft hervor,
dass sie nach einem einzigen grossartigen Plane zum Schutze eines weit-
ausgedehnten Landstriches erbaut wurden. Hierin liegt eine wesentliche
Verschiedenheit dieser tandwehren und der des Mittelalters, welche ans
der willkfirlichen Anordnung einzelner selbstständiger Bezirke (st&dtischer
oder dynastischer) hervorgingen." Wir wollen Dem nur hinzulagen, dass
die Landwehren nicht bloss den Zweck des Schutzes, Sondern auch den
der Begrenzung der umschlossenen Gebiete hatten, und dass dieser
doppelte Zweck nicht bloss den Grenzwehren des linken, sondern anch
denen des rechten Rheinufers, soweit sie bis jetzt untersucht sind, xa
Grunde liegt. Was dieConstrnction der Grenzwehren betrifft, so finden
wir auf Taf. VII u. VIII 30 Profile, die nur 1 oder 2 Wälle mit Gr&ben
zeigen, woraus dann ohne Weiteres der Schluss gezogen wird, dass sowohl
auf der rechten wie linken Rheinseite alle Landwehren nur aus zwei oder
einem Walle bestanden haben, was aber nicht einmal Ar die wenigen von
dem Verf. untersachten F&lle stichhaltig ist, viel weniger für die immense
Zahl derjenigen, die von ihm gar nicht untersucht sind. Jedermann weiss,
dass die noch erhaltenen Erdwerke cur die sparsamen Reste der im Laufe
der Jahrhunderte mehr oder minder stark zerstörten and veränderten ur-
sprünglichen .\nlagcn sind, und man braucht nur kurze Zeit diesen Ueber-
resten seine Aufmerksamkeit zn widmen, um zu erkennen, dass diese Zer-
störungen und Yeränderangen noch jetzt unter unsern Augen in sehr merk-
licher Weise vor sich gehen. Wenn man also eine Landwehr antrifft, die
an einzelnen Stellen nur 2 Wälle hat, so wird man sie nicht ohne W'eiteres
in ihrer ganzen Ausdehnung auf nur 2 Wälle beschränken dürfen, während
sie an andern nicht untersuchten Stellen deren mehr aufweisen kann, und
noch unzulässiger ist es, aus einer solchen mangelhaften Wahrnehmung an
einigen wenigen Exemplaren auf die grosse Zahl aller übrigen schliessen
zu wollen. Soll die Untersuchung einer Landwehr correct sein, so ist es
unumgänglich erforderlich, dass sie sich auf alle noch vorhandenen Theile
erstreckt, an den besterhaltenon Stellen Profile genommen und an den
übrigen ermittelt wird, in wie fem sie nur die verstümmelten Reste vor-
ausgegangener Zerstörungen sind. Wir haben nun die von uns in die
h. Hölzertnaiiii; lA>ciilfor8cli., die Kriege der Kumer und Franken betr. Ili3
Karten eingetrageaen Greozwehreu (im Ganzon ISü Meilen) steU SclirilL
vor Schritt verfolgt und nicht weniger als 312 Proßlo davon nurgenoiunieo,
aiu denen sich ergibt, doss die grüsserou ans vier Wällen bestanden hüben,
deren Zweck neliKt der BcschafiV>nheit der kleineren Landwehren, in den
Denen Beiträgen etc. näher angegeben ist. Uebiigens Bei nicht unbe-
merkt, dass sich aufTaf. IX der Lauf and das Profü einer „Landwehr ans
der Urzeit" gezeichnet fiud&n, die ganz deutlich die vier Wälle aufweisen,
waa mit den Angaben im Trxtc nicht im Einklänge steht. Ueber den
Ursprung der Landwehren können wir im Allgenteineu mit dem Verf.
der sie in das Altertham vet'setKt (S. 71), einverstandeii sein, vormissen
aber, eine niihero Begründung ilieBcr keineswegs gangbaren Meinung. Aach
stimmen wir dem Verf. bei, wenn er sagt (ä. 71), es sei zu bedauern, „dass
die Landwehren in Wcätfaleit bis jetzt von Suiten der GeschichtBforscher
iaat gar keine Beachtung gefiyiden haben**. Wir haben dasselbe oft genug
ausgesprochen, ohne jedoch bis jetzt eiue Bereitwilligkeit bei den Alter-
tbumsforsohern wahrgeuomuiüu ku haben, sich mit uns in das einmal be-
gODDene mübsamc Geschäft (heilen au wollen.
Noch viel ungenügender, als bei den Grenzwehren, Bind die Forachungs-
ergebnlsso über die alten Strassen ausgefallen: hier bewegt sich der Verf.
offenbar auf einem ihm fast ganz fremden Gebiete, und es wird genügen,
die ForschuDgsmethode des Verf.'s mit ihren Resultaten nur in den Haupt-
sögen vorzuführen. Wir ünden auf den beiden UebersicLtskarten eine
sehr grosse Zuhl „germanischer VerkehrstraBsen" gezeichnet. S. 11 heisfit e«:
„Die Germanen kannten weder Strassen- noch Brückenbau". Wenn man
oon fra^, durch welche Kennzeichen der Verf. so genau die Richtungen
ao xahlreicher Strassen aus der germanischen Unieit ermittelt hat; so sind
es, ausser germanischeu Grübern, kauptsächtich die mittelalterlichen
Verkehrsstrassen, die er mit den germanischen für identi.4ch hält, wobei
freilich der sonderbare Widerspruch Übersehen ist, dass einerseits die mit-
telalterlichen Städte ans den grosseren germanischen Ansicdlungeo ent-
standen sind (S. 12), und dennoch anderseits die „gerriianischcn Verkehrs-
strassen'* um diese Städte herumgeführt haben, und erst später durch
dieselben gelegt worden sind. (S. 14). Nicht besser, als mit der Begriiu-
duog der „germanischen Verkehrsstrassen^' verhält es sich mit den Auf-
kl&rUDgen über die römischen Heerstrassen. S. 69 wird behauptet,
ea sei für die römischen MiHtärstrasaen „characteristisch, dass der Flusskies
durch Mörtel stets zu einer festen Masse verbunden wurde'*, und doch hat
der Verf.keino einzige Römerstrasse von solche r Beschaffenheit
Aufgefunden. Jener Satz ist aus Schmidt^s Localuntersuchungen ent-
134 L. Hölzermann: Localforach., die Kriego der Römer und Franken betr.
iiomnien, and hat nor für die von Schmidt gefundenen Strassen Gflltig-
keit; im Allgemeinen ist er nach unsem örtlichen Ermittlangen nicht
richtig, und dasselbe bestätigt der bedeutendstö Forscher römischer Heer-
strassen, Finanzrath E. v. Paulas in Stuttgart, indem er sagt: „Die Ver-
bindung des Pflasters (der Römerstrassen) oder die Ausfüllung der Fügen
derselben geschah mit Sand, und nur bei einigen mit Mörtel.
Bei minder bedeatendon Strassen fehlt auweilen die Pflasterung". (Die
Alterthümer in Wflrtemberg S. 4.) Obschon nun der Verf. keine einzige
Strasse von jener „characteristischen" Beschaffenheit auffinden konnte, führt
er dennoch sowohl in den Karten als im Texte eine Reihe von Bmch-
stückon römischer Milit&rsträssen auf; so sagt er S. 5: „Nach den noch
vorhandenen Resten römischer Hilitärstrassen und Etappenlagor an der
Lippe führten einst, von Castra vetera ausgehend, zwei gebahnte Strassen
die Lippe aufwärts und zwar eine am nördlichen nnd eine am südlichen
Ufer". Doss es keine Römerstrasson aus blossen Erddämmen (mit Holz)
gegeben hat, ist für den Verf. eine so ausgemachte Sache, dass er die
von dem Ref. in den neuen Beiträgen II S. 33 — 41 beschriebenen Heer-
Strassen, ohne sie auch nur untersucht zu haben, rundweg für Landwehren
erklärt. Damit steht nun in grellem Widerspruch, dass sich in der Ueber-
sichtskarte ein beträchtliches Stück Römerstrasse bei Wesel gezeichnet
findet, das nur allein aus Erd werk, ohne jede Spur von Steinmaterial,
geschweige denn von Mörtelverband, besteht ; ein zweites StQck findet sich
in der Richtung nach Bocholt, ein drittes in der Richtung nach Borken,
ein vierteä zwischen Stadtlohn und Ahaus, ein fünftes bei Haltern, ein
sechstes, siebentes und achtes östlich von Halteren und Hallern, und alle
diese Strassenreste bestehen, sowohl nach Schmidt 's als unsern eigenen
Untersuchungen, nur allein aus Erdwerk, ohne jede Spur von Stein-
niatcrial. Dasselbe gilt von den beiden Stücken der Heidenstrasso östlich
von Lisborn und Seh. Waltrup, nnd wenn der Yerf. seine vorgeb-
lichen germanischen Verkehrsstrassen näher untersucht hätte,
so würde er gefunden haben, dass der grössere Theil derselben
aus oben solchen Erddämmen bestanden, wie die von ihm als
Rümerstrassen aufgeführten Stücke. Endlich hat der Verf. bei
Nouen-Ueerso auch ein 20 R. langes Stück eines alten Weges gesehen,
dessen c. 6 Fuss breite Steinbahn aus groben Sandsteinblöcken zusammen-
gesetzt war; aber es wird doch wohl Niemand, ausser dem Verf., einen
nur C Fuss breiten Steinweg für eine römische Heerstrasse ausgeben
wollen.
Wenn wir nun hiernach aus den von dem Verf. aus seinen Unter-
L. Uül£orta»uu: Luenlfuraoh., diu Kriege dei- Küoicr und Fiaiikon bi'tr. lä'>
sucbuugoD aber die Lundwehreu uud UoerstraHaun beigebrachten Ile-
sultAteu leidur wenig Litilebruiig 2U Btibü|>feD vuriiiiigmi, so dürlt« dies aeiiu-n
Gruod in der su b«6cbriiifl<tou Zeit lml)€i], welche er auf diese so ausge-
deliuteu und nur frngiucutMiiEicb orhiiltent>u Doukinnlor, die ein langjähriges
not] eingebendes Studium eifurdcni, vorwondun kounte, und er es andern-
tlieila, den auf S. 3 uud 4 entbaltouen giHleii Lehren zuwider, nicht vor-
sichtig genug vermieden hat, aus mangelhaft erforachleu l'hatsacheu all-
Bincine Schlüsse ^u zieheu und dnrch vorgefiisüto Meinungen die allein bc-
chtigteu ThatsuchuJi in deu Hintergrund zu drängen. l>ugcgen freuen
wir uns, ea auBspiechen zu dürfen, dass der Verf. durch diu Erforschung
einer grossen Zahl alter B efestigungen, die einen Uaupltheil des Werkes
aaBniachen, der Altertlmniskunde einen grossen Dienst geleistet, um so mehr,
als die meist kurze Beschreibung dieser Detikmälcr durch sehr gcluugeno
Zeichnungen unterstützt wird. Wir werden die einzelnen Befestigungen,
in «o weit wir sie selbst untersucht haben, der lieiho nach durchgehen,
und die aus unsc-rn Untersuchungen hervorgegangenen Resultate, sofern
sie mit denen des Verf. nicht übereinstimmen, nebst kurzer Begründung
hiuitufügeo.
Die Ilünenbnrg an der Glenne. Dieselbe hat die Form der
römischen Lager, indem sie aus einem inneren viereckigen Einschluss be-
steht, umgeben von einer äusseren Umscbliessung, die jedoch nur mehr an
der Nordseito erhaUeu ist. Der Verf. ist mit der Ansicht Schmidt'»,
der diese Verschuuznug für ein römisches EtappenLiger erklärt hat, nicht
einverstanden, sondern hält sie für germanischen Ursprungs, und zwar aus
dem Giiinde „weil die Wälle sehr krummHnig und unegal sind, wobei die
Dimensionen der Süd- and Ostseite in Bezug auf Breite und Flühe des
Walles bedeutend grösser sind, als die der West- uud Nordaeite". Uns
Bcheiueu diese Gründe nicht ausreichend, um der Anlage den römischen Ur-
sprung abzusprechen, wenn mnu berücksichtigt, dass wir dieselbe nicht
mehr in ihrem ursprünglichen Zustande vor uns sehen, vielmehr die Wälle
augenscbeinlicli theils gauz vernichtet, theils erniedrigt und auseinatiderge-
worfeu sind. Da die Befestigung ganz die Construction Jor übrigen Marsch-
lager besitzt und an einer römiachon MilitÄrgtrasso, niimUeh der von Dol-
berg über Lisborn nördlich der Uüneuburg vorbeiziehenden UeideuBtrasse
liegt, und genau einen Tagemarsch ^ 4 Meilen vou dem Etappenlagor
zu Dolberg entfernt ist, so aoheiiit uns kein Zweifei, dass dieselbe nichts
anders, als das auf der Route von Dolberg auf diesem Strasseuarm zu-
DJtchst gelegene römische Eiappenlager ist.
Das römische Lager auf dem üoikenberg beiLüuen. Ueber
186 L. Hölzermann: Localfonch., die Kriege der Römer und Franken betr.
dieses zaerst von Dr. Hülsenbeck nachgewiesene römische Lager können
wir dem Verf. nicht beistimmen, wenn er es als ein „Standlager" bezeichnet.
Hiergegen spricht entschieden der Umstand, däss bis jetzt auch nicht der
geringste Fand römischer Alterthümer daselbst constatirt ist; wir halten
es violmehr nur ffir ein gewöhnliches Etappenlager, womit auch die regel-
mässige Entfemnng von den übrigen der Lippestrasse entlang gelegenen
Marschlager übereinstimmt. Eben so wenig können wir die kloine vier-
eckige Umwalinng im Innern für das „Prätorium" halten, das „die höchste
Stelle des Hügels einnahm". Sie nimmt keineswegs die höchste Stelle ein,
sondern liegt aaf der östlichen Neigung, und scheint uns ein in späterer
Zeit angelegtes Redtiit zu sein, wie sich ein solches auch in dem Lager bei
ßonefeld (Kr. Neuwied) findet; hier lässt sich aus dem Profil der Um-
wallung, das die neuere Befestigungsmanier zeigt, deutlich der spätere Ur-
sprung nachweisen, während auf dem Heikenberg die Wälle nur mehr an
einer schwachen Erhöhung des Bodens zu erkennen sind.
Die Bnmannsburg. Bei der bisherigen Beurtheilung dieser Yer-
Bchanzung scheint uns übersehen zn sein, dass das ursprüngliche Bauwerk
in späterer Zeit zu Kriegszwecken benutzt und demgemäss hergerichtet
worden ist. Auf eine solche spätere Benutzung weist schon die Auffindung
fränkischer Alterthümer hin, und wir rechnen hierher namentlich den an
die Aussenseite des östlichen Hanptwalles angelegten brustwehrartigen Wall,
wie ihn der Grundplan und das Profil n b zeigt. Nach unsrer Aufiiissnng
war das Kernwerk, wie bei den übrigen römischen Lagern von einer
äusseren Umschliessung umgeben, deren Ost-, Süd- und Westseite mit den ent-
sprechenden des inneren Einschlusses parallel gingen, während die nördliche
Seite fehlt, und hier die Lippe den vierten Abschluss bildete. Wir stimmen
ganz der treffenden Bemerkung des Verf, bei, dass sich an der Nordseite,
wo jetzt die sumpfigen Wiesen liegen, ein Hafenbassin befand, womit nach
unsrer Ansicht der von dem östlichen Hauptwnll nach der EIcke des Prä-
toriums führende Wall in Beziehung stehen wird, den wir aber keines Falls
mit dem Verf. für den nördlichen Abschluss des Lagers halten.
Das Lager an den Hünenknäppen bei Dolberg. „Betrachtet
man das Werk als Ganzes, so ist die Aehnlichkeit desselben mit Bumanns-
burg in Bezug auf die Lage und Construction unverkennbar." Diese
Aehnlichkeit in Bezug auf die Construction scheint der Verf., aus der
Zeichnung der muthraasslichen Hauptumwallung zu schliessen, in dem Um-
stände zu finden, dass das Prätoriura nicht frei innerhalb der Hauptum-
wallung, sondern dicht an der südlichen Seite gelegen hat. Wir haben
aber schon oben angeführt, dass bei der Bumannsbnrg das Prätorium frei
L. Hölzcrtnana: Localforaob., die Krioge der Römer und FrankeD betr. 137
hn Inaern lag, wie dies nach aiulerwürt« steta bei den rüiuifichen Lagern
beobachtet ist, und so war e* auch boi dorn Lager zu Dolbcrg: dJo Osl-
aeit« lief nämlich noch über die Steinbruche hinaus bis zum Fade des
Wahles, bog hier uva und man kann noch deuth'ch die Spuren des Haupt-
walles am Siidrande des GebüscheB gegen den Bnch hin verfolgen, bo dass
alao das Prätorium, wie auch anderwärts, genau iu der Mitte zwischen dum
nördlichen und südlichen Theilo der Hauptaniwallang liegt. ,,Obgleich
Hofrath Ess eilen die Burg bei Dolberg schon seit viek-n Jahren kennt
und selbst angibt, noch einen Rest des Uaupiwnlles gesehen zu haben,
wird dieselbe doch in keiner seiner Schriften erwähnt. Der Gmud dieses
auffallenden Schweigens kann nur in dem Umstände gesucht worden, dass
derselbe vielleicht fürchtet, den itnhlreichen Gegnern seiner seit ülier 30
Jahren mit einem so grossen Aufwände von Scharfsinn und Gelehrstimkeit
vertbeidigten Hypothese (dos Yarianische Schlachtfeld und das Gnstell Aliso
betreffend) durch die Darstellung dieses interessanten Ijngers eine gewichtige
Waffe in die Iland zu geben." Zu Gunsten des Herrn Hofrath Ess eilen
wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass diese Bemerkung nicht zutreffend
ist, indem Es seilen die Verschanzung auf S. 22 und 23 seiner Schrift:
„Das röm. Castell Aliso, der Teutoburger Wald und die Pontes longi"
deutlich beschreibt.
Die Steeger Burgwart. Von diesem Lager haben wir bereits
Jahrb. LTX, Taf. VII eine Aufnahme veröffentlicht und unsre Ansicht über
die ursprüngliche Anlage, die nur mehr in sehr verstümmeltem Zustande
erhalten ist, ausgesprochen. Der Verf. adoptirt die bisherige ganz unhalt-
bare Meinung, die Verschnnzung sei der Brückenkopf eines hier stattgefun-
denen Lippeüberganges gewesen, und will dieselbe durch den Umstand be-
gründen, dass ,,der gegenüberliegende Uferrand gleichfalls befestigt ist".
Von einer tolchen Befestigung des gege nübertiegenden Ufer-
randes ist aber durchaus keine Spur vorhanden. Wir haben
hier offenbar nichts anders, als eines der Marschlager an der von Castra
vetera nach Aliso führenden Militärstrasse, auf welcher es von Velera aus
die erste Etappe bildete.
Die Hänenburg bei Boke. Der Verf. hält die Verschanzung,
gleich der Hünenburg an der Glenne, für ein ,. germanisch es Lager^'; indem
wir sogleich von den ,,germanischen Lagern" reden, wollen wir hier nur
bemerken, dass uns diese Anlage, gleich der vorgenannten, ein römisches
Etappeuloger zu sein scheint, welches hier einem von Süden nach Norden
über die Lippe gen Delbrück führenden Heerweg angehört hat.
Die Burg im Haviibrock. „Bei Gelegenheit der Aufnahme der
188 L. Ilölzermanii: Localforscb., die Kriego der Ilüuior und Franken betr.
Burg war die Zeit za kurz und die Witterung zu ungünstig, um weitere
Untersuchungen anstellen zu können. . . So weit ich das Werk jetzt zu be-
urtheilen vermag, gehört dasselbe der süclisischeu Zeit an . . . Für die An-
nahme einer römischen AnInge uder mittulalterlicheu Burg ist nicht ein
einziger sicherer Anhaltspunkt aufzufinden/' Wir haben bereits in der
Jenaer Literaturzeitung 1874, No. 48 geäussert, dass wir die Verschanzung
nicht für ein römisches Lager, sondern iiir eine germanische Burg halten.
Später haben wir die Verschaiizung in Gemeinschaft mit Urn. Dr. Hülsen -
beck besichtigt, wobei jedoch auch die Witterung einen längern Aufent-
halt nicht gestattete. Vorläufig stimmen wir den Aufuhrungeu des Verf.
bei, vorbehaltlich einer späteren ausführlichen Untersuchung.
Der Niemen-Wall bei Haltern. Bei der ungenauen Besohreibung,
worin der „Niemon" auf dem rechten Steverufer liegen soll, während er
auf dem linken liegt, und der Wall auf die Ackerflur versetzt wird, wäh-
rend er sich durch die Haido erstreckt, beschränken wir uns auf die Mit-
theilung, dass wir auf der Ilaide die Ueberreste eines römischeu Etappen-
lagers aufgefunden, wovon noch das Prütorium, mit Ausnahme der Ostseite,
und die West* nebst einem Theile der Südseite der Hauptumwalluug er-
kennbar sind.
Die Hügel bei Oartrop und Schormbeck und die Hohen-
burg bei Hamm (sowie die Hügel beim Günnewigshofe and
bei Hünze). Es würde kaum verständlich sein, wie ein militärischer For-
scher bei solchen Anlagen, deren foi-tiücatorischer Character durch die sie
umgebenden Wälle und Gräben so offen zu Tage liegt, an Opferhugel oder
gar Ustrincn denken konnte, wenn man sich nicht erinnerte, dass noch vor
nicht langer Zeit die altdeutschen Burgen, bei denen die fortifikatorische
Bestimmung eben so leicht zu erkennen war, fast allgemein für germanische
Hciligthümer angesehen worden sind. Wir haben uns über diese Wart-
hügcl, deren wir über hundert aufgefunden und vermessen, in den neuen
Beiträgen etc. ausführlicher ausgesprochen, und wenn der Verf. meint,
dass ihre Lage dem Zwecke, als Wachtliügel zu dienen, nicht entspreche,
so erklärt sich diese Meinung daraus, dass er die Beziehungen dieser An-
lagen zu den Grenzwehreu und Heerstrassen, denen sie sammt und
sonders anliegen, unbeachtet gelassen.
Die Burg im ßröggel. „Die Burg im Bröggel ist weiter nichts,
als ein einfacher von einem Walle umschlossener Wachthügol" (8. 116),
Wir sind ganz damit einverstanden.
Der Verf. theilt auch über die Lage des Gastells Aliso seine An-
sichten mit: er setzt es an die Stulle des Dorfes Ringboke, und zwar
L. Hölzermann: Looalfonoh., die Kriege der Itömer und Franken betr. 189
aas dem Grunde, weil die mittelalterliche Befestigung dieses Dorfes die Ge-
stalt eines längUohen Vierecks hatte, was sich nicht anders erklären lasse,
als dass das Dorf auf -den Trümmern eines römischen Gastclls entstanden
sein müsse, nnd wegen der in der Mähe vorkommenden germanischen Ver-
schaniongcn könne dies nur das Castell Aliso gewesen sein (3. 77). Wir
müssen es Andern üherlassen, das Gewicht dieser Gründe zu heurtheilen,
da wir bereits die Thatsachen erörtert (,,1)ie röm. Militärstrasten a. d.
Lippe nnd das Castell Aliso*'), welche auf eine andere Position Aliso's hin-
weisen, nnd beschränken uns auf die Bemerkung, dass die Römerstrasse
des rechten Lippenfers nicht, wie es 8. 19 heisst, „in dem alten sandigen
Glennebette entlang" führte, welches bei Seh. Nomke „die Strote" (die
Strasse) heisst, sondern dass diese Vertiefung nichts anders als der die
dortige Befestigung umschliessende Grahen ist, und ihren Namen daher hat,
dass man eine längliche schmale Vertiefung bekanntlich „Strasse" oder
„Gasse" zu nennen pflegt.
Unter der wenig passenden Ueberschrift „Mittelalterliche Dynasten-
sitsse" erhalten wir ferner die Beschreibung von 22 Befestigungen, be-
gleitet von 27 Tafeln Zeichnungen, die gleich den übrigen alles Lob
▼erdienen.
Es ist erstaunlich, wie gross die Zahl der noch in Deutschland vor-
handenen Reste alter Erdbauten ist, und noch erstaunlicher die Gleich-
gültigkeit, mit welcher die Geschichts- nnd Alterthumsforschung über diese
so wichtigen nnd grossartigen Denkmäler bis jetzt hinweggegangen ist.
Es konnte daher nicht ausbleiben^ dass nnsre Eenntniss über den Ursprung
und die Bestimmung derselben noch immer in ihren Anfängen begriffen ist.
Wir haben damit begonnen, zunächst ans der grossen Zahl die römischen
Lager, die sich durdi ihre gleichförmige regelmässige Construction er-
kennen lassen, auszusondern, wie auch der Verf. mehre derselben richtig
erkannt hat. Ebenso stimmen wir mit ihm in der Unterscheidung denjeni-
gen Umwallnngen überein, „deren Lage und Bauart darauf hinweist, dass
sie lediglich Znfluchtstätten. einer zerstreut wohnenden fast wehrlosen
Berdlkemng waren". Dagegen müssen wir uns gegen die vorgeblichen
,,germamschen Lager" durchaus ablehnend verhalten, schon darum, weil
rieh ans den alten Schriftstellern kein einziger Beleg dafür beibringen lässt,
dass die alten Germanen, gleich den Römern, ihre Lager durch Wall und
Chrmben versohanzt, wir vielmehr stets und bis in's vierte Jahrhundert die
übfiche Wagenburg erwähnt finden. Ob ein Theil der alten Umwallungen
la einer Landesvertheidigang bestimmt und hergerichtet war, bleibt
•■De oftne Fngtf za welcher wir nur bemerken, dass ein bestimmter Mach-
140
A). Eokor: üuber ptähinlorisube Kunst.
weis dafür aus dvn alten Sclirifisf ellern ader den noch erhaltenen Depkmälera
bis jetzl nicht geführt worden ist. Gan?. anders verhalt ca sich mit den
fränkiachen und sächsiBchen Befestigangen des fröheeten Mittelalters,
bei denen wir sowohl die Lagerhefestiiufungon als ancli piTinanentc Lande
bargen finden, und es handelt uicli iu dieser noch so wenig behandelten^
Frage hauptsücblich uro die Kennzeichen, durch welche sich die liefcsti-
gungaanlagen des frühesten Mittelalters von denen des Alterthums unter-
scheiden lassen. Hierzu liefern die Holz er mann 'sehen Zeichnungen ein vor-
treffliches Hülfsniittel, und indem wir den bedeutenden Fortschritt in der
Alterthumskunde durch Veröfifontliclmng dieser Zeichnungen nochmals her-
vorheben, wünschen wir nicht minder, dass der Westphälische Geschichts-
und AHerthumsvcrein es sich angelegen sein lasse, auch die übrigen in
seinem Forschungsgebiete noch vorhandenen Reste alter Verschanzongen,
bevor sie der gänzlichen Zerstörung anheimfallen, durch correcte Auf-
nahmen und Beschreibung für die Alterthumskunde zu sichern.
J. Schneider.
7. AI. Ecker, Ueber prähistorische Kunst, in der Beilage der All-
gemeinen Zeitung vom 30. und 31. October 1877.
Die Verhandlungen der Anthropologen-Versammlung au Constanz im
September 1877, wo die in der Thayiuger Höhle gefundenen Ilennthicrgc-
weihstUcke mit eingeritzten Thierbildem ein Gegenstand lebhaller Erörte-
rung waren, gaben dem auf dem Felde der prähistorischen Forschung hoch-
verdienten Verfasser Veranlassung, seine Ansichten über die Kunstleistungen ,
des vorgeschichtlichen Menschen im Allgemeinen auseinander zu setzen und'
er war um so mehr dazu aufgefordert, als er jener Versammlung bia 8um
Schlosse beizuwohnen verhindert war. Die Thierbiider auf Reunthier-
knochen, welche die Iluhlen der Dordogno in so grosser Zahl geliefert
haben, wurdeu zwar Anfangs mit einigem Misstrauen aufgenommen, aber
das Ansehen berühmter Forscher, zumal das von L artet, sowie die Un-
mög1ichkL<it, einen Betrug im einzelnen Falle sicher nachzuweisen^ führten
schliesslich dazu, an der Aechtheit dieser Fuudo nicht fcruer zu zweifeln und
mit einem gewissen Selbstgefalleu wie» man auf die so früh schon ent-
wickelte künstlerische Begabung der Rennthier-Franzosen hin. Nur wenige
Forscher, sagt Ecker, widerstanden dieser Bekehrung und blieben hart-
nackige Ketzer, ao vor Allen Lindensclimit, dem es auch gelaug, zwei der
" Uöblenseichnungen als Copien aus einem bei Spumer erschie-
AI. Ecker: üeher prnhistoriacbe Kunst.
Ul
Denen illaetrirten Bilderbache nachzuweisen, Archiv für Anthrop. IX, S. 173.
Dieselben waren trotz eines Anfangs gehegten Zweifels von der Züricher
Antiquarischen Gesellschaft für acht erklärt nnd von E. Merk in seine
Schrift: Der Höhlenfand im Kesalcrioch bei Thnyingen, Zürich 1875, anf-
gtnomioen worden. L indenschm it hatte den ßetrug echonmigBloB auf-
gedeckt und verhehlte ancb seinen Zweifel an der Aechtheit aller übrigen
Hdhlenzeichnungen nicht, Bofern diese einen vorgeschrittenen Kunsteti!
tcigen. Merk, der Entdecker und Beschreiber des Thajinger Höhlienfnndes
bereute es nun, seine Bedenken, in Betreff der beiden gefälschten Zeich'
nangen nicht sofort selbst ausgesprochen zu haben; er bestätigte in einem
offenen Briefe an Lindenschniit die Fälschung der Bilder des Büren und
des Fuchses und gab den Namen des inzwischen vor Gericht gestellten
FBlschers an, Archiv f. Anthrop. IX, 3. 269. Die Züricher Antiquarische
Gesellschaft glaubte aber in einer im Mai 1877 veröffentlichten amtlichen
Erklärung, die in den stärksten Aasdrücken abgefasst war, Lindenschmit's
Zweifel an der Aechtheit: der Rennthierzeichnniigen überhaupt abweisen zu
müssen, sie bestritt ihm das Oberrichteramt über die gesammte antiquarische
Forschung und hob hervor, dass die Aussprüche der französischen, englischeu
und nordischen Gelehrten ihm entgegen ständen. In einer rein sachlichen
„Entgegnung" hat darauf Lindeuschmit geantwortet und seine Stellung
gewahrt, Archiv f. Anthropol. X^ S. 323. In Folge dieser Geschichte des
Tbayinger Fundes stehen sich nnn zwei Ansichtefl entschiedener gegenüber
gjs es früher der Fall war. Die Anbänger der einen halten es aus Gründen,
die dem Kunstwerk selbst entnommen sind, für unwahrscheinlich, selbst für
anroöglicb, dass die vollendeten unter den Thierzeichnungen ans den
französischen wie aus den deutschen Höhlen von denselben Menschen ver-
fertigt seien, wie die dort gefundeneu rohen Stein- nnd Knochen- Werkzeuge,
mifl halten jene also für gefälscht. Die' Andern stützen ihre Meinung auf
die Umstände der Auffindung und sagen, weil diese Sachen in denselben
Schichten gefunden werden, wie die Steingeräthe, so müssen sie mit diesen
gleichzeitig sein, sie sind also acht. Letztere geben freilich die Möglichkeit
sr F&lschung zu, berufen sich aber auf den Grundsatz: „quisque prae-
STunitur bonns, nisi cüntrarinm probetur^'. Ecker selbst bekennt, früher
an die Aechtheit dieser Arbeiten geglaubt zu haben. Er bemerkte über eine
der Zeichnungen : ,iDas grasende Thier ist mit einer Überraschen den Natur-
treue dargestellt, wie sie die noch nlJea Idealismus baaro primitive Kunst
allerorta zeigt and wie wir sie z. B. auch an den altägyptisclieu Thier-
zdchnangen bewundern. Das Ge\Veih mit der breiten Augensprosse, die
Beluiamng, die Stellung der Beine, alles ist vortrefflich wiedergegeben und
143
AI. Ecker: lieber priluBtoriscbe Kunst.
an dem Original flberrascht natnentlich auch dns Nasenloch, das, wie man
es bei einer weidenden Kuh beobachten kann, weit f^eöiTnet ist*^*. Vergl.
Archiv f. Anthropol. VII,, S. 136. Dagegen erwiederte die Viorteljahrsrevne
der Nttturwiasenscbaften, UrgeHchichte II, 1874, S, 6: „Dieser ßeschrei-
bnng entspricht aber die Zeichnung, wie sie nach Kcller's Lithographie
gestochen ist, gar nicht. Jeder, der altägyptiache Thiei7.eichnungen
gesehen hat, erkennt dort allerding.? eine alles Idealismus haare, primitive |
Kanst oder auch, wenn man will, keine Kunst ira eigentlichen Sinne des
Wortes sondern Naturversnche, wie sie ein Kind macht. Kann man dasselbe
aber auch von der Zeichnung aus der Höhle bei Thnyingen sagen? Ich
glaube schwerlich, dase ein Maler dazii Ja sagen wird. Im Oegentheil
zeigt die ganze Darstellung, dnss sie von Jemanden herrührt, der die Ge-
setze der Perspective ganz genau kennt und Unteiricht ira Zeichneu ge-
nosscn hat.'' Auch Rütinicyer schreibt: ,,Eine Zeichnung eines Zebra
ähnlichen Tliieres auf Renntluerhorn ist sogar so vortrefiiich erhalten und
BO überaus zierlich ausgeführt., dnss ich zweifeln möchte, ob ein Schaitzler im
Berner Oberlande im Stande sein würde, mit den Meissein jener alten Künstler
solche Darstellungen zu Hefern.'* In sehr bestimmter Weise schlicsst sich
der erfahrene von Bonstetten dem Urtheile Lindonschmits an. Er sagt
in einer Zuschrift an denselben : „Die Zeichnung des weidenden Renn*
thiers ist von einer so vollendeten Ausführung, dass sio einen mit guten
stählernen Werkzeugen versehenen Künstler varräth. Der durch eine erste
Fälschung erreichte Erfolg rausste den Gedanken eingeben, den Versuch zu
wiederholen, sei es aus Gewinnsucht oder aus Eigenliebe. Bekannt eind
die iu Poitiera von Herrn M. gemachten Stücke, Schlangen, Drachen n. dgl.,
über welche derselbe gelehrte Abhandlungen schrieb. Der zu Sal^ve hei
Genf gefundene Commandostab ist von einer Person gefunden, die mir
wenig Vertrauen einÜösst. Früher fälschte man römische InKchriften, heute
kommen die geritzten oder geschnitzten Knochen andie Reihe. Dies alles scheint
mir ein schimpflicher Humbug." Des oben als Commandostab bezeichneten
Rennthiergeweihstückea gedachte Prof. Forel in der Constanzer Versammlung
nnd erzählte, dass er selbst die Zeichnung eines gehörnten Thieres auf*
demselben nach Entfernung eines Kalksinterüberzuges entdeckt habe; au/
der andern Seite ist die Zeichnung eines Pflanzenzweiges mit Blättern, eine
auf Knochen ganz ongewöhnlicho Darstellung. Der Knochen gehört der
Sammlung des U. Thioly an und ist abgebildet im Bullet, de Tlnstitut
nation. Genevois T. XV. F'orel thoilte mir noch brieflich mit, dass Thioly,
der vom Gericht in Genf wegen Vertrauensbruch verurtheilt worden ist,
nJB erwftbnt bahn, dnea er, Forel di« Zeichnong entdeckt and docli sei es,
AI. Ecker: Ueber präbistorischo Kunst.
143
im Falle hier eine TäuBohang vorliege, sein Vortheil gewesen, fiir die Aecht-
heit der Zeichnnng einen Zeugen anführen zu können. Wie dem auch sei,
die Aeohthcit dieses geschnitzten Knochens ist zweifelhaft, denn mich eine
Kalksinterdecke lässt sich künstlich darstellen, Auf der Versonimliing der
0«8chiehtS' xmd Alterthnrnsvercine in Wiesbaden am 26. September 1876
gedacht« von Cohausen mit grösstem Misstrauen der im J» 1867 voui
AbM Londesqae in der Laiigerie hasse gemncbtcn und dem Arcbneologischcn
Coagresse Frankreichs im J. 1874 mitgetheilten Funde. Da zeigt eich, vgl.
Gompte rendn du Gongri^s, Paris 1875, p. 17, auf dem Schulterblatt eines
PHanzenfressers ein Pferdekopf, ferner ein von einer Frau geführtes Reuntbier,
von diesem ist nur das llinfertbeil' vorhanden, von der Frau fehlt der
Kopf. Da der ITmriss der weiblichen Gestalt unbestimmt ist, kam Qiaii
sogar auf die Vermuthung, dass dieselbe vielleicht behaart gewesen sei.
Eäne kleine Figur ans Rennthierhom stellte ein Kind oder einen Affen dar!
Kehren wir zu dem Aufsätze Ecker 's zurück. Nachdem er die
beiden Meinungen, jene Arbeiten seien gefälsobt oder sie seien acht,
gegeneinandergestellt, sagt er, eine dritte Möglichkeit sei bis jetzt knuiu
besprochen worden; er finde dieselbe zuerst vertheidigt in einem Berichte
ober Urgeschichte in der Virteljahrsrevno der Forschritte der Naturwissen-
schaften III 1875, S. 7, woselbst der ungenannte Verfasser schreibe: „Wer
nicht mit einer gewissen Voreingenummenheit an diese Suchen herantritt,
kann nach meiner Meiimng nicht darüber im Zweifel sein, dass alle diese
Knnstwerko, weit entfernt in eine nebelhAfto Vorzeit hinaufzuragen, a\if
den Einüaes griechischer Cultur hindeuten. Prophezeien ist immer eine
missliche Sache; ich möchte aber trotzdem die Voraussagnng wagen: dase
in nicht zu ferner Zeit der Tag kommen wird, an welchem man ane einer
mit Rennthier- und Bürenknochon gefüllten Höhle Bein- und Knochenstücke
hervorziehen wird, auf welchen sich Zeichnungen mit griechischen Itucbstabcn
fioden.'^^ Es ist dem Schreiber dieser Zeilen nicht schwer, auf den Ursprung
dieser Ansicht hinzuweisen. Derselbe Berichterstatter über die Fortschritte
auf dem Gebiete der Urgeschichte, Herr Th., sagt in der Vierteljahrsrevue
der Forschritte der Naturwissenschaften I 1873, S. 128: ,,Die Franzosen
können sich noch nicht von der Ansicht eines unermesslich hohen Alters
der Ueberreste aus der sogenannten liennthierzeit losmachen, obgleich
gerade die Tbatsache bedeutsam ist, dass besonders im südwestlichen Frank-
reich Thierknocben mit Zeichnungen entdeckt worden sind, die, wenn man
ihre Naturtreue und den sich darin aussprocheuden Kunst^eschmack bedenkt,
entehiedon, wie Prof. Schaaffha uacn vor Jahren hervorhob, anf den Kiofluss
phdnicischer oder griechischer Kolonieen an der Mittehnoorküsto hinweisen.**
144
AI. Ecker: über prähiatorificbe Kunst.
Bei den Conatanzer Verhandlungen über die Äechtbeit der Thayinger
Fände fand ich mich veranlasst, daran zu erinnern, dass ich bereits 1667
und Bpiiter mehrmals mich gegen die allgemein herrachende Meinung von
dem hohen Alter der in der Dordogno gefundenen geschnitzten Rennthier-
knochen ausgeaprochen hätte, indem die Ausführung vieler dieser Arbeiten
einen so ausgebildeten Kunstsinn verrathc , dass man dieselben einem
wilden Volke nicht zuschreiben könne, sondern den Ursprung derselben
bei einem Culturvotke suchen müsse. Auch wies ich auf wirklich vorge-
kommene Fälschungen dieser Art hin und begründete meinen Verdacht
Belbet in Bezug nnf die Aochthcit des Lartet'schen Mamumthbildes.
Ecker versucht nun eine möglichst objective Darstellung der Streit-
frage, indem er der Reihe nnch die artistische, die geologische, die
technische und die zoologische Seite derselben in Erwägung zieht. Es ist
ein bekanntes Verfahren der Archaeologie, aus dem Stil der Kunstwerke,
aas der Form der Geräthe imd Wnffeu auf die Zeit zu schliessen, aus der sie
Blammen, auch die urgeschichtlicho Forschung darf dasselbe in Anwendung
bringen. Diese Methode wird von der letztern desshnlb aber wohl nur in
beschränkterer Weise angewendet werden können, weil hier keineswegs noch
so mustergültige Erfahrungen und Beweisstücke vorliegen, wie das für die
späteren Perioden der Kunstgeschichte der Fall ist, wir vielmehr noch in
der Zeit der Entdeckungen leben. In Bezug auf die bekannten ältesten
Versuche der Darstellung von Thiergestalten sagt aber Lindenschmit^ du8
sie den Charakter der unbeholfensten Barbarei zeigen, die Pferde der alt-
itaHachen Erzarheit gleichen unsern Ilonigkuchenfiguren, nicht besser sind
die räthselhaften Fabelthiere gallischer Münzen, die nur aus Kopf und Hand
bestehenden Reiterfiguren der germanischen Goldhracteaten, die scheusalioh
verzerrten schnörkelhaften 2^icbnungen der irischen Manuskripte und die
meisten Darstellungen aus weit späterer Zeit noch, sie geben eine wild-
phantastische, völlig willkürliche Auifassung der Tbierwelt kund. Da die
übrigen Bildungszustände aolcber Zeiten eine unermeasliche Ueberlegenheit
fiber die der Höhlenbewohner der Rennthierzeit zeigen, so raüsste men
einen Rückschritt nur in dieser Art von Kunstthätigkeit annehmen, was doob
nnstatthaft ist. Archiv f. Atithrop, ÜI, S. 109. Wenn man dagegen be-
haaptei, dass auf einer tiefen Cultnrstufe dennoch eine im Vergleich be-
deutende Entwicklung der Kunst bei irgend einem Volke stattfinden köone»
so müssten für eine so auOTallendo Annahme doch sichere Thutaacben bei-
gebracht werden. Wie roh sind noch die von Schliemann in Myconao
gefiindenen Thierbilder!
Noch nuffallcnder als das frOhe und unvermittelte Auftreten einer
AI. Eoker: lieber prähistoriflche Kunst.
145
Knnstperiode iet das plötzliche Wiederverschwinden derselbGU. Während
von der Höhlenzeit zar Pfablbautcnzeit in jeder andeni Beziehung ein
eotschietlener Fortschritt stattfindet, boII der Mensch das Zeichnen und
Bildscbnitzen wieder vollständig vergessen haben, bis viel später eine auf
aeiatischem oder ägyptischem Boden entsprossene Kunst wieder neu erstand.
Mortillet nimmt dies als Th&tsacbe ruhig hin und spricht nur seine Yer-
Wanderung darüber aus, Revue scientif. 1877, No. 38, p. 892. Bertrand,
den Ecker nicht anfährt, sagt in seiner Abhandlung: Le renne de Thay-
ingen, Extr. de la Revue arch^olog. 1874, p. 19; Die Kunst zu zeichnen
verschwindet mit dem Zeitalter der geschnittenen Steine, um erst mit der
Einführung des Eisens in C^Uien wieder zu erecheinon. ][^ieBe Thatsache
erinnert fast an religiöse Glaubenssätze, denn noch heute giebt ea Völker,
welche die Darstellung lebender Wesen als eine Profanation erachten.
Es scheint, dass die Vorsehung jedem Menschenstamme eine Rolle zuertheilt
hat, Qod vielleicht sind wir einmal genöthigt, anzuerkennen, dass bemi Auf*
baa der enropäischen Civilisation die Höhlenbewohner die Lehrer der Zeichen-
konst gewesen sind. Wie kann aber B er trän d im Ernste nur behaupten,
dass die Kunst zu zeichnea, die sich ja nur in Verbindung mit der bildenden
Kunst überhaupt später in Europa entwickelt hat, ihr Vorbild oder Musler
in jenen Höhleubildern gehabt hat? Wenn Ecker die Ansicht Kott*
0 1 i d d o n 's anführt, dass, wie die Begabung für die bildende Kunst bei ver-
schiedenen Individuen nicht die gleiche sei, sie auch bei verschiedenen
Völkern verschieden sein küune, so ist dies seibat in Bezug auf civilisirte
Völker in gewissem Sinne wahr, passt aber auf den vorliegenden Fall nicht.
Man kaim die Engländer anführen, deren Leiutungen in der bildenden Kunst,
einzelne Ausnahmen abgerechnet, unzweifelhaft gegen die der Italiener,
Franzosen und Deutschen zurückstehen, wiewohl dies in andern geistigen
Schöpfungen, der Dichtkunst nnd Wissenschaft nicht der Fall ist; die Ur-
Mchen dieses Mangels liegen in der geschichtlichen Entwicklung des eng*
lischen Volkes. Wenn wir aber jetzt unter ans bei einem Individuum ein
•osgesprochenes Talent zum Zeichnen finden, welches bei vielen andern
fSshlt, so ist dasselbe entweder eine ererbte Anlage von den Eltern oder
ea ist durch eine besondere Anregung und früh geweckte Neigung und
Uebung entstanden. Beide Ursachen setzen eine im Volke schon vorhandene
Knnst voraus, können also bei wilden Völkern gar nicht oder nur in beschränk«
tem Sinne wirksam sein. Wenn P ulsky geradezu artistische und unartistiscbe
Rusen unterscheidet, so sind eben jene in küustieriacher Hinsicht entwickelt,
diese zurückgeblieben. Malerei und Skulptur der Aegypter nnd Griechen,
der Italiener und Deutschen sind aber nicht sowohl das Ergebuiss einer
10
146 AI. Eoker: üeber prähistorische Kunst.
besocdem künstlerischen Anlage als vielmehr das Maass einer gewissen
Qeistesknltar, welche diese Leistangen mit Notbwendigkeit zur Folge hat.
Diese Fähigkeit ist deshalb keineswegs unabhängig von geistiger Cultur
und Civilisation, wie Pulsky will, sondern auf das innigste damit verbunden,
wenn auch das Geistesleben eines jeden Volkes sein eigenthfimliches Ge^
präge hat. Die Anlage zur bildenden Kunst, wie zur Musik und Dicht-
kunst ist eine allgemein menschliche, ob sie mehr oder weniger sich ent-
wickelt, hängt von Naturverhältnissen oder geschichtlichen Ereignissen ab.
Man wird nicht fehl gehen, wenn man einem rohen Volke auch nur eine
rohe Knnstleistnng zuschreibt. Man pflegt wohl als auf ein Beispiel jener
launenhaften Naturbegabuug auf die Zigeuner hinzuweisen, die, wie man
sagt, geborene Musiker sind und ihren Geigen den wunderbaren Schmelz
des Tones entlocken. Aber ist es so auffallend, dass ein zersprengtes Volk
von anbekannter Herkunft und, wie seine Schönheit zeigt, gewiss einst
von einer höheren Cultur berührt sein Schicksal in Klagetönen besingt mit
jenem Aufschrei sinnlicher Leidenschaft, wie sie nur der Süden entzündet?
Und doch ist es nur die Melodie des Volksliedes und die vollendete Technik,
weldie wir an dieser Musik bewundem, die der Cultur des Volksstammes
ganz entsprechend ist. Der Zigeuner wird zu einer höhern Leistung in
der Tonkunst erst befähigt sein, wenn er sich die Gedanken und Empfin-
dungen der verfeinerten europäischen Bildung angeeignet hat. Ecker weist
auf eine Schilderung von Wallace bin, nach der sich eine merkwürdige
Verschiedenheit der künstlerischen Anlage bei zwei rohen Naturvölkern
finden soll, die nngeblich auf ziemlich gleicher Culturstufe stehen. Der ge-
nannte Reisende schildert die Australier von Dorey an der . Nordküste von
Neu Guinea als grosse Holzschnitzer und Maler, die zumal ihre Kunst an
ihren Schiffsschnäbeln üben, sie sollen eine ausgesprochene Liebe zu den
schönen Künsten besitzen und in ihren Musestunden die zierlichsten Arbeiten
verrichten, während sie in Bezug auf ihre elenden NYohnungen und ihre
übrige Lebensweise auf derselben tiefen Stufe ständen wie andere Anstra-
lierstämme. Ecker nimmt diese Darstellung doch nur mit einem gewissen
Vorbehalte an und hebt mit Recht hervor, dass die blose Ornamentik
doch nur eine niedere Stufe der bildenden Kunst sei. Dass aber die
Papua's, welche die Küste bewohnen, solche Arbeiten verrichten, die den
im Binnenlande streifenden Stämmen unbekannt sind, erklärt ^ich vielleicht
aTis dem Umstände, dass, wenn das Meer die Trümmer eines geschei-
terten fremden Schiffes an ihre Küste warf, geschnitzte und gemalte Holz-
theile ihre Nachahmung reizten und sie dann Aehnliches zu fertigen ver-
rachten. Mit einem Hinweis auf die rohen Malereien der Buschmänner
AI. Ecker: üeber priih^^toriscbe Kunst,
147
nach Fritach, die Eingeborenen Südafrikn'a, Brealau 1872, 8. 126, u. Taf. fiO
and die Schnitzereien der Neger, d)9 Seh weinfurth, Artes africanae,
LeiiOTg 1875, Taf. VIIl a. XIV abbildet, sclilieflst sich Ecker der An-
sicht Lin densch m it's an, der in ßezug auf die Thicrzeicbnangen der
heutigen Wilden aagt: alle diese Stämme, insofern sie in der That von jeder Be-
rührung mit den alten Culturvölkern ansgeschloasen waren, erholten sich in
ihren Darstellungen nicht über die ersten Versuche unserer Kinder und
den Stil des bekannten „Baches der Wilden" des 11. Abb6 Domenech.
Diesen Charakter haben in der That sowohl die Malereien der Indianer,
welche Sohoolkraft mittheilt, als auch die Menschen und Thiere auf den
Bchwedischcn Felsenbildem, und wiederum finden wir ihn in der Zeichnung,
dieRugendas, Malerische Reise iu Brasilien, Paris 1835, PI. IV Figur 3,
•Ja ein Muster der Kritzeleien mittheilt, die Neger auf dem Sklavenmarkt
in Rio de Janeiro auf die Wunde schreiben. Dies Bild ist vielleicht um
BO smvcrläasiger, da Rugendae selbst Maler war. Vou den Zeichnungen,
die A. Häbner in Transvaal auf einer Felswand eingegraben fand, ist
das von W. IJaer, der vorge»cbichtliche Mensch, Leipzig 1874, S. 147
wiedergegebene Bild einer Hyäne von so grosser Naturwahrheit, dass man
fragen muss, ob nicht holländische CMonisten die Lehrmeister der Einge-
borenen gewesen sein können. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass
noch mehr wie die bloee Naturwahrheit, die Anrauth der Daratellungoo auf
einen höhern Kunstsinn hinweise und bezeichnete als ein solches Beispiel den
bekannten von L a rt e t beschriebenen Dolchgriff aus Laugerie basso. Dass
selbst die Römer Knochen zu Skulpturen benutzten, ist bekannt. Die
ethnologische Sammlung in Freiburg im Breisgau besitzt eine auf Knochen
geschnitzte weibliche Figur aus Aegypten, die in graziöser Bewegung eine
Hand an das Gesicht lehnt. Man erkennt an der nur roh angelegten
Arbeit sofort die klassische Kunst. In vielen Sammlungen sieht man alte
Skulpturen angeblich aus Elfenbein, die, wie die Gefässlöcher beweisen, aus
Knochen geschnitzt sind. Wenn man noch behauptet hat, dass die Zeichnung
flberhaupt nur eine spätere Knnstübung sein könne, der die Kunst des
Bildhauers, also die Nochahraang der körperlichen Formen seihst voraus-
gegangen sein müsse, und rohe Versuche dieser Art kommen auch in Höhlen*
fnnden vor, so ist diese Behauptung doch sehr zweifelhaft. Auch für die
Zeichnung h%i der Mensch ein Vorbild in der Natur, es ist der Schatten-
risa der von der Sonne beleuchteten Gegenstände, der zur Nachnhmnng
auffordern konnte. Ecker fügt seinen Bemerkungen über die Schnitisereien
der Papaas die Bemerkong hinzu, dass, während die Zeichnungen der wilden
Völker mehr dem Gebiet des Knnstgewerbee angehören und eich anf dem
146 AL Ecker: üe]>er pr&historiBcbe Kanst.
Felde der Ornamentik bew^en, mit dem Rennihierbilde von Thayingen das
Gebiet der Knnst betreten sei. Indflss ist dies Bild doch nicht fehlerlos,
der Hinterleib des Tbieres ist zu BchmAchtig nnd die Hinterbeine sind im
Yerhältniss m den vordem zu lang. Bedeutsam wird der Vergleich der
LetBtnngen der prähistorischen Höhlenbewohner mit der Ennstthätiglceit
eines Volkes, das anter ähnlichen klimatischen Verhältnissen wohnt und
merkwfirdiger Weise nicht nur Gsräthe nnd Waffen fertigt, die mit denen
des Torgeschichtlichen Menschen die grösste Uebereinstimmang zeigen, wie
Boyd-Dawkins neaerdings bestätigt hat, sondern auch seine Fertigkeit
im Zeichnen an denselben G^renständen übt, es sind die Eskimo's. Ecker
legte in Constana Photographien von Eskimo- Werkzeugen und von Thier-
seichnungen, auf Treibholstäfelchen geritzt, vor, die er dem bekannten Nord-
pol-Reisenden H. E. Bessels in Washington verdankt. Darunter befinden sich
auch Figuren von Rennthieren. In Boyd-Dawkins Werk: Die pöhlen-
nod die Ureinwohner Europa*s F. 123 und 125, in Lnbbock's Vorgc»-
sehichtlichem Menschen II F. 43 — 45. im Globus B. XXXI, No. 7 finden
sich solche Darstellungen. Mit Recht erklärt Ecker diese Arbeiten filr
viel geringer als die Funde von Thayingen. Und kämen sie ihnen gleich,
■o wflrde das fUr die Aechtheit def letzteren nichts beweisen, denn man
kann nach dem Urtheil aller neuem Forscher die Eskimo's nicht für ein
ursprünglich wildes Volk halten, sondern sie sind ein aus Asien einge-
wanderter mongolischer Stamm, der früh übergesiedelt und lange Zeit von
allem Verkehr abgeschlossen seine heutige Heimath bewohnen mag, der
aber, wie er Sitten uud Vorstellungen ans einem andern Lande sich erhalten
hat, auch Fertigkeiten bewahrt haben mag, die er in seinen alten Wohn-
sitzen erworben hatte: man vergleiche die Nachrichten von E. Bessels im
Archiv für Anthrop. VIII. S. 107 uudPetitot, Les Esquimaux Tschiglit
1870: dieser theilt auch eine Zeichnung mit, von der er sagt, dass ein
Indianer sie nicht machen könne.
Mortillet, a. a. 0. p. 890. sagt von den franzöbischen Oüblenzeich-
nungen, si o'est Tenfance de l'art, ce n'est point l'art de l'enfant, nur 1
oder 2 mal haW man solche Dinge & l.<k Domenech gefunden aber sie so-
fort für gefälscht erkannt. Also von den ächten verlangt er eine gewisse
Vollkommenheit. F. ck er hält nun die menschlichen Figuren auf Rennt hicr-
kmx'hen der Donlogne nicht für besser als vlie «Ut Eskimo's und hat ge-
g»n» Mortillet's sonderWre KrkUrung Je» Umstiiudes. dass die Höhlenbe-
wohner uackt d.HrgestelIt sind, einiges Bedenken. Dieser meint nämlich, schon
die or»ten Künstler hätten es vorgezogen, wie die heutigen, sogen.'uinte Aka-
demietm lu leichn^tn, das sei eben Geschmackssache! Da an einigen Figuren
AL Ecker: Ueber prähistorische Kunst. 149
die £[ände nar 4 Finger haben, so scbliesst er, man habe damals die Ge-
wohnheit gehabt, den Daumen einzuschlagen, und gewisse Striche auf dem
Rücken deutet er auf eine ungewöhnlich starke Behaarung, also, wie Ecker
hinzufugt', auf unsern pithekoiden Urahn! An zwei aus Rennthierhorn ge-
schnitzten Köpfen sieht Mortillet spitzen Bart und kurzes Haar, und einen
Typus des Gesichtes, der ihn an Mephistopheles und an Fran^ois I. erinnert,
der aber gewiss nicht prähistorisch ist!
Ecker schliesst aus allem von ihm bisher Gesagten, dass die Annahme,
die besprochenen Kunstwerke kämen aus den Händen derjenigen Höhlenbe-
wohner, welcbe auch die rohen Kiesel- und Knochenwerkzeuge fortigten, ernst-
lichen Zweifel hervorrufe. Die Behauptung, dass hierbei das artistische Urthoil
gar keine Berechtigung habe, sondern nur das naturhistorische,' weisst er mit
Recht zurück. Wenn der Geologe sagen wollte, der Stil dieser Dinge ist mir
vollkommen gleichgültig, wenn ein Kunstwerk an irgend einem Ort in einer un-
berührten Schicht neben den rohesten Werkzeugen gefunden wird, so ist es mit
diesen gleichzeitig, so vergisst er, dass der Beweis der unberührten Schicht
nach gemachtem Funde oft gar nicht mehr zu fuhren ist, und dass Gegen-
stände, die ganz verschiedenen Zeiten «angehören, in den Höhlenschlamm ein-
gebettet nnd hier ein Jahrtausend lang unter einer Stalagmitendecke ruhen
können. Die aus zahlreichen Beobachtungen abgeleiteten Gesetze der Ent-
wicklung menschlicher Fertigkeiten bieten vielleicht eine grössere Sicherheit
als die noch so sorgfältig aus den Umständen eines solchen Fundes ge-
zogenen Schlüsse. Zumal fordert die Beurtheilung des Alters von Ein-
schlüssen im Boden einer Höhle Vorsicht, weil diese in verschiedenen Zeiten
von Menschen bewohnt gewesen sein kann. Der Entdecker der Höhle sagt,
dass unter einer mächtigen Schuttmasse, die den Boden bedeckte, zwei
Sinterschichten vorhanden waren, aber Ecker wirft mit Recht ein, dass
auch das Bedecktgewesensein des Fundstücks mit Kalksinter nicht gegen
seine Herkunft aus historischer Zeit spreche. Wohl zu beachten ist ein
Aussprach des Finders der Rennthierfigur, Professor Heim, er sagt: „was
ich noch als Augenzeuge zu konstatiren habe, ist die ohne alle Sachkenntniss
und Sorgfalt ausgeführte Ausbeutung der Höhle". Die Boden- und Fund-
verhältnisse bilden also, um mit den Worten Lindenschmits zu reden, nur
einen Theil der verschiedenen Kriterien, welche für die antiquarische For-
schung die Aechtheit eines Fundstückes entscheiden. Was nun die Technik
der fraglichen Arbeiten betrifft, so müssen sie, wenn ihnen ein prähistorisches
Alter zukommt, mit Kieselmessern oder Kieselsplittern gemacht sein. Nach
den In Frankreich gemachten Versuchen schliesst man, daas sie, weil beim
blosen Ritzen das Instrument leicht ausgleitet, durch eine Art von Ein-
IbO AI. üioker: Uol)er prähiBtorische Kunst.
fuiluug hcrgostollt sind. \Viewohl von Bonstetten glaubte, daaa das
Uüitnthicr von Tbayiugou mit oiiicm Werkzeug von Stahl gemacht sein
mÜMo, ahmt« Graf Wurmbraud in Constanz die Zeichnung auf frischem
Knochen mittolat oiaes Feuersteins nach. Dieser- Versuch gelang auch mir.
Als nicht unwichtig ftthrc ich nach einer Mittheilung von Fraas hier an^
ilass dio hoidon von Linden^chuüt entdeckten gefälschten Zeichnungen nicht
auf Uowoihstttcko sondern auf Knochen geritzt waren. Fraas fand, dass
dor niilrbo Kcnnthiorkuoclicu unserer Funde nicht geeignet ist für solche
lU«arlHutung, man muss die verwitterte Htude erst abschaben, bis man auf
fMttt Kuooheusuhstaux kommt, die Thayiuger Stücke sind aber auf der ar-
»prUngliohen Ob^rfläoho geritzt. Dieser Beobachtung kann man aber die
.\nnahnio ontfr(^ni»t«llou. das«, auch zugegeben, dass v or 2 bis 3000 Jahren
das Ktnmthier nicht mehr lebte, seine zurückgelassenen Geweihstücke damals
^wi«s noch nicht so mürlte w:uvn. «ie sie es heute sind. Ein erfthrener
KUVuWinschintier , Uorr Oldag in l^onn. gab mir au, dass Knochen
Uir den StahImei«sol ixnt hai'te:$ti:u $ei, daun folgen Wal! rosszahn. Elfen-
iHfin und Hirschhorn. Der frische fettige Knochen verarbeitet sich
leichter al$ der au^gcliivhto. welcher sprv'de « ird, dessLalb kocht man zu
«eilen er»t deit gwurWitcten l\r.ivheu aus. u.uuit er weiss wird. Ecker
nK>iut, die g«nauerv rr.:c»^Ui-hi:ug dor Zcichnungsr-irchcng. also doch wohl
dio mittolat der l.u(>o. dürfe :a kün:\ig«a F&IIea lücit cehr ausser Acht
jr«":.*s»on wccv;or.
er tAvU'.;« »:.«s ^:o vor. a«-a r.i'.t.ux-ii'ru der Thsyinger
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•».V ■. V» ,;••■< .-, ■■• . ,••.,■.•-'■.. -. «.-.«oi. C'i'Cf'-r ä ; Aiir a : t: : ilzÄr
AI. Ecker: Ueber pr&historiscbe Kunst. 161
Ecker bezeichnet endlich auch die Erwägung zoologischer That-
eachen als von grosser Wichtigkeit für die Entscheidung der schwebenden
Frage. Er sagt, erst in neuester Zeit sei der Nachweis geliefert, daas die
Hehrzahl der in prähistorischen Zeichnungen dai'gestellteu Thiere, die jetzt
erloschen oder ausgewandert seien, in unsem Gegenden mit dem Menschen
gelebt hätten, also könnten diese Darstellungen nicht etwa aus der grie-
chischen Zeit stammen, welcher diese Thiere, wenigstens das Rennthior und
der MosohuBOchse unbekailtit waren, sondern sie seien entweder von den
Zeitgenossen gemacht, oder in neuester S^eit gefälscht. Dagegen ist zu be-
merken, dass das Rennthier wahrscheinlich noch in römischer Zeit in
deutschen Wäldern gelebt hat, wenn es auch dem Aussterben nahe war;
vgl. Verb, des naturhist. Y., Bonn 1866, Sitzungsb. S. 78 und v. Brandt,
Zoogeogr. n. palaeootol. Beiträge, St. Petersburg 1867, S. 53 u. Arch. f.
Anthrop. VIII, 264. Jene Kunstwerke können aber zweitausend Jahre
älter sein. Vom Moschusochsen sagt aber Ecker, dass sein geschnitzter
Kopf nach dem Schädel und nicht nach dem lebenden Thier gemacht sei,
denn es sind nur die Knochenzapfen dargestellt, die nach unten und schwach
Torwarts gekrümmt sind, während die Homer selbst mit ihren Spitzen an
dem heute noch im Norden lebenden Thiere sich wieder nach oben biegen.
Dass ein Künstler, der das lebende Thier sah, das Bild nach dem Schädel
gemacht haben soll, ist nicht wohl annehmbar, aber man könnte schliessen,
dass die Krümmung der Hörner, die bei den übrigen Ochsenarten eine so ver-
schiedene ist, beim vorgeschichtlichen Moschusochsen eine andere war, als
beim heute noch lebenden. Nach Ecker stösst die Annahme einer mo-
dernen Entstehung der Zeichnungen des Pferdes auf erhebliche Schwierig-
keiten, denn aus den massenhaften Anhäufungen von Knochenresten des
Pferdes bei Solutr£, man hat 100,000 Thiere geschätzt, habe man die Gestalt
des Wil9pferdes mit Sicherheit wiederhergestellt, die Pferdezeichnungen aus
den Höhlen der Dordogne, die mehrere Jahre irüher gefunden wurden, stellten
in der That ziemlich genau dieses Wildpferd dar. Toussaint beschrieb
merst diese Knochenreste und beklagt, dass die Schädel so zu sagen fehlen
und desshalb äne sichere Bestimmung des Thieres fast unmöglich sei, in-
dem nur die Unterkiefer und Bruchstücke des Oberkiefers und einzelner
Schädelknochen sich fänden, doch lasse sich erkennen, dass der Kopf gross
gewesen sei, während die Gliedmassenknochen auf eine kleine Körpergestalt
schliessen lassen. Auf das Pferdebild von Thayingen passt also die Gestalt
des Pferde von Solutr^ gar nicht, jenes steht auf hohen Beinen und hat
einen kleinen Kopf. Solche Pferde kommen, wie schon bemerkt, auf antiken
Vasenbildem und geschnittenen Steinen vor; die auf dem Fries des Parthe-
in
AI. Ecker: üeber präbiatoriBche Kaost.
Don aiud klein. Sowohl dos wilde Pferd der ftsiatiscben Steppen, wie dfta
verwilderte disr Pampas wird als klein mit verhältnissrntiBaig grossetn Kopfe,
also dem Esel näher stehend, gescbildert. Sanson and Pietrement,
welche TonssAinta Ansicht, daas die Pferde Ton Solutre als Nahrunguthiere
gesähmt gewesen seien, mit Grund bestreiten, und sie für Jagdbeute, von
der man lebte, halten, haben über die Gestalt dieses Wildpferdes keine
andere Meinung geäussert. Der erstero findet sie mit dem heute noch in
Belgien gezüchteten Ardennci pferd übereinstimmend; vgl. Bull, de la Soc.
d'Anthrop, Paris 1874, p. 642 und 689.
Ecker kommt zu dem Schlüsse, dass vorläufig in Anbetracht vieler
vorhandenen "Widersprüche eine Lösung der Frage der Aechtheit d. i. de»
hohen Alters der Höhlenzeichnungen aamöglich sei und dass die Conetanier
Versammlung mit Recht einen endgültigt^n Spruch von sich abgewiesen
habe. Er hofft, dass die göttliche Kunst damals nicht nur in wenige bevor-
zugte Höhlen vom Himmel heruntergestiegen sei, sondern sich auch noch
anderswo in Deutschland werde fiudeu lassen und erwartet dann vun der
deatfloben anthrop, Gesellschaft die Ernennung einer Gommission von Sach-
verständigen zu genauer Untersuchung des Falles. Mit ähnlichem Rathe
schlosa ich mein Urtheil über dio Thayingcr Funde in Constauz, vgl. Be-
richt, S. 116 und diese Jahrbücher Heft LXI, S. 164, indem ich sagte,
mau müsse weitere Funde abwarten, die Aechtheit dieser Kanstarbeiten
sei möglich, aber dann habe kein rohes Jägervolk sie gemacht.
Am Schlüsse des Constanzer Berichtes, dem zwei Tafeln mit Photo-
gi-aphieen der bearbeiteten Thayinger Knochen beigefügt sind, meldet Dr.
Mandacb aus Scbuffhausen, dass rann nach dem Qnaterly Jonrn. of the
geolog. Soc., Aug. 1877 in der knochenfahrenden Höhle von Creswell auf
einer Thierrippe die Zeichnung des Vordertbeiles eines Pferde« entdeckt
habe, in einer Schicht, deren Einschlüsse nicht mehr dem rohesten Typus
der Steingeräthe angehören. Das Pferd hat eine borstige Mähne und einen
kleinen Kopf. Dawkins erkennt in der Zeichnung die Gleichheit des Stiles
mit den Funden von Thayingen. Diese im Beisein von Prof. Dawkins
entdeckte Zeichnung ist im Constanzer Bericht auf Taf. 1, Fig. 20 wieder-
gegeben. Schaaffhausen.
Conze o. Hirschfeld: Archael.-epigr. Mittheil, aus Oesterreioh. 168
8. Archaeolügiach-cpigraphische Mittheilangon aus Oester-
reich, herausgegeben von A. Conze und 0. Hirschfeld. Jahr-
gang 1 . Mit 8 Tafeln und 2 Holzschnitten. Wien, Druck und Yer*
lag von Carl Gerolds Sohn 1877. IV und 172 Seiten 8.
Im Kreise des Vereins von Alterihtunsfreunden im Rheidlande wird
ein Unternehmen leicht empfohlen sein, dessen Analogie mit den Bestrebun-
gen . des Vereins auf der Hand liegt. Wie die Universitätsstadt Bonn schon
längst zu einem Mittelpunkte der Alterthumserforschung für die Rheinlande
sich gemacht hat, so hat jetzt die seit Langem von Wien ausgehende Be-
schäftigung mit den römischen Ueberresten der Österreichischen Provinzen
and benachbarten Länder auch an der Universität Platz gefasst. Die neue
Zeitichrifl ist das Organ der archaeologisoh-epigrapbischen Arbeitsstelle,
welche das k. k. Unterrichtsministerium kurzlich in dem Seminare für die
genannten Studien an der Universität Wien begründet hat. Dem Seminare
stehen die Herausgeber der Zeitschrift vor, ihm gehören die Mitarbeiter
zum guten Theile an oder stehen ihm nahe. An Stoff fehlt es nicht. Er
wartet in reicher Fälle, dass Hand angelegt werde, zumal da die heutigen
politischen Grenzen keine Schranken ziehen können, sondern namentlich donau-
abwärts die altrömiscben Gebiete in den Kreis der „Mittheilungen" gezogen
werden müssen und sollen. Aktive Kräfte werden zu solcher Ausdehnung
der Erkundung grade dem Seminare, das seine Zöglinge mit eigenen Reise*
Unterstützungen aussenden kann, zu Gebote stehen. Dergleichen Anfälle
liegen bereits im ersten Bande vor: Reiseberichte aus Triest, Pola, Aqui-
leja und über eine Reise im westlichen Ungarn.
Neben den einheimischen Alterthümem, durch deren sorgfaltige Ver-
zeichnung einerseits epigraphisch auf dem C. I. L. weitergebaut, andrerseits
archaeologisch für eine analoge erschöpfende Sammlung vorgearbeitet wer-
den soll, bietet zumal die Hauptstadt Wien einen nicht verächtlichen Vor-
rath von Antiken auswärtigen Fundorts. Bereits vielfach durch Publikationen
zugänglich gemacht ist der Besitz des kais. Kabinets; daneben aber ist
mehr als man meint in Privatsammlungen vorhanden. Diesen Bestand zu
katalogisiren, das Merkwürdigste auch abzubilden ist eine weitere Aufgabe,
welche sich die „Mittbeilungen" stellen. Der erste Band bringt den von
6 Tafeln begleiteten Katalog der Sammlung Millosich, zumeist Stücke
griechischer Herkunft enthaltend; Prof. Gurlitt ist der Verfasser.
Die zwei übrigen Tafeln des 1. Bandes bringen die Abbildung eines
lange verschollen gewesenen Monuments aus Aqoileja mit Inschrift (G. I. L.
164 Gonxo u. Uirsohfald: ArulinooL-opigr. Mittheil. aus Oesterreich.
V. 883) und auf zwei andern Seiten mit Reliefs, Geburt und Kultus des
Priapos darstellend. Die erschöpfende Erläuterung des Herausgebers Mi-
chaelis bezieht sich vielfach auf Untersuchungen, welche 0. Jahn zum
Thoil auch in dorn Jahrb. des rheinischen Vereins (XXVIT, S. 45 £f.) ge-
führt hat.
Wie Michaelis, so haben auch andre ausserösterreichische Gelehrte
der neuen Zeitschrift ihre Mitwirkung geschenkt. Von Bonn kam die sach-
kundige erklärende Herausgabe eines Briefes Winckelmanns, der sich in
Wiener Privatbesitze befindet. Anderes haben Th. Mommsen and R.
Sohoell bdigetragen.
Das Meiste wird immer von österreichischen Mitarbeitern kommen,
unter denen neben den jung zuwachsenden Kräften namentlich der verdiente
Goos aus Siebenbürgen reichlich zum ersten Bande beigesteuert hat. Dass
die Vorsteher des Seminars und Herausgeber der Zeitschrift in dieser ihrer
doppelten Eigenschaft namentlich auch gestaltend auf die Beiträge der Zög-
linge des Seminars wirken, ist selbstverständlich. Mit dem zweiten Bande
beginnend, soll endlich nach Kräften Sorge getragen werden, dass volistäa-
digo Auszüge von allem Archäologisoh-epigraphischen, was in den Lokal-
drucksohriften Ocsterreichs erscheint, Kenntuiss geben; hierfür ist besonders
von Budapest aus Mitwirkung gesichert.
Zum Schlüsse hebe ich noch ein Unternehmen hervor, von dem Otto
Hirschfeld im ersten Bande S. 130 ff. Nachricht giebt und über das fort-
laufond zu boricliten die „Mitthoilungen*^ auch ferner sich angelegen lassen
sein werden, die von der östermchischen Regierung mit dem Vorsatze um-
fassender Durclifiihruug begonnene Ausgrabung der Ruinen des römischen
l.ag«rs von Carnuutum.
An die StoUo des Unterzeichneten ist in die Leitung des Seminars
und in die Retlaktion der ..Mittheilungen" sehon während des Druckes des
zweiten Heftes Otto Benndorf eingetreten. Um so mehr ist der Zeit-
schrift ihr Fortgang gesichert. An ferner guter Aufnahme bei einem Kreise
von Lodern und lu'nutwern «ird es ja auch nicht fehlen, am wenigsten da,
wo dem Krforsol'.er und Licbh.*l'cr der römischen Aherthümer im Westen
IVntvchl.'kuds die Tcukmaier der südöstlichen Sohwesterlandschaft von ganz
lv*onvierai Interesse sein müsseu.
Berlin. Conze.
III. Miscellen.
1. Bacharach. Bezüglich dor Baageschicbte der Wernerskirche da-
selbst wird allgemein angenommen, dass die Gründang dieses Baues in das
leiste Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts zurückgehe nnd der am 23. August
1293 vom Bischof Hermann consecrirte Altar sich innerhalb des Neubaues be-
fanden habe; bis zum Jahre 1337 seien zwei Flügel, der östliche nämlich und
der südliche bis zur Höhe des Daches gediehen und dann der Bau bis gegen
1430 ganz in's Stocken gerathen. So Weidenbach, Bacharach, Stahleck und
die Wemerskirche, Bingen 1860, S. 30 und S. 38; — Eugler, Gesch.
d. Bank. HI, S. 227 und neuestens Bock, Bheinlands Bandenkm. d. M. A.
I. Serie. Zu diesen Annahmen bewog bei dem Mangel an zutreffenden ge-
schichtlichen Nachrichten die oben erwähnte Angabe über die Consecration
eines Altars, sowie die Erzählung von der Beraubung des Opferkastens, in
Folge dessen der Bau ins Stocken (ferathen sein soll. Nun beweist aber
die Consecration des Altars, welcher in der zum grösseren Theil zerfallenen
Kuniberts-Kapelle, die ehedem an der Stelle der Wemerskirche gestanden,
noch keineswegs, dass mit dem neuerbauten und geweihten Altare ein Theil
des heutigen Eirchengebäudes gleichzeitig entstanden sei. Dass ältere Schrift-
steller wie die Bollandisten und Brower (bei Weiden bach a. a. 0. n. 86,
S. 124) der einfachen Thatsaohe der Altarweihe eine solche Erweiterung
gaben, ist nicht eben zu verwundem. Halten wir dagegen heute die Er-
gebnisse, welche eine kunstwissenschaftliche Prüfung des Denkmals selbst
liefert, mit jener Notiz und den aus der anderen, obenerwähnten Erzählung
über die Stöning des Weiterbaues zusammen, so dürften wir zu anderen
Scblussfolgerungen kommen, als die älteren, und mit ihnen alle neueren
Schriftsteller, welche das Baudenkmal behandelten. Vor Allem kann näm-
lich aus der theilweisen Erneuerung der alten Eunibertskapelle and der
166 MiBoellon.
Errichtung eines neuen Altars nicht ohne Weiteres auf einen so umfäng-
lichen Neubau geschlossen werden, wie ihn die Wernerskirche darstellt.
Schon der Umstand, dass bei der Weihe des neuen Altares die alten Patrone,
nämlich Kunibert und Andreas beibehalten wurden, weisen nicht undeut-
lich darauf hin, dass die früheren Verhältnisse der Kapelle im Wesentlichen
unverändert fortbestehen blieben.
Fassen wir nun die zweite Notiz ins Auge, so besagt dieselbe nur,
dass der Bau um 1337 im Betrieb war und durch die frevelhafte Entzie-
hung der Baukasse augenblicklich ins Stocken gerieih. Es ist nicht ein-
zusehen, wie mau auf den Gedanken vei^allen mochte, so unbedingt den
ganzen Zeitraum, welcher zwischen der Altarconsecratiun und der Beraubung
der Baukasse liegt, also gegen fünfzig Jahre als wirkliche Bauzeit anzu-
nehmen. Wer je das kleine Denkmal gesehen und einige Vorstellung davon
hat, welche Wandlungen innerhalb eines halben Jahrhunderts die Gothik
am Rhein durchgemacht hat, dem muss es räthselhaft erscheinen, wie eine
solche Vorstellung so lange festgewurzelt sich erhalten konnte. Es kann
vielmehr keinem Zweifel unterliegen, dass die Wernerskirche nicht gar
lange Zeit vor dem in's Jahr 1337 verlegten Raub begonnen und in
raschem Anlauf, wenigstens in dem erhaltenen Ost- und Südflügel bis zur
Gesimshöhe vollendet worden ist. Die Architekturformen gehören nicht
mehr dem 13., sondern der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an; es srä
ferner auf die an der Aussenseite des Fenstormasswerks eingeführten Hohl-
profile verwiesen, worin die jüngere Richtung so unverkennbar sich aus-
prägt. Für einen in rascher Folge geführten Baubetrieb spricht aber die
ganz einheitliche werkmänuischo Ausstattung des Baues : neben einheitlichem
Material, dem bunten Main-Sandstein ist von entscheidendem Gewicht das
gleichmässige Vorkommen derselben Steinmetzenmarken. Wäre längere Zeit
über der Vollendung des Baues verflossen, so würde neben der Vielheit und
Verschiedenheit der Marken auch noch deren ältere und jüngere Bildung
unzweifelhaft sich geltend machen. So aber sind über die erhaltenen Theile
dieselben Zeichen vertheilt und stimmen in ihrer eigenthümlichen Ausbil-
dung ganz zu jener Zeit, welche oben für die Erbauung der Kirche in An-
spruch genommen wurde. Ich habe die Steinmetzzeichen rings um den
Bau aufgesucht und theile dieselben auf Taf. VII, f. 2 mit, um die Probe
für die Richtigkeit meiner Annahme zu ermöglichen.
Wer die Ausbildung und Verwendung von Steinmetzzeichen verfolgt
hat, wird die Bedeutung des Argumentes nicht verkennen und dem Schlüsse
gewiss zustimmen. Es darf daher als sicher betrachtet werden, dass die
Ostapsis und der südliche Kreuzflügel nebst der Vierung nach einer
MisoelIeD,
157
raschen Bauzeit in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhanderts vollendet
worden.
Es erbebt sich nnn die Frage nach der Glaubhaftigkeit jener Angabe,
welche von einer Einstellung des Baues nach dieser Zeit und einer fast
hundertjährigen Unterbrechung des Ausbaues berichtet (vgl. Weidenbach,
a. a. 0, 8. 39 u. 44 ff.). Genügende Nachweise, dass der nördliche Krenzarm
vor Mitte des 14. Jahrhunderta nicht ausgebaut und erst im 15. vollendet
worden sei, sind meines Erachtens nicht vorhnnden. Leider ist jeuer Bau-
th«il ganz eingegangen, so dass aus dem Denkmal selber eine nnmittelbAre
Beweisführung nicht geliefert werdeu kann. Dass der westliche Abschluss
tiiatsäcblich erst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hergestellt wurde
wird in keiner Weise angezweifelt'). Dagegen zwingt nichts zur Annahme,
dass auch der nördliche Kreuzarm damals erst ausgebaut worden. Man
wird vielleicht auf einen kleinen Rest von Quadermauerwerk hinweisen, der
an dem ersten uud einzig erhalteüen Strebepfeiler des nördlichen Kreujs-
flfigels sich erhalten bat und allerdings von jüngerem Datum zu sein
■ebeini; allein wer beweist, daes dies nicht eine spätere Herstellung sei,
wie deren auch sonst noch nachzuweisen sind? Ein Blick auf die Ge-
sammtonlage zeigt vielmehr, daas die Vollendung des nördlichen Krouz-
armes eine Elxistenzfrage für die anderen Theile des Baues war. Heute,
wo derselbe der Gewölbe entbehrt, mögen freilich Ostchor und Südüügel
für sich stehen ; ergänzen wir aber die Wölbungen, wie solche doch wohl
(Düseen vorbanden gewesen sein, so ist nicht abzusehen, wie das Gebitudo
ohne verstrebenden Abschluss nach Norden soll Bestand gehabt haben.
Würde der Beweis geliefei-t, dass der Bau fast eiu Jahrhundert später
diesen Flügel erhalten hätte, so könnte dies nur unter dor Voraussetzung
gedacht werden, dass der nordwestliche Eckpfeiler der Vierung durch starke
VfltfBtrebnng wäre gehalten gewesen, oder al)er, dass die Viening niemals
wäre eingewölbt worden. " Ob die Schwierigkeiten den Bau uach dem fa-
baloB aufgeputzten Raub der Baukasse weiterzuführen, wirklich so nnüber-
steiglich sollen gewesen sein, muss gerechten Zweifel erwecken. Steltt doch
1) Der von Bock, a. a. 0. S. lö mitgethcilte Gnindriss läast die Art des
«estlichen Abschlusses ganz uDent^chicden; er gibt weder eine Lösung im Sinne
des Vorhandenen, was eincZuthat des 15. Jahrhuudcrta ist, noch eine ideale Er-
gänzung. Es ist vielleicht nicht ülierflfissip darauf liinzuw^iBen, dass King,
Stndybook IV, pl. 28 einen restaurirtcin (trnndrisa gibt, welcher eine auf zwei
ineinandergeschobenen Dreiecken ruhende Empore mit westwärts vorgelegtem
Stiegenthurnie aufweist und darin an die noch Bichtbaren Reste anschliesst.
168 Misoellen.
die ganze Erz&hlnng de8 Raubes auf so schwachen Fassen, dass bereits
Weidenbach (a. a. 0. S. 40) sich zar Aensserang veranlasst sieht, es
könne eben nicht einmal als erwiesen angenommen werden, ob das von
Brower hiefür angegebene Jahr 1337 das richtige sei. Viel wichtiger far
die Bangeschichte sind offenbar die 1320 von Erzbischof Peter von Mains
und eine vom Jahr 1824 datirte Urkunde des Erzbischofs Boemnnd von
Trier, welche Ablässe für Leistungen zum Bau der Kirche ertheilen bezw.
bestätigen. Im Hinblick auf die ganze Haltung der Architektur der Wer-
nerskirche möchte ich darum gerade den Zeitpunkt von 1320 — 24 als die
eigentliche Oründnngs- und Bauzeit derselben ansehen. Wo das urkund-
liche Beweismaterial so mangelhaft ist, wird eine unzweifelhafte Fest-
stellung kaum möglich sein ; es schien mir jedoch angezeigt, die Frage aufs
Nene anzuregen und das Meinige zur Lösung beizutragen.
Mainz. Friedrich Schneider.
2. Bonn. Ueber die gewundenen, sogenannten celtischen
Ringe oder Tor ques. Am neunten November 1876 wurde bei dem Aus-
baggern des Fundamentes für einen der Strompfeiler der grossartigen Rhein-
brUcke, welche oberhalb Coblenz, zur Durchführung der Berlin-Metzer
strategischen Eisenbahn, beide Rheinufer nebst der Insel Oberwerth über-
spannen soll, mitten im Flusse, unter Sand und Geröll, ein Armreif ge-
funden, der aus vier strickformig zusammengewundenen Drähten des feinsten
Goldes besteht. Dieser Armreif, gegenwärtig im Besitze der Kaiserin
Angusta, wurde von Herrn Geheimrath Professor Dr. Schaaffhausen in
der Niederrhein. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn vorgezeigt
und gab demselben zu einem, später in dem Sitzungsberichte der genannten
Gesellschaft vom 19. Febr. 1877 S. 34 — 37 mitgetheilten Vortrage, sowie
auch zu einem Berichte in diesen Jahrbüchern, LXI, S. 147, Veranlassung.
Herr S. ist der Meinung, da.ss dieser Ring ein celtischer oder galli-
scher sei, dass derselbe aus vorrömischer und zwar aus einer Zeit stamme,
wo die Anwohner beider Rheinufer Gelten gewesen wären und dass aus dem
Rheinsande gewaschenes Gold wahrscheinlich das Material zu demselben ge-
liefert habe. >
Mit Bezugnahme auf das über diesen Ring Mitgetheilto glaube ich zu
der Annahme berechtigt zu sein, dass man den gewundenen oder ge-
drehten Ringen gegenwärtig, wo die Bestrebungen der modernen ethno-
graphischen Forschung so sehr auf die Feststellung der geographischen
Grenze zwischen Germanen und Galliern in vorgeschichtlicher Zeit gerichtet
sind, häufig eine Bedeutung und Wichtigkeit für das specifischo Celtenthum
beilegt, welche ihnen gar nicht zukommt.
Miflcellen.
169
Hai«- und Armringe dieser Art, Bogenannta Torques, sind näinlioh
für die Gelten keineswegs in dem Masse bezeichnend nnd das Verferügen
and Tragen derselben stellt darchans nicht eine sie von anderen Völkern
so sehr nnterscheidende, gewissennassen für sie cbarakteristische Volks-
eigentbümlichkeit dar, wie jetKt vielfach angenommen wird.
Der Gedanke, sowohl viereckigen Metallstäben von geringeni Durch-
messer als anch anfcinander gelegten Stücken Drahtes dorch Drehen nm
ihre Achse eine zierlichere Form und, was die Drähte betritlt, zugleich auch
eioea festeren Zasammenhalt zn verleihen, liegt zu nahe nnd die hierfür
erforderliche Technik ist eine zu einfache und wenig mühsame, als dass
nicht die verschiedensten Völker, schon im Anfangsstadium ihrer Kultur,
unabhängig von einander, anf diese Art der Ornamentik gekommen sein
sollten. Gedrehte Ringe sind daher, ausser in den Ländern, welche be-
wieMoermasBen von celtischen Volksstämmen bewohnt gewesen sind, wie
die |iyrenäieche Halbinsel, Frankreich, die Schweiz, Oberitalien, Belgien und
Theile des linken Rheinafera, auch in Ländern gefunden worden, wo nie-
mals Gelten sesshaft waren, wie z. ß. in Mittel- und ünteritalien, Griochen-
buid, verschiedenen Gegendon von Deutschland und Skandinavien.
In den altnordischen Heldensagen^ ja schon in der Edda, spielen
Armringe eine grosse Rolle. Montelius bildet in seinem Werke aber die
Vorzeit Schwedens — Sveriges fomtyd — gedrehte Finger- and Armringe
von Broiice, Silber nnd Gold ab, und anch das königliche Museum für
nordische Alterthumskuude in Kopenhagen enthält nicht wenige solcher
Ringe. In allen genannten LUndern aber, die coltischen nicht ausgenommen,
waren gedrehte Ringe und glatte nebeneinander in Gebrauch. Auf Sumatra
nnd Java habe ich Aehnliches beobachtet. Jedes malaiische und javanische
M&dcben trägt nämlich von seiner frühesten Jagend an Armbänder, die
nach den Vennögensverhnitnissen der Eltern, entweder aus Gold oder Silber,
ans Gold nnd Silber, aus Gold und Kupfer, sogenannter Souassa, oder nur
ans Kupfer bestehen. Diese Ringe aber sind von dreifacher Gestalt und
stellen entweder spiralförmig gewundene Schlangen dar, oder sie sind ganz
glatt, oder sie bestehen aug zusammengedrehten Drähten der genannton
Metalle nnd Metallverbindungen.
Die letzteren habeu, um zusammengehalten zu werden, an dem einen
verdünnten EInde einen kleinen Elaken, an dem anderen eine Oese. Man
könnte auf den genannten Inseln ohne Mühe, in ganz kurzer Zeit, sich
Hunderte von diesen gedrehten Armringen verschafFen, welche dem bei
Obcrwerth gefundenen zum Verwechseln gleichen. Wie allgemein auf den
indischen Inseln der Gebrauch ist, nicht nur den für Ringe bestimmten
160 Misoellen.
Drähten and dünnen viereckigen MetaUstäben, sondern auch für andere
Zwecke dienenden Stangen anderen Materials, durch Drehen um ihre Achse
eine zierlichere Form zu geben, zeigen verschiedene Gegenstände, welche
ich aus Sumatra und Bomeo u^itgebracht und in der allgemeinen Sitzung
der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde am 5. November
1877 vorgezeigt habe, wie z. B. ein Uautkratzer und zwei Haken zum Offen-
halten der Bettvorhänge aus Hörn.
Bei den Römern waren goldene Armringe, — Armillae, — Amts- and
Standeszeichen der Senatoren und Ritter. Hannibal liess nach der Schhicht
bei Gannae, wo die Römer eine so furchtbare Niederlage erlitten, den ge-
fallenen Rittern und Senatoren diese Ringe abstreifen um sie nach Kar-
thago zu senden. Die Zahl derselben war so gross dass sie, wie Liviua
bemerkt, drei Scbe£felma8se fQllten.
Ob diese Ringe immer glatte oder auch schlangenförmig gewundene
und auch gedrehte waren, lässt sich jetzt nicht mehr ermitteln. Unter
den Kaisem wurden auch, als Belohnung für kriegerische Verdienste, an
Soldaten Armringe vertheilt. Auffallend aber ist, dass fast nie auf bild-
lichen Darstellungen aus dem römischen Alterthume, sowohl auf Statuen
als auf Reliefs, geschnittenen Steinen oder Münzen Römer mit Armbändern
erscheinen. Nur Frauen, hauptsächlich auf Frescobildern, zeigen sich mit
denselben geschmückt, entweder blos am Vorder- oder zugleich auch am
Oberarme. Auch die Aphrodite Kallypygos in Neapel trägt am linken Ober-
arme sowie am rechten Vorderarme ein Armband. Auf den Darstellungen
aus dem griechischen Altcrthume findet dasselbe statt und nur Frauengc
stalten tragen, wiewohl nur selten, doch hiu und wieder Armbänder.
Was nun die gewundenen oder gedrehten Halsringe betrifft, denen
man gegenwärtig eine noch grössere charakteristische Bedeutung für das
specifische Gcltenthnm zuspricht als den gedrehten Armreifen, indem von
Vielen alle mit solchen Ilalsringen versehene Gestalten auf Bildwerken des
Alterthums, für Gelten (Gallier) angesehen werden, so lüsst sich auch
hiergegen nicht Weniges einwenden. Die Anhänger dieser Ansicht berufen
sich in erster Stelle auf das von Livius — L. VII C. X — so malerisch
beschriebene Zweigefecht zwischen einem vornehmen Gallier und dem da-
mals noch jugendlichen, später so berühmt gewordenen Titus Manlius.
Dasselbe fand im Jahre 358 v. Chr. auf einer Brücke über den Anio
statt, indem die Gallier auf dem einen, die Römer auf dem anderen Ufer
des Flusses ihr Lager aufgeschlagen hatten. Um nicht Furcht vor dem
Feinde zu verrathcn, hatte keines von den beiden Ileeren die Brücke ab-
gebrochen. Da betrat ein gallischer Krieger von riesenhaftem Körperbau,
Miscellen.
161
in bantfarbigen Kleideni tiDcl mit bemalten, reich mit Gold eingelegten
Waffen — auro caelntia refulgens armis — jene Brfick«, mit lauter Stimmo
die tapfersten Römer zum Zweikampfe lierausfordomd. Manlins, |,Ton nor
mittlerer Stator für einen Krieger and mit weniger prunkenden als für den
Gebrauch geschickten Waffen versehen", nahm die Ausforderung an und das
Gefecht zwischen ihm und dem Gallier fand im Angesichte beider Fleere
statt. Manlins erlegte seinen Gegner, nahm ihm, als derselbe todt hinge-
streckt lag, ohne der Leiche in irgend einer anderen Weise Schmach zuzu-
fügen, blos das Halsband ab und that dasselbe, noch mit Blut bespritzt,
um seinen eigenen Uals. Die Gallier, mit Schrecken und Bewundevang
flher den Ausgang dieses Zweikampfes erfüllt, hlicl)on dem Boden ange-
heftet, stehen. Die Römer aber führten den Sieger jubelnd, unter Glück-
wünschen and Lobeserhebungen zu dem Diotator hin. In ihren kunstlosen,
lieder ähnlichen Scherzen hörte man sie dem Manlius auch den Bninamen
,, Halsbandträger" — Torquatus — geben, welcher bald allgemein üblich und
ein ehrenvoller Beiname seines Geschlechtes und seiner Nachkommen wurde.
LiviuH bedient sich für den Halsschmuck, welchen Manlius dem
erschlagenen Gallier abnahm und um seinen eigenen Hals that, des Aus-
druckes Torques. In diesem Worte liegt aber durchanE nicht begriffen,
dass das betreffende Halsband ein um seine Achse gedrehtes gewesen sei.
Torquea ist nämlich mit den Ausdrücken collare, monile und catelia völlig
gleichbedeutend und liezeichnet, wie letztere, blos einen Halsschmuck, ohne
Räcksicht darauf, ob dersolbo eine einfache oder künstlicher verschlutigeno
Kette und mit Perlen oder Edelsteinen verziert ist, oder aber aus strick-
formig zosammengedreblen Metalldrähtcn besteht. Ohne das.s im entfern-
testen dabei von einer Beziehung auf die Gallier Rede sei, gebrauchen,
gleichwie Livius an einer anderen Stelle als der erwähnten — Lib. 44
Cap. 14 — , auch andere Schriftsteller vor and nach ihm, wie Sueton —
Vita Aognsti 43 — ; Properz — 4. 10. 44 — ; Ovid — Fast. 6. ßOl — ;
Cice ro — Disquis. academ. 3. 80. 185 — ; Horaz — 3. R. 12 — ; Quin c-
tilian — 6. 3. 79 — das Wort „Torques" einfach für Halsband. PH-
niua — 10. 42. (68) — bezeichnet mit diesem Worte den Kreis oder
Ring an dem Halse verschiedener Vögel und Virgil — Georgic. 4. 276 —
Blumenguirlanden. Das Substantiv ptorques", in alterer Form „torquia", ist
von dem Zeitworte „torqnere'^ abgeleitet, dessen erste und Uaupthcdeatung
drehen und winden ist, welches aber eine Menge abgeleiteter Nebt-nbe-
deatnngen hat, wie z. B. : Oculos torquere, die Augen verdrehen; Se m
terra t., sich auf der Erde wälzen; Capillos t., die Haare kräuseln; Pul-
terem t., Staab aufwirbeln; lue t, das Recht verdrehen; Talum t., den
11
162 Mkcellen.
Fqbs verstaachen; Saxa t., Steine wälzen; Tela s. Jacalum t. in aliquem,
Geschosse nach Jeniandem werfen;' Bellum t., den Krieg leiten; torqoere
aliqnem, Jemanden martern oder quälen; torquere rem, eine Sache genau
untersachen n. s. w.
Das Wort „torqnes" muss aber auf das Participium praesentis de«
Activums von torquere n&mlich das Wort „torqnens", d. h. drehend,
windend und nicht auf das Participium praeteriti des Passivums, das Wort
„torlum" d. h. gedreht oder gewunden, eurOckgeführt werden. Der Sab-
stantivform „torques" liegt daher der active Begriff des Drehens, Windens,
sich Herumwindens, nicht aber der passive des Gedreht- oder Gewunden-
seins zu Grande. Das A^jectiv „torquatus" ist von dem Substantiv „torques"
und nicht unmittelbar von dem Zeitworte , .torquere" abgeleitet. Es be-
deutet nichts anderes als mit einem „torques" umgeben oder umwunden sein.
Der active Begriff des Drehens oder Windens ist diesem Adjectiv geblieben.
Das Beiwort „Torquatus" bezieht sich desshalb auf den Hals des
Manilas und nicht auf die Art des Halsbandes. In ganz derselben W' eise
nennt Ovid — Herold. 2. 119 — die Alekto: „Alecto colubris torquata"
d.h. die Schlangen als Halsband Tragende oder von Schlangen Umwundene;
Martial — 13. 66 — die Ringeltaube „Columbus torquatus" d. h. dieHala-
band- Tragende und Virgil — Georgic. 4, 276 — spricht von einer „Ära
torquata'* d. h. von einem mit Blumen umwundenen Altar. Der Umstand
selbst, dass Manlius die Halskette des erschlagenen Galliers anlegte, masste
die zusehenden Krieger in Verwunderung setzen. Denn wenn auch in
späterer Zeit, namentlich unter den Kaisern, Halsketten eine Belohnung f&r
militärisches Verdienst wurden, so haben die Römer doch die Ansicht von
Quinctiliau — 11. 1. 3 — „Monilibus, quao sunt ornamenta foeminaram,
deformentur vir!" zu allen Zeiten getheiit und selbst niemals allgemeinen
Gebrauch von Halsbändern gemacht, sondern das Tragen derselben Frauen
und Barbaren überlassen.
Wenn nun auch aus dem von Livius für das Halsband jenes alten
Galliers gewählten Worte „torques" keineswegs die Gewissheit hervorgeht,
dass dieser Ring ein gedrehter gewesen soi, bo ist die Möglichkeit, dass
derselbe ein solcher war, doch nicht ausgeschlossen. Da nämlich erwiesen
ist, dass die alten Gallier, im G'egcnsatze zu den Römern und Griechen,
Halsbänder trugen, so lässt sich mit Sicherheit annehmen, dass letztere, in
ähnlicher Weise wie die celtischen Armringe, in verschiedener Gestalt vor-
kamen und bald glatte bald gedrehte waren. Es ist selbst nicht anwahr-
Bcheinlich, dass die Gallier, welche frühzeitig in der Bearbeitung des
Goldes erfahren waren und bei denen die Neigung zu glänzendem Körper-
Miaoellen. 168
schmucke so sehr vorherrschte, zur Zeit von Manlius auch schon knnst-
rdchere und zusammengesetztere, mehr kettenartige Halsbänder besassen.
» Eine unbestreitbare Thatsache aber ist es, dass ausser bei den
Galliern auch noch bei anderen Völkern des Alterthums strickförmig ge*
drehte HalM'inge in Gebrauch waren. Zu diesen aber gehören in erster
Stelle die alten Germanen und die Perser.
Gerade aber, weil gewundene oder gedrehte Halsringe den alten
Galliern nicht ausschliesslich, sondern erwiesenermassen auch anderen Volks-
st&mmen zuzusprechen sind, so dürfen auf Kunstwerken des Alterthnms
vorkommende, mit solchen Halsringen geschmtickte Männergestalten nur
mit grosser Vorsicht und nicht bloss dieser Ringe wegen, von vornherein
ftr Gelten gehalten werden. Jedenfalls aber muss zuerst festgestellt wer-
den ob dasjenige, was den Hals dieser Gestalten als strickförmig gedrehtes
Halsband nmgiebt, auch wohl ein echtes Halsband — Monile, Catella,
Collare, Torqnes — oder nicht ein wirklicher Strick — Laqueus, Restis,
Fnnis — ist. Diese Frage aber scheint mir, namentlich mit Bezug auf die
weltberühmte Statue des sterbenden Fechters im capitolinischen Museum, noch
nicht zur GenSge beantwortet.
FrOher nannte man dieses Meisterwerk der Skulptur den sterbenden
Gladiator. Winckelmann sah, wunderbarer Weise, in ihm einen Herold~der,
nach Sitte damaliger Zeit, einen Strick um den Hals trug um das Bersten
seiner Halsadern bei dem Blasen seines Hornes zu verhüten. Gegenwärtig
aber will man in dieser Statue, nicht allein aus dem gedrehten Halsringe
mit der knopfförmigen Anschwellung an beiden Enden desselben, sondern
auch aus der Gtosichts- und Scbädelbildung, dem struppigen Haar und dem
Schnurrbarte, mit grösster Bestimmtheit einen Gelten und zwar einen Ga-
later erkennen.
Man hält diese Statue -«o wie die Gruppe in der Villa Ludovisi in
Rom, welche früher für Arria und Paetas galt, später aber von Glarac
für Macarius und Ganace erklärt wurde und in der man jetzt ebenfalls
einen Gelten sieht, der zuerst sein Weib getödtet hat und sich nun selbst
ersticht, sowie auch den sogenannten Borgbese 'sehen Fechter von Aga-
sias, dem Sohne des Dositheus, im Louvre zu Paris für Nachbildungen in
Marmor von Standbildern ans Erz, welche sich auf die Siege über die Ga-
later von König Attalns dem Ersten von Pergaraum bezogen und von diesem
knnstliebenden Fürsten nach Athen geschenkt und dort in der Akropolis
aofgestellt wurden. Die Gruppe in der Villa Ludovisi und der Bor-
ghese'sche Fechter zeigen, bei aller Natnrwahrheit, eine eigenthümliche,
idealistische Auffassung und, man könnte sagen, gewisse Manierirtheit, die
164 Mifloellen.
ihnen eine anverkennbare innere Uebereinstinimang verleiht und, wenn auch
nicht auf denselben Künstler, doch auf dieselbe Kunstschule hinweist. Anoh
sind die Köpfe und Gesichter dieser beiden Standbilder keinem barbarischen,
sondern dem weicheren und schöneren griechischen Typus nachgebildet und
beide Männergestalten bartlos. ,
In demselben Maasse aber, wie sich in diesen beiden Statuen eine
innere üebereinslimmung ausspricht, unterscheiden sie sich von der des
sterbenden Fechters. Es erscheint beinahe unbegreiflich, wie man glauben
kann, dass alle drei ans derselben Kunstschule hervorgegangen seien. Die
Auffassung in dem sterbenden Fechter ist eine viel derbere, realistischere
und gibt sich in demselben nichts zu erkennen als das der Wirklichkeit
abgelauschte, mit unübertrcffbarer Natnrgetreuheit wiedergegebene Erlöschen
des Lebens, an Verblutung aus einer tödtlichen Brnstwunde, bei einem schön
und kräftig gebauten Manne.
Sehr wahrscheinlich stammt dieses Standbild von einem römischen
Bildhauer her ; so gut wie gewiss aber ist, dass es nicht den Kunstschulen
zu Pergamnm oder Ephesus angehört. Unzweifelhaft stellt dieses Standbild
einen Barbaren vor, aber dieser Barbar kann ebensowohl ein Germaue als
ein Gelte sein. Weder das strickförmige Halsband noch die Kopf- undGe-
sichtsbildung dieser Statue giebt, trotz der Meinung von Nibby und An-
deren, welche dieselbe für die specifisch celtische erklären, hierüber sicheren
Aufschluss. Die römischen Künstler kannten noch nicht die feineren, cra-
niologischen Unterschiede, welche die moderne Ethnographie zwischen den
Schädeln der Gelten, Romanen und Germanen aufgestellt hat. Sie hatten
sich aber eine bestimmte, typische Barbarenphysiognoniie gebildet, welche
hauptsächlich durch starken Bart- und Haarwuchs, eine niedrige Stirn,
eine tiefe Einbiegung über der Nasenw^urzel, stark entwickelte Augenbrauen-
bogen und die über die senkrechte Stirnlini^ mehr oder weniger hervor-
tretende Nase bedingt wird. Diese typische Barbarenphysiognomie aber
zeigen, ausser dem sterbenden Fechter, bald schärfer bald schwächer aus-
geprägt, auch die Abbildungen der Dacier auf den Reliefs der Trajanssänle;
die drei sitzenden, den gedrehten Ilal&reifen tragenden Markomannen auf
dem Sarkophagrelicf von Amcndolu ; die Germanen, von denen einer gleich-
falls einen, wie es scheint gewundenen Halsring trügt, auf der unter dem
Namen „Gonima Augustea'* bekannten, neun Zoll breiten und acht Zoll
hohen, die Apotheose des Augustus vorstellenden Camce in Wien; der
jugendliche, schnurrbärtige, eine gewisse Aehulichkeit mit dem des sterben-
den Fechters besitzende Kopf im britischen Museum, den man jetzt nicht
ohne Grund für den des Thumelicuü, des Sohnes von Hermann und Thns-
Miecalleä.
166
ni.-lda hält, welchen Tiberiu», nach einer allerdings unverbürgten üeberlie-
ferung, in Ravemm zum Gladiator ensiehen licse, und pndüch auch dio 80
»ehr merkwürdige in Flerculanura gefundene eherne Büste des Hannibal.
Wahrscheinlich besitzt die letztere oine grosse Portrnittihnlichkpit. Per
Künstler hat aber derselben in dem dicht'n, wild dnrcheinandc-r wogenden
Haupthaar und dem starken, angeordneten Barte, wahrscheinlich mit Abnicht,
sogleich den spccifi!<chcn Barbarenausdruck gegeben.
Sogar die schönen und edlen GesichtHz.üge germanischer Frauen auf
römischfn Bildwerken, zeigen diesen allgemeinen Barbarentypus, wie z. B,
die Kolossalst atae in der Loggia dei Lanzi zu Florenz, welche nach Gött-
ling Thusnelda vorstellt, sowie auch die beiden Frauengestalten auf der
schon erwähnten Gcmma Äugustea, Dass aber die auf der unteren Ilülfte
dieses geschnittenen Steines dargestellten Barbaren wirklich Germanen und
keine Gelten sein sollea, trotjsdem dass der eine der Männer einen Torques
trügt, bedarf kaum noch des Beweises. Kriege mit den Galliern kamen
während der Herrschaft von Augustus nicht mehr vor und gehörten über-
hsnpt schon einer' längst verflossenen Vergangenheit an, wührcnd Kriege
mit den Germanen gerade für seine Regierung so sehr bedeutsam waren,
unter ihm unterwarfen Drusus und Tiherius einen grossen Tlieil Deutsch-
lands der Herrschaft der Römer und wenn diese sich auch später, nach
der Niederlage des Vams, wieder aus der Wesergegend westwärts zurück-
ziehen muBsten, so wurde doch gerade unter Augustus an beiden Rhein-
ufern die Romerherrschftft fest begründet. Es kann daher wohl kaum be-
sweifelt werden, dass die auf dieser Camee abgebildeten Barbaren Gor-
manen sind und dnss die Siegessäule, welche römische Krieger auf derselben
anfricbten, die Eroberungen in Deutschland unter ÄugustuB verherrlichen
soll. Da aber einer dieser unterworfenen Germanen den Torques trägt, so
ist die Gemroa Äugustea für den Beweis, dass nicht bloss Gallier von
dieser Art des Halsschmuckes Gebrauch machten, von besonderer Wichtigkeit.
Ebensowenig schwer aber ist die Beweisführung, das» auch die auf
dem Basrelief des in der Vigna Amendola bei Rom ausgegrabenen und
jetait im capitolinichen Museum befindlichen Sarkophages abgebildeten Tor-
qncsträger, keine Gelten sondern Germanen vorstellen sollen. Für diese An-
sicht spricht nämlich sowohl der Umstand, dnss sich in dem Sarkophage
keine Ueberresto von verbrannten Knochen, sondern vom Fener unversehrte
Theile eines Skelettes befanden, als auch der, dass die auf dem Reliefbilde
dargestellten Römer Schnurr- und Kinnbärte tragen.
Die älteste Weise der Leichenbeatattung bei den Römern war aller-
dings das Begraben io die Erde; dasselbe wurde aber, wie Pliaius mit-
166 Miücellsn.
theilt, schon zur Zeit, als die Repablik anfing Krieg zu fähren, allmälig
durch das Verbrennen der Leichen verdrängt, namentlich bei den Vorneh-
meren, den Reicheren und den Kriegern im Feld«. Nur einige wenige sehr
vornehme, an den alten Gebräuchen festhaltende Familien, wie namentlich
die Gens Cornelia, fuhren fort ihre Leichen zu begraben. Von Sulla an
wurden aber auch die Leichen der Cornelier verbrannt. Diese letzte Sitte
blieb, das ärmere und niedrigere Volk ausgenommen, bis in das zweite Jahr-
hundert nach Christus vorherrschen. Erst unter den Antoninen kam das
einfache Begraben der Leichen, auch der von Vornehmen und Begüterten,
wieder in Gebrauch und gab selbst zum Aufblühen eines neuen Zweiges
der Kunstindustrie, dem Verfertigen von Steinsärgen und dem Verzieren
derselben mit mythologischen oder historischen Beliefbildern, Veranlassung.
Ein solcher Steinsarg, höchst wahrscheinlich aus der Zeit von Mark Anrel
herstammend, ist der zu Amendola gefundene. Es liegt nahe anzunehmen,
dass derselbe die Ueberreste eines vornehmen Römers in sich schloss, welcher
an dem Kriege jenes Kaisers gegen die Markomannen Theil genommen hatte.
Das Relief bild stellt ein Gefecht zwischen Römern und «Barbaren vor. Je
wahrscheinlicher es aber ist, dass dieser Sarkophag aus der zweiten Hälfte
des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung herstammt, um so unwahr-
scheinlicher ist es, dass die auf ihm abgebildeten Barbaren Gelten und keine
Germanen sein sollten. Wenn schon in den ersten Jahren nach Christus,
wie ich bemerkt habe als von der Gemma Augustea die Rede war, Kämpfe
zwischen Römern und Gelten (Galliern) einer halbvergessenen Vergangen-
heit angehörten, so war dieses anderthalb Jahrhunderte später, zur Zeit von
Mark Aurel, noch in viel höherem Masse der Fall. Gallien war damals
schon längst völlig romanisirt und Niemand dachte mehr an die Kämpfe
und Mühen, welche die Unterwerfung dieser Provinz den Vorfahren ge-
kostet hatte. Dagegen aber gefährdeten gerade unter Mark Aurel ger-
manische Stämme, wie die Markomannen, Quaden und andere, das römische
Reich in sehr bedenklicher Weise. Sie waren schon bis an die Grenze von
Italien vorgerückt und wurden von den Kömern nur mit vieler Mühe über
die obere Donau zurückgetrieben.
Der Bildbauer, von welchem dieses Sarkophagrelief hen-ührt, würde
auch wohl schwerlich, wenn er nicht mit Germanen kämpfende Zeitgenossen,
sondern mit Galliern streitende Kömer der Vorzeit hätte darstellen wollen,
dieselben bärtig abgebildet haben. Nur während der Regierung der Könige
und in der allerersten Zeit der Republik Hessen die Römer den Schnurr-
und Kinnbart wachsen. Später aber, während der ganzen übrigen Dauer
der Republik und der ersten Hälfte des Kaiserreichs, scheren sie Kinn,
MiBoellen. 167
Wftpgen völlig glatt, tragen anch sehr knrzgeschmtteneg
erscheinen noch Trajan nnd alle übrigen Römer anf den
^janssäale. Erst nnter lladrian kam das Tragen der Barte
blieb bis auf Konstantin den Grossen herrschende Sitte.
|ke den Bart ab, Jnlian der Abtrünnige gab ihm aber
T wieder zurück. Das Volk, namentlich die Vornehmen nnd
Mi* i
tid, folgte aber, mit Bezug auf das Tragen oder Abscheeren
Üiier dem Beispiele der Cäsaren. Der, wie in hohem Orade
^'^ ,iat, im zweiten Jahrhundert nach Christus lebende Verferti-
""^ Mif dem Sarkophage von Amendola, konnte und musste
10^H Tragen .des Bartes eine damals noch verhältnissmässig neue
■rtV' vüi'de sich dessbalb, gegen besseres Wissen, eines groben
t0mf schuldig gemacht haben, wenn er mit Galliern kämpfende
j^g0i. ihcren Zeit bärtig dargestellt hätte.
^gg^ kte schon dass die Frage, ob die auf Bildwerken des Alter-
^^^'i enden gedrehten Halsringe, auch wohl immer aus Metall
^^^ liilnder nnd nicht mitunter auch wirkliche Halsstrioke
_ gs schon abthuend beantwortet sei. Man hat früher, als
)nch nicht zu ihrer gegenwärtigen Bedeutung gelangt war,
"""^ '.Inband des sterbenden Fechters für einen der einfachen
U8 — gehalten, deren sich nackt kämpfende Barbaren,
Gladiatoren, bedienten um ihre Hals- und Schultergegend
iregen Schwertesstreiche zu schützen. Diese Ansicht scheint
:'^n von der Nationalitätsfrage, mit ßezng sowohl auf den
T, als auf die zwei, anf dem Sarkophagrelief von Amen-
Scit« des Anschauers sitzenden nackten Barbaren, durch-
' sein. Das Halsband dos auf diesem Bilde links Sitzen-
.:bes vorne geöfinet und an seinen beiden Enden mit
rsehen ist, dürfte eher ein wirklich metallener Torques
lär meine Meinung liefert die schon erwähnte Grappe in
Der sich den Tod gebende Mann hat sich nämlich
seines Halsstrickes entthan und beide liegen zu seinen
triok aber zeigt eine gerade Linie. Bestände derselbe
ten Metalldrähten, so würde er, von dem Halse abgethan,
haben annehmen können. Wahrscheinlich aber waren,
von Amendola hervorblickt, diese wirklichen Stricke,
■»..iilegens wegen, an ihren Enden mit knopfförmigon Me-
im. Dass aber römische Frauen strickförmig gewundene
wird durch eine der weltberühmten, so überaus schönen
168
Miacellen.
pompeJaniBchen Tänzerinnen bewiesen. Eine dieser schwebenden Gestalten,
die gelbbloudu in gelbem, blaugc&äuniten Gewände, trägt einen aolcben
TorqueB. Nieaiand aber ist bis jetzt auf den Gedanken gekommen, sie aat
dieseni Grunde für eine Celtiii zu halten.
\\'irklichc strickfönuig aus Golddrähten zuBammcngedrehto Halaringe
waren, sogleich mit glatten und achlangenförmigeu, wie ich schon oben be-
merkte, bei den alten Persern allgenvein im Gebrauch. Den Beweis hier-
für liefern longo lieihcn von ReliefUildern auf di-n inneren Wangen der scu
der Terrasse von Persepolis hinanff&hrenden, aus Marmorblöcken gebaueoea
RieKentreppcu. Diese, der Zeit von D.trinB Hyataspcs, Xerxes und
Artaxerxes Longiraanus angehörenden Relief» stellen ganze Aufzüge von
Kriegern, tlof- und St^iatsbeamten, Tribut and Gcacbenke bringenden Ab-
gesandten aus den yerschiedenen Satrapien des Reiches u. b. w, vor. Schon
Engelbert Kämpfer in seinen „Amoenitatibu» exoticis" apüter Cnraien
Nie bahr, in neuerer Zeit aber Ker Porter, Flandin und Coste,
Texier u. A. haben in ihren Reisewerken Abbildungen von den meisten
dieser Reliefs mitgetheilt.
Bätte Theodor Dergk nur einen einzigen, ganz kurzen Blick auf
diese altpereischen, in Stein gehauenen Costürobilder geworfen, so wäre er
ohne Zweifel niemals auf den in der That Verwunderung erregenden Ge-
danken gekommen, das prachtvolle, eilf Fuse hohe und zwanzig Fuss breite
Moaaikgemiilde, welches am vierundzwanzigsten October 1831, in Gegenwart
von dorn Sohne Goethe'a in dem, nach der gleichfalls daselbst gefundenen
Erzstatuelte des , .tanzenden Faunen'* Casa dcl Fauuo genannten Hause ent-
deckt und augenblicklich für din Darstellung einer Scene ans der Schlacht
bei Isaos zwischen Alexander dem Grossen und dem letzten Achäme-
nidenkönige Darius Kodomannus erkannt wurde, nicht auf diese, sondern
ftuf die Schlacht zu beziehen, welche, im Jahre 246 vor Christus, bei Delphi
zwischen Griechen und einer in Griechenland eingedrungenen Galaterhorde
stattfand. Bergk beruft sich darauf, doss einige der auf diesem Schlachten-
bilde dargestellten Nicbtgriecben gedreht« Halsbänder tragen, also Gelten
■ein miissen, Barte zeigen, also keine Perser sein können nnd endlich dass
der im Hintergrande stehende entlaubte Baum mit grüsster Bestimmtheit
beweise, dass hier keine andere Schlacht als die bei Delphi gemeint sein
könne, weil dieselbe gerade zur Winterzeit, während einea Scbneegestöbera
stattfand.
Alle diese Argumente sind aber sehr wenig stichhaltig. Dass die
Perser wirkliche Torques trugen, erwähnen schon Herodot — Lib. VUI, 113;
Lib. IX, 80 — und Curtiua — Lib. lU, 3. 13; und geht solches auch schon
Miscellen.
169
ana den Reliefs von Persepolis hervor; dasB der cntlBHlite Daum aber
Veineawegft auf die Schlacht bei Delphi bicweist, findet seine Beatütigung
darin, das« die Schlacht hei Tssos, nach Arrian zwischen dem nchtund-
swanzigsten October und aiebenundzwunzigniien November d. J. 33B v. Christus
stattfand, also zu einer Zeit, wo auch in Citicien, zwinchen dem 37. und
38. Breitengfrade^ wo der Schauplatz diefcr Schlacht war, die für die Flora
dieser Gegend charactenRtitchen Eichen, denn eine solche ist der auf dem
MoaaikgeraAlde abgebildete Raum, schon entlaubt, waren. Von Schneege-
stöber findet sieb auf diesero Bilde nicht die geringste Andeutung,
E« bleibt nnr noch zu erörtern, dans die Perser zu jener Zeit keine
Bftrte getragen haben sollen, auf dem Gemülde aber bärtig dargestellt sind.
Cjms und seine Nachfolger bis auf den ersten Artaxer x es, trugen jeden-
falls Barte, denn sie sind, mit solchen veisohen, auf den Reliefs von
Paaargadne und Peraepolis abgebildet. Auch die Parthisch- Persischen
Könige der Arsaciden-Dynastie, deren Macht im zweiten Jahrhunderte vor
Christus anfing den Römern so gefährlich zu werden, und ebenso die Sassa-
niden-Könige in Persien, deren Reich im Jahre 226 nach Christus gestiftet
warde, trugen Bärtc.
Dieses geht ans den Rasreliefs von Firuzabad, auf welchen der her-
vorragendste Herrscher dieser Dynastie, Sapor der Erste, abgebildet ist,
wie der tod ihm gefangene römische Kaiser Valerian zu seinen Füssen
begt, auf das unzweideutigste hervor. Es ist mir sehr wohl bekannt, dass
eine historische Anekdote besteht, nach welcher die Perser zur Zeit von
DariQS Kodomannua ihre Rärte aollen abgeschoren Imben. In der auf
die bei Issos folgenden Schlacht bei Arbela hätten nämlich, wie erzählt
wird, die unbärtigen Persei- die laugbärtigen Macedonier bei den Barten
ergrifFen und sie auf diese Weit^e zu Boden geworfen j in Folge hiervon
ober habe Alexander seinen Soldaten befohlen, sich noch während der
Schlacht die Barte abzuschneiden. Diese Erzählung gehört aber in das
Gebiet der historischen Märchen. Hätten wirklich die letzten Könige ons
der Dynastie der Achämeuiden das Tragen der Barte untersagt, so wäre
dieses Verbot mit allen Sitten und Gewohnheiten des Orients, welche sich
immer gleich gebliehen sind, durchaus in Widersprach gewesen.
Man braucht nur die Beschreibung, welche J. G. Droysen in seiner
im vorigen Jahre neu aufgelegten Geschichte Alexander des Grossen,
Band I, Seite 254 — 262, von der Schlacht bei Issos entwirft, mit jenem
Mosaikgemälde- zu vergleichen, um zu der Ueherzougung zu gelangen, dass
das letztere gewissermassen nur eine Illustration zu dieser Beschreibung
bildet. Droysen sagt nämlich Seite 262: ,, Schon sab Alexander des
.170 Miaoellen.
Perserkönigs Scblachtenwagen; er drang auf diesen vor; es entsptum
sich das blutigste Handgemenge zwischen den edlen Persern, die ihren
Eöni^ vertheidigten and den macedonischen Rittern die ihr König führte;
es fielen Arsaces, ' Kheomitres, Atycyeg, der egyptiache Satrap
Sabacas u. s. w."
Gerade diese Soene giebt das Gemälde von Pompeji wieder. — Den
Mittelpunkt desselben nimmt der reichverzierte, mit vier prachtvollen, reich-
geschmückten Pferden bespannte Streitwagen des Königs ein, umgeben von
lanzentragenden Kriegern zu Pferde und zu Fnss. Rechts neben dem
Wagen ist ein vornehmer Perser, dessen Pferd, von einem Dreizack ge-
troffen, sich auf der Erde windet, zu Boden gesunken. Derselbe will sicli
aufraffen und ein anderer Perser ist schon von seinem Pferde gesprungen,
um dieses dem unberitten Gewordenen anzubieten, als Letzterer von der
Lanze des heranstärmenden Alexander durchbohrt wird. Darias
sieht den Tod dieses Persers, der ihm jedenfalls sehr theuer war, mit dem
Ausdrucke höchsten Schmerzes und Entsetzens an, während die Pferde
seines Wagens angepeitscht werden, um den König so schnell wie möglich
dieser gefahrvollen Lage zu entrücken. Dass hier von keinen barbarischen
Galaterhorden die Rede sein kann, geht schon aus der prachtvollen Klei-
dung und Bewaffnung der Nichtgriechen auf diesem Bilde, ihren reichver^
zierten Pferden u. s. w., auf das bestimmteste hervor. Auch tragen die-
selben jene eigenthümliche, hohe, unter dem Kinn zugebundene, Kirbasia ge<
nannte Kopfbedeckung, welche sich, zugleich mit der übrigen Kleidung,
schon auf deu erwähnten Reliefs von Persepolis und Firuzabad findet.
Der helmlose Kopf von Alexander gleicht ausserdem durchaus den von
ihm erhalten gebliebenen Rüsten.
Es liisst sich auch kaum annehmen, dass der gebildete Römer, welcher
die B^lur seines Hauses mit diesem prachtvollen Mosaikgemälde schmücken
liess, hierzu das Motiv gerade aus der Schlacht von Delphi gewählt haben
sollte. Denn diese Schlacht war, im Vergleich zu der bei Issos, von so gut
wie keiner welthistorischen Bedeutung und halte, namentlich auf die Römer,
gar keine Beziehung. Die Schlachten Alexander des Grossen mit den
Persern dagegen w^aren zu der Zeit, wo jenes Gemälde wahrscheinlich ent-
standen ist, nämlich in den letzten 50 Jahren vor oder den ersten 50 Jahren
nach Christ US, jedem gebildeten Römer ebenso bekannt, wie sie es gegen-
wärtig noch einem Jeden von uns sind.
Ich glaube das hier Gesagte wird für den Beweis genügen, dass man
mit der Bedeutung, welche man den gedrehten Arm- und Halsringen, den
sogenannten Turcjues mit Bezug auf das specitische Celtenthum gegenwärtig
MiaeeUea.
171
zuerkennt, häofig viel zu weit geht und dasa, auB diesen Ringi-n allein, nur
mit grosser Vorsicht historisch-ethnographische Schluecfolgerungen gezogen
werden dürfen. I>r. M»bnike.
3. — Schalensteine. In der Sitzung der Niederrh. Gesellschaft
vom 18. Februar 1878 sprach Prof. Schaftffhausen über diese mit
runden Höhlungen versehenen Stoinblöcke, deren symbolische Bedeutung
wir noch nicht kennen, und legte zwei neuere. Scliriften darüber vor:
Rtvett-Gai-nac, On anoient rock sculpturings in Kamaon, Journal of the As.
Soc ofBengal, 1877 und E, Desor, Les pierres k dchelles, Genöve 1878.
Die erste Beschreibung eines solchen Schalensteins, des Steins von Muni-
laville im Jura gab Troyon 1849. Jetzt kennt man deren in der Schweiz
mehr als fünfzig. DeCanraont hielt sie fär Opfersteine, von Bonstetten
will die Böhlungen gar nicht für künstlich halten, sondern lässt sie durch
Auswitterung Ton Sphaerolitfaen entstanden sein. Beide Ansichten sind
widerlegt dnrch die Entdeckung Rivett-Carnacs, der sie in Indien auf
Felsw&nden fand, wie vor 10 Jahren Verchfere im Kaschniirthale auf
erratiechen Blöcken. Keller beschrieb die der Schweiz in den Mttth. der
»ntiqnar. Gefiellsch. zu Zürich XVII 1863. Simpson gab eine Zusnmmen-
stellang derselben in seinem Werke: Archaic sculpturea of oops, circles etc.
opon stones and rocke in Scolland, England and other coiintries, Edinb.
1867. Merkwürdig ist, dass diese Denkmäler, die den Weg der Indoger-
manen zn bezeichnen scheinen, im südlichen und westlichen Deutschland,
im östlichen Frankreich und in Italien fehlen odA* doch bisher nicht
beobachtet sind. I'agegen sind sie schon in Brandenburg und Holstein auf-
gefunden, vgl. Zeitschrift für Ktbnol. Berlin 1872, S. 223. Wahrscheinlich
haben diese Zeichen eine religiöse Bedeutung. Rivett-Carnac bringt sie
mit dem noch heute bei den Indern sehr verbreiteten Phallus- und Cannas-
Dienst in Verbindung.
4. Bonn. Bei Erdarbeiten wurden in letzter Zeit wieder verschiedene
Stempel anf terra sigillata Scherben gefunden, von welchen ich zwei hier
mittheile, weil dieselben in Bonn bis jetzt nicht vorgekommen sind, and
überhaupt zu den seltenen gehören. Im Rheindorfer-Pelde wurde das
Bruchstück eines sehr grossen Tellers mit dem Stempel MINVTVS ' F
ausgraben, welcher obgleich V and T etwas gelitten haben, deutlich zu
lesen ist (vergl. Schuermans 3612 — 14. Fr. 1589). Beim Legen der neuen
Gasröhren in der Beerstrasse fand man das Bruchstück eines kleineu fassen-
f&rmigen Napfes mit dem Stempel CILSIV^VS • (vergl. Seh. 1236 und
Tr. 623).
172 Miaodlen.
Ob der sweite Bachatabe E oder I za lesen, ist nicht klar zu sehen,
näher steht er dem I. Der dritte Bnchstabe L hat beinahe die Form eines
C. Der Mittelstrich des N steigt fälschlich von der nntem Ecke des ersten
senkrechten Striohes znr obem Ecke des zweiten. Eine ebendaselbst ge-
fundene Lampe mit dem häufigen Stempel EVCARPI hat als Yersierong
einen kleinen Kopf (Maske), welcher anscheinend die Zunge herausstreckt,
eine Darstellung, welche mir bis jetzt auf Lampen noch nicht bekannt
geworden. y. Yleuten.
5. Cfiln. Einer brieflichen Mittheilnng unseres geehrten Mitgliedes
des Herrn Wolff in Cdln entnehmen wir Folgendes:
Ende Januar d. J. wurde hier in Cöln angeblich in der Nfthe der
Altenburg ein kleiner Sarg aus Tuffstein gefunden, in welchem sich folgende
römische Gefösse befanden:
1. Eine römische Flasche in Form eines Fässchens 19 cm hoch und
88 cm. im Umfang; oben und unten je fünf Reifen im Glase ausgeprägt;
an dem oben angesetzten Halse zwei Henkel.
2. eine Glasschale von seltener Dflune, 40 cm Umfang und 6 cm Höhe ;
dieselbe hut 10 Einbauchungen.
S. eine kleinere Schale, ohne Einbauchungen, SO cm Umfang; 6 cm
Höhe; mit Linienverzierungon.
4. eine terra aigillata Schüssel mit Blatt ornfunenten.
Tn domsoUxM) Sarge wurden nngeblich 46 Münzen gefunden : 1 Denar
von Julia Mt\m«'rt, 1 Hilloii M. von Tost uiuus. dann Kleinerze: 1 von Probiis,
1 von MaxiniinnuH Iloro., 1 von Maxiininuü II, 3 von Licinius, 26 von Con-
HluntinuM M., 2 (\)nHtnntinopoliM, 1 l'rbs Roma, 1 von Fansta, 3 von
(ViHpiiN und n von Constnntius II. lliernnch würde der Fund etwa iu das
Jnlir 3rtO zu Motron sein.
r>. Koruich. Kino Stunde unterhalb Andernach, in der Nähe von
Iti'ohl, liogt unniittolhnr nut Hhoin das Pörfchen Fornich. In Mitte der
wonlf^on (\\) MiuiMor ragt das Thürmchon einer kleinen Capelle hervor,
wololio Üliil* v«>n d«Mn ohoniali^on Andernaohor Pastor Johannes von Irlich
KONlirjot und dotirl wurde. Am l>. I>oc. dessolbon Jahres genehmigte der
l''.ry'.liiNcliof von Trioi', ('uno, juif Kruuclu'n dor Kxecutoreu des Testamentes,
uiilor wi'li-liiMi li«tHond«>rN nanilmft ^tMuni'ht wird der Pastor in Kempen,
•loliannoH von Urolo, d<<r lutoh (> Mitrk oon!«u(t ^H^rpetui und einiges Acker-
land d<<r l'undittion liinvut'n^^lo. dio Stiitunt; und Errichtung der Capelle
nchnt ilor NVolninnK di<» Kootttri« und dio Uoatauration des daselbst schon
lionloltondon llonpiliuniii i'itr Anno itn«l Koisondo mit der Bestimmung, dass
dti|- (}ii|atliohi> iliM- t'tipoUo au droi Taiton jtHK-r Woche und zwar so früh-
Misc&lleo.
173
zeitig daa b. Meseopfer darbringen aolHo, dasa die EiowobDer tod Fomicb
bequem demselben beiwobnen köontec, dass derselbe dagegen an allen Fest-
tagen an dem Gottesdienste in der Mutterkircbe zu Andernacb tbeiku'
nehmen und den dortigen Pnator als seinen näcbatea Vorgesetzten zu be-
trachten habe ').
Die fundirten Güter bestanden anaeer den zwischen Ebein und der
Strasse gelegenen Häusern des Testators*) aus W<'iiibergen bei War (oder
Mar), in Kunigadail (jetzt Künigstbal), an der Helden (j. Helder), an der
Haien, an der Lantzajl, am Weinberge des Jac. Elaenson, gen. Ludes-
halveratucke, und aus theilweise mit Nuss- und Birnbäumen bfepßanztem
Ackerland und Waldung an dem Wyger, uff dt'm Gerne, am Erfcndal (j.
EIrfenthal), an dem Bücbnrt, am Bach (j, Uelkbach), am Wascnbulen, beim
Hof Alkorn (j, Alkenerhol), in den Dörfern Nombdey (Namedy) und Ketge
(KetUg), im Gebiet von Brüle (Brobl) and Ilojnchein (HönningonV).
Vorstehende Nachrichten entnehme ich der auf Schweinsleder ge-
schriebenen lateinischen Stiftunga- Urkunde, welche sich in der Nacblosaeu-
Bchaft dea kürilich hier verlebten Eentners Hahn vorfand und folgender-
maasen lautet:
In nomine Christi. Amen. Cuno dei gratia sanctae Treverensis ec-
desiae Archiepiscopua, sancti Imperii per Galiiam Archicaucellariua. Ad
perpetuam rei memoriam. Digne pastoralis ofßcli debitum ezequi tu.no
credimua, cum Domini uominis cultum püa adaugere votis pauperumque
calamitatibus subvenire cupientibus dcsiderabiliter occurrimus nostracque
cooperante altissimo sollicitudinia ad haoc operam favorabiliter impertiniur.
Oblatae siquidem nobis devotorum viromm lohannis de Brole pastoria in
Kempen Coloniensis didcesis et aliorum Executorum testameati seu ultinme
voluntatia quondam luhnnnis de Irlich plebani ADdernacetislB nostrao Tre-
verensis diöcesis petitioois series continebat, quod ipai secundum piain
voluntatem, quam idem quondam lobannes testator in vita et uaqiie ad
finem vitae suae gerobat» Intendant Deo auctore in villa dicta fornich sita
in littore reni infra limitea parochiae dictae ecclesiae ADdernaccnais, de
bonifl per praefatum qaondam lobannem reUctis de novo erigere, fundare
1) Noch jetzt ist Fornich Filiale von Andernach und der hiesige Pastor
gebalten, wenigstens einmal im Jahre, am Patronsfeste sa. trinitatis in dortiger
Capelie zu oelebriren.
2) Das ganze Terrain ist seitdem bis unmittelbar au die Etappenstrasse
von den Fluthen daa Rheines verschlungen, so dos« eätnmtliobe Wohnungen auf
der linken Seite dea Weges liegen, ein Umstand, dem dos bon mot: In Fornich
wird der Pfannkuchen nur auf einer Seite g«bftckeii, seinen Ursprung verdankt.
174 MiseeUen.
et dotare anam capellam ac domnm habttationis pro nno sacerdote ipsain
capellain officiataro pro tempore ac etiam reformare et aptare domnm hoapi-
talariam in eadem villa sitam dadam depatatam et donatam per qnosdam
christifideles pro recipiendis peregrinis, advenis ac aliis utriasque sexna
hominibos panperibns transitaris dictam villam, hospitam in illa deaide-
rantibofl propter Deum.
Sapplicato quoque nobis per dictos Executores, qaatenns nos erectionif
fandationi, dotationi et resignationi haiusmodi autorizationem, approbationem
et confirmationem anctoritate ordinaria adhibere et interponere dignareinnr,
Nos de huiasmodi erectioois, fundationis, dotationis et reformatioois negotio
eiasque circumstantiis pro tuac notitiam non habentes, sed postmodnm de
bis per certos nostros in hac parte ccmmisBarios plenins informati quam
reperimns, qaod locus, bona redditusqne subscripta, snnt in plena, pacifica
et libera dispositione et potestate Executornm praedictornm qnodqne locna
per dictOB Executores ad hoc depatatns in contiguo dictae domos hospita-
lariae sitaatan et ad ipsam domum spectans satis aptos et convenienter
spatioBus est ad fandendum capellam et domnm habitationis pro sacerdote
et ad reformandum eandem domnm hospitalaiioe^) pro panperibns prae-
scriptis in dicta villa fornich, pront supius^) est expressnm qnodqne bona
et redditus pro sustentatione nnius sacerdotia congrna et decenter snffici-
entes depntati sunt, quae bona et redditus noroinatim et specifice inferios
describuntar, erectioni, fundationi, dotationi et reformationi praedictia sd
laadem, gloriam et honorem I)ei omnipotentis castissimaeque genitricis eins
virginis Mariae necnon omnium sanctorum interveniente consensu et volan-
tate lohannis de Hexhera nunc plebani dictae parocbialis ecciesiae in Ändei"
naco nostrujn adhibuimus et tenore praesentium beniguum adhibemus con-
sensum, ipsasque auctoriisavimus, approbavimus, confirmavimus ac in bis
scriptis auctorizanms, approbamns et anctoritate ordinaria in Dei nomine
conßrmamus. Indulgentes ut in loco antescriplo in dicta rilla fornich
capella ac donius sacerdotia libere, sed absque cniuscunque alieni Iuris
praeindicio per Executores praedictos et eorum coadiutores seu cooperator^s
erigi valcnt et fuudari et domus hospitalaria reforraari ad usus panperum
praedictoruni quodque ipsa cupella, postquam ereeta et constructa seu fun-
data fuerit, possit per quemcunque Archiepiscopuiu vel episcopum catholi-
cum notum graiiam sodis npostulicae et executioneni sui officii obtinentem
debito ot ad hoc Statute tempore secundum ritnm sanctae raatris ecciesiae
1) Soll wohl hcisscn „hospiialariam".
2) supiua, ist vioUeicht ^ supra? Oder sacpius?
MiscelleD.
175
oooaecrari, quam etiam capellam extonc pröut exnnnc et nnnc prout ex-
tanc io peqi«tDum beneficium eocleeitisticnin distinctnm erigitnus et oreamas
ipsamqae cam suis bonis, luribus et redditibua Bubscriptis a mstrice ec-
deaia praedicta distingainms et perpctuo separamas, bona quoque et redditas
ipsias iaferius designaoda sea deBJgnandos et si qaa ah'a in futQro pia
christifidelium largitione ad CApellnm et domo» praedictas contigit, nniver-
sia ac aingalia privilegiis, luribas, bbertalibus ac bonia consnetudinibas,
qnibus bona ecclesioatica de Iure et cousuetudine iaaigairi et libertär! con*
Bueverant, adacribimus per praesentea.
Vemm quia ius patroDatua seo collatio ecclesiae parocbialia in Ander-
Da£o praedictae ad Archiepiscopos Treverenaes pro tempore pertinuit et
pertinet, volumua, Bt^taimus et ordinatnua, qnod etiatn cullatio dictae ca-
pellae hac vice et exnunc, quotiena eam vacare contigit, ad noa nostrosqoe
SQcceasorea Archiepiacopos Trevefenaes apeutare debeat pleno Iure. Ita
videlicet, qood noa et idem noatri anccessores babeamns perpetuo ipaam
cnpellam conferre peraonae idoneae, nctu aacerdoti vcl quae infra annum a
tempore collationis eibi factae in aacerdotera promoveatur ; quod ai legitimo
impedjmento et dispenaatione canonica cessaiitibuB non fecit, ipaara capellam
▼acare statuiraus ipso Iure. Rector quoqae aaepe dictae capellae pro tem-
pore ipaam capellam in diviuia devote officiabit aut olficiari procuraliit, in
qualibet aepiimana tribaa dieboa non festivia miasam celebrando absque nota
adoo mane poat ortnm diei, ne incolne dictae villae fornich ipeaa tnisBaa
auditori a auia cultnris et negotüa nimium retardentur. Ordinamus insuper,
quod aacerdoa capetlanua pro tempore aupradictae capellae plebano Ander-
nacenai debitara tamquam auo anperiori aicnt alii aui capellani exbibeat
revereotiam quodque io festivitattbua praecipuis et festivia diebua legitimo
OeasaDte impedimenlo intersit divinis oniciis iu parochiali ecclesia supradicta.
Fraeterea volamoa et ordinamus, quod oblationea, si quae in misfBis in dicta
capella Deo auciore diceudis ad altare obvenerint, cedant plebano eccleBiae
Aodernacensis pro tempore quodque capcUnnuB eiasdem capellae pro tem-
pore in aua cuatodia et clausam teneat dictam domum hoapitalariam et per
w ant per aliam honestam peraonam paopereset peregrinos inibi hospitari
deaiderantea recipiat et admittat, dumtaxat hoapitio nee tenebitur eis de
victualibua, sed tantum de atramentis et lectls terniis, qaaedicti Executores et
alii Deo devoti ad domum hospitalariam aapradictam deputaverunt, providere.
Bona vero et redditua ad dictam. capellani deputata seu depotatos, de
qmbus saepinB*) fit mentio, htc duximus subnotanda. In primia siquidcm
1) of. 4. deutlioh iat geschrieben supitis.
176
MisoeUen.
una cum area sea loco fandaudae capellae et domoa Baoerdotalis necnon
domuB hospitalariae reformaDdae et meliorandae Executores praedicti depn-
tarunt et dcputant omnia et Bingnla bona haereditaria Immobilia quondaxn
lobanuis testatoris praedicti sita in villa foruich et eias bannia sea ter-
minia et confiniis videlicet domoB eiusdem conivinctim et ad iavicem eitaataa
inter renum et plateam oommanem tranaeuotem villain foruich valentea ad
oensum anauum coiumunibus annis decem marcas Golonlensis pagameoti,
n
qoae aolvQDt fiingatie annis . . Sucgyius ') de Rynecko duas roarcae per-
petui cenauB. Item ncam peciam vinearuni aitam apud war continentem
unnm qaartale apad vineam lobannis geil de weyeo. Item unam peciam
in loco dicto Kunigdatl apud viueam lohannis geil supradicti continentem
ununi quartale. Item unnm pecinm an der beiden sitam apud vineam loh.
geil antedicti continentem unum quartale cum dimidio. Item unam peciam
«Q der baelen, per quam tranait ripa prope Ernestum carpen de foruich
continentem unum qnartale. Item unam peciam inferius der halen sitam
iufra rineas beredum dicti Zeynmarx continentem unnm quartale, quae sol-
vit fratribns domus Theuthouicae in Confiueua septem solidos perpetoi cen-
BOB Colonienais pagamenti. Item nnam peciam <an der Lantzayl iuzta
vineam heredum dicti Zeynmarx praedictomm continentem unum quartale.
Itetn unam peciam dictam LndeBbalveratucke iuxta vineaiu lacobi dicti
Elaensoo ab una parte versus nemus babentem quaadam arbores oactun
continentem nnmn ipartale, quae septem quartali cum dimidio quartali vino-
arum praodictarum communi aestimatione et largc aestimata sunt singuUa
annia deductis expenais ad tres amaa vini et arapliua. Item in agria ara-
bilibuB primo anam peciam agri an dem groaBennussbanm in loco dioto an
dem Wyger com arboribus iiucuni propo Gobelitium dictum Nambdey. Item
unam peciam agri aitam utF dem gerne cum arboribus nucam et pirorom
continentem tria quartalia Bolventem ad curtem decialem in Brisicb tree
aolidoa bereditarii cenaus Colonienais pagamenti. Item unam parvara peciam
agri cum arborjbus nucum et pirorum an dem Erfendal iuxta agium moni-
alium Andernacensium. Item unam peciam nemoria an dem Erfendal aitam
prope nemoB Erneati supradicti continentem unuui lurnale. Item unam
peciam nemoris an dem BQcbart infra neniua lohannis dicti Nambdey supra-
dicti continentem tria quartalia. Item unam peciam nemoris an der baoh
in Buperiore parte prope nemua monialtum de Nambdey continentem tria
lurnalia. Item unam peciam nemoris. an Wasenbulen prope beinriuum dictam
mort continentem unum lurnale. Item unam peciam nemoris apud aikom
1) Waa bedeutet daj u über iu?
MUcellen. 177
prope nemu8 Arnold! dicti Swynde contioentem tria lurnalia, qnae qnidem
pedae agrornm et nemorom praedictorum commnni aestimatione singulis
aonis dednctis expensis large valere potemnt doodecim marcas pagaraenti
Coloniensis, ultra competentiam lignomm cremabilium et ad stipandas vineas
Bupradictas et ad vineaa inferins designandas. Item in territorio villae dictae
Nambdey deputarunt et depntant doas pecias vinearum, quas praenotninatus
quondam lohannes plebanoB Andernaoenais emit. erga Wilbelmum filiam qaon-
dsm Hoydemici de Hachem militis sitas ex opposito rabeae lanaae continentes
anam larnale cam dimidio, de quibos sunt litterae emptionis, taxatas coininuni
aestiniatione singulis annis ad dnas amas vini. Item unam peciam nemoris uff
dem alkom, quam idem quondam plebanus emit erga Thilronnnum de Leemen
et katherinam eins nxorem continentem undecim lurnalia secundum tenorem
Utteframm emptionis desuper constarum taxatam singulis annis large ad
valorem undecim maroarum pagameuti praedicti. Item in villa Ketge in
nna pecia vinearum tria lurnalia cum dimidio lurnali communi aestimatione
et large faciente et valentem singulis annis deductis expensis novem amas
vini. Item lohannes de Brule pastor in Kempen- testamentarius seu testa-
menti execntor praedictns, de suis propriis bonts addidit primo sex marcas
perpetui ceusus Goloniensis pagamenti, quas Eruestns Karpe praedictus solvit
singulis annis erga ipsum Ernestum compaias '), de quibus sunt litterae
emptionis. Item idem lohannes de Brüle de suis propriis bonis hereditariis
dedit et depntat ad usus sacerdotis et capellae fundandae ut proferiur sex
Jnrnalia agrorum arabilium in territorio de Brüle et hoyncbem situatis
valentia singulis annis aestimatione commnni deductis expensis tria maldria
siliginis. In quorum omnium praemissorum evidens et perpetuum testi-
moninm ac robur sigillum nostrnm praesentibus est appensum nna cum
rigillo lohannis de Hexheym plobani ecclesiae Andernacensis praedictae. Et
ego lohannes de Hexhem plebanus ecclesiae Andernacensis recognosco, quod
fondationi, erectioni, reformationi necnon coUationi, ordinationibus et sta-
tatis ac aliis omnibus et singulis supratractatis meum consilium pro do-
uüni cnltus augmento adbibui et adhibco per praesentes, Kt quod in huius
rei testimoninm et firmitatem perpetuam sigillum meum bis litteris est
appensum. Datum Erembrechtstein Anno Domini millesimo trecentesimo
sexagesimo nono, die IX. mensis Decembris.
Andernach. Dr. G. Terwelp.
7. Ein Steinring auf dem Hohenseelbacbkopf. Prof.
Scbaaffhansen legt in der Sitzung der Niederrh. Gesellschaft vom
1) ooniputata8(?)
12
178 Miscellen.
18. Febr. einen Bericht des H. Bergraths Hundt in Siegen über eine auf
dem genannten Basaltkopf aus Basaltsäulen ohne Mörtel anfgerichteta
3 bis 3 M. breite und ursprünglich wohl ebenso hohe Ringmauer vor, die
Hundt dem celtischen Alterthume zuweist. Innerhalb dt-rselben findet sich
ein Braunen, in dem das Tagewasser zusammenläuft. Pie bisher dort ge-
fundenen Pfeilspitzen und Streitäxte gehören dem Mittelalter an.
8. Kessenich. Im Anschluss an die Miscelle Ilefl LVII. G n. LVIII. 7
sind Fnndo römischer Gef&sse und Mauerfundamente auch an dem Theile
dos Kessenicher Rheinwegs, welcher über die Coblcnzorstrasse hinaus zum
Rhein rcsp. zur Schneidmühle führte, zn verzeichnen. Es scheint demnach
dass dieser Weg vom Rhein bis auf das Vorgebirge und vielleicht über
dasselbe hinweg ging. Die Mauerfundamente wurden beim Baue eines
kleinen Hauses des Ziegelbesitzer Eich aufgedeckt und scheinen im Znsam-
raenhang mit einem grösseren Bau auf der südlich vom Wege belegten
Höhe zu stehen. In Aassicht genommene Ausgrabungen werden hoffentlich
bald Weiteres feststellen. E. aus'ro Weerth.
9. Kirn. Briefliche Mittheilung des Hrn. Dr. med. Bntry d. d.
7/12 7T. In Bezug auf den im vorigen Hefte 8. 172 beschriebenen Gräber-
fund ist noch Folgendes zu melden: Im Spätherbst sind in dem Pr&sens-
acker noch mehre Altert humsfunde gemacht worden; unter anderem eine
stark abgonntzto (röm.) Münze und ein kleines, wohlerhaltenes Glasfläsch-
chen. woK'hos auf einem nngofahr 6 Cm. im Quadrat messenden Steine stand.
Aussorvloin wurJon lUH'h grossoio kohisolie l'ruen, so wie viele kleinere
römisohe rriioii nusjiojrraben. Für don Winter hören die Nachgrabungen
auf. Viooh wervleu dieselben mit beginn des Fnihlings wieder aufgenommen.
10. Königs Winter. In der Gemarkung von Mehlem wurde un-
längst eine i'iemlioh gut erhaltene rCimisohe Münze di^s Kaisers Antoninns
Tiu!« in (ir\v>iser.'. gotunJon wul von meinem Sohne Pr. med. Franz Fr. er-
wvubon. K# ist eine von den s«"g. Consecratiorsmünzen . liergleichen
ii!»eh «1er Ver;;ottiiv'h«ng der K.-»iser durih Sen.itslvsohluss geschlagen wur-
\U-\\. Julius t\is.'»r w.-^r vier «rste. dem naoh seinem T<.dc diese Ehre zu
Vheil >\ui\le, ilnn to'g?o ui'nntro'.lMr sein .Vdoptivsoha C.'ksar Augustus.
Wir geben «l-.o rnisv-Iirilt un<ere!- M'.:«.-e n.'iv'h Cohev. Autov.iiius Pins No.
M;. .V ^ OIWS ANTONINVS. J^.» teto o-.; soa baste nu ji droite.
U^ i'l^NSEC RATIO S.C . l'vWhi: ä viv..s:re ö:ages en pyramide. ome
de »;mrUn>les, »le di.ijviies. et vie st.-4tue* stjMVxos viir de colonnes; an
uuliru. mie jvrte. !«;ir le sonnv.*:, Autor.;:: vi.^::s ;::•. iju.iJ.rige tFrappee
njMi^!« H,k iiKM't ^ l olvr xue tV:e> . oho d ivv. v^i.ie äiestr Heiligsprechung,
«vivlie u\ -WO» .Vvte.i l^•^tel»t . l^ «Uv >seK-ut.»g.«,v:v .V,".s*t»Iluüg des iu Wjurhs
Misoellen. 179
nachgebildeten, auf einem elfenbeinernen Paradebett sitzenden Kaisers vor
dem kaiserlichen Pallast, wo der einem Schwerkranken gleichende von den
Senatoren und courfäbigen Damen Coudolenzbesuche erhält, und i) in der
Verbrennung der Leiche, die im 2. Stockwerk des pyramidal in 4 Etagen
sich erhebenden Holzbaus (rogus) auf dem Marsfelde aufgestellt ist, begnügen
wir uns der Kürze wegen auf „Rieh, illustr. Wörterbuch d. rüm. Alterth.
übers, von Karl Müller s. v. consecratio" und auf Guhl und Koner, d.
Leben d. Griechen und Römer 2. Aufl. S. . 7 38 ff. zu verweisen, wo nach
Herodianus (IV, ^) die Gebräuche einer solchen Consecratio ausführlich be-
schrieben werden. J. Freudenberg.
11. Niedermendig. Das sog. Höhtges-Krenz. An der von An-
dernach nach Niedermendig führenden Actienstrasse, zwischen dem Dorfe
Thür und Niedermendig erhebt sich ein altes, der frommen Andacht ge-
weihtes Denkmal, das aus Mayener Stein gefertigte Höhtges- Kreuz,
das sowohl durch seine eigenthümliche Form wie auch besonders wegen
einer darauf eingehauenen ungewöhnlich grossen Inschrift imsor Interesse
in Anspruch nimmt.
Hr. Rector Dr. Kruse hat mir bereits im Sommer 1876 von diesem
Monumente eine nähere Beschreibung übermittelt, jedoch fehlte es ihm an
der erforderlichen Masse, um die sehr schwer z» lesende Inschrift genau
zu enträthseln. Mit mehr Erfolg bemühte sich um die Entziifei'ung der-
selben der Pastor von Niedermendig, Hr. Definitor Nörtersheuser,
welcher die Entdeckung machte, dass die vorliegende Inschrift eine lieber-
Setzung des bekannten alten lateinischen Gebetes: Salve regina sei.
Abe rauch seine in dem Mayener Sonntagsblatt vom 22. Oct. 1876 anonym und
jüngst in Pick 's Monatsschrift f. rhein. Geschieh tüforschung III S. 596 unter
seinem Namen veröffentlichte Wiedergabe der Inschrift entspricht nicht den
strengern Anforderungen der Kritik. Mein geschätzter Freund, Dr. Pohl,
hat sich auf meinen Wunsch in den verflossenen Herbstferien der mühe-
vollen Arbeit unterzogen, au Ort und Stelle den Text der so schwierigen
Inschrift diplomatisch genau festzustellen. Doch ehe wir zur nähern Be-
sprechung der Inschrift schreiten, erscheint es augemessen, eine eingehendere
Beschreibung des ganzen Monuments nach dem uns vorliegenden sorgfältigen
Berichte des Hrn. Dr. Kruse vorauszuschicken. .
Das Denkmal besteht ans einer 75 cm. hohen, 52 cm. breiten Stein-
nische, welche dachförmig ausläuft und von einer l'-^l cm. hohen, 32 cm.
breiten Säule getragen wird, die auf einem breitern Sockel ruht. Dieser
hat die Form einer sechsseitigen Pyramide, deren Spitze parallel der Basis
abgeschnitten ist; die hierdurch gebildeten Trape^ie sind unten 47, oben
46 cm. breit.
180 Miicelleo.
In der Nische befindet sich ein kanstloses Holzbildchen, Maria mit
dem todten Heiland auf dem Schosse, an den Aussenseiten der Nischenwäude
sind einander gleiche Kreuze angebracht, welche an ihren Spitzen mit drei
rhombischien Verzierungen versehen sind and eine Hähe von 46 cm., eine
Breite von 30 cm. haben. Diu Rückwand trägt ebenfalls ein Krenz, welches,
abgesehen von dem in die Länge gezogenen Stamme, die Form eines Malr
teser-Erenzes zeigt aud bei gleicher Höhe 40 cm. breit ist. Auf die Ränder
der Nische findet sich nach vorne, sowohl an den beiden Seiten wie auch
unten die Angabe der Jahreszahl und des Monats in folgender Weise ver-
theilt: Datü anno dui | jUCCE^CCCXXll | IUI Aust.(?), woraus sich für die
Errichtung unseres Denkmals das Jahr 1472 ergibt.
Das Ganze, auf welchem die Nische ruht, hat die Gestalt einer
kreisrunden Säule, bei welcher an der Hinterseite in der ganzen Länge
durch eine ebene Fläche die Rundung unterbrochen wird. Der Rnndtheil
der Säule trägt vorne die in zwei Golumnen stehende Inschrift mit gothi-
sehen Schrifteeichen :
gegrotzet schrien ' vnd
• sis tu ' maia weine ' i ' disme
koenne ' d' dal ' d' ' trene
barhtzuet och ' dar ' vmb
5 leve • ind * tot du ' vs * vspch
sicher * ind " vs erien ' kere
hoffe ' gegrotz di ' barm
sis tu ' zo di ' rof htzne ' au
f e ' m * elledich ge ' zo " vns
10 eue ■ knd' ' zo und * nach * d
di ■ suftzte ■ m iesme " elled *
bewis vs ' ihosum cristu
die ■ gebenedide " frucht din(esV)
liebes o barmhtzno M(aia?)
d. h. mit Auflösung dor Abbreviaturen: gegrotzet sis tu maria " koenigino
der barmhertznet ' leven ind tot sicher ' ind nn8(er) hoffen " gegrotz sis tu *
zo dir roffen mir ellendich cven-kinder ' zo dir suftzten (sie) mir schrien
vnd weinen in dismc dal der trene " och darvmb du vns vur Sprech erien kere
din barmhertzne augcu zo vns und nach diesme eilend bewis vns ihesum
cristum die gebenedide frucht dines liebes o barmhertzne Maria.
MiBcelleo. 181
Um die Vergleiohang der Tontchenden üebertragting mit dem Ori-
giual zn erleichtern, lassen wir den Text desselben folgen:
Salve R^ua, raater miserieordiae, Tita, dulcedo et spes nostra, salve.
Ad te clamamus exnlcs filii Evae. Ad te suspiramus gementes et flentes
in hac laorimamm valle. £ia ergo, advocata nostra, illos tuos misericordes
oculos ad nos oonyerte et Jesnm, benediotum fructuni ventria tui, nobis
post hoc exilium ostende. 0 clemeos, o pia, o dulcis virgo Maria!
Gleich aus den 4 ersten Zeilen der 1. Columne unserer Inschrift er*
sehen wir, dass dieselbe dem Original nicht gonau entspricht, indem da8
Wort mater ausgelassen ist, und der Genetiv der barmhertznet mit
koenigine verbunden wird. In der Form barmhertznet steht die Endung
et für hot = heit, keit, da das ganze Wort mittelhochdeutsch : barm-
herzekeit lautet. Als Ac^ectiv findet sich zweimal die Form barm-
hertzne. Noch mehr aber weicht die Uebcrtragung in der 5. und 6. Zeile
ab, wo die Prädikate vita, dulcedo durch leven ind tot wiedergegeben
sind, die kaum einen Sinn zulassen, wenn man nicht etwa das folgende
Wort sicher als Imperativ fasst. Vielleicht stand, wie Prof. Alex. Reif f er-
scheid mir brieflich mittheilt, in der Vorlage des Steinmetzen: leven ind
Botichet (= sflssigkeit). — Z. 9 finden wir das mundartliche mir für ,wir^
dus bei schneller Aussprache sich zu mer abschwächt. Bemerkenswerth
ist der Gebranch des Pronomen poss. vs = vns ohne Endungssilbe sowohl
iilr das Neutrum (Col. I, Z. 6) als auch für das Femininum (Gol. II, Z. 5),
80 wie das Schwanken in einzelnen Formen; so in ind, vnd, und; disrae
und diesme, vs, vns; och (Gol. II, Z. 4) steht für hochdentsches ach.
Als Interpunction hat das Punctmn durchweg folgende Gestalt: i
An der Rückseite der Halbsäule steht der Name des Werkmeisters:
bclteit
▼on welchem im Folgenden noch die Rede sein wird. Was den Namen des
Kreuzes betrifft, so hat derselbe mit hob = hoch nichts gemein, vielmehr ist
er als Deminutiv von Hut: Hütchen, mundartlich Höhtchen, zu betrachten,
eine naive Bezeichnung der Nische, mit welcher das Steindenkmat gekrönt ist.
Der vorstehenden Besprechung des sog. Höhtgeskreuzcs reihen wir
eine kurze Notiz über ein ganz ähnliches, noch älteres Kreuz von demselben
Meister an, welches an dem Ausgang von Obermendig nach Andernach
neben der neuerbauten Kapelle steht. Dieses hat nach der gerälligen Mittheilung
des Hrn. Rector Pohl ebenfalls als Aufsatz eine jetzt leere Nische, in der
sich früher offenbar eine mater dolorosa, wie in der des Höhtges-Kreuz,
182 Miacellen.
befanden hat, und dieselben Kreuze als Verzierungen aaf den Seitenflächen.
Der Text der darauf eingehauenen Inschrift lantet:
»^^(t(LUii (also 1462)
0 füiidier ntedi (sie)
fidf ä mi i^ait
in) sin müh'
marin
darunter ein Rad mit Anspielung auf St. Katharina als Patronin der Stein-
metzen, femer ein Mühlstein, dann
einis
brligrn (sie)
Auf der linken Seite der Nische steht
s. Innrrn(üus)
rechts: $. gmtftua (die Schutzpatrone von Obermendig).
Was den hier abweichend von der Schreibung anf dem Höhtgeskrena,
wo er bellen lantet, vorkommenden Namen beiigen betrifiFt. so ist an
der Idontität beider Formen nicht zu zweifeln : die Schwankung in der
Orthogrjkphie des angelehrten Meisters findet ihre Erklärung in der Aas-
sprache des g. das auch jetzt noch in niederrheinischer Mundart wie j lantet.
Der Name belien erinnert an belivn, den Widder, in Reineke Fachs,
schwerlich »tilit er ;:n dorn n;\ho bei Obornienaip gelegenen Dorfe Bell in
Po."!ohv.r.j:. von dorn Dr. l\^hi den Namen als Deniinutivform »Beliehen)
abcu!o:t<?". ceaeict ist.
K::.i".:ch ccge noch eine mir Vv->:i l>r. Pohl zur Disposition gestellte
Mitfhor.unjT ulvi- eiiie iiirsichtlioh vier Sprache '.ind hohen Alters beachtens-
wertr.e Ir.sohr::: P'.a:.-. rlaiea. vi:c sich ii:'. einen Hef-icicbänschen zwischen
Obtr>»;=:tr u.-.d Rtr.:ai:fr. da. wo sich der We^: r.ao'r. Vnkelbach abzweigt,
f.r.ie:. I'arA::: is: :v.:: i:v"t";".:<vr':5e:i B;:>:hs:Abx:'. :o'.*:ei:.ies. ;t>iooh nicht ohne
Mür.f ".: ".i-sfi:. d* i:e l>-.:>-V.s:j»bia ir. r.t-uircr Zc:: ül-erpinselt und aus
M:<<v;rj:,V..ir.:s* .-r.u: Tr.c"'. cr-t*:-.!".: sir.vi:
A-^r.; — .;:":: - r.i — OvW v.oa- -r ir. -r die — s.-: -r "Är-'-bert: -~ do dede +
aru, ': — Ar:-: .:c»># — su" — va ♦ v/k«'.' •.•h — dit "^»che — io: — geoe-i-de-i-
*::•. — t-w\-"-. — '.t",:«' — df — fir — hv.'.ye - r.f::: — *i::t- !•:? r*e: letrten Zeilen
-- c :•■.:.• — v. *. w — jTv-: ^CTe."' df .-c • sir s*"!?. ewig levea de
.'.::■ ::r ■Tf r-.:':";- :•..".:> h;". fo 'r-:-:-:s' »:eT;-s <?r.t£:a'.ter. in ge-
ri.r:*" fuv. ?.:<<-,.: ;r. .'ar.-.V;r. t->.:er Se^rs" :■".*»."•-■■*«■ 5 i'-r die WoV.".th iter, die
dfr A-.:*:-h.r-.::-i dc# iro-arsea Werk« ib:* Hul:e iUi*w»adi haben.
• - MlMoUen. 188
Die Jahreszahl 1409 ist nicht in Zweifel zn ziehen, ohschon das letzte o
vonnon(o) nicht mehr sichtbar ist. Es bedarf kaum der Andeutung, dass Ar-
noltges der G«netiy dee Deminutivs Amoltge ist. — Zum Schluss wollen wir
die Bemerkung nicht unterdrücken, dass die am Niederrhein an den Wegen
zur andächtigen Erinnerung für die Wanderer errichteten und grosstentheils
noch erhaltenen Kreuze aus Holz wie aus Stein grössere Beachtung ver-
dienen möchten, als ihnen bisher zu Tlieil geworden. So finden sich in
Königswinter au Strassenfibergängen zwei aus älterer 2^it stammende
Steinkreuze, auf denen bei den Namen, sei es der Widmenden oder der
Werkmeister Steinmetzzeichen und Hausmarken eingehauen sind, die abge-
zeichnet und pablizirt zn werden verdienen. Einem anderen Denkmal be-
gegnet man gleich unterhalb Königswinter, an dem nach Niederdollendörf
führenden Fusspfad. Von demselben ist jetzt nur noch der schwere und ziem-
lich hohe Sockel vorhanden mit der eine Jahreszahl enthaltenden Inschrift:
OeCVbVIt CLeMens
Unter dieser Inschrift befindet sich das kurfürstliche Wappen mit dem
verzierton Namenszuge CA> Wir haben hier offenbar ein Chronicon vor
uns mit der Jahreszahl 1761, die sich auf keine geringere Persönlichkeit
bezieht, als auf den durch seine Prachtliebe und g^rossartigen Bauten, von
denen wir bloss das Schloss Clemensruhe in Poppeisdorf erwähnen wollen,
berühmten Ghnrfürsten Clemens August von Köln, dessen Tod in das Jahr
1761 fSkUi. lieber die Yeranlassuog zur Errichtung des Denkmals ist die
Kunde in Königswinter selbst fast ganz verschollen, nur durch Hrn. Sani-
tfttsrath Dr. Schaefer in Bonn, der in Königswinter geboren ist, erfuhr
ich, dass nach der Erzählung seines Grossvaters das Denkmal an der
jetzigen Stelle, nur etwas näher dem Rheine zu, dem Umstände zn ver-
danken sei, dass der Churfürst Clemens August bei einer Lustfabrt nach
dem Siebengebirge, die er in einer prachtvoll ausgestatteten Yacht mit seinem
Hofstaat von der Vinea Domini aus, wo das Schiff ankerte, machte, hier
ausgestiegen sei, um auszuruhen. Erscheint es bei dieser Version
auch sonderbar, dass der Kirchenfürst, der ja auf der Fahrt von Bonn der
Buhe pflegen konnte, beim Aussteigen schon wieder das Bedürfniss danach
gef&hlt haben soll, so schwindet doch einigermassen das Auffallende, wenn
wir annehmen, dass der Churfürst an der Stelle zum letzten Mal gelandet
and dem herbeigeströmten Volke seinen Segen ertheilt habe. Sowohl zum
Andenken an diese letzte Beg^^nng wie zur Erinnerung an seinen in dem-
selben Jahre erfolgten Tod mögen die zahlreichen Steinhauor des Ortes,
welchen die Baulust des KirchenfQrsten reichliche und lohnende Arbeit bot,
das Denkmal, auf dessen Postament vielleicht noch ein Kreuz stand, ans
184 Misoellen.
dankbarer Pietät gesetzt haben, nm den vorübergehenden Wanderer daran
zu erinnern, dem geliebten Kirchenfärsten ein kurzes Memento zu widmen.
Königswinter. J. Freudenberg.
12. Oberbilk. Einer brieflichen Mittheilung des Herrn Wolff in
Cöln entnehmen wir Folgendes : Auf dem Grundstücke des Ziegelei-Besitzen
Fücker in Oberbilk, südwestlich von dem Kommuualwege nach Eller, wurden
kürzlich 4 Terra sigillata Schalen ausgegraben, welche mit verbrannten
menschlichen Enochenresten gefüllt waren.
Leider ist der hochrothe glänzende Ueberzug der Schalen in Folge
der lehmigen BodenbeschafTenheit, so wie einer vom Finder vorgenommenen
Reinigung hier und da etwas verwischt, dennoch sind sämmtliche Darstel-
lungen auf der äussern Gefasswand deutlich za erkennen.
1. Terra sigillata Schale von dem bedeutenden Umfange von 83 cm
nnd 15 cm Höhe. Unter dem oberen Rande beginnen die Ornamente mit
dem römischen Eierstabe, darunter ein Wellen Ornament, zwischen letzterem
fliehen ein Wolf nnd ein Eber vor Hunden. Zwischen denselben hin nnd
wieder vereinzelte Palmblätt6r. Leider ist der Töpferstempel nicht zu
erkennen.
2. Schale 72 cm Umfang und 12 cm Höhe. Unter dem oberen Rande
beginnt wieder der Eierstab, dann 9 grosse Medaillons in welchen sich ein
ßär in springender Stellung befindet, zwischen diesen 6 kleineren Medaillons
mit Eicbenlaubkränzchen, unter diesen je ein Blatt. Die Schale trägt an
der äusseren Wandfläche den Stempel AITIMOO (COMITIAlis. vergl.
Scheuermanns 1538 ff. und Fr. 778 ff.), ausserdem befindet sich in der
Rundung des Fusses ein eingekratztes V.
3. Schale von feinerer Terra Sigillata wie die beiden ersteren, 42 cm
im Umfang und 10 cm Hübe. Zuerst der Eierstab, dünn 10 Bogen, iu 9
derselben befindet sich ein nicht erkennbarer Gegenstand, zwischen den
Bogen je ein grosses Blatt und hierunter ein Kranz schöner Arabesken.
Der deutliche Stempel CNSOR befindet sich in dem zehnten, dem An-
scheine nach zu diesem Zwecke von sonstigen Verzierungen frei gebliebenen
Bogen. Dieser Stempel zeichnet sich durch besonders grosse Buchstaben aus.
ONSOR ist ein unbekannter Töpfername; Fröhner erwähnt No. 2020
(Seh. 5291 ) einen SOR. Sollte der erste Buchstabe nicht ein O sondern
ein C sein und mit dem N verbunden eine Abkürzung für CNAEVS »ein?
oder Zusammenziohung von CENSORINVS (Seh. 1474 CNSORINF. nnd
1257 CENSORiNFj? Sämmtliche Schalen befanden sich in einer Tiefe von
ca. 1 m in der Mitte einer Braudlage von ca. 1 '/« m im Quadrat. Ich
Miscellen. 186
war BO glücklich drei dieser Schalen fOr meine Samodlang za acquiriren,
eine vierte soll nach Dässeldqrf verkauft worden sein. F. H. Wolff.
13. Raversbearen. Aas dem Schatt der im vorigen Jahre, be-
schriebenen römischen Villa erhielt ich nachträglich den Terra-Sigillata*
Stempel PECVLIA FE, den Schnermanns 4256 ans Mainz anfahrt.
E. aas'm Weerth,
14. HQgelgr&ber im Sponheimer Walde. In der Sitzung der
Niederrhein. Gesellschaft vom 16. Juli 1877 berichtet Prof. Scha äff hausen
Aber die auf der Berghöhe zwischen Nahe und Rhein in den Gemeinde-
w&ldem von Sponheim, Mandel, Bitesheim, Weinslieim, Langenlobnsheim
noch zahlreich vorhandenen germanischen Grabhügel. Im Sponheimer Walde
liess sich an 2 Gruppen dieser Gräber feststellen, dass immer 3 Hügel in
einem regelmässigen Dreieck standen ; von diesen waren 2 in der Richtung
von N. nach S. orientirt. Eine gleiche Beobachtung hat bereits Wächter
gemacht, vgl. Hannoversches Magazin 1841, No. 84.
15. Trier. Die Trierische Zeitung vom 25. März 1878 schreibt:
In Oberweis bei Bitbarg ist in den letzten Wochen auf Kosten des hiesigen
Provinzialranseums eine römische Villa aufgedeckt worden. Dieselbe liegt
auf einem der die Prüm westlich einfassenden Hügel 320 Meter nördlich
von der Kirche. Die Villa, deren Front nach Süden gewendet ist, besteht
ans einem 60 Meter langen und einem 16 Meter tiefen Mittelbau und zwei
etwa 1 2 Meter breiten Seitenflügeln, welche um 10 Meter über die Mittel-
facade hervorspringen. Unter allen in den Rheinlanden bis jetzt aufge-
deckten römischen Villen steht das Gebäude nur dem Nenniger an Um-
fang nach.
Die Mauern sind meist noch gut erhalten; ia den am Abhänge des
Hügels gelegenen Theilen des Gebäudes stehen sie noch zwei Meter über
dem alten Estrich. Aber die ursprüngliche Anlage hat unter einem spä-
teren Umbau, der in die spätrömische oder vielleicht in die fränkische Zeit
fallen mag, stark gelitten, und an vielen Stellen war es erst nach Abbruch
der obem Mauern möglich, die darunter liegende ursprüngliche Anlage
wiederzufinden.
Die ganze südliche Front des Mittelbaues nimmt eine grosse Halle
ein. Die Wände derselben waren mit gewandt gemalten Amoretten geziert,
von denen einige Bruchstücke noch in gutem Zustande sind. Hinter der
Halle befinden sich die Wohnzimmer. In zwei derselben liegen noch Mosaik-
böden, welche beide durch später aufgesetzte Mauern in der Mitte zerstört,
im übrigen aber gut erhalten sind. Der eine Boden ist von schlechter
Technik, das Master einfach : auf schwarzem Grunde weisse Sternchen, nur
186 Miaeellen.
in der Mitte ein Quadrat von bnnten Ornamenten. Der andere Boden dar
g^^en hat hoben Werth. Er ist von ausgezeichneter Arbeit und zeigt auf
weissem Grunde Fische und Vögel und Btilisirte Blumen mit Steinchen aller
Farben, welche eine getreue Natnrnachabmung fordert. In dem Zimmer,
wo dieser Boden liegt, ist auch die Wandmalerei noch etwa einen halben
Meter hoch erhalten: sie stellt Blumen und Fröchte dar. — Auch die De-
koration der anderen Zimmer lässt sich meist noch erkennen; in der Art
der pompejanischen Dekorationsmalerei sind die Wände, deren Grundfarbe
sehwjurz, roth oder gelb ist, durch aufsteigende Streifen in Felder getbeilt.
In den Nebenflägeln lagen die Schlafzimmer, sie sind gekennaeichnet
durch die Heiaeinrichtungen; im östlichen Flügel befinden sich ausserdem
noch ein Keller und Wirthschaflsräume: hierselbst ist ein Backofen Ton
guter Erhaltung von besonderem Interesse. Neben dem östlichen Flügel
li^^u die Badeanlagen.
Um diese Ausgrabungen hat sich Herr Pastor Orth ans Wismanna-
dorf ein ganz besonderes Verdienst erworben, indem er zuerst die Anf>
merksamkeit auf die betreffende Stelle gelenkt und mit grosser Umsicht
die Voruntersuchungen geleitet hat. H.
IG. Wir lesen in der Konstanzer Zeitung vom 16. Februar 1878 aoa
Ueberlingen. Der unermüdliche Pfahlbauten- EIrforscber unserer Gegend,
Herr Ullesberger, hat auch in den letzten Jahren, trotzdem die Wasser-
stande des See's nicht besonders günstig waren, seine Untersuchungen fort-
gesot/.t und mauolie Fundstücke aus den Pfahlbau-Stationen Sipplingen,
Nussdorf, Maurach, Untoruhldingen etc. erworben. Bei Sipplingen nament-
lich wurden in diesem Winter mehrere Artefakte aus Stein und Knochen,
Meissel. Beilchen, durchbohrte Aextcben etc. zu Tage gefördert ; ferner
Spinuwirtel aus Thou. Scherben von Thongeiassen. seltsam geformte Glas-
schorben mit lÄtchern und Schildern, endlich ein durchbohrter Höhlenbären-
zahn. Aehu liehe Getronstiinde aus der Sreinperiode fanden sich an den
andern Strttionen vor ; ausseid«m in UniernhKlingen Werkzeuge aus Bronze,
wie Nadeln, .\ii»reln etc. besonders erw;ihnen»weith i<t noch ein Beilchen
aus Jadeit von 4.;> cm. l.aniro, ;>."jr> cm. I>reite und 3.3-10 spez. Gew.,
welches — wie Professor Dr. Fischer von Freiburg in seiner Monographie
„Nephrit und Jadeit" schreibt — ..im Aeussern sich von allen andern be-
kannton Jadeiibeilchcn untei-scheidi t. indtui in dem licht^rasgrür.en Grunde
ausser den reichlichou, in Striemen angeordneten kleinen weissgelblichen
Fhvkeu noch auf seiner Breittlachc etwa 10 mehr oder weniger regel-
uiMssige. viel"- oder niebreckijje, meist oMoi'gw, trubgrüne oder schwärzlich-
griino Stellen »von einjiew achsenon HrvstaUen^ zeigt; diese Durchschnitte
Miioellen.
Bind vertieft in dorn sonst glatt polirten Grund bezw. nahmen keine Poli-
tur an."
17. .Schienerberg bei Wangen. Auf diesem Berge, welcher die
b«den westlichen Ausläufer des Unter- oder Zellersees trennt und der Insel
Beichenau gegenüberliegt, wurden L J. 1876 oder inoch etwas früher, an
einer Halde im Sand von einem Manne aus Wangen zwei Thonge fasse
ausgegraben: eine Yase, etwa 20 ctm. hoch, mit zwei Henkeln, auf der
einen Seite ein Tänzer, auf der andern eine Tänzerin, beide Figuren, wie
gewöhnlich, roth auf schwarzem Grund; sodann ein hohes Fläschchen mit
«ngcr Oeffiiung, aber breitem, horizontalem Rand, statt der Henkel auf
beiden Seiten nur Ansätze zum Halten. Von grösserem Interesse aber sind
neunzehn am gleichen Ort gefundene Gemmen, die in Gold gefasst
waren. Unter denselben zeichnet sich durch vortreffliche Arbeit ein Achat
(oder Gameol?) mit einem männlichen Kopf aus (1); dieser ist bartlos, hat
kiurz geschnittenes Haar, ziemlich gefurchte, ein reiferes Alter zeigende,
ernste, ruhige, fast milde Gesichtszüge; um die Schultern ist derObertheil
einer durch eine Fibula zusammengehaltenen tunica sichtbar. Ein Gott ist
es jedenfalls nicht, aber auch, soweit meine Eenntniss reicht, keine historisch
bekannte Person. Von den andern weniger gut gearbeiteten gebe ich ein
kurzes Yerzeichniss : 2 — 4) gelbe Glaspasten; 2) ein bärtiger Eopf, viel-
leicht Bacchus ; 3) jugendlicher, gelockter Kopf mit einer Binde ums Haupt
und einer Andeutung von Hörnern, also ein Satyr; 4) ein geflügelter Amor
ein Tropäon oder eine Priapusherme bekränzend. 5) und 6) blaue Glas-
pasten: 5) mit einer obscönen Sceoe, 6) mit zwei nackten männlichen Ge-
stalten, von welchen die eine (links) sitzend dargestellt ist, die andere
(rechts) stehend, mit einem Zweig in der Linken; beide scheinen in leb-
hafter Spannung nach rechts zu blicken (schlechte Technik). 7) und 8)
Lapis lazuli : 7) schreitender Amor, den Bogen spannend, 8) ähnliche Figur,
aber mit der Lanze in der Linken und einem Dreizack (?) in der Rechten.
9) Heliotrop (dunkelgrün mit rotben Punkten) : weiblicher Kopf, vielleicht
Isis. 10) — 12) drei kleine Köpfe auf einer künstlichen; dunkelfarbigen
Masse. Alles bisherige sind Intaglios; dazu kommen nun noch sieben
Cameen: 13) gelbe Glaspaste in Form eines Käfers, darauf zwei unten
zusammenlaufende Füllhörner, in der Mitte ein Schlangenstab. 14) in
weisser Masse ein männlicher Kopf mit stark gefurchtem Gesiebt und
krausem Haar. 15) ein kleiner Frauenkopf mit langen Locken, weiss auf
dunkler Masse. 16) sitzende, nackte, jugendliehe Figur mit Flügeln und
reichem Lockenhaar, mit der Linken sich aufstützend, mit der Rechten eine
Schlange am Schwanz haltend, welche aus einem Gefäss trinkt, weiss auf
188 Miscellen.
«
hellgelber Masse. 17) männlicher Kopf mit Schnnrrbart, stark gebogener
Nase and kahlem Vorderkopf (antik?) aus blaugrüner Masse. 18) nnd 19
Bwei winzige, nor 5 mm. hohe, jugendliche Köpfchen in hocherhabener
Arbeit, ans brauner Masse.
SSfnmtliche genannten Gegenstände, wozu auch noch ein Stück von
einem Pferdebügel gehört, wurden im Frühjahr 1877 vom Zeichenlehrer
Seder hier dem Finder abgekauft uud befinden sich jetzt im Rosgarten-
Museum in Constanz. Yon sonstigen römischen Fanden auf dem Schiener-
berg ist bis jetzt nichts bekannt. F. Hang.
18. Welschingen. In dem Berichte Leiners über die alemannische
Begräbnissstätte (Heft LX, S. 171) füge ich nachträglich hinzu, dass die
dort erwähnte Speerstange nach einer durch mich eingeschickten Zeichnung
yon Lindenschmit als Angon bestimmt worden ist, und zwar al.s das
best erhaltene BIxemplar dieser Waffe, welches bisher überhaupt gefunden
wurde. Dasselbe wird daher gegenwärtig im Römisch-germanischen Cen-
tralmusenm abgeformt und soll auch in den „Alterthümeru unserer heid-
nischen Vorzeit" bildlich dargestellt werden. — Aus der genannten Grab-
stätte kam aber auch noch eine Goldbracteate zum Vorschein. Dieselbe
befindet sich mit den andern Wolschinger Funden im Rosgarten-Museum
in Constanz. F. Hang.
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1. Band. 1. Buch: Zeus. Mit 14 lithographirten Tafeln nnd 17 Holz-
schnitten. Lex.-8. 1871, c/Ä^ 20.
2. Band. 2. Buch: Hera. Mit 5 lithographirten Tafeln und 6 Holz-
schnitten. Lex.-8. 1873. Jti 11.
2. Band. 3. Bach: Poseidon. Mit 7 lithographirten Tafeln und 5 Holz-
schnitten. 1875. ^ 11.
2. Band. 4. Buch: Demeter und Kora. Mit 4 Lichtdruck-Tafoln und
2 Holzschnitten. 1878. ^ 12.
Alle für iinsorc Bibliothek iinrl den Verein überhaupt bestimmten Sendungen er-
suchen wir, um Irrthümorn vorzubeiiffen. nicht an einzelne Personen, sondern an die
Adresse: Verein von Alterthuuisfronndon zulJonn, Coblonzor-Strasse 75, zu richten.
UnlversitätR-Bnclidruckerci von Cnrl OeorRl in Bonn.
JAHRBÜCHER
DES
VEREINS VON ALTERTHUMSFREUNDEN
IM
RHEINLANDE.
HEFT LXin.
HIT 5 TAFILN.
AUSGEGEBEN AM 20. ADGUST.
BONN.
GEDRÜCKT AUF KOSTEN DES VEREINS.
BOKir, BU A. MABCD8.
1878.
Inhaltsverzeichniss.
I. Geschichte und Denkmäler.
Seit*
1. Die romischen MiliiäntrasBen des linken Rheinufers, c. Von Cöln bis
Bingen. Hierzu Tafel I. Von J. Schneider 1
2. Der römische Grenzwall in Deutschland. Hierzu Tafel H. Von E. Hübner 17
8. Inschriftliches aus Heidelberg unter besonderer Berücksichtigung kel-
tischer Namen auf rheinischen Inschriften. Hierzu Tafel IH. Von
Karl Christ 67
4. Beschreibni^ der in der Hamburger Alterthumer-Sammlnng befindlichen
griechischen, römischen u. etruskischen Gregenstände. I. YonH-Dütschke 88
5. Komische Gläser, a. Altchristliche Goldgläser vom Rhein. Hierzu Tafel lY
und V. Von E. aus'm Weerth 99
6. Das Haus des Herzogs von Brabant zu Cöln. Yon J. J. Merlo . . . 116
n. Litteratur.
1. Die Chroniken der niederrheinischen Stödte. Zweiter und dritter Band.
Angez. von H. Düntzer 142
2. F. Kraft, Geschichte von Giessen und der Umgegend von den ältesten
Zeiten bis zum Jahre 1266. Angez. von Pfarrer Seeger 166
8. Friedrich Schneider, der karolingische Thorbau zu Lorsch. Angez.
von van Yleuten 168
in. Miscellen.
1. Besseringen: Funde. Yon Jost 164
2. Bonn: Kirchhof der alten Remigiuskirche. Yon Schaaffhausen . . 164
3. Cobem a. d. Mosel: Funde 166
4. Coblenz: Funde. Yon Schaaffhausen 167
5. Erbenheim: Fränkisches Todtenfeld. Yon demselben 167
6. Gohr: Ein fränkischer Steinbau. Yon Koenen 168
7. Gondorf a. d. Mosel: Funde 170
8. Köln: Die Marienkirche auf dem Capitol. Yon J. B. D. Jost. . . . 171
9. Limburg in der Pfalz: Ausgrabungen auf derselben 174
10. Mettemich: Funde in der Römischen Yilla. Yon Schaaffhausen . 176
Satte
11. Mittenberg: Berichtlgaspn eo den Jahrb. LX, S. 70 Itesprocheaeo In-
ichriften^ Yoa Carl Cbrtet .>...... ., t7fi
Erwidentng daraof von EofmÜi ürliohs . . , 160
12. Nettersbeimr Grabftmde. Von Seh a»ff hausen . . , ISl
19. Keaas: Bömische Gräber nordwestUch vom Münsterpktxe. Von Koeaea 181
14. Neuss: Eid Meravmger-Grab. Von demselben ,,.,...... 188
1£. Der Grenz^ttsi Obriuga tind die Einthetlung Genxi&nieiis. Yon Meblie 188
16. Trier: Bt. Weudeler Älterthiiiner-Saiiunlaiig dem Provinxi^- Mofieum
tibergehon. Ton Heitner * ...... .,.'..,. . 189
17. Wurtemberg : Altgarmaaisclifi JLti£g1^&Dädjpnl*DDd E&tdecknngeii in den
Jahren 1876 und 1877. Von Prof. Paulua . . . . 190
r?". Jahresbericht für i»t Tereinnjahr 1877 (resp. Pfiagstcai 1877—76) 190
Y, Venecidmm der Mi^Heder .*.....*.',,.,..... 90S
• I. : -. . / - . •
,A]Ia Ar unsere Bibliothek und den Verein überliatipt beBlimmten Setidtmgen
emiclißii wir, um Irrthümem vorÄubeugen , niofat ao eimaJne Personen, aondem
an die Adresse: Towi von Altortfaomelreaaid^ä sa Bonn, CoblenKK^Sü-asee 75,
KU richten. • . .*'
Beriohtignngen.
S. 16 Z. 3 T. u. lies: Angriff statt Aussicht.
S. 108 Z. 1 T. 0. lies: S. Gereon statt S. Ursula.
S. 141 füge am Schlüsse hinzu: J. J. Merlo.
L ÖeHchicIite und Denkmäler.
I. Die römischen Militärstrassen des linken Rheinufers,
c. Von Cöln bis Bingen.
Hiercu Tafel I.
Die römische Heerstrasse zieht von Cöln rheinaufwärts wieileruin
in drei Armen ^), von denen der mittlere mit der heutigen Chnuasee
bis Godorf geht; zwischen diesem Orte und Wcsseliug ist er von dem
etwas westwärts vorgedrungenen Rheine unterbrochen, und gf^ht dann
mit der Chaussee bis Widtlig, wo er bis nach Hersel vi>u dem jetzigen
Rheinlaufe nochmals durchbrochen ist. Von hier bis Bonn zieht die
Strasse mit der Chaussee weiter durch die Stadt bis etwa 1000 Schritt
vor dem Coblenzerthor, wo sie rechts ab über Kesspnich, Friesdorf,
Godesberg und Muffendorf dem Gebirge entlang durch die Ebene bis
Lannesdorf führt. Von da wendet sie sieh in sndliclifr lüchtung die
Höhe hinauf, wo sie eine siidwestliclie Richtung annimmt, und über
die Hüchfiäche an Gimmersdorf und Berkum vorbei bis Fritzdorf gelit,
dann aber in sadlicher Richtung nach Ahrweiler hinabsteigt. Hier
überschreitet sie das Ahrthal, zieht sich jenseits die Hohe hinan und
läuft in der Ijisherigen Richtung bis Ramersbach ; dann wendet sie sich
mit grosser Ge^chickiichlceit, nördlicli von lUasweiler, durch ein kleines
Thal die Höhe hinan in nordöstlicher Richtung bis Schalkenbacli, von
wo sie wieder südwestlich über Dedenbach und Oberzissen nach Glees
führt; von da über Wassenach bis Andernach behält sie die östliche
Richtung bei. Dann geht sie von Andernach durch das Rheinthal mit
der jetzigen Chaussee bis Coblenz, das sie etwas östlich der Mosel-
brQcke erreicht. Von Coblenz steigt die Strasse über die Kartliaus
1) In Cöln worden in der Umgebung der Severinakirche viele römiscbe
Gr&ber an der Strasse gefanden.
1
Die römtacben Militärstressen des linken Rheinafert.
auf flen IlunsrOck, führt über Waldesch, östlich an Udentausen vorbei,
durchscbneidet dann die Chaussee von Simmern nach Boppard, und
gellt fortwährend in südhcher Richtung über die Hochflüche, alle die
zahlreichen nach dem Rheine mündenden Thäler vorsichtig vermeidend,
westlich an Laudert vorbei über Kisselhach und zuletzt in südöstlicher
Richtung über Rheinböllen nach Bingen hinab.
Von Cüln bis Bonn ist die Cliaussee auf die Römerstrasse gelegt
und nur zwischeo Godorf und Wesseling, sowie zwischen Widdig und
llersel geht die Chaussee, der dortigen Rheiudurchbrüche wegen, in
einem westlichen Bogen, während die Strasse geradeaus ging. Von
Bonn bis Lannesdorf bildet sie einen alten Fahrweg, zuweilen . mit
sliirkeu Böschungen, der sich bei letztcrem Orte in einen tiefen Hohl-
weg verlängert und erst auf der Höhe fleutliche Kiesreste zeigt. Jen-
.seits des Wegweisers, wo sie das Dorf Liessem rechts liegen lässt, er-
scheint sie eine kurze Strecke als dammartiger Weg von 1 m Höhe,
und von Gimmersdorf bis Bcrkum als Hohlweg. Von dem letzteren
Orte rechts führt sie durch die Felder weiter als eine mit Gras be-
wachsene Vertiefung, bis sie alsbald in den Aeckern verschwindet; dann
aber erscheint sie, die Chaussee von Mehlem nach Meckenheim bei
Nr. 19, 2 durchschneidend, wieder als alter Grasweg und führt in
wechselnder Breite bis nach Fritzdorf. Von hier ist sie als Communal-
weg erneuert, und zieht dann als alter Fahrweg über Ringen in's Ahr-
thal hinab. Von Bonn bis hieher führt sie den Namen „alte Bonner
Strasse". Von Ahrweiler aus trifft man neben der neuen über Ramei-s-
bach führenden Strasse die Reste der alten im Walde meist als Hohl-
weg an; von letzterem Orte aber, wo die Römei'strasse in ein coupirtes
Terrain eintritt, zeigen sich den Abhang hinunter bis zu der Mühle im
Thale die Ucberreste eines der Strasse angehorigen Steindammes, wo-
von man auch einzelne Reste, nebst Kieslagen, zwischen Schalkenbach
und Dedenbach trifft; auch fand ich hier einzelne Haufen grösserer
Steine am Wege, die aus dem Strassendaanm ausgebrochen waren.
Zwischen Dedenbach und Niederzisseu ist der Steindamm der Strasse,
besonders auf der Haide in der Gegend des Rodder Maares, nebst der
Kieslage, auf längere Strecken deutlich erkennbar. Von Oberzissen
erscheint die Strasse theihveise nur mehr als Pfad, zwischen Glees
und Wassenach aber kommen wieder Reste des Steindarames zum Vor-
schein, während weiterhin bis Andernach nur ein Communalweg vor-
handen ist. Ebenso liegt von hier bis Coblenz die Chaussee auf der
Römerstrasse. In der Strecke von Coblenz bis Bingen bildet dieselbe
Jie röiDiacfae'i Militär Strassen des linken RheinuferB. S
meist einen alten Fahrwt'g; man gewalirt aber an mehren SteKen,
z. B. südwärts von Dörth und Hangenroth, den Kiesdamm deutlich,
auch liegen bei Dörth beiderseits des Weges die alten Strassengräben
in der liaide, und in dem nördlichen Theile besass die Strasse, nach
Mittheilung des Herrn Oberst Sehe ppe in Boppard, auch einen Unter-
bau von grösseren Steinen, Sie beisst in dem südlichen Theile „die
alte Strasse" oder „Heerstrasse", in dem nördlichen fdhrt sie den
Namen „Rümerstrasse".
Aus den noch erhaltenen Resten ergibt sich, dass die Strasse da,
wo sie durch die Uheiuebene und über tlache l'lateaus führte, nur
aus einem Erddammc mit einer oberen Kieslage bestand, wo sie
aber durch coupirtes Terrain mit starken Steigungen ging, ausser der
Kiesdecke, noch einen Unterbau ans grösseren Steinen besass.
Die Strasse ist in ihrer ganzen Ausdehnung von Alterthilmern
der verschiedensten Art begleitet. So kamen zwischen Cöln und Bonn
römische Funde bei Wesseling, Hersel und vor dem Cölnthor bei Bonn
wiederholt zum Vorschein; in Bonn fülirti' die Strasse durch eine grössere
römische Niederlassung und an der Südseite der Stadt ist sie von vielen
römischen Gräbern begleitet. Römische Alterthüraer wurden ferner gefun-
den bei Kessenich, Frifsdorf und Godesbcrg, und bei Dottendorf Hegt
eine Warte an der Strasse, bestehend aus dnera viereckigen von einem
Wassergraben umschlossenen Erdhügel ; ein dicht anstossendes Feld
ist mit zahlreichen Ziegelf ragmentcn bedeckt. F'ernere Aiterthiimsfuiide
an der Strasse wurden gemacht bei Ahrweiler, Schalkenbach. Ober- und
Niederzissen, sowie zwischen diesen Orten und Glees am lleidenkirch-
hof und bei Wassenach. Zu Andernach lag ein römisches Castell nebst
Ansiedlung, und in der Nähe der Stadt wurden viele römische Gräber
an der Strasse gefunden. Zu L'oblenz lag wiederum ein römisches
Castell nebst Ansiedlung, und von hier über den Huusrück bis in die
Gegend von Rheinbüllen ist die Strasse von zahlix'icben Schanzen und
Gräbern begleitet, von denen ein Theil durch den Obersten v. Cohausen
beschrieben, ein anderer in neuester Zeit von dem Obersten Schepi^e
in Boppard untersucht ist und hotTentlich bald verötTcnllicht wird^).
Der östliche Arm geht nahe am Rheine über Ba^'enthal nach
1) Jahrbb. XVm 27, VIII 174, XXXn 137, XXVI 1, 1»0, XXXVII 260,
XXXI 65, 113, XXV 207, XLI 183, LVni 205, 222, XV 224. Auf die Schanw
bei Dottendorf wurde ich durch Hm. KroisachnUnvpeotor Dr. R eine kons in
Bonn aufmerksam gemacht.
Die römischon Militärstrasaen des linken Rheinufers.
Rodenkirchen, folgt hier der Krütiimiing des Rheines, der ehedem emen
mehr westlichen Lauf hatte, über Weiss und Sürth bis südlich von
Godorf, wo er mit dem vorigen zusammenfällt. Von Wesseling geht
er wiederum eine kürzere Strecke mit der Rheiokrümmung bis Widdig,
dann mit dem vorigen Arme liis Hersel, wo er nach Graurheindorf ab-
geht. Bei letzterem Orte theilt er sich iu zwei Arme, die sich wieder
in Bonn vereinigen, und läuft dann mit der Chaussee bis 2500 Sehr.
vom Coblenzerthor, wo er links nach dem Rheine abgeht und an
Plittcrsdorf und Hängsdorf vorbei bei Mehlem mit <ler Chaussee zu-
sammenfällt bis nach Remagen. Hier geht die Strasse links ab nach
dem Rheine, überschreitet etwas westlich von Kripp die Ahr, und ver-
einigt sich etwas vor Niederbreisig wieder mit der Chaussee. Mit dieser
geht sie, südlich von Fornich etwas westlich abweichend, bis Ander-
nach, von wo sie wieder links nach dem Rheine abweicht und dessen
Krümmungen in geringer Entfernung bis nach Coblenz folgt. Voi
hier fällt die Römerstrasse bis na('h Bingen ihrer Richtung nach mit"
der Chaussee zusammen.
Von Bayenthal an erscheint die Strasse gegenwärtig als alter
Grasweg mit Kiesresten, ist vor Rodenkirchen ganz verschwunden und '
geht jenseits des Ortes als alter Weg mit Kiesrejjten, die sich auch
beiderseits in den Feldern finden, weiter, erscheint dann als dämm- ,
artiger Weg, hierauf nur als Grasrain, und zuletzt in den Feldern al^H
blosser Pfad bis Weiss. Von Hersei läuft die Strasse rtber die Höhe^^
zum Theil als alter Grasweg von wechselnder Breite und wiederholt
unterbrochen. Zwischen Bonn und Plittersdorf zeigt sie von der
„Ruine"' an sehr starke Böschungen, und erscheint sonst meistens als 1
alter Fahrweg. Aber sehr deutlich tritt der Strassendamm mit Kies-
resten jenseits Remagen in der Ahrniederung auf, wo die Strasse über
den Fluss setzt. Bei Andernach kam der Kiesdamm unter der Erde
zum Vorschein, und jenseits des Ortes gewahrt man denselben noch j
deutlich auch theilweise über dem Boden. Derselbe besteht hier aus
zwei Steinlagen, von denen die untere grössere zerschlagene Steine, die
obere feineren Kies enthält. Wo der Damm zerstört ist, sind die
Felder ganz, mit Kies oder gröberen Steiofragmenten erftlllt. Zwischen
Coblen/, und Bingen ist der Steindamm gleichfalls an mehren Stellen,
bei Coblenz, Oberwesel, zwischen Salzig und Hirzenach, im Boden auf-
gefunden worden.
Dieser Arm bestand aus einem Damme, der oben eine Kieslage
und darunter, wenigstens streckenweise, eine zweite Lage aus gröberen
M römiBchen Militäratrassen des linken Hbeinufen.
zerschlagenen Steinstücken besass; bei Bonn zeigte sich auch ein
Mörtelverband.
An der Alteburg, V'4 M. von Cöln, trifft die Strasse auf ein
römisches Lager, vou welchem zahlreiche Alterthümer im Boden
gefunden wurden. Nördlich von Bonn führt der eine Ann, an welchem
bei Rheindorf verschiedene römische Alterthumsreste gefunden wurden,
durch ein zweites Lager, während der andere unter dem Namen „Reiter-
weg" an der Westseite vorbeigeht; aurh führte die Strasse durch die
dortige römische Ansiedlung, und ist vor dem Coblenzertbor auf eine
lange Strecke von römischen Gräbern begleitet. Bei Rolandseck und
Oberwinter wurden römische Alterthümer gefunden, und in Remagen
lag eine grössere römische Ansiedlung. Rom. Alterthümer wurden ferner
gefunden zu Niederbreisig, auf Schloss Rheineck und am Budelberge.
Auch führte die Strasse an dem CastcU und der Ansiedlung zu Ander-
oach vorbei. Bei der Kapelle „zum guten Mann", gegenüber Neuwied,
lag ein drittes römisches Lager an der Strasse, die von hier bis Coblenz
an mehren Stellen vod Alterthümern begleitet ist. Zu Coblcnz ging sie
an dem dortigen Castell und der Ansiedlung vorbei nach dem Castell
und der Ansiedlung zu Boppard, und es finden sich weiterhin bis
Bingen viele Alterthümer an mehren Orten der Strasse, unter denen
besonders Salzig, Oberwesel, Bacharach und Trechtlinghausen zu nennen
sind ').
Der westliche Arm geht „am todten Juden" von der Chaussee
rechts ab durch die Felder, westlich an Rondorf und Berzdorf, ostlich
an Sechtem vorbei über Bornheim und Roisdorf nach Bonn, fällt dann
mit dem mittleren Arm zusammen bis V* M. westlich vqh Eich, wo
er rechts abzweigt und über die Hochfläche bis Miesenheim zieht. liier
überschreitet er die Nette, und geht über Kehrlich und Rübenach nach
Gfllz in's Moseltbal hinab, das er bei Lay überschreitet. Dann steigt
er die Hübe hinan und vereinigt sich nördlich von Waldesch wieder
mit dem mittleren Arm.
Die Strasse durchschneidet in der Nähe von Rondorf den nach
der Älteburg führenden Röniercanal, von welchem an dem dort ange-
1) Jahrbb. XXXVüI 168, XXXIX u. XL 387, XX 181, XXVII 145, XLVn
u. XLVUI 1 fi*. Ich wage nicht zu entacheidtio, ob dio unter der jel^igeu Cob-
lenzerstrasse 1 m tief im Boden Bufptefundeneii StrnssenreBto (Jahrbb. LY, LVI
243), die „ein schweres PÜaflter von Basallsteinen" zeigten, einer RömerstraBBe
oder aber der alten ehurfüratlicfaen Strasse angeliörtea.
Dia röanüdien MUiUmtnawn det Uaken Bbdnafen.
l^ten Fort riele Ueberreste gefunden worden sind, und bildet bald
einen alten Grasweg oder einen blossen Grasrain von wechselnder
Breite, bald einen Damm mit Kies und gröberen Steinfragmenten,
bald ist sie durchackert oder nur ein schmaler Pfad geblieben, bald
zeigt sie starke Bösebungen bis zu 2 m Höhe. Auch wo die Strasse
weiter aufwärts als Communalweg erneuert ist, wird noch die damm-
artige Anlage bemerkt Von Eich bis zur Mosel bildet sie einen alten
Fahrweg, der nach Röbenach zu öfters unterbrochen ist, zwischen
diesem Orte und der Mosel eine schöne dammartige Anlage von 1 m
Höhe hat, und jcnseit des Flusses auch wiederum Steinmaterial auf-
weist.
Nach den erhaltenen Resten scheint der Strassendamm bald eine,
bald zwei, bald auch drei Steinlagen besessen zu haben.
Bei Rondorf kamen römische Gräber und 1000 Schritt südlich
des Ortes römische Gebändereste neben der Strasse zum Vorschein;
bc! Berzdorf, wo mehre Gräber gefunden wurden, liegt westlich der
Strasse ein Warthiigel, und bei Sechtem wurden mehre römische
Gräber gefunden. Südlich von Eich helsst eine Stelle der Hochfläche,
über welche die Strasse führt, ,,der Burgberg", und ein in der neueren
Zeit dort errichtetes Gebäude ,,das Burgener Hans". Bei Eettig und
Kebrlich wurden Gräber aufgefunden und zwischen der Mosel und
Waldesch ist sie von mehren Schanzen begleitet *)•
Ausserdem sind noch drei Verbindungsstrassen zu erwähnen, die von
dem westlichen Arme auf dem Hunsrück nach Boppard hinabführen. Der
eine führt von der Hauptstras.«;e in nordöstlicher und nördlicher Richtung
links am Grosskopf und rechts am Müllerberge vorbei nach Boppard, und
von da der andere in nordwestlicher Richtung über den Kreuzberg und
durch die Walddistricte Hohesgalgen und Hellerwald auf die Haupt-
strasse zurück, während der dritte von Letzterer in östlicher Richtung
direct nach Boppard hinabgeht Die Kenntniss dieser Strassen ver-
danke ich der gef. Mittheilung des Obersten Scbeppe in Boppard, wel-
cher dieselben genau untersucht hat Ferner ist eine Zweigstrasse zu
erwähnen, die bei Rolandseck von dem östlichen Arme die Höhe hinan-
steigt uud über Bandorf, wo bedeutende römische Alterthümer gefun-
den wurden , und ünkclbach , wo römische Gräber zum Vorschein
kamen, nach dem Röhlerhof, die dortigen kleinen Thäler umgebend,
dann über Bodendorf nach Sinzig und Niederbreisig führt, wo sie sich
1) Jabrbb. XXXIX a. XL 375, XXVI 6, XXXVH 262, XXYIU 198.
Die römischen MilitärBtrasien dea linken Bkeinufen.
mit der Hauptstrasse vereinigt. Von Andernach endlich führte eine
• Verbindungsstrasse nach dem westlichen Arme bei Kehrlich').
Die Hauptverkehrsstrasse bildete anch hier, wie von Cöln rhein-
abwärts, der mittlere Arm, der auch das ganze Mittelalter hindurch
bis in die ersten Jahrzehnte unsres Jahrhunderts den Hauptverkehr
am Rheine auf sich eoncentrirte. Der östlicJie Arm, welcher sich stets
in der Nähe des Stromlaufes hielt, und daher allen Krümmungen des-
selben folgte, diente zur Sicherung der Rheinschifffahrt, die Anlegung
des westlichen Armes dagegen scheint zwischen Cöln und Bonn, wie so oft
am Niederrhein geschehen, durch die Neigung des Rheines, nach Westen
überzuöuthen und die dortigen Strassenstrecken ungangbar zu machen,
hervorgerufen zu sein. In der Strecke zwischen Eich und Waidesch
aber scheint er nur zur Abkürzung des Weges, um den über Cohlenz
gehenden Bogen abzuschneiden, angelegt zu sein. Interessant ist das
Vorkommen der drei Verbindiingsstrassen auf dem Hunsrück, um das
nahegelegene Boppard gewissermassen mit an die Strasse zu ziehen,
in gleicher Art, wie wir am Niederrhein ebenfalls drei Verbindungs-
wege von der Hauptstrasse nach Gellep kennen gelernt, um diesen
etwas abseits gelegenen Ort an die Strasse heranzuziehen. Die von
dem östlichen Arme bei Rolandseck über die Höhe nach Sinzig
führende Zweigstrasse scheint zu dem Zwecke angelegt zu sein, um
die Verbindung für den Fall wiederherzusteUen, wenn die Strasse unten
im Thale, die dem Strome ganz nahe liegen musste, da sowohl hei
Rolandseck als vor Remagen die Felsen sehr nahe ans Ufer treten,
von dem Rheine überfluthet und ungangbar geworden war.
Von dem mittleren Arme kannte der Oberstlieutenant Schmidt
die Strecke zwischen Cöln und Hersei, wo die heutige Chaussee auf
der Römerstrasse liegt; die Fortsetzung von da nach Lanuesdorf utnjl
über das Gebirge ist ihm unbekannt geblieben. Auch die Strecke von
Andernach bis Coblenz, wo die Chaussee wiederum auf die Strasse
gelegt ist, war ihm bekannt, sowie die Fortsetzung von Coblenz über
den Hunsrück bis jenseits Waidesch; von der ferneren Fortsetzung
aber bis Bingen hat er keine Spuren gefunden, und zweifelt an dem
römischen Ursprung „der alten Landstrasse", weil „sich im dieser
wenig angebauten und bewaldeten Gegend gewiss Ueberreste erhalten
haben würden, wenn es eine Rönierstrasse gewesen wäre ". Es erklärt
sich aber die allerdings einer so hewaldeten Gegend nicht entsprechende
1) Jshrbb. Lni u. LIV 100.
Die römischen MilitärstrasBen des linken Rheinufers.
geringe Zahl der noch erhaltenen Ueberreste einfach aus dem Um-
stände, da SS, bevor die neue Chaussee unten am Rheine angelegt war,
das gesammte Fuhrwerk zwischen Bingen und Coblenz auf dieser
Strasse ging, wodurch die alten Reste not h wendig sehr reducirt werden
mussten. Von dem östlichen Arme kannte Schmidt zwischen Cöln
und Boppard bloss die Strecke zwischen Hersei und Remagen; da-
gegen hat er das Dasein der Römerstrasse von Boppard bis Bingen
unten am Rheine unzweifelhaft nachgewiesen. Auch ist ihm das Vor-
hamlensein einer der Verbiudungsstrassen bei Boppard nicht entgangen,
nur glaubte er, die Uauptstrassc habe von Cobicnz über das Gebirge
nach Boppard geführt, wogegen Archivrath v. Eitester dieselbe unten
im Thale deutlich nachgewiesen hat. Der westliche Ann ist Schmidt
gänzlich unbekannt geblieben; dagegen hat bereits Oberst v. Cohausen
den vom Remsteckcr-Hof bis Waldesch reichenden Theil desselben
aufgefunden. Die durch das Lager bei Bonn führende Zweigstrasse
hat General v. Ve 1 1 h aufgedeckt und beschrieben. Bezüglich der von
Rolanriseck bis Sinzig führenden Zweigstrasse ist zu bemerken, dass
schon Dr. Rein eine von Rolandseck über das Gebirge führende
Römerstrasse vermuthet hat, ohne jedoch ihren ferneren Verlauf zu
untersuchen ').
Wenn wir nun die an den verschiedenen Strassenarmen gelegenen
Mansionen und Mutationen aufsuchen, so finden wir zuerst andern
mittleren Arme von Cöln aus die Ansiedlung Bonn als die erste
Mansion, und auf der Mitte der Entfernung liegt Wesscling, wo
römischo Altertliünier , namentlich die auf ein grösseres Gebäude
hiüweisonden Mauerreste nebst römischen Gräbern die zugehörige
Mutation deutlich erkennen lassen. Von Bonn aus finden wir die
zweite Mansion zu Ahrweiler, worauf die dort gefundenen römischen
Alterthümer hinweisen ; die zugehörige Mutation würde auf der Höhe
in der Gegend von Liessem zu suchen sein. Die dritte Mansion lag
zu Andernach, und auf der Mitte des Weges lag die Mutation bei
Ober- und Niederzissen, wo Reste römischer Gebäude gefunden
wurden. Von Andernach aus finden wir als vierte Mansion Boppard,
welches mit der Strasse durch Seitenarme verbunden war; die zuge-
hörige Mutiition lag zu Coblenz. Für die letzte Mansion Bingen
würde die zugehörige Mutation vielleicht bei Kisselbach zu finden sein.
An dem östlichen Arme von Cöln resp, dem Lager an der Alte-
1) Jahrbb. XXXI 65 ff., 113 fi., LIX 32, XXVD 146, XXVI 6, L u. LI 59.
Die römischen Militärstraasen des Itnlccn Rheinufers.
bürg war die erste Mansion das Lager am Wicheishofe, und die
Mutation, wie bei dem vorigen, zu Wesseling, Die zweite Mansion
war das Lager gegen über Neuwied, die zugehörige Mutation
lag zu Remagen. Für den bei RoUindseck abgehenden Seitenarm
lag die Mutation zu Eandorf. Die dritte Mansiüu war ßoppard
und die zugehörige Mutation lag zu Coblenz. Bei der letzten
MansioQ Bingen ündcD wir die Mutation zu Oberwesel. Bei
dem westücheu Arme lag die betrefl'ende Mansion, statt zu Ander-
nach, wahrscheinlich auf der HochHüche, wo jetzt das Uurgener-
haus steht 0-
Von den verschiedenen Marschrouten, die auf den verschiedenen
Strassenarmen möglich waren, sind vier in den römischen Ileisever-
zeichnißscn enthalten. Die Peutinger'sche Tafel hat folgende Angaben:
Agrippina
Bonnae XI
Rigomagus VIll
Antunnaco Villi
Confluentes Villi
Bontobrice VIll
Vosavia Villi
Bingium Villi
Es ist leicht zu sehen, dass diese Reiseroute auf dem östlichen
Strassenarm stattfand. Von Agrippina, Oiln, bis Bonna, Bonn, trifft
die Entfernuagsangabe der Tafel auf der Strasse zwischen dem Lager
der Alteburg und dem am Wtcheishofe gemessen, vollkomnieu zu;
ebenso die von Bonn bis Rigomagu?, Remagen; von Remagen bis An-
tunnacum, Andernach, sind der Tufe! entsprechend genau 9 g. M.,
and von Andernach bis Conäuentes, Cobleiiz, wiederum, auf unsrer
Strasse gemessen 2700 Sehr, = 9 g. M., wie die Tafel angibt. Von
Coblenz bis Bontobriee, Boppard, gibt die Tafel nur 8 g. M., wahrend
die Entfernung dem Rhein entlang l'/ag. M, mehr beträgt, daher mit
Schmidt anzunehmen, dass hier auf der Strasse über das Gebirge
gemessen ist, wo die Entfernung, mit der Tafel übereinstimmend,
genau 8 g. M. beträgt. Von Boppard bis Vosavia, Oberwesel, sind
26000 Sehr. = 8»/8 g- M., was mit der Tafel hinreichend stimmt, und
von Oberwesel bis Bingium, Bingen, 28800 Sehr, = 9^6 g. M., gleich-
fi&lls mit der Tafel hinreichend übereinstimmend.
1) Für die Route rheinaufvärts waren zuRemaffBD, Coblenz undOber-
WqmI gl«ichf&lla Manaionen.
10
Die römiachen Militärttrassen des linken Rbeinufen.
Das AotoDinische Itinerar bat rheinaufwärts folgende Angaben:
Colonia Agrippina
Bonna mpm XI
Antunnaco „ XVIII»)
Contiuentibus „ Vill»)
Vinco „ XXVI
Diese Roatc fand auf dem iDittleren Strassenarrae statt, mit Aus-
nahme der Strecke zwischen Bonn und Andernach, welche unter Be-
nutzung der Zweigstrasse von Kolandseck bis Niederbreisig, auf dem
östlichen Arme ging. Die Entfernung von 11 g. M. zwisdien Cüln
and Bonn stimmt mit der Tafel überein, ebenso die Entfernung von
18 g. M. zwischen Bonn und Andernach, gemessen auf dem östlichen
Arme und der bei Rolandseck abgehenden Zweigstrasse. Femer stimmt
nicht minder die Entfernung von 8 g. M. zwischen Andernach und
Coblenz, gemessen auf dem mittleren Arme, und auf dessen Fort-
setzung über den Huosrück die Angabe von 2G g. M. zwischen Coblenz
und Bingen, welche 80000 Sehr. = 26«/» g. M. beträgt.
Die dritte und vierte Reiseroute liefert das Itinerar in folgenden
Angaben von Strassburg nach Xanten rheinabwärtf :
Vingiu
Antunnaco mpm XXVIII'J
Baudobriga „ XVI III
Bonna „ XXII
Colonia Agrippina leugas ....
Man hat diese Route meistens übergangen, weil man nichts damit
anzufangen wusäte, donn hier steht Antunnacum (Andemacli) vor
Baudobriga (Boppard), während es in der Wirklichkeit erst darnach
folgt, und eben so wenig stimmten die Entfernungen. Wir haben aber
hier denselben Fall vor uns, wie zwischen Cöln und Neuss, wo auch
Duniomafius (Dormagen) vor Buruncum (Worringen) steht, während
in der Wirklichkeit das Umgekehrte stattfindet , und wir haben also
hier, wie dort^ offenbar zwei verschiedene Routen, die von einander
getrennt geben:
1) Die Zahl XVIl, welche die meisten Codices haben, stimmt für den öab-
lichon Ann; hier kann aber nur die Zahl XYIII, welche ein Codex hat, richtig
sein, da die Route nicht über Remagen ginK-
2) Die Zahl Villi, welche die meisten Codices haben, stimmt für den öet-
liohen Straasonarm.
3) Diese Zahl hat einer der ältesten und besten Codicee.
Die römiflohen Milit&rstrasMD des linken RboinuferB. 11
Vingio
Baudobriga Äntunnaco
XVmi XXVIII
Bonna
XXII
Colonia Aj2:rippina.
Die eine Route ging von BiDjiien auf dem westlichen Arme über
Andernach nach Bonn, die andere auf demselben Arme nach Boppard.
Die erstere führte also von Bingen über den Hunsrück nach Waldesch,
dann über die Mosel nach Gills, Rübenaeb, KetticL und Andernach,
hierauf von Andernach über Ahrweiler nach Bonn. Die Entfernung von
Bingen nach Andernach beträgt '.i3 g.M., daher statt XXVIII zu lesen ist
XXXIII; die Entfernung von Andernach nach Bonn beträgt 26 g. M., daher
XXII in XXVI zu verbessern ist. Die andere Route ging von Bingen
gleichfalls über den Hunsrück und auf dem Seitenarme nach Boppard,
dann auf dem nördlichen Seitenarme auf die Hauptatrasse zurück und
über die Mosel nach Rübenach, Miesenhcim und Ahrweiler bis Bonn.
Die Entfernung von Bingen nach Boppard beträgt, übereinstimmend
mit dem Itinerar, 10 g. M.
Von den drei römischen Lagern, welche an dem östlichen Strasscn-
arm lagen, sind uns ausserdem auch die Namen aus dem Alterthum
erhalten geblieben: in dem Lager der Alteburg stand der bekannte
Altar der Ubier, weswegen das Lager die Bezeichnung „Ära übiorum"
erhielt, und da es die Mansion für den östlichen Strassenarm war,
gleichwie Agrippina die entsprechende Mansion für den mittleren Arm
bildete, so fallen z. B. bei Tacitus die Mansionen „Col. Agrippina" und
„Ära übiorura" zusammen. Das Lager am Wiclielshofe führte, eben so
wie die in der Nähe gelegene Ansiedlung, bekanntlich den Namen
„Bonna" oder „Castra Bonnensia", und das Lager gegenüber Neuwied
wird von Ptolemäus unter der Bezeichnung „Legio Trajana" auf-
geführt.
Von dem Geographen von Ravenna wird unter den Ortschaften
zwischen Coblenz und Bingen noch ein Ort „Boderecas" angeführt,
worunter gememlich „Boppard" verstanden wird.
Aus den vorstehenden Ermittelungen dürfte sich zur Genüge er-
geben, wie nützlich ^^ ja nothwendig die Aufsuchung der noch
vorhandenen Strassenspuren für die Aufklärung uusrer alten
12
Die römiscbcn MUitärstrasaen des Unken Rheinufen.
Geographie ist, weshalb wir dieselbe auch bei dieser Gelegenheit den
Alterthuinsfürschei'n wiederum angelegentlichst empfehlen.
d. Scbluss.
Aus den in den vorigen Al>schnitten dargelegten Thatsachen er-
geben sich sein" bedeutsame Aufklärungen über das römische Strassen-
und Befestigungswesen auf der linken Rheinseite.
Während man bisher nur eine einzige dem Rheine entlang laufende
Heerstrasse im Auge hatte, finden sich in der Strecke von Bingen bis
Xanten hinab deren zwei, und streckenweise sogar drei vor. Die eine
derselben zieht sich von Dingen bis Coblenz dicht am Flusse entlang,
und weicht auch in der Strecke von Coblenz bis Cöln nur höchstens
einige hundert Schritte du von ab; ebenso schmiegt sie sich von Cöln
bis Xanten, mit Ausnahme einiger kurzen Strecken, durchweg dem
Flussr an, so dass sie in der ganzen Entfernung, von Bingen bis Xanten
hinab, fast all den zahlreichen Krümmungen des Rheines nachfolgt und
daher vielfache Umwege macht. Diese Strasse war hauptsächlich zu
militärischen Zwecken angelegt, unter denen insbesondere die Sicherung
der freien Schifffahrt auf dem Rheine hervorzuheben ist. Die zweite
in geringer Entfernung daneben her laufende Strasse hielt, unbekümmert
um die verschiedenen Flusskrümmungen, durchweg die gerade Richtung
bei und deutet ihren Zweck für den militärischen und bürgerlichen
Verkehr längs des Strontes deutlich an. Einen dritten Strassenarm
finden wir erst aus der Nähe von Coblenz bis in die Gegend von
Andernach, wahrscheinlich zur Abkürzung des Weges, angelegt. Häutiger
kommt dieser dritte Arm weiter rljeinabwarts vor, und zwar hier zu
dem Zwecke, wenn durch Ausschreitungen des Rheines die vorgenann-
ten Strassen ungangbar waren, den Verkehr auf einem höher gelegenen
und sicheren Terrain wiederberzustellcB. Wir finden einen solchen
dritten Strassenarm zuerst zwischen Sinzig und Rolandseck, sowie
zwischen Bonn und Cöln. Von letzterem Orte abwärts ist der dritte
Arm der so häufigen in dieser Strecke vorkommenden Rheindurch-
brüche wegen, ununterbrochen bis fast nach Xanten vorhanden, jedoch
so, dass da, wo eine Parallelstrasse die angemessene Richtung dar-
bietet, diese mittelst Verbind imgsstrassen zu dem angegebenen Zwecke
benutzt ist, wie wir dies zwischen Neuss und Xanten gesehen haben.
Wels die Bauart der drei Strassenarme betrifft, so ist dieselbe
nicht bloss bei den eiuzehieu Armen, sondern in den einzelnen Theilen
einer und derselben Strasse sehr verschieden. Auf ebenen Hoch-
Die römischen Militäratraseen des linkeu Rheinufers.
13
flächen, wie von Bingen über die Wasserscheiile de^ Hunsrück, zwischen
der Mosel und Andernach, sowie zwischen der Aar und der Gegend
von Bonn finden wir ebensowohl einen Idoss nus Sand und Lehm nuf-
geworfenen Damm mit einer einfachen Kiesdecke, wie in der Rliein-
ebene zwischeu Bonn und Xanten; dagegen besass die dem Rheine
zunächst gelegene Strasse, obgleich sie ebenfalls nur durch die Ebene
führte, von Bingen bis Bonn, wahrscheinlich wegen der Nähe des
Wassers, eine stärkere Besteinung, indem sich unter der oberen
Kieslage durchweg noch eine zweite Lage aus gröberen zerschlagenen
Steinen vorfindet. Wo aber die Strasse duich coupirtes Terrain zog,
wie auf dem nordlichen Ausläufer des Hunsrilck, und in der Strecke
zwischen Andernach und Ahrweiler, findet sich, aussser den beiden
genannten Steinlagen, noch ein unterer fester Bau aus grossen llruch-
steinen vor. Auch ein Mörtelverband erscheint abwechselnd bald an
dem einen, bald an dem andern Thcile der einzelnen Strassenarme;
jedoch sind die Fälle, ,wo derselbe fehlt, am häufigsten.
Betrachten wir nun die militärischen Anlagen, welche sich an
unseren Strassen aneinanderreihen, so zerfallen dieselben zunächst in
drei Classen: 1) Lager, 2) Castelle und 3) Warten. In der Strecke
von Neuwied bis Xanten finden wir nicht weniger als sechs grosse
römische Standlager, und zwar in der Entfernung eines Tagemarsclies,
durchschnittlich vier Meilen, neben einander: das erste lag gegenüber
Neuwied an der Kapelle zum guten Mann, das zweite am Wichels-
hofe bei Bonn, das dritte an der Alteburg bei Cöln, das vierte zu
Grimlinghausen bei Neuss, das fünfte auf dem Burgfelde bei Asberg
und das sechste auf dem Fürstenberge bei Xanten. Sämratliche Lager
befinden sich an der Hauptmilitärstrasse, die dicht am Rheine den
Krümmungeil des Flusses nachfolgte, und deuten auf eine hier ge-
legene Militärmacht hin, wie sie wohl im ganzen römischen Reiche
nicht zum zweiten Male auf einer so kurzen Strecke nachzuweisen ist.
Zwischen den Lagern befinden sich in geringern Entfernungen von
einander die Castelle, deren nach der Angabe des Florus mehr als
fünfzig von Drusus dem Rheine entlang angelegt waren. Man hat
diese Zahl öfters für übertrieben erklärt; aber nicht die Angaben des
alten Schriftstellers über die Zahl, sondern die Vorstellungen seiner
Interpreten über die Beschaffenheit dieser Castelle sind übertrieben, indem
man sich dieselben als solide in Stein aufgeführte Befestigungen, wie
wir die römischen Castelle aus der spätem Zeit am Rheine finden,
gedacht hat. Aber diese Castelle waren nur kleine und, wie alle von
14
Die römiscfacQ Mi litärstrauen d«8 linken Kheinufers.
Drusus dies- uml jenseits des RheiDes angelegten Fortificationen, bloss
aus Erde mit Holzwerk construirte Schanzen, die erst viel spater theil-
weise durch Mauerwerk verstärkt, dann auch zuweilen mit Ansied-
lungen verbunden wurden, bis zuletzt der ganze Complex durch eine
BefestiguQgsmauer eingeschlossen wurde. In ganz gleicher Art waren
die Warten nur kleine Erdscbanzen, die wahrscheinlich einen hölzernen
Thurra trugen, der vielleicht auch später zuweilen in Stein aufgeführt
wurde; wenigstens hat man hier und da solche steiiienie Wartthurme
am Rheine zu finden geglaubt, ohne dass es mir bisher gelungen ist, mich
selbst davon zu überzeugen. Unter den bürgerlichen Anlagen finden wir
eine grössere Colonialstadt, Cdln, und sonst nur Dörfer, von denen
einige, wie Bingen, Andernach, Bimn, Neuss und Birten in der letzten
Zeit der Kömerherrschaft zu kleinen Landstädten herangewachsen.
Sämmtliehe kleine Ansiedlungen verdanken ihre Entstehung haupt-
sächlich den Mansionen und Mutationen, mit denen sie verbunden sind.
Betrachten wir nun die rümischen Reiseverzeichnisse, in denen
unsre Strassen und Ansiedlungen enthalten sind; so begegnen wir
zunächst der sehr verbreileten aber irrigen Auffassung, dass die
Peutinger'sche Tafel eine Strassenkarte sei, welche den Lauf der
bedeutenderen Heerstrasseu darstellen soll, während sie doch nur eine
Anzahl von Reiserouten enthält, die auf sehr verschiedenen Strassen
stfitttindeii konnten und grossentheils stattgefunden haben. Dies tritt
sehr deutlich auch bei unsern rheinischen Strassen hervor. Die Reise-
route, welche die Tafel von Bingen deu Uheiu hiaab angibt, geht bis
Cöln im Ganzen auf dem östlichen, dem Rheine zunüchst gelegenen
Arme, lia sie über die Orte Oberwesel, Boppard, Coblenz, Andernach
und Üona führt, welche sämmtlich an diesem Strasscnarme liegen; von
Cöln bis Neuss aber führt die Route über den westlichen Ann, indem
die Orte Worringen und Dormagen, die an den beiden andern Armen
liegen, nicht genannt werden, und von Neuss geht sie auf dem mittleren
Arme über Asberg, indem sie die Orte Calone und Gelduba, die an
den beiden andern Armen liegen, nicht berührt. Da man in der Tafel
bisher nur eine einzige dem Rhein entlang führende Strasse sah, so
hat man nicht erklären können, woher es kommt, dass die Tafel die
vier genannten Orte, die doch in dem Antoninischcn Itinerar an dieser
Strasse aufgeführt werden, Obergeht; der Grund aber liegt offenbar
darin, dass die in der Tafel aufgezeichnete Route nicht über diese
Orte geführt hat. Das Antoninische Itinerar enthält die Reiseroute
der Peutinger'scheu Tafel nicht, dagegeu aber drei andere, die in den
Die römLachen Militäratntssen des linken Rheinufers.
früheren Abschnitten bereits angegeben sind. Indem man nun diese
verschiedenen Routen, die auf verschiedenen Strassenarmien stattfanden,
auf ein und dieselbe Strassenlinie verlegte, blieb es einerseits uner-
klärt, warum das Itinerarium die in der P. T. genannten Orte Vosavia,
Rigomagam und Asciburgium nicht enthält, und anderseits konnten
die Entfernungsangaben, die sich auf die an den verschiedenen Strassen-
armen gelegten Orte beziehen, nicht mehr auf diese an ein und die-
selbe Strasse gelegenen Orte stimmen. Daher kommt es, dass die
Itinerarien angeblich so viele Fehler enthalten sollen, die gevi'öhnlich
den Abschreibßrn zugeschoben werden, aber in ganz andern Umständen
zu suchen sind. Für völlig fehlerhaft wurde das Antoinnische Iti-
nerarium besonders da erklärt, wo die Reihenfolge der Orte mit
der Wirklichkeit nicht stimmte : wir haben aber gesehen, dass die Un-
richtigkeit wegfällt, sobald man die Orte nicht auf dieselbe Linie be-
sieht, sondern zwei verschiedene Routen darin erkannt werden. Wir
wollen bei dieser Gelegenheit eine andere nicht weniger verbreitete
Meinung zu verbessern suchen, dass nämlich die Itinerarien die an den
Strassen gelegenen Mansionen und Mutationen enthalten sollen. Dies
ist nur insofern richtig, als die dort aufgeführten Ortschaften zugleich
Mansionen und Mutationen enthielten, oder mit andern Worten, dass
diejenigen Mansionen und Mutationen, welche zugleich mit grösseren
Ansiedlungen verbunden waren, in den Itinerarien aufgeführt sind,
während alle übrigenj die bloss aus einigen Gebäuden bestanden, darin
fehlen, sowie in gleicher Art alle diejenigen Lager und Castelle darin
fehlen, welche nicht zugleich auch mit Ansiedlungen verbunden waren.
Die Itinerarien tragen daher einen hervorstechend geographischen Cha-
racter," indem sie nur die Namen der auf den Reiserouten gelegenen
Städte und Dörfer enthalten, ja wahrsdieinlicher Weise, soweit meine
Kenntniss bis jetzt reicht, überhaupt nur diejenigen Routen angeben,
welche über grössere Ansiedlungen führen, woraus sich erklären würde,
dass so viele andere Routen, die über nicht minder bedeutende lleer-
strassen ziehen, darin ganz übergangen sind.
Werfen wir schliesslich einen Blick auf die Gesammtheit der
rfimischen Anlagen, wie sie sich aus den schriftlichen Ueberliefcriiugen
und den aufgefundenen Älterthurasresten kundgeben, um uns ein Cultur-
bild von unserm linksrheinischen Landstreifen in der Römerzeit zu
vergegenwärtigen, so finden wir dicht am Strome in durchschnittlich
regelmässigen Entfernungen eine Reihe grosser Heerlager, zwischen
denen in geringen Abständen eine Anzahl kleinerer Castelle postirt
16
Die römischen Militärstrassen dea linken Rheinufürs.
war ; an den Heerstrassen aber treffen wir, wiederum in regelmässigen
Entfernungen, zunächst die Mansionen^ d. h. öffentliche Gebäude zur
Beherbergung der reisenden Staatsbeamten sowie der Truppen beim
Marsche, verbunden mit grossen Magazinen, Stallungen und Remisen;
dazwischen die Mutationen, d. h. öffentliche Gebäude mit den nöthigen
Vorkehrungen zum Wechseln der Pferde und Wagen '), Ein Theil dieser
Mansionen und Mutationen war mit kleineren und grösseren Ansied-
lungen verbunden, unter denen sich auch eine grössere 8tadt(Cö!n) befand.
Sämnitliche Anlagen aber waren von ihrer Entstehung an bis zu ihrem
Untergange einem stetigen Wachsthuni unterworfen : die Lager, ur-
sprünglich in Erde und Holz aufgeführt und in ihrem Innern mit
hölzernen Baracken versehen, erhielten alsbald steinerne Urafassungs-
niaucru mit Thürnieii und im Innern steinerne Gebäude; die Castelle,
im AoJ'unge blosse Erdschanzen, wurden später mit Mauern und
steinernen Gebäuden versehen, und in der letzten Zeit erhielten auch
die grösseren Ansiedjungen Umfassungsmauern und Thürme; die römische
Gobnialstadt aber erweiterte sich auf das Doppelte. Die römische
Culturentwickelung in diesem Landstriche beruhte demnach ganz auf
staatlichen Einrichtungen und hatte ihren Anfang in rein militärischen
Aulageo*). J. Schneider,
1) Zwischen zwei Munsionen la^en in der Regel, ausser der grösseren in
der Mitte, auch noch mehre kleinere Miitntioncn.
2) 4)ie gleiche Auffassung und die d&raus hervorgehende grosse Bedeut-
samkeit der methodischen Erforschung der Rümerstraasen diesseits der Alpen,
ist bereits in unserer „Äu ffo rderuug zur Betheiligung an der Revision
der Uömcrstrassen" im LVIJ. Heft der Jahrbücher ausgesprochen .worden.
Wir können es de-sshalb nur mit Freude begrüsBcn, wenn das Bonner Provininal-
museum, wie wir vornehmen, die Aufdeckung der grossen Heerlager auf dem
Ffirstenberg bei Xanten, am Wicheishof bei Bonn, und gegenüber Neuwied
an der Kapelle zum guten Mann in Aussicht genommen hat. Die im vorigen
Jahre begonnenen und in diesem Augenblick wieder in Aussicht genommenen
Bonner Ansgrahuugen werden stets nach Massgabe der zu Gebote stehenden
Grundstücke fortgesetzt. D. Red.
Der römische Grenzwall in Deutscblanrl.
17
2. 0er römische Grenzwall in Deutschland '),
Hierzu Tafel U.
Seit geraumer Zeit sind wir, Dank den eifrigen Remöliungen (1(t Römische Be-
englischen und schottischen Antiquare, wie des Henn John tk>llingwnodj^ß^j^^j^
Bruce in Newcastle und seiner Vorganger, some des verstorbenen
Generals William Roy, und Dank vor allem der Muniticenz englischer
Patrioten, wie der Herzöge von Northumberland und des Herrn
John Claytoü voo Ches.ters Hall, so genau, als vielleicht überhaupt
möglich ist , unterrichtet tiber die gewaltigen doppelten Grenzbe-
festigungen, durch welche die höchst unterrichteten und einsichtigen
Offiziere der Kaiser Hadrian und Antoninaa Pius die Provinz Britannien
von Meer zu Meer gegeu das liürdliche Bnrbarenland gesichert haben').
Die langgestreckten Anlagen, ein vollständig durchgeführtes System
von Wällen, Gräben, Thürmen, Thoren und gröfseren und kleineren
Castellen, zugleich defensiv und offensiv, ein Wunderwerk der mili-
tärischen Technik, sind wegen ihres einheitlichen Plans und ihrer gleich-
mäfsigen Ausführung vielleicht als einzig in ihrer Art zu bezeichnen.
Aber es fehlte doch nicht ganz an wenigstens annähernd ähtilichen
Grenzbefestigungsanlagfn in anderen Theilen des römischen Reiches,
welche zur Vergleichung herangezogen werden können. Die berühmte OrientaliBchB
chinesische Mauer, welche die englischen Antiquare, wie der vortreffliche
John Hodgson, mit dem Wall des Hadrian in England in Parallele
gestellt haben, ebenso wie die aus Xenophon bekannte, aber in Bezug
auf ihren monumentalen Charakter etwas zweifelhafte medische Mauer,
welche 'Mesopotamien zwischen Euphnit und Tigris abgeschlossen haben
soll, können dabei füglich ausser Betracht bleiben. Der alte Orient
hatte jedoch manche anderen Anlagen aufzuweisen, welche den späteren
Werken der rümischen Kaiser möglicher Weise als Vorbild gedient
haben können. Bekannt ist die Mauer, welche der ägyptische Kiiuig
1) Gin kurzer Abrise der nachfoljsrrndoffriarleprung hi der arohäoloniftcbeii
Gesellschaft zu Berlin am 9. Deconber 1877, unter Vorlegung der nachher zu
erw&haendei) grofsen Kiepertachen Karte, vorgetragen worden.
2) Ich darf für allefl Detail über diese berühmten Werke der römischen
Befestigungskunsl auf die im Corpus inscriptiounm I.atimtrmn Bd. Vll (1873)
S. 99 ff. und S. 191 ff. gegebenen Ausführungen verweisen. Eiue auf nllga-
meincres Verständniss berechnete Sohildenmg derselben, ohne die Belege, ist im
Maibeft der dcuiachen Rimdscbau von diesftm Jahre (1878) S. 221 FT. erschienen.
Mauern
18
Der römische GreazwsU in DeutaoUand.
Africa
Sesostris (Bamses H.) von Ileliapolis nach Pelusion, fünfzehnhundert
SUuiion laut;, gegen die Einriillv von Osten her erbaut hatte*). Aul'
dein Wege von Syene nach l'hilae, an der südlichen Grenze Aegj-ptens,
läuft den Fluss entlang im Thale eine Mauer uus ungebranuten Biick-
Bteinen ; sie ist etwas mehr als zwei Meter breit und stellenweise nod>
in einer Höhe von vier Meteni erhalten. Für eine Anlage der römi-
schen Zeit, und 2war zum Schutz der Grenze, hielt sie der Engländer
James Yates*). R. Lepsius, dem ich die genaueren Nachweisungen
über diesen eigentbünilichen Bau verdanke'), glaubt dagegen mit den
älteren Reisenden, dass diese Mauer nur zur Sicherung der Stra&e die
Katarakte entlang gedient habe, weil man auf dieser Strafe die
Waaren zu Lande transportieren rausste, während sie unter- und ober-
halb derselben zu Wasser gingen; Wachen, am nördlichen sowie am
südlichen Ende der Mauer aufgestellt, schützten dann die den Fluss
entlang geführte Strafse hinlänglich gegen Ueberfülle. Feber das Alter
der Anlage ist nichts bekannt; dass sie bei Strabo nicht erwähnt wird,
beweist jedoch nicht, dass sie jüngeren Ursprungs sei als die Zeit, in
welcher er schrieb (die des Tiberius); eine Auslassung solcher Art ist
bei diesem Schriftsteller keineswegs auffällig. Auch in anderen (iegen-
den des Ostens gab es gewaltige und ausgedehnte Befestigungsanlagen,
wie der von Antiochos Soter erbaute Grenzwall der Margiana") und
eine Mauer von unbckannleni Ursprung im Kaukasus bei Derbend').
Mit Unrecht hat man geglaubt, auch die römische Provinz Africa sei
im Süden durch Wall und Graben gegen die Wüste abgesclüossen gt^
Wesen''), Es liegt dieser Annahme nichts That sächliches zu Grumle;
3) Nach dem Zeugnisse bei Diodoros I 57.
4) In der unten (Anu. 14) zu npnnonden Ahhandliionr S. W (S. 10 der
deutschen Ueberaetzung) ; er berief sich dafür auf oitiudliche Angaben des jüngst
verstorbenen Aegyptolo^n Joseph Bonomi.
6) Er wird beschrieben iu der discription de l'L'gt/pteBd. 1 (Paris 1821 8.)
8. 6 f. und in G. Parthey 's de Philis insuln dusque monumeutis amtmcntatio
(Berlin 1830 8.) S. 9 f. Im Atlas der dhcription Inf. I und iu Ritters Erd-
kunde 1 S. 660 ijit die Mauer abg«bildet.
C) Naoh Strabu's Zeugniss XI 10, 2 S. 516 C.
1) Auf sie machte II. Kieport mich aufmerknam.
6) J. Yates hat diese Notiz nach den Angaben des vor einigen Jahren
in hobont Alter verstorbenen John Konrick von York in der oben sobon ange-
führten verdienstlichen Abhandlung niedergelegt. Damit sie nicht obno Prüfung
weiter verbreitet werde, gebe ich die von Amw uns jüngst entrisseneu (iu9tit%'
^Vilmauns mitgetheilte Berichtigung.
Der römüche Greazwall ia Deutachland.
19
sie scheint auf Grund eini},'er missverstan<lener Schriftstellerzeugnisse
UDil falscher Etymulugieeu nur in den Korden solcher, welche jene
Gegenden nicht aus eigener Anschauung kennen, entstanilen zu sein.
Aber auch jene ügyjdischen und persischen Bauten zeigen, soweit sie
überhaupt genuuer bekannt sind, nur sehr entfernte Analogieen mit den
romischen. Alle jene alturientalische» Anlagen sind nändich von diesen
wc^ntlich vorschieden. Sie waren säuimtlich, soviel ich .sehe, massive
Bauten au.s Stein ; auch die griechist-heri liefestigurigsbaiiten, soweit
ich sie kenne, trugen den.selben Charakter {•£. B. die langen Mauern
von Athen). Die rönii.schen Anlagen sind in ihrer Grundlage Erd-
WL-rke, hervorgegangen, wie wir das an den beiden britannischen Wällen
deutlich erkennen, aus dem röniisclieu Lager. Man kann sie füglich als
in die Länge gestreckte Lager bezeichnen, nur da.sb sie, statt vun allen
vier Seiten durch Erdreich abgeschlossen zu sein, au zweien, den kurzen
Querlinien, vom Wasser (Meer oder Fluss) begrenzt werden. Soersjchei-
nen sie als eine nationale, aus der römischen Kriegsweise hervorgegangene
Erfindung. Aus der neueren Kriegsgeschichte kann mau ihnen vielleicht
Wellingtons bekannte Linien von Torres Vcdras an die Seite stellen.
Im stidüchen Pannonien, in dem Winkel zwischen Donau und Fannonien
Theiss nördlidi von Peterwaidein^j, ebenso wie im nordlichen Dacien,
an der Grenze zwischen Ungarn und Siebenbürgen bei Porolissum •<'), Dacien
sind vermuthlich die rümisclien Castelle durch Wullanlagen unterein-
ander verbunden gewesen. Diese Anlagen zeigen schon eher eine ge-
wisse Verwandtschiift ndt dt;n britannischen Befestigungshnieu; aber sie
entziehen sich der Vergleichung, da sie bis jetzt nur ganz lückenhaft
bekannt siiid'V).
Allein mindestens zwei den britannischen ähnliche Anlagen, tlieil-
weise auch aus fast gleicher Zeit und mit, wie es scheint, völlig gleichem
Zweck, lassen sich ausserdem mit Bestimmtheit an den europäischen
9) Yates erwähnt, nach Angaben des Grafen Franz PuUaky, dieser
Anlage als auf einer grüfsen Strecke siidöttlich von Pent gegen Siiolnak hin, auf
der Wasserscheide zwischen den Flüsson Ktiriis und Maros, noch sichtbar; sie
föhre im Volkamund dea Namen <)rdöq drok und C}MTae{7} drok; das »ei so Tiel
als Teufelsmauor.
10) Vgl. C. I. L. III 867.
11) Dio biB jetzt bemerkten Rest« deraelhnn sind auf der Kart« zu C. I.
L. III von II. Kiepert verzeichnnt worden. Yates citiert (S. lül) eine knrze
SobilderuDg derselben aus dem Bucli von W- beattie the Danvhe (LoudoD
1644 4.) S. 228.
20
Der römiBche Grenzwall in Deutachland.
Grenzen des römischen Reiches nachweisen. Die eine jener beiden
Anlagen ist die in jüngster Zeit häufig genannte doppelte Befestigungs-
Hoesien linie In Moesien am unteren Donaulauf, in der heutigen Dobrudja»
zwischen Tonii-Constantia (jetzt Köstendje) und Capidava, einem römi-
schen Castell am südltciien Donauufer. Von der Ausdehnung und
Bedeutung der militärischen Aulagen der Homer in jenen Gegenden
beginnen wir jetzt erst nach und nach durch die dorther in steigender
Zahl bekannt werdenden inschriftlichen Ileste eine deutlichere Vor-
stellung zu erhalte» 5 an genauerer Kenntniss der Wallanlagen am
Germanien unteren Donaulauf fehlt es aber noch durchaus. Die andere jener
Anlagen ist der weit ausgedehntere Complex von Grenzbefestigungen,
in der That das grö&te überhaupt bekannte Werk der Art, welches
die beiden germanischen Provinzen sowie das nördliche Rätien gegen
die germanischen Feinde zu schützen bestimmt war. Wenn ich es
unternehme über dfu wohl nur Wenigen genauer bekannten jetzigen
Stand uQseier Kenntniss dieser letztgenannten Werke un diesem Orte in
zusammenfassender Kürze zu bertchten, so mag diefs eine Kntscliuldigung
auch darin fiitden^ dass in diesem Falle mit dem allgemeiucn sich ein
vaterländisches und speciell rheinläudisches Interesse verknüpft. Es
handelt sich dabei um ein historisches Denkmal von solcher Aus-
dehnung und Bedeutung, dass es sich wohl lohnt, die neben Rom und
Athen nach allen äussersten und entlegensten Enden der antiken Welt
gerichtete Äuiiiierksamkeit der Archäologen auch einmal auf diese
näherliegpnden hebnatlichen Gegenden zu lenken. Mich hat das be-
schämende Gefühl der Unwissenheit über diese uns räumlich nächsten
Ueberreste der römischen Welt, während so viel weiter entfernte fremde
Denkmäler, wie die englischen, uns so genau wie überhaupt möglich
bekannt sind, zunächst dazu geführt, mich über sie aus dem vorhan-
denen Material zu unterrichten, Ich darf wohl voraussetzen, dass
mit der nachfolgenden üebersicht auch für Andere etwas nicht Un-
nützes geliefert wird. Dazu verbindet sich mit der Geschichte der
römischen Befestigungsanlagen in Deutschland noch ein besonderes
historiHelies Interesse. Sie scheinen nämlich, wenn man von Caesars
doch immi^rhin verschiedenen Befestigungen des KhünelHufs und seinen
späteren Belagerungsarbeiten vor festen Plätzen absieht, die ältesten
uns bekannten römischen Werke der Art überhaupt zu sein. Zur Be-
zwingung unserer germanischen Vorfahren und zur Occupation der von
ihnen bewohnten weiten Länderstrecken sind die römischen Lageranlagen
zum ersten Mal in dieser Weise in die Länge hin vervielfältigt worden.
Der römiache Grenzwall in Deiitschtand.
21
Fast schon seit der Zeit, in welcher man überhaupt begonnen Vorarbeiten
hat den Resten des römischen Alterthums in der Heimat ein Interesse
zuzuwenden, also schon seit dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts,
ist man auch hier und da auf die besonders in Süddeutschland damals
noeh besser als jetzt erhaltenen StraTsen und Befestigungslinien auf-
merksam geworden, welche die grüfseren römischen Niederlassungen
daselbst mit einander verbantieu. Damit hat man denn die auch hier-
über, wie über alle ähnlichen Anlagen der Kaiserzeit, nur äusserst
spärlich erhaltenen Nachrichten bei den alten Schriftstellern und die
geographischen Daten zu comhinieren gesucht, und so ist eine — mit
einigen ohrenwerthen Ausnahmen — mehr umfang- als inhaltreiche
Litteratur über diesen Gegenstand entstanden. Diese ganze Litteratur
in erschöpfender und methodischer Weise auszunutzen hat noch Nie-
mand versucht. In übersichtlicher Kürze haben über die wichtigeren
Ergebnisse derselben zuletzt berichtet zwei deutsche und zwei englische
Gelehrte. Die Deutschen sind Friedrieh August Ukert, welcher im
Jahre 1843 in seinem Handbuch der alten Geographie") die germani-
schen Grenzbefestigungen verfolgt, und fa.st Rleichzeitig Adolf Baum-
stark in einem Artikel über das alte Germanien"); die Engländer,
welchen die Vergleichung mit den britannischen Befestigungen das In-
teresse an den germanischen gegeben hatte, sind James Yates**) und
12) Geographie der Griechen und Römer III 1 (Weimar 1843 S)S. 278— 85.
Ich gebe in den nacbfolgenden Aumerkungea eine Uebersicht über das Wichtigste
aus der auBgedehnten Litteratur über den germaniBchen LimcB, ohne dieselbe
eraohöpfen lu wollen. Ich vermuthe, daaa solche NachweiAungea nicht Wenigen
erwünscht sein werden, da es an einem Repertorium für dieselben durchaus Fehlt.
Auch das wäre eine dankenswertho Aufgabe, welche der Verein von Altortbums-
irennden im Rbeinlande auf sein Programm setzen soilte, wie er das Register
zn seinen eigenen Pubticationen in Angriff genommen hat: uns mit der Zeit eine
allgemeine Litteraturübersicbt, eine Regiatrandc, topographisch und sachlich ge-
ordnet, für die Alterthümer der Itbeintando zu schafTen.
13) In Faiily'a Beal-Encyklopädie Ili (Stuttgart 1844 6.) 8. 827—29.
Der Artikel »Pfahlgraben i in der Encyktopädie von Ersob und Gruber (Sect. III
Bd. 20, Leipzig 1845 4., S, 144 f.) von G. M. S. Fischer enthält nur eine gane
kurso Ueberaicht über die früheren Arbeiten.
14) In dem Aufäats on the Limes Shaeticus and Limes Transrhenanus of
ihe Roman Empire, publiciert in den Memoirs chiefly illustrativs of the History
and Antiquities of Northumherland , welche bei Gelegenheit der im Jahre 1852
zu New^castle gehaltenen JahresverBammluag dai Archaiological Institute ofGreat
Britain and Jreland in 2 Bänden (London 1858 8.) erschienen, Bd 1 S. 97 ff.
22
l>cr römisehe Gfenr,wall in Deutschland
William Bell"). Die Arbeit von Yates ist, trotz ihrer Kürze und
mancher augenfälliger Mängel, jedenfalls die weitaus beste über den
Wall als Ganzes, welche bisher existiert. Herr Yates, vor wenigen
Jahren in London in hohem Alter verstorben, hatte seine gelehrte Bil-
dung in Berlin empfangen und bewahrte BÖckh und Trendelenburg
als seinen Meistern ein dankbares Andenken. Der gelehrten Welt hat
er sich durch sein treflfliches leider unvollendetes Buch über die antike
Webekuust bekannt gemacht*«); dem Alterthum bewahrte er bis an
sein Ende (im J. 1867 habe ich ihn öfters in I^ondon gesehen) das
regste Interesse. Ausgehend von den Nachrichten tiber die seit dem
dritten Jahrhundert bekannten duces limifanei und die milites riparienses
und limitanei bezeichnet Yates zunächst als Zweck des germanischen
Limes zwischen Donau und Rhein die Umgrenzung des Decuraalen-
landes und giebt dann, auf Grund einer sorgfältigen Benutzung der
Speciallitteratur "), ein Bild seines urspriünglkhcn Zustandes (wozu er
die Darstellungen der Trajanssäule benutzt, in welchen die Truppen
Bäume fällen, um Pallisaden zu errichten, sowie die der hökernen
Wartthürme mit Fackeln und ähnliches) — Graben, Wall, Waldes-
lichtung — mit Profilen aus verschiedenen Thejlen der Anlage und
Ansichten der für römisch gehaltenen steinernen Wartthürme von
Sternsberg bei Sinsheim"), von Besigheim, die aber weit hinter der
Limeslinie liegen, und von Donau-Stauf bei Regensburg, welche er
vorsichtiger Weise für nichtrömisch, aber für theilweise auf römischen
(mit einer üeberaichtakarte), vom Vorfasser selbst ans dem in Doutachland
sehr Bflltenen Original ins Deutsche übersetzt und aus den Mittheilungen den
historischen YcrciDS für Schwaben und Neubnrg bes. abgedruckt (Augsburg
1858 8. mit einem K&rtchen). loh citiere im Folgenden nach dem englischen
Original, auch die Uebersetziiug ist sehr wenig bekannt.
15] In Charles Roach Sraith'a Cotlectanea antiqua IV (Lundou 1854 8.)
8. 210 ff.
lö) Texlrinum antiquorum, an account of the art of weaving amotvj ihr
ancienU London 1848 8.
17) S. 181 ff. giebt er ein noch immer brauchbares chronologisch geord-
notea Verreichniss der auf den Limos bezüglichen Schriften von Job. Just
Winkolmann's Beschreibung von Hessen {Bremen 1697 fol.) und Job. Alex.
Döderlein's aeludiatma historicum (Nürnberg 1728 4.) an bis auf seinen nächsten
Vorginger und Landsmann W. Bell (1854), der nur referiert.
18) Yates könnt ihn aus K. Wil helmi's Beschreibung im 1. — 12. Jahres-
bericht an die Mitglieder der Sinsheimer Gesellschaft zur Erforschung der vater-
ländischeu Denkmale der Vorzeit (Sinsheim 1831 — 46 8.) S. 45 ff.
I
W römische GreoEwall in Douischland.
Substructioiien erbaut '"), erklärt, währeml er die viereckigen Warten
auf der würtenihergischen Strecke mit Itec-fat für römisch liält, und
Bchiidert dünn, überall auf (Jniuii der altern Arbeiten und aus eigner
Anschauung, die Reste des Limes bis zur Ems.
ükert's und mehr noch Baumstjuk's Bericht ist ganz
suniniariseli gehiilten; etwas eingehender und zum Theil de insti ur-
thcilen die Kngländer, aber doch auch olme über das Thatsächliche
hinreichend unterrichtet zu sein. Seitdem, also seit über zwanzig
.lahren, ist kein Vorsuch ^^emacht worden, über das Ganze der Anlage
im Zusammenhange zu berichten. Inzwischen haben, wie natürlich,
nieist zufällige Funde, besonders bei Straföen- und Eisen bahn bauten,
nur in den seltensten Füllen ad hoc angestellte Ausgrabungen, manchen
unsicheren Punkt aufgehellt, manches Neue zu Tage gefördert, wahrend
andererseits die fortschreitende Cultur, wie überall, nivellierend gewirkt
hat und die schon geringen Reste von Jahr zu Jahr mehr bis zu
völliger Unkenntlichkeit entstellt. Um so mehr erscheint es geboten,
«ich zu besinnen auf dasjenige was man wirklich weiss, und Hand an-
zulegen an die Beschaffung des zur "Vermehrung der Kenntniss ni5thigen
Materials, ehe es überhaupt zu spät ist.
In der langen (Jrenzlinie des einst römischen Gebietes beider
Germanien und Rätiens nördlich von der Donau und östlich vom Rhein
lassen sich sechs Hauptabschnitte unterscheiden, welche in der
Hauptsache mit den alten Grenzen der Provinzen und den modernen
Territorialtheilungen correspondieren.
I.
Ich beginne im Süden an dem Punkte, von welchem aus die Bayern
natürliche Nonlgrenze der zwar nicht zu den germanischen gehörigen,
aber durch die gleichen strategischen Rücksichten mit ihnen eng ver-
bundenen rätischen Provinz, die Donau, wohl zuerst eine Verbindung
mit der natürlichen Ostgrenze, dem Rhein, erhielt. Dieser erste, der
grofsentheils bayerische Abschnitt des Grenzwalls, der seit dem
dritten Jahrhundert so genannte limes JlaetmtSy ist im allgemeinen
verhältnismässig am besten bekannt. Dank den aufopfernden Be-
19) Daas dicfs in der Tbat bei den rheinischen mittelalterlichen Burgen
vorgekooimea sei, hat der bndiache General Krieg von Hocbfeldcn in seiner
Geschichte der Miiitärarchitektur des früheren Mittelalters (Stuttgart 1869 8.)
«ahrsobeinlich zu machen gesucht.
24
Der römische Gruiizwall Id DeutschUnd.
niühuDgen einiger sorgFältiger Localforseher, wie des Dr. Anton
Mayer, dessen Arbeiten iu die beiden ersten Decennien unseres Jahr-
hunderts fallen -*>), und vor allem Dank der genauen Aufnahme vieler
Reste der römischen Befestigungen in die topographischen Karten des
bayerischen Generalstabs, deren betreffende Abschnitte in den droissiger
Jahren ausgeführt worden sind. Der Wall ist auf dieser Strecke
oft mit einem gemauerten Kern von Gusswerk stellenweis noch in der
Höhe von drei bis fünf Fufs erhalten, der etwa fünfzehn Schritt davon
liegende Graben ist durchschnittlich zehn Fufs breit. Von der für die
ganze Anlage charakteristischen Pallisadenreihe ist natürlich keine Spur
mehr vorhanden. Er beginnt südwestlich von Regensburg, südlich vom
Einfluss der AltnUihl in die Donau bei Kclh'eim, und schreitet rler Haupt-
sache nach in stets westlicher Richtung fort, in einer Bogenlinie von
der Ausdehnung von etwa dreiundzwanzig deutschen Meilen. Bei Kipfen-
berg schneidet er die Altniühl und geht über Weissenburg und
Gunzenhausen, wo er seinen nördlichsten Punkt erreicht, weiter im
würtembergischen Gebiet nördlich hei Aalen vorbei, bis er unweit Lorch
und Welzheim plötzlich die westliche Richtung verlüsst, um in beinahe
rechtem Winkel zu der bisherigen Richtung nun von Süd nach Nord
zu gehen. Hier also, an der Grenze der beiden Provinzen Rätien
und Obergermanien, nicht weit vom Hohenstaufen, beginnt der zweite
Abschnitt der Befestigungslinie, der erste der eigentlich germanischen
Ostgrenze.
Der architektonische Charakter der Anlage — Graben, Pfahl-
reihe, Wall uml dahinter Thürrae und Castelle, aber keine fortlaufende
Mauer au£ Stein, ähnlich als».» dem Walle des Pius in Schottland, nicht
dem des Hadrianus in England — scheint auf ihrer ganzen Aus-
dehnung, wenigstens bis zur Sieg, streng festgehalten zu sein. Nur
die nördlichsten rechtsrheinischen Strecken der Anlage weichen davon
ah. Dieffe ist ein Umstand, der für die Annahme der Planmäfsigkeit
und wesentlichen Gleichzeitigkeit der Anlage in ihrer gesaramten Aus-
dehnung natürlich schwer ins Gewicht fällt. Schon hier, in dem ersten
und wahrscheinlich auch der Zeit nach frühesten Abschnitt des Walles,
begegnet die später, besonders am unteren Rhein lauf beobachtete
20) Siehe bes. dessen genaue BMchruibung der uoter dem Namen dar
TeofeUmauer bekannlen Landeamarkung (aus den AbhaudluDgen der Müncbener
Akademie) 1 Abtheil unitec München 1821—38 4. Yates giebt 8. lU ff. eine
kurze Uebersicht über die Arbeiten dieses begeisterten, wenn auch nicht hin-
l&Qglich kritischen Forschers.
Der römiaahe Greazwall io Deutschland.
95
ErecheinuDg, dass nicht eine, sontlerii zwei und sogar mehrere wesent-
lich paralk'l laufcode oder in spitzeu Winkeln sich schneideiKic Linien
des Limes erkennbar sind. Ob hier gleichzeitige complicierte Anlagen
vorliegen (auch die Linie des Hadnanswails in England ist in ihrer
ganzen Ausdehnung eine doppelte) oder ob ein Vorschieben oder
Zurückrücken der Linie in verschiedenen Zeiten stattgefunden hat,
entzieht sich vorläufig noch durchaus unserer Beurtheihmg.
Die Befestigung ist auf dieser ersten Strecke, auf welcher sie
bekanntlich den Naraen der Teufelsmauer fuhrt, soweit erhalten und
auftindhar gewesen, dass sie danach ziemlich genau in die Karten
hat eingetragen werden könuen. Aber genau erforscht und syste-
matisch aufgegraben ist noch keines der gröfseren Castellc, welche
südlich von Wall und Graben gelegen, wiederum ebenso wie in
England und Schottland einen integrierenden Fiestandtheil der Be-
festigungslinie bilden, so wenig wie die Warttbürme und Ausfall-
thore. Hierauf aber beruht erst der wissenschaftliche Gewinn sol-
cher Untereuchungeu: aus Zahl und Lage der Castellc können erst,
wie es in England geschehen ist, ihre Naraen mit Hülfe der Angaben
in den Quollen, wie den Listen der Garnisonen in den sogenannten
Militärdiplomen, den Rcichsitinerarien, dem der sogenannten Peutinger'-
schen Tafel und dem antoninischeu , und dem Staatshandbuch , der
notitia digniiatum, festgestellt werden, zumal wenn iuschriftliche Funde
die gewonnenen Resultate bestätigen und ergänzen. Nur die genaueste
Beobachtung der Befestigungsanlagen, der Art des Mauerwerks und
der sammtlichen daselbst gemachten Funde schafft hier die nothwt'n-
dige Grundlage ; meist ist nur durch Ausgrabungen zu der erforder-
lichen Sicherheit zu gelangen. Mit daukenswerthem P^ntgegcukommen
hat die bayerische Regierung auf Ansuchen der Münchener Akademie
und besonders auf Betrieb ihres Mitgliedes, des Professors Wilhelm
Christ, seit einer Reihe von Jahren einen Münchener Gelehrten, den
Gymnasiallehrer Herrn Friedrich Ohlenschlagcr, bei der topographi-
schen Aufnahme der römischen Ueberreste, der er mit Förderung von
Seiten des militärisch-topographischen Bureaus all seine Müsse gewidmet
hat, und der damit verbundenen Ausarbeitung einer Karte der sogenannten
prähistorischen Funde im südlichen Bayern mit einer freilich nur sehr
unbedeutenden Summe unterstützt. Seine Vorarbeiten »^)* sind jetzt
31} Von welchen die HerAuagabe dreier römischer Intchriflon aas Pfiin»,
Denkm&ler der ersten Cohorte der Brouci, in den Bonner Jahrb, 43 (1867)
8. 147 ff. eine Probe bietet.
26
Dor röinisfhe tirenKwall iti lAuitnohlund.'
Würtom-
berg
(SO siiirieb er mir im Aupiust 187ti) soweit geclieheu, daas alles vor-
liegende gedruckte und handschriftliche iMaterial am gehörigen Orte
eingereiht ist; im Herbst 1877 ist das Dreieck Ulm-Augsburg-Donau-
W('irth nuch einmal genaiv abgesucht worden. Heber fünfhundert topo-
graphische Aufiialnnen, alle in dem gleichen Maafsstabe von 1 : 5<)0<\
machen es möglich, die einzelnen lieresligungen au die rechte Stelle zu
setzen und so ihren früheren Zweck erkennen zu la^'sen. Sechs gröf}<ere
Castclle (statira) ausser Ilegensburg (den licgina Castro) und Augsburg
[AugmUi Vinäelicum) hat Herr Ohlenschlagcr bis jetzt sicher er-
mittelt. Leider konnte keines derselben volli^tändig aufgegraben und
ausgebeutet werden; nur hier und da haben zufällige Funde von Zie-
geln der Triiiipentheilc, wie z. H. in Ilegensburg selbst, die Unter-
suchung gefördert "). Herr Ohlenschlager hat das bescheidene
tiefilhl, dass seine Arbeit den Erwartungen, welche mau von ihr hegt,
nicht ganz entsprechen wird; allein er bemerkt mit Reclit, dass das
mühevolle Stichen nach Material, welclies sie voraussetzt, und das er
theilweis duich zweckinäfsig eingerichtete und in jenen Gegenden ver^
breitete Fragebogen zu erlangen gewiisst hat, die Kräfte eines einzelnen
Mannes fast (Ibersteigt, und vor allem, dass ihm die Mittel gefehlt
haben, an den wichtigsten Punkten die Arbeit des Sammeins von Nach-
richten und des Anschauens der meist unbedeutenden erhaltenen Reste
durch Spaten und Schaulel zu ergänzen. Immeihin aber wird das
von ihm Gebotene unzweifelhaft alle bisherigen Arbeiten über den be-
zeichneten Tenainabschoitt des (.irenzwalls weit hinter sich lassen
und in seinen Resultaten auch l\ir die übrigen Abschnitte der Anlage
rnafsgebcnd sein.
IL
Der zweite grö listen Theils würtembergische Abschnitt be-
ginnt, wie gesagt, ungefähr mit jenem fast rechten Winkel, welchen
der Wall an der Grenze der rätischen und germanischen Provinz
bildet. Dicfs ist die Strecke, welche nach dem bekannten Zcugniss des
Ammianus Marcellious (XVIII U, 15) bereits im vierten Jahrüundert
als regio cui CapcUalii vel Palas nornen est bezeichnet wird ; Namen,
über die viel gestritten worden ist, deren Zusammenhang aber mit dem
noch heute üblichen des Pfahlgrabens, der schon in einem Weistlumi
23) lieber die Ausgrabungren in Regeaaburg, welche das Ostthor des Castellg
und eine daraiit* besügliche Inschrift des Kaisers M. Aurelius eti Tage gebracht
haben, berichtet Ohlenschlager in den Sitzangsborkbten der Mttnchener
Akademie vo« 1874 phil. bist. CK 3 S. 218 ff.
Der rAmisolie Grenzwali in Deutschland.
»
des Jahres 812 als Phal vorkoinnit, wohl feststeht. Auch für Würtem-
berg liegfn mancherlei sor^fültige Voruiliteitcn, besonders von Christian
Krnst Hanssei mann -•■'), Julius Leichtlen"), Fiiedr. von Stalin**),
J. A. Huchncr") und Kduanl Paulus"), vor. Der eben verstorbene
Paulus der Vater, der Verfasser der vuitreftlichen archäoloRischen Karte
von Würtoniherg, war es. dor im Jahri' li^<U den grön^teii Tliril dieses
Abschuittfs, eine Strecke von etwa vierzehn geographischen Meilen, von
der nördlichen Hohe des Remsthales bei Welzheim bis zum Main bei Freu-
denberf» im Spesshardt zu Fiifs beging und danach ihre fast schnurgerade
Richtung von Süd nach Nord, mit geringer Abweichung nach Nordwest,
ohne Winkel und Bogen streng eingehalten, über Berg und Thnl. durch
Wiese und Wald, behauptete. Diese Annahme stiess auf mannigfaltigen
W^idei-spruch; aber sie hnt sich bei erneuter Untersuchung glänzend be-
stätigt. Es ist den Bemühungen des Professor Herzog in Tübingen
gelungen, besondei-s naclulem er auf der Philolugenversanimlung in
Tübingen im Jalire 1876 einen darauf bezüglichen Vortrag gehatten
hatte**), die dortigen Staatsbehörden zur KewilHgung der erforder-
lichen Mittel für eine vollstäntiige topugrnphische Auhiahrne des in
würtembergisches Gebiet fallenden Theiles des Grenzwalls zu veran-
lassen. Am 22. August des Juliros 1877 ist in Stuttgart eine Coni-
mission zusammengetreten unter Leitung der Directoreu von Silcher
und von Riecke aus dem Finanz- und dem Cultusministerium. Sie
bestand aus den beiden Paulus, Vater und Sohn, dem Major Finck
von der kartographischen Abtheilung des würtembergischen statistisch-
topographischen Bureaus, dem Professor Hartmann von demselben
23) Deasen eiwu zopfige Bcbrifteo mit ihrem umsläadlicbua Titel 'Beweifs
wie weit der Komer Macht ti. s. w. auch in die nunmehrige Ost-Fränkische,
sonderlich Hohenlobische Laude eingedrungen u. a. w.' Schwäbisch Hall 1768
mit der Fortsetzung eheudaa. 177S kl. fol. noch immer nicht gane yeralttit sind.
24) In den Abhandlungen 'über die römischen Altertbümer in dem Zehend-
luide u. 8. w." und 'Schwaben unter den Römern' F'reiburg i. B. 1818 u. 1625 8.
25) Im ersten Bande seiner bekannten wirtembergischen Geschicble Stutl-
gmrt 1841 6.
26) J. Andreas Büchner'« lleiee auf der Tenfelsmauer Regensburg I — III
1818—1831 8., dessen Arbeit sich jedoch gröfstentheils auf die bayerische Strecke
besieht. Ilini, sowie J. D. G. tod Memminger's Beschreibung von Wnrtemberg
3. Ausg. Stuttgart 1843 8. S. 5 ff. ist Yatea S. 120 ff. besonders gefolgt.
27) Besonders in der Schrift 'der römische Grenzwall' ßimes transrhenamu)
vom Hobenstaufep bis zum Main Stuttgart 1863 8. mit Karte.
28) Bonner Jahrb. 59 (1876) S. 48 ff.
38
Der römische Grenswall iu DcutBchknd.
Bureftu, der in den Ortsurkunden Bescheid weiss, und Prof. Herzog;
dem Major Finck hat Oberst vüu Co hausen auf die Bitte der Com-
mission besondere Mittlieilungcn aus seinen Erfahrungen zur Ver-
fügung gestellt. Sie hat den ihr von Prof. Herzog vorgelegten Plan
der Arbeit angenommen. Im September ist der gröffeere Theil der ersten
Strecke, die südnördliche Linie von Lorcli im Remsthal (südlich von
Welzheim) bis zur badischen Grenze bei Jagsthausen, von der Coni-
raission begangen, vermessen und in die Flurkarten im Maafsstab von
1:2500 eingetragen worden. Im September 1878 soll das Gleiche für
die Strecke von Lorch bis zur bayerischen Grenze bei Thannhausen
geschehen. In einer Breite bis theilweis zu zwanzig Metern ist auf
diese Weise zunächst das Terrain der Befestigungslinie selbst und das
der filnf gröfseren Casfelle auf dieser Strecke festgestellt worden, Mit
Benutzung aller erreichbaren Daten aus Flurbüchern und anderen Ur-
kunden (der Grenzwall bildet, wie einst zwischen Alamanneo und Bur-
gundern , so noch heutiges Tages nicht selten die Grenze der Ge-
markungen), aus der Erinnerung alter Leute und jeder Art von Auf-
zeichnung soll dann eine topographische Veröffentlichung mit Terrain-
bild im Maafsstab von 1 : TiOOnO erfolgen nach vorhergehenden Aus-
grabungen, wo immer sie nöthig und möglich scheinen. Herr Herzog
hat über diese Arbeiten im würtem bergischen Staatsanzeiger"*) und
in Briefen an mich berichtet. So scheint also dort für eine sachgem&fse
Lösung iler Aufgabe ebenfalls ein guter Grund gelegt zu sein. Eines
der auf dieser Strecke liegenden Castelle, der alte vicus Aurelii, das
heutige Oehringen, ist bekanntlich von 0. Keller in einer besonderen
Monographie behandelt worden*"), der einzigen fast, welche bisher einem
Liraescastell gewidmet worden ist. Für die Aufhellung der Geschichte
29) Vom 7 Oktober 1877 No. 232 S. 1683.
80) 0. Keiler Viotis Aurelii uder Oehringen eur Zeit der Römer, mit
1 Karte, 2 Plänen. 2 Phnlotypiecn, 52 Lilhographieen und einigen Holzschnitten
(WinckelmannBprogramra des Bonner Vereins) Bonn 1871 4. Sie ist, aiifHer von
Anderen, besonders Buaführlioh hnsprochen worden von Hrrrn Carl Christ in
Heidelberg in dem Aufsatz, 'zur Geschichte des römischen Dekumatenlandes,
bauptMohlich der Gegenden dos heutigen wirtembergisohen Frankpos zur Romer-
zeit" in den Heidelberger Jahrbüchern 1872 8. 562—677, worin ein eigener Ab-
schnitt den rheinischen Grenzwall bebandelt |S. 567 (T.). Christ berichtet dabei
zugleich über F. Haug's römische Inschriften in Wirtembergisch Franken (Hetl-
bronn 1670 and 1871, bus der Zeitschrift 'Wirtembergisch Franken Bd. 8 S. 331 ff.
und Bd. 9 S. 148).
Der römische Grenzwall in Deutscbland.
29
des allmälichen Vordringens der römischen Besatzungen von der zuerst
befestigten Rlieinliuie zwischen dem Bodensee, E-5ftsel und Mainz, sind
neuerdings durch schweizerische Forscher werthvolte Beiträge geliefert
worden ")y Die Geschichte dieses das Dtjcuniateuland umgebenden
Theiles des Limes hängt mit der Erforschung der von jenen Castellen
am Rhein ausgehenden Strafsen natürlich auf das Engste zusammen**).
Für die kurze Strecke auf badischem Gebiete, welches der Wall
ungefähr von Jagsthausen in Wüitemberg an in iler Richtung von
Osterburken (Lopodunum) und Walldürn am Odenwald hin bis nach
Freudenberg in Bayern schneidet, ist, soviel ich weiss, noch keine neue
Aufnahme desselben erfolgt oder in Aussicht. Die Strecke ist neuer-
dings besonders in den* Buch des Staatsraths von Becker'^) be-
schrieben worden. Nützliche Beiträge zur Kenntniss der römischen
Niederlassungen und Strafsen snwie der Limesstrecke hat seit einigen
Jahren C. Christ geliefert**). Die im Herbst 1876 zu Wiesbaden tagende
Versammlung der deutschen Alterthumsvereine hat an die Regierungen
von Baden und Hessen rlie Bitte gerichtet, es möchten die hinter dem
Limes liegenfien römischen Befestigungen im Odenwald, die sogenannte
Mümlingalinie "J, neu untersucht werden, und zwar unter der Leitung
Baden
91) Ich meine z. B. dio Ahbandliing von Charles Morel über 'Castell und
Yicaa T&scactium in Rätien' in dun commentationes Mommaenianae ^Berlin 1877 8.)
8. 153 if.
82) In der Schrift von A. Pauly über den Strafsenzug der tabula Peu-
tingeraua von Vindoniaaa nach Sumlacenis und von da nach Regiuo (Stuttgart
1836 8..I ist dieser Gedanke richtig zu Grunde guiegt worden.
33) K. von Becker Geschichte des hadiachen Landes zur Zeit der Eümer
I.Heft Karlsruhe 1876 (69 S. 8.^ ohne Karte); dazu F. Hawg Bonner Jahrb. 68
(I876J S. 195 ff.
34) In diesen Jahrbüchern &2 (1872) S. 62 iT. 'datierbare Inschriften aus
dem Odeuwalde' (fortgesetzt ebendas. 62, 1878 S. 51 ff.) und in einem sehr oin-
gehendeu Aufsatz 'zur älteren Gencbichte des untern Neckarthals, besonders von
Wimpfou' in den Heidelberger JaLibücheiii 1872 S. 241 — 3<M, worin über Frohn-
bäuscr's Gi'schichte der Iteichastadt Wimpfeii (Darmxtudt 1870 8.) und eine
ansfölirliche Besprechung dieses Werkes durch 11. Bauer im IX. Bd. von ' Wir-
tembergi seh Pranken, sowie über A. von Lorent's Schrift 'Wimpfea am Neckar,
geschichtlich und topographisch dargestellt' (Stuttgart 1870 8.1' berichtet wird.
35J Eine augenscbeintich wenig genaue Aufnahme findet sich in dem Buch
ron J. F. Knapp römische Denkmale des Odenwalds u. s.w. Heidelberg 1813 8.
[2. Aufl. mit Zusätzen von U.E. Scriba Darmstadt 1854 6.{. Knapp,, sowie den
•jÄteten Arbeiten von Fr. Creuver («eit 1820, stehe diesaea deutsche Suhriften
30
Der römische Gronzwall in Deutachland.
des Obersten vou Cohausün; es* wäre hier hesonders wichtig aus
der Art der Anlaj^ieu selbst lestzustellen, ob sie älter nls die weiter
westlich gehende Limeslinie sind oder jünger- Die Luoeslinie selbst
wurde dabei zunächst nicht in Aussiclit genommen. Die .beideu He-
gierungen haben in der That zu diesem Zwecke die Summe von zu-
sammen 900 Mark bewilligt; auch sind Fragcbogeu auaii^esendet worden.
OberiStudienroth Wagner, der I.andesconservator der badischen Alter-
thümer, nimmt sich dem Vernehmen nach der Sache eifrig au; es
sollte im Lauf des September v. .T. eine ISegehung der bezeichneten
Linie stattfinden. An die auf batlischem boden erhaltenen oder voraus-
gesetzten lieste der römischen Zeit knüpft sich bukiinntlicli viel Streit.
An die Stelle der übertreibenden und kritiklosen Ueberschätzung aller
in Namen und Ueberlieferungen, in der oft zufälligen H(»denbeschaffen-
heit und in den uni)edcutendsten Funden liegenden Zeugnisse durch
F. Mone i.st jetzt kühle Negation und nüciiterner Zweifel getreten'").
Die zusammenhiingende Erforschung des Strafseunetzes und der Limes-
linien wird hier allein den richtigen Mittelweg zu zeigen vermögen.
In der Nähe des Odenwaldes mnss z. B. das unter Traian an-
gelegte Castell gelegen haben, dessen Ammianus Marcellinus in der
Schilderung vun Julians Feldzug gegen die Alamannen erwähnt"'');
vielleicht gelingt es auf dem angezeigten Wege seine Lage zu ermitteln.
Das neueste Heft die.ser Jahrbücher bringt unerwartete weitere
Beiträge zur Keuntniss der römischen Niederlassungen im OdenwahP"*).
Die MuralingsÜMic, oder die Linie tibernburg-Mudau, stellt sich hier-
nach immer deutlicher als eine Reihe einzelner Castelle heraus, welche
n> 2 DarraBtadt uni! Leipzig 18-16 8. S. 371 ff.) und J. W. Chr. Stoiner (üe-
Rchichte imJ Topographie iles Maiiigebieta uud S{>ea8arts unter den Römern,
Darmstadt 1834 8. und deaatilbou das System der römincheu Wehren ia An-
wendung auf das alte Neckargobiet in der Bergstrarse, Scligensladt 185Ö 8.| hat
Yates S. 123 ff. seine Schildorung dieser Strecke des Walls entnommen.
30) Man vergleicho dazu W. Hrambach Iladeu nuter lömiachrr Herr-
schaft Freiburg i. Br. 1807 (31 S.) i. mit einer lilhogr. Tafel, bos. S. lö.
37) XVll 1, 11 munintmtum qttod in Alamantutnnn nolo cotulüum Traianu»
suo nojninc voluü apptUari, Kb hiesa also vielleicht casUllum Ulpium,
3Bj Des Pfarrers Heeger in Seokmaucrn i. Ü. interessante Miltheilungen
über die römiacheu Bofüstigungen im Odenwald' in diesen Jahrb. 62 (I8TB)
S. ;^3— 43 und die darau ^i-knüplten Benn^rkungoa von C. Christ 'über die
Liniesfrage und die rümischeu Altcrtbümtir aus Obernburg uni Main ebeudtu.
8. 42—60.
Dor römiBcbe Grenzwall in Deittschland.
31
~mM\ durch eine Stiafi^e, nicht aber durch /usamtiu'nhiingcnde Wall-
anlajiun miteinander verbunden waren. Wenigstens scheint bisher eine
solche zuaamnienhäugende Wallanlage noch nicht nachgewiesen zn
sein, üeber Form und Alter der Caslello ist aus den bisherigen
Angaben noch kein sicherer Schluss zu ziehen. Dass die bisher in
ihnen, /. B. in Obernburg ■''•'}, gefundenen Inschriften, wie es scheint,
nicht ilber die Mitte des zweiten Jahrhunderts hinaufgehen, verbietet
keineswegs, die Anlage der t'astelle in weit ältere Zeit zu setzen;
sowenig wie das mit dem letzten Viertel des dritten Jahrhunders überall
fast ganz gleichmäfsig eintretende Aufliören in.sclniftlicher Zeugnisse
ohne Weiteres das Aufhüren der riimischen Occupation beweist. '
III.
Hier beginnt ein neuer, lUr dritte Abschnitt des Grenzwalls.
welcher nun statt der südnördlichen eine wesentlich weatliübe Uielitung
einschlägt, zum Theil sogar nach Siideu elubiegt. Am südlichen Ab-
hang des Vogelsbergs zwischen diesem und dem Taunus hin, am nörd-
lichen Abhang des grofsen Feldliergs, zieht sich die Linie zur Lahn,
welche bis zu ihrer Mündung iu den lUiein als die nürdliche (irenze
der ol)eren germanischen Pruviuz gilt. Von Freudenberg östlich von
Miltenberg bis etwa nördlich von Aschnffenburg scheint der Wall auf
der Wasserscheide des Spesshardt, wenig östlich vom Lauf des Mains,
und weiter ungeliihr bis Wirtlieini an der Kiuzig, östlich von Celn-
hausen, in einer Ausdehnung von etwa sieben bis acht Meilen zu laufen.
Dieser Theil d<'s Walls, die nächste Fort.setziing der würienibergischen
Linie auf hessen-nassauischem Gebiet, früher von Philip]) Dieffen-
bach*") und Karl Arnd*') untersucht, ist erst neuerdiugs zum Theil
etwas gründlicher erforscht worden"). In Miltenberg, in der Nähe
Hesscii-
Nnasau
39) Hofrath Kitlel's Gescbichto der Sladt Obornluirg (Obernburg: 1877 8.),
auf welohe sieb Christ befiehl, [&<;; rnir nncli niriit vor.
40) Pb. Dicffenbacb über AUerilmmcr in und um Friedberg Gieaacn
1829 8., Urgesobicbie der Wetterau, Aruhiv für hessische Geschichle und Laudus-
kuuiio 4. 1845 S. 1 tu.
41) K. Arud der Ffahli^raben nacb den neuesten F^orschungun und Eut-
deckuugou u. s. w. 2. Ausgabe Frankfurt a. M. 1801 8. Vgl. auuh Fh. A. F.
Walther die Altertbümer der hoidniscben Vorzeit innorhslb dua Grursbürzog-
thuma Häsacu Uairostadt 16G9 8.
42) Vgl. [A. Duncker u. R. Sucbier]dft<i Rümorcastell (0 utid das Todten-
feld in der Kinziguiederung bi^i Eückiu^cn, bcrausgeg. vom hanauiscben Bezirks-
32
Der römische Grenz'wall in Deutschland.
Rosaera
Werk
des Mudbaches und des Mains, sind vor drei Jahren die Reste eines
bisher unbekanuten Castells bei Gelegenbeil von Eisenbabnbauten zum
Vorschein gekommen, dessen innere Fläche auf 10 bis 12000 Quadrat-
meter berechnet worden ist. Die daselbst gefundenen epigraphischen
Denkmäler, wie die fast alter Castclle am Limes von Soldaten der achten
Legion oder der vierten Cohorte der Vindeliker herrrllirend, sind soeben
von L. Urlichs in Würzburg verötfentficlit worden*»).
Der erste Theil dieses Abschnittes der Grenzbefestigung, die etwa
sechs Meilen lauge Strecke von der Kinzig bis zur Wetterau, harrt eben-
falls noch einer auf Grund allef bisherigen Vorarbeiten **) auszu-
führenden genauen Aufnahme und Feststellung. Erst vom Thale der
Usa au, gegenüber von dein hessischen Dorfe Langenhain. unweit der
früher nassauischcu jetzt preussischen Grenze, beginnt die Strecke des
Limes, welche sich wie bekannt im Ganzen parallel zur 'Höhe' (oder
dem Taunus) und in ungefähr gleichem Abstand von demselben gegen
Norden in der Richtung von Ost nach West zieht. Auf diese Strecke,
weil sie zunächst dem Hauptquartier des obergermanischen Heers im
erslen Jahrhundert , nämlich Mainz, liegt, bezieht man mit einiger
Wahrscheinlichkeit die älteste Nachricht über den Limes, welche wir
Oberhaupt besitzen, nämlich die des Frontinus, der den Kaiser Domitiao,
welcher bekanntlich den Beinamen Germanicus führte, als den Urheber
desselben nennt *^); auch die bekannten Worte desTacitus") stimmen
verein für hesB. ße«ch. und Landeskunde (Miltheiilungen Heft 4) mit 6 Tafeln
Hanau 1873 8. Dazu J. Freudenberp Bonner Jährt. 65/6 (1875) S. 195 ff.
43) Bonner Jahrbücher 60 (1877) S. 60 ff. Dazu jetzt W. Conradi die
römiichen Inschriften der 'Altstadt' bei Miltenberg in den Annalen des Vereins für
na«sauische Alterthumskundc und Gpschichtsforschung 6 (1877| S. 341 — 405.
44> Welche in deu vorhergehe udcii Anmerkungen angeführt sind. Yatea
rühmte (S. 124) Dieffeobacb folgend don Fürsten von Solma-ßrauufels zu Oam-
bach bei Hiingen als einen der wenigen grofsen Gnindbesitzer, welche sich die
Erhaltung der Reste des Walls auf ihren Besitzungen angelegen sein lassen.
45) Frontinus strateg. I 3, 10 imperator Caesar Domitiant4S Auguatua, cum
Oermani more auo e aaUilms et ohscwis UUebrii subiwie impugnarent nostroa
iutumque regreasum in profunda siharum haberent, limitibus per CXX m. p.
actis non mutavit Tantum atatum belli, sed et subiecit diciom suae hoates, qnorvm
refugia ntulaterat. Richtig verwertbet hat die Nachricht Stalin wirteraberg.
Geschichte 1 (1841) S. 13f. Vgl. auch Brambach Baden unter römischer Herr-
schaft S, 5. Auch das interessante Fragment eines in Rom gefundenen Epi-
gramm« (C. I. L. Vi 1207; bezieht sich wohl auf Domilians germanische Siege.
46) Qermania 29 von den Mattiaci: protulit enim magnitudo populi Ro-
Der römische GrenrwRll in DeutsohlanfJ.
BS
damit tiberein, üeber diese Strecke ist bis jetzt die vollständigste
Untersuchung gefilhrt worden. Sie liegt, seit kurzem vor in dein Werk
des im Jahr 1876 verstorbenen Archivars Dr. Rössel von Wies-
baden *'). Mit treuester Benutzung der Arbeiten aller seiner Vorgänger
und der in mittelalterlichen Urkunden vom neunten Jahrhundert an
bewahrten Angaben hat derselbe zwei Decennien darauf verwendet,
den Theil des römischen Walls von dem angegebenen Punkte an der
hessen- nassauischen Grenze bis zum Thal der in die Ems sich er-
giessenden Aare (oder Arde, wie er sie nach urkundlichen Quellen
nennt) unweit Langenschwalbach , also eine Strecke von ungefähr
6\U Meilen, über die Höhen des Taunus hin in wiederholten Wan-
derungen zu begehen und mit Hufe verschiedener Techniker topo-
graphisch genau aufzunehmen. Vier Karten, im Maafsstab theils von
1:50(KX), theils von 1 :25ÜO0*'*), eine Reihe von Bituationsplänen und
eine Tafel mit inschriftlichen und anderen Alterthilmern aus einem
der r<5mischen Castelle, sind beigegeben. Besonders werthvoll und lehr-
reich sind die (ausser kleinen Situationsplänen) in grofser Zahl dem
Text eingefügten Holzschnitte mit Profitaufnahraen des Walles und
Grabens. Vier gröfsere Castelle, darunter eines der gröfsten und best-
erhallenen von den bisher längs der Linie des Walls gefundenen, die
bekannte Saalburg bei Homburg, fallen in diese Strecke, Als metho-
disch geschulter Archivar hat der Verfasser auch nicht unterlassen
mani ultra Rhenum ultraque veter ea terminos imperii reverentiam.
Tacitua netrX absichtlich statt des Naraens des Kaisars die anbestimmte Bezeich-
nung der GröfBe Rom«.
47) Die römische Qrenzwehr itn Tauimi von Dr. Carl Rössel, mit 64 in
den Text eingedrucitten Holzschnitten und X lithoKTapbirteu Tafelu, Wiesbaden
1876 (VI 129 S.) gr. Ö. Das Bach exialiert auch, nur ohne einige der Tafeln,
mit dem Titel Strafsburg 1872 j die Vorrede ist aus Strafeburg vom 1. Mai jenea
Jahres, dem Tag der Eruß'nitng der Reichsuniversität, datiert; acht Tage nachdem
der letzte Druckbogen von ihm corrigiert worden, starb der Verfasser.
48) Dieselbon sind erst nach des Verf. Tod fertig gestellt geworden. Daraus
erklirt sich wohl, daaa auf Tafel I, VII und X der Manfsstab gar nicht ange-
geben ist. Doch hat Tafi&l I augeuscheinlich den von Taf. IX, deren Fortsetzung
•ie ist, nämlich von 1:50000. Taf. X scheint den Maafsstab von Taf. Y,
1:25000, zuhaben. Bei deo übrigen SituatioDsplänen ainddie sehr verschiedenen
MaaTtiBt&be angegeben. Nicht alle Details Her Situntionspläne sind in die Karten
eingetragen; auch das würde der Verfasser sicher, wäre ea ihm vergönnt gewesen,
mit der ihm eigenen Sorgfalt durchgeführt haben. Ein kleines Versehen ist
auch, daüs der Holzschnitt Fig. 41, verglichen mit Taf. VI, verkehrt herum steht.
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Der römMdw Oranxwill in DeuUchlmnd.
Die
Ssalburg
die Weisthümer des Pfahls zu durchforschen: sie bilden, zehn an der
Zahl (Urkunden und Regesien), von S12 bis 1725 sich erstreckend,
den Schluss des Bachs.
Der Verfasser theilt seine Wanderung über diese Strecke des
Limes in zwei grö&ere Abschnitte, deren jeder wiederum in kleinere
Unterabschnitte zerfallt Der erste Abschnitt umfasst das Gebiet
zwischen den Flüssen üsa und Ems, der erste Unterabschnitt die
Strecke bis zur Saalburg (deren Castelle Kaisergrube, Ockstadt — ein
rundes Castell — und Capersburg noch der Klarstellung durch Aus-
grabung harren), der zweite die Schilderung der Saalburg selbst und
ihrer Umgebungen. Dieses bedeutendste der genauer bekannten römi-
schen Castelle am Limes zwischen Donau und Lahn — der Verf. be-
rechnet seinen Umfang auf 720 zu 480 römische Fufs, die Breite und
Tiefe der beiden es umgebenden Gräben auf rund 27 zu 9 und 24 zu
8 Fufs — wird, wie bekannt, nicht ohne einige Wahrscheinlichkeit
für das schon von Dnisus in dem FeUlzug gegen die Chatten im J. 10
V. Chr. angelegte Castell im Taunus gehalten **), welches wahrschein-
lich etwa zwanzig Jahre später nach der Varusschlacht im J. 9 n. Chr.
zerstört und sechs Jahre später (im Jahre 15) durch Germanicus des
Drusus Sohu wieder hergestellt worden ist***). Auch in den späteren
FeldzQgen gegen die Chatten, wie in dem des Feldherrn und Dichters
P. Pomponius Secundus vom Jahre 50, scheint seine Existenz voraus-
gesetzt zu sein *^). Dass sogar sein antiker Name erhalten sei ist
mindestens zweifelbait: denn die Vermuthung, es sei gemeint unter
49) Nach deu freilich sohr kurxeo und vieldeutigea Notizen bei IMo LIV 33
liaif rov Jgovaov . . txti tf g o rt ^tovnlng xa\ 6 'EUaoiy avft^fyyvmu ipQQv^öv tt
atfiHiiv tnitn^iaai xui liiigov tv Xtiiton /t»q mit^ ti^ '/>i}vy und 3C ü
^1(fovau( TiT lU^y (n&tnlich vom Gebiet der Chatten) txaxuiaf. rä ü tx^i^itjaoTo.
50) Tacitus ann. I 56 igitur Oermattiewi quattuor Ugiones qttinque auxiliaritim
müia tt tunntiluariae catffvas GermaHorum eis Rhenum colentivm Caecinat traiUt;
totiiifm legiones dupUcem sociorum numtrum ip$e üucit positoqu« eaatrllo
super vestigia paterni praeaidii (woran nichta zu ändern ist! in tnontc
Tauno expeditum exereitum in Chattoa rapit, L. Äpronio ad munitüme» viotum
et ftuminum relicto.
51) Die von ihm autfresendeten Truppen, Yangionen und Nemeter, k«hrea
«iegreioh zurück ad montan Tamium. itbi PotryMnius cumlegionibu» opperi^tatitr, n
Vhatti cupiditir ulcixcendt casiini pugnae pratberatt (Tacitus ann. XII 28 J. Doch wer-
den die Legionen nicht blofs in der Saalburg, sondern auch in den übrigen Castellen
der Gegend oder in eigena aufgeschlagenen Lagern dislociert gewesen sein.
Her römiicbe Grenewall in DeuUchland.
36
dem von Ptolemaeos (H 11, 29) unter den germanischen Städten zwi-
schen Maitiaxöv (Castel oder Wiesbaden) und Noialmor (Neuss) er-
wähnte "AQTctvyov stützt sich Dur auf den Zusammenhang des Namens
mit dem des Berg Taunus. Vom Casteilum Matttacum, dem Brückenkopf
Castel, Mainz gegenflber, führte eine schnurgerade römische Strafse
an die Nied, bei welcher die Reste einer antiken Brücke sichtbar
sein (oder gewesen sein) sollen und über Heddernheim, den Novus
Vicus, Nieder Ursel und Bouiiiiersbeim vorbei zur Saalburg. Es ist
ein besonderes Verdienst des Rosserschen Buchs^ daas es uns die erste
genauere topographische Aufnahme des Castells bietet. Die jüngst
zur Begrüfsung der vorjährigen Philologen Versammlung erschienenen
Arbeiten von Fr. Otto über das römische Wiesbaden") und von
K. Reuter über die römischen Wasserleitungen in dessen Umge-
bungen "), vervollständigen unsere Kenntniss der in jenen Gegenden
yerhältnissmafsig ausgedehnten römischen Cultur "*), über welche auch
A. Schierenberg einiges zusammengetragen hat"). Die Berichte
über daselbst gemachte Funde gehen bis in den Anfang des vorigen
Jahrhunderts zunick"®); aber erst seit dem Jahre 1854 sind durch
den (1867) verstorbenen Friedrich Habel von Schierstein, und seit
1871 durch den Obersten von Cohausen in Wiesbaden mit Unter-
stützung der Regierung regelrechte Ausgrabungen vorgenommen, aber
noch nicht ganz zu Ende geführt worden *'). Was man gefunden
52) Fr. Otto Gescbichte der Stadt Wiesbaden mit einem liistorisirbeD
Plane der Stadt, Wiesbaden 1877 (XII 179 S.) 8.
63) K. Reuter römische WaMerleitimgen in der Umgebung von Wies-
baden, Festwhrift u. 8. w. Wiesbaden 1877 (IV 73 9.) 8. mit 4 Tafeln Fol. und
einer Karte (zugleich der Aanaleu dea Vereins für naasauitche Älterthumekunde
lUid Qeachichtarorgchung b. Band 3. Heft 1876).
54) Eine üeberaicht des Inbalte» beider Schriftto giebt H. B. im Literari-
Boben Centralblatt 1878 S. 141, der ersteit Scbrift allein Jao. Schneider in der
Jenaer Literaturzeitung 1878 S. 23.
56) A. Scbierenberg, die Römer im Cheruskerlaude nach den unver-
fälschten Quellen dargestellt u. a. w. Frankfurt a. M. 1862 8.
56} Für die Geeohichte der Saalburgausgrabuugen kann auf die Mitlbeilangen
TOD 6. Stark in der archäologischeu Zaitnng 165& S. 2Gl*tt. und auf den kurzen
Bericht über zwei darauf bezügliche Vorträge von Prof. Jac. Becker in Frank-
furt a. M. Bonner Jahrb. 53/4 (1873) S. 303 f. verwiesen werden. Eine Schil-
derung des Walls bei der Saalburg gibt der verstorbene Albert Way in dem
Aufsatz von Yatos S. 125 f.
ö7) Soeben geht mir die übersichtliche Schilderung der Herren A. von Co-
der Vitte des
mä Gimad ttr du Pnetariaai UUt
bietet,
h&t -
GiSleUs,
Eumal die Aaigrateig nc^ beoidet vaidfco ist, mehr Bfttbsd tls
AufklirongeB. Kies aber bat sieb awh hiar devtikb geaoigt: dus
oinükh da« mit festes Meifw •berlieferte Schean des ftltpren wie
dee 8pil«ren römisfhe« Lagen**) darebaos aicbt auf das Erhaltene
pasit Es cupebt äA ▼ietandn* aadi Iner, wie ftbenU, dass eben nur
das Grandaebema ia MäaeB HaapttbeOeB (oblonge Fora, abgerundete
Ecken, vier Tbore, Wall ud Gcabea, I^acConwa nngdabr in der
Mitte, 0. s. V.), die 'allgeaeiaai Dieastforsrhriften' **) etagdiaUen, io
allea Einjedheilen aber Maate ud Farawa fr« den Bedfirfhiss und
den gcgebcacn VerbikwaBoi aagcpact winden. Dan kommt, dass
bei der Uatetsttchug der Hrttfbti Reste aacb Material und Aasf abrang
aich acboi j^«i auf das destiidiste die Aatekbew eiaes zwei- oder drei-
«allgea TiDigea Umbaas der ganna Anlage eigriien haben. Welchen
Petiodea dtese Tertaderaagca ■imiaeiiaa aeiea, kann freilich erst die
fiUlige Ao^rabug» Terbaadea mit den Folgerungen, welche sich ans
den gcackicbtlidien EreigBJssen im aflgeaieiBea and den inschriftlichen
Fttndea, besoadws des Lepsas- aad OobartansBabi ergeben, an-
aftherad feststellen, Aach Zotbataa ies iribea Mittsblters, an welche
die Fj-furscher oaserer beinalMcbca riaüsdiea Bauten nicht gern
druken, ln(k^luen sich dabei «akl benasstellen **}, aaalog den z. B.
auch Itei dorn on^h^cbea Orenzwall gemachten Beobschttugen. Von
besondeix'iii lulcrei^ik- sind die aosserhalb des Mauerriogs gefundenen
Anlagen, Wohauagea, Bftder, Griber: die conoftar der Legionen, aus
dert»n Vorliindunp mit dem Lager selbst hier jedoch nicht wie anderswo«*)
eitle förmliche Lagerstadt eatstaadea tsL Die Saalburg ist eines der
hau»«» u. h. J«eobi *dm» KteWOMtaU SmAwk iHombaig v. d. Höhe 1878 8.)
lU, walolra ttch »k ein Aussiaf mu dMK«Bft«r dar Praw« bafindliebeD gröfaeren
W«rk d«rMlb«a Ywhmat hmiiika* «ad die eraten gmmneu Pliae und Profile
de* CMiolb vMbi.
&8) ZuJ«lit darfoloft rou B. Ki»t«B ia mümb TeiDpIum (Berlin 1869 8.)
S. 3S ff.
btt) Vgl U. DrojMa dt« poljrbÜMiMlM L^gerbwirhreibnng commtmUUit
Mommmmmmtm (Bwüb 1877 8.) S SS ff.
fiO) t)«u(ao niolit »ucli di« Mokt «Bhea Ür die BefoiüguiigMjakgeo
Wftll N orkoiumauden N»mao 'Uof, BACbImn^ HäatacfcoT aad ähnliehe (S. 11&) auf
mittvlalterliolM BeDuUungf
til) VgL Th. Momin*«B die römiaolMO LagorattdU Sctnes I 1873
i^. ^üfi ff., 0. W 1 1 ta kn n ■ die rvu. LagvnUdt JLfric
s. lyoff:
DttT rSmiBche Grenzwall in Deutschland.
1fr
wichtigsten Denkmäler der römischen Horachaft auf deutschem Boden,
darchaus werth iJer öffentlichen und privaten Fürsorge, welche ihr bisher
zu Theil geworden ist, wenn auch Touristen durch die Unscheinbarkeit
der Anlage und den nicht hervorragenden Kunstwerth der dort ge-
machten Funde enttäuscht m sein pflegen.
Der dritte Unterahgchnitt des Rossel'schen Werks behandelt die
Anlagen auf dem Hochtauiius» von der Saalburg bis zur Ems. Einige
Ausgrabungen, zum Theil mit Unterstützung des Spiclpicbters Blanc
ausgeführt •*), haben neben der Linie des Walls selbst die Suhstnictinnen
von einer Keihe von Rundthürmen blofs gelegt. Herr Rössel ist
geneigt, diese und ähnliche Anlagen auf anderen Strecken des Walls
für vorröraiscbe Werke, ebenso wie die Schanze auf dem höchsten
Punkte des Taunus, dem Feldbcrg, fdr eine germanische Befestigung
zu halten. iMiin wird gut thun, hierüber vorerst noch jedes Urtheil
zu suspendieren: erst ein Gesamintüberblick über alle derartigen Be-
festigungsanlagen über möglichst ausgedehnte Gebiete hin wird die
nöthigen Anhaltspunkte zur Scheidung derselben nach Zweck und
Herkunft an die Hand geben. Von Jahr zu Jahr schwinden übrigens
diese Anlagen mehr und mehr: massenhaft ist der steinerne Kern der
Thürme zu Straffeen- und Wegebauten verwendet wurden. Dem Ver-
fasser entlocken solche zum Theil unter seinen Augen geschehene Vor-
gänge einmal den schmerzlichen Ausruf (S. 45): 'was unter solchen
Umständen in Zukunft aus unseren antiquarischen Studien werden soll,
mag Gott wissen!'. Am Feldberg schon zeigt sich wiederum die schon
erwähnte und noch später öfter wiederkehrende eigenthümliche Er-
scheinung, dass die Linie des Walls keine einfache ist, sondern eine
doppelte (wie bei Idstein) und zuweilen eine drei- und mehrfache (wie
zwischen den Dörfern Lenzhahn, Dasbach und Eschenhahn); sodass
an Stelle der gleichraäfsig fortlaufenden Walllinie mit ihren Thürmen
Qod Warten eine vielgestaltige Verschanzung mit kunstreich angelegten
Verbindungen tritt (S. 54, 73—87 ff.). Herr Rössel ist geneigt diese
coniplicicrten Anlagen für im wesentlichen gleichzeitig ausgeführt xu
halten. Auf sein Urtheil und das seiner ortskundigen Helfer, geübter
Vermessungsbeamten *^), ist gewiss in diesen Dingen viel zu geben:
62) Dertelbe hat nach der Angfahe Rodsera (S. 44) die Summe von 8800
Golden dazu beigesteuert.
63) Auch der VermeösongBinspector beim jjrofseu Generahtab Herr J. A.
Kaap^ert, dem wir die grorse topographische Karte von Athen verdanken, hat
sich im J. 1867 an den im Taunut) gemachten Aufnabmeo betheiligt (Roasel S. 82).
allein wo aeb dartBch tum tmiUkt TgBJnppr lug , da hinterer and vor-
derer Ffibl, wattnAatkm IftHt» BeBI dKfc die Yerarathnag nahe, dass
eB adi kier vm M%egib«e «der biiüiIi, epiter dasB aaf gflnstigerem
Terrain wiedeiieigBBleBte SOefce der DcAjIiitwB huitü^ Bei com-
pKdeitereB WaOaalics «ird liciKdi dn UitWfl wthmiai^a. Es ist
inlefeBBMt n fofelBBi «ie der Verihotr sticdBeaiicise, wo alle
S{>ureD des Walls aas der Ciia%« iliia des Bodev der grof^n Berg-
abhiage, aaf deaea er ädk knaog. vcnckvaadea aiad, dorch allerlei
ainarekhe IGltel die Uaie dfaofh wiedemeeviaaea veisB. Sorg-
Oltige Florfcaitea ia grotem ¥iiamak, «ie ii Wtiteailierg. acbeinen
IQ fehlen: aber mit Hilfe dar AdDerinBlaer, deaeo die Ersdieinang
wohl bekaoDt war , Ueas aick der Strich dta PCdüs oft aoch aus dem
höhera Sund des Hafen vir der Ente «der der dv^deren Farbe der
HahzK vor der Reife erfceaaea
Der iweite Haaptobsthaitt diasea voa Rössel aufgenommenen
Tbeils des Pfahls, faa der £bb bis aar Aare bä Laagenadiwalbach,
TOQ dem iura Tlieil daa ebaa traa deai vnihMftihuadiiu ackm Gesagte
mit gilt, lerAUt in siebe» Cnterabschnitte. Die bertrorragendsten
Ponkte sind das ansehoUche, die 'Altefeorg' genannte, CasteU (136 zu
% Schritt Umfang; der Vo&sser reehael 4 Schritt = 3 MeterX ge-
legen immitt^^lbar gegeattber den üodeabeiiiaBiten Markti^latx für den
Vtehhandel der Tattnasgogead, an dem Fahrweg nach Heftrich. Femer
das ebenfalls gemeinhin 'die Alteburg' oder 'die Sdianxe auf der lib-
bacher Haide' genannte, vom Verfa^er aber nach dem Namen des
Gebirges getaufte Castell Zagmantel ■*), an der grollen Landstrafee
▼on Wiesbaden nach Limburg auf der künesten Linie von Main2 bis
zur Tannushöhe : es enthält 200 an 173 Schritt inneren Umfang und
ist die Fundstätte von interesaanten Inschriften (des dritten Jahr-
hunderts) und von Ziegelstempeln *^), sowie von anderen Änticaglien,
64 1 Ob die Naineagebang«ii dat Yerfuwrs aidi danomd «iabärgem warden,
bleibt ahzuwuleo. Er b«fi>lgt dM pietftteroJlaB BnaA, «De kleinerea Be-
fwtjguogMuilageo, eckige and runde Thönae, Scbuueo u s v, mit deo Ntmen
am den Wall verdien ter Forscher, Historiker, Archiw«, Antiquare, Pferrer, In-
genienre d. i. w. zu belegen: die Thürme und Schanzen Habel, Cohaasen,
Kaupert o. t. w^ werden so wenigstens auf den Karten de« Limes w«tt«r emtiaran.
65 > Der Verfasser pobliciert die schon bekannten drei Inachriftea ana jeMM
Castell (Brambach 1&47 — 49 J in sehr guten Facsimileabbildangen auf Taf. VIII;
baaondera Fig. 2, der Stein der pedatmra TrtttromwL, ist aoch aeinar Form wegen
iatereaaaat.
Der römisofae Grenzwall in DeiitschlaDd.
39
wie z. B. der eisernen Stange eines Reitervexillums (wie es scheint).
Im folgenden Abschnitt ist die Feststellung der Walllinie zuweilen sehr
schwierig (wie der Verfasser z. B. S. llt> ausführt). Im Thal der
Aare bei Adolfseck bildet die 'alte Schanze* eine Art Brückenkopf
(S. 120); wenigstens die Stelle der römischen Brücke über die Aare
Hess sich noch ermitteln. Den Beschluss der topographischen Wan-
derung des Verfassers macht die Beschreibung eines charakteristischen
Denkmals: im Thal der Aare unterhalb der 'alten Schanze' ist in die
natürliche Felswand ein römischer Name 'lanuaritis Instintis\ cinge-
haucn; die Schriftformen des Facsimiles (auf S. 122) weisen auf das
dritte Jahrhundert. Geradeso sind in England an verschiedenen Stellen
unweit des Hadrianswalls Felsinschriften in den alten Steinbrüchen
erhalten, aus denen die mit dem Wallbau beauftragten Truppen ihren
Bedarf an Material entnahmen**).
Das Werk Rosse! 's ist, bis zu dem Erscheinen von Cohausens
Aufnahme des Limes (von Grüningen in der Wetterau bis Rheinbrohl
gegenüber Andernach), bei allen UnvoUkomuienheiten , welche sach-
kundige ßeurtheilcr darin finden, offenbar die bis jetzt lehrreichste
Darstellung eines gröfseren W^allabschnittes. Die weitere Richtung des
Pfahls bis zur Lahn steht im allgeraeinen durch die Untersuchungen
des Oberstlieutenants F. W. Schmidt fest: aber es fehlt uns die
genauere Kenntniss gerade des Schlussstücks des im wesentlichen
gleichartigen Befestigungssystems, welches, wie oben gesagt wurde,
Donau und Rhein verband und etwa seit dem Anfang des zweiten
Jahrhunderts die wirkliche Grenze der Provinz gegen das Barbaren-
land bildete. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit wird die Durchführung
des gewaltigen Werks, das üomitian, wie wir sahen, wohl begonnen
hatte, dem baulustigen Kaiser Hadrian zugeschrieben *'), der gleich
66) C. I. L. yil S. 341, wo unter den vorta titulorum genera die UtuU
vivae rvpi inacripli Terzeicboet aiad.
67) Nach der freilich unboBtimmteu Nachricht in der Vita dea Spartian
C. 12 per ea lempora (es ist die Zeit dor grofscn Reisen des Kaisers gemeint,
Btva das Jahr 120) et alias frequenter in plurimis locis, in quibus barbari
non fluminibus sed limitibu$ dividuntur, stipitibus magnis in modum
wmrttUa taepis funditus iactis atque conexia barbaros separavit. Germania regem
tomtituit u. 8, w. Kurz vorher wird von dem Biographen (C. 10. 11) ausführ-
lich dea Kaisers oingebeade Sorge für alle Details des Kriegsdienstes und seine
Theilnahme an den Strapasen und Gefahren des Krieges geschildert. Diess be-
zieht sich zu gutem Theil auf die germanischen Expeditionen; besonders die
Der nmmtkm GraasMl g
darauf m Bntaania die gpaai girirhirtitr Gfentefatigmg dnrch-
fiilute«*;. Die AMkgie ist öe fint dirchireg ntrefleBde: Aach
dort büden ältere BeäBatignenahgeo die Baas der VerthddigiiBg»-
linie, for velcbe W&ll and Grabm felcft wetdM; «ach dort ist die
Anlage zwar ciihfitiich flfphat od m im Htifliafhe aach wohl in
verhältataBmUbg kuKH Ztänam TaOoideC wwioL Aber den nach-
folgoxien Gcneratione« bis in die Mitte des dritten JahrhondertB, also
gerade ein Jahibiduit laa^ bfieb ttcraB die Anigihe. das Yorfaaa-
deoe naduabessera ud n TervolHcoBBeaeB, das in den immer wieder-
kehrenden Greuzkriegen Zeratäite wiedafaeRnrteOen. Dass es am
germanischen Limes ebeiBO gegaageo ist, Sst sich schon jetzt aus
den inschrilUichen Fanden mit himeicbcnder Dentüciduit erkennen.
In einem Punkte jedaeh adieiBt sich der hntaaawrfce GienzwalJ von
dem germanischen zu nntendieiden. Es onteriiegt keinem Zweifel,
dass des Hadrian:! wie des AnLoninns Pins britannische Befestigongs-
Unien viel weniger defensiTe Grenzwehren als vielmehr offensive
Stützen für die weitere Eroberung sein soUten. Strafsenzflge führen
darch sie bindorch in Feindesland hinein., Castelk liegen an denselbra
weit vorgeschoben, alle GremcuteUe nnd Wartthllrme haben Ausfialls-
ihore nach Norden hin. Ob sieli das glache wenigstens fOr die bisher
betrachtete geschlossene Grmzwehr des germanischen Limes einstmals
bei weiteren Nachforschungen ergeben wird, steht dahin, so wahr-
scheinlich an sich es auch ist. Bis jetzt ist meines Wissens (mit Aus-
nahme etwa der Linie Wimpfen-Jagsthansen in Würtemberg, deren
Spuren bis Rothenberg in Bayern gefunden worden sein sollen and
.sich möglicher Weise von da weiter bis Regensborg hin **) erstrecken)
kein Strafsenzug über den Limes hinaus verfolgt, kein Castell ausser-
Soilf» för oimdiin määaria (C. 1 1 ), die Proviuilmkg«zioe in den dritaU* üimtameae
(Tgl. du I^beo dei dritiea Oordiuiaa C 38). In den bekaonten Venen des
DichterB Floru« rgo moia CSmmt «aM, | amUmt per Britammo«, | | Sey
ikiea» pati prumas ontbielt der. wie des Kaisers Aotwort ego noio Florus rtst,
I «inMar« jmt taftfnuu, | latüanptr popüwu, | adice* pati rottmdos \ zeigt, fehlende
Vmt« wahraobeilüich «in« B«a»iwbaimg dei latUart in den germanitcben Wil>
dem.
68) Vgl. C. 1. L. Vn S. 99 ff.
69) Vgl. A. P«uljr*a oben Anm S2 aogefiihrie Sciirül. Yatea fährt 8. 102
ata dio UeinuuK Hr. Mutal'a in 'ftn^'rti^* «d. dua Strafaefu^ge fiber den
Limo» hioaua bia n«ob Böhmen gwAhri hiiU«a.
Der römiaohe Grcazwall in DeiilschlancL
41
halb desselben nachgewiesen worden ^*), Nur soviel ergeben die bis-
herigen Untersuchungen auch über den hier zunächst in Betracht kom-
menden Abschnitt der Grenzwehr, den hessischen Abschnitt, dass eine
Reibe weit vorgeschobener zusammenhängender Anlagen spater aufge-
geben und statt dessen eine kürzere, in sich besser geschlossene Linie
des Limes festgehalten worden ist. FreiUch sind auch hier die Auf-
nahmen noch lange nicht genau und vollständig genug, um die älteren
Anlagen von den jüngeren^ die römischen von den mittelalterlich-
deutschen sicher unterscheiden zu köunen.
IV.
Anders ist dies aber auf der noch übrigen letzten Strecke der
Grenzwehren, auf dem nördlichsten Theile derselben, der sich von der
Lahn bis zur Lippe und noch ilber dieselbe hinaus nordwärts bis in
die Niederlande hinein erstreckt. Das obere und untere Rheingebiet
bildete bis etwa auf Hadrians Regierungszeit überhaupt keine beson-
dere, von Gallien getrennte Provinz. Die Coniraandeure der beiden
groföen Armeen am oberen und am unteren Rhein, in Mainz und in
Ciiln, waren unzweifelhaft bis dahin nicht I'rovinzialstatthalter im
eigentlichen Sinne des Wortes: die Steuererhebung z. B. war mit der der
gallischen Provinzen vereinigt; die beiden Germanien waren nur mili-
tärisch ürganisierte Grenzbezirke'"). Erst seit Hadrian haben die
beiden Germanien selbstiindige Statthalter: unzweifelhaft hängt diese
hinreichend feststehende Thatsache mit dem gleichsam geographischen
70) Professor Kiepert macht mich auf den runden Wartthurm hei Wetzlar
aofmerksam; von Cohausen setzt ihn, wie die ähnHuhen Thürmc in iBnyom,
etwa in das 12. Jahrhundert. Rest« von StraTsen sind in der Nähe nicht bo-
ohachtet worden. Yates bezeichnet |S. 1)2) auch die vier runden Thürme von
Vacha aa der Werra in IIoBaen (zwiecfacu Eiseuach und Ilersreldj ale auf den
ersten Blick wie römisch aussehend, ähnlich den oben (8. 22) erwähnten Thünnen
von Sinsheim und Bcsigbeim. Von den etwa siebzig bayerischen sog. Römer-
thürmon bereitet Ohlen echlager ein» Zusammenstellung vor.
71) Diese von Fechter und Momuisen zuerst vertretene Ausiohi (an
den iu Marquardt's römischer Staalaverwaltung 1 (1873) S. 120 Anm. 3
angeführten Stellen) ist neuerdings von 0. Hirechfeld (trotz de» Widerspruchs
von W. Brambach de Romanorum rt milünri quaestiones sekctae im Rhein.
Moseum 20, 1865 S. 509 fF.) iu der Abhandlung über die Yerwaltung der Rhein-
gronze in den ersten drei Jahrhunderten der römischen Kaiserzest {eomment.
Momms. Berlin 1877 6. S. 433 iT.| ausführlich dargelegt und unter anderem auch
dar^h die Analogie der österreichischen Miütärgrenze erläutert worden.
42
Der römische Urenzwall in Deutschland.
AbschlusB des Provinzial|?ebietes gegen das Feindesland auf das Kogste
zusammen. So bietet die auf dem Wege der liocalen Beobachtung
gewonocne Einsicht in den ununterbrochenen Zusammenhang des
Limes von der Donau bis zum Rhein zugleich die vollgültigste Bestäti-
gung einer wichtigen historischen Thatsachc. Die obere Provinz, die
Germania superior, erscheint niithtu, wenigstens etwa seit iladrian,
als eine den übrigen Provinzen des Reiches völlig analog organisierte
und verwaltete. Dass der energische Kaiser dieselbe Absicht auch für
die untere Provinz, die Germania i>iferior, gehegt hat, und die ver-
geblichen Versuche seiner säramtlichen Vorgänger, auch diess Gebiet
zu einer wirklichen Provinz zu machen, endlich hat durchführen wollen,
ist wahrscheinlich- Wie weit er diese Absicht erreicht hat, das sollte
uns, in Ermaugetuiig historischer Bezeugung, der Stand des Limes
auch in jener Region lehren.
Bekannt ist, dass Augustus, besonders seit der berühmten Nieder-
lage des M. Lollius im J. 738 der Stadt, den Plan gefasst hatte die
gallischen Eroberungen seines groPsen Vorgängers im ausgedehntesten
Maafsstab fortzusetzen und nicht den Rhein, sondern die Elbe und das
nördliche Meer zur Grenze der gallischen Provinz zu machen^*). Seit
langer Zeit schon hat man sich bemüht, die Spuren der Feldzüge des
Drusus, des Tiberius und ihrer Nachfolger bis auf den Germanicus
aufzusuchen. Dass sich Spuren der Strafsen und Befestigungen, ohne
welche die nach den alterprobten Regeln während eines Zeitraums von
dreissig Jahren geführten Operationen gar nicht denkbar sind, erhalten
haben, so gut wie der Boden Galliens, sobald man begonnen hat ihn
sorgfältig zu durchforschen, die deutlichsten Spuren von Caesars Feld-
zttgen ' aufgewiesen hat, unterliegt keinem Zweifel. Aber die Verschie-
denheit der Aufgabe, soweit sie das rechte Eheinufer von der Lahn
nordwärts betrifft, von der die südlich davon gelegenen rechtsrheinischen
Gebiete betreffenden leuchtet ein. Dort haben die Eroberungszüge
in der mehr oder weniger tief gehenden Organisation des Provinzial-
gebietes ein dauerndes Resultat und in der Linie des Limes eine feste
geographische Begrenzung gefunden. Die von den gegebenen Ausgangs-
punkten der Operationen, Lyon und Windisch, nach Augsburg, Mainz
und durch das gansfe Gebiet der oberen Provinz führenden Strafscn-
72) Man sehe besonders Mommsen's AuBfahrnng in dem Vortrag ober
die germaDiBchc Politik des Augustus in der Zeitschrift 'im neuen deutschen
Reich' I (1871) S. 637 ff.
Der römische Grenzwsll in Deatachland.
43
Züge sind Jahrhunderte lang in Gebrauch geblieben, erweitert und
wiederhergestellt worden. Aus den zuerst nur für die vürübergehenden
Zwecke der Occupation erbauten oder neu angelegten festen Plätzen
sind in vielen Fällen römische Städte erwachsen. Darin steht die
obere germanische Provinz der gallischen im Wesentlichen gleich. Ganz
anders aber verhält es sich mit der unteren gertnanischen Provinz.
üeber den Zustand derselben im ganzen ersten Jahrhundert, in der
Zeit nach der Varusschlacht bis etwa auf Traian, sind wir nur sehr
mangelhaft unterrichtet. Ich sehe dabei ab von der noch nicht ganz
gelösten Schwierigkeit, welche auch bei der oberen Provinz Platz greift,
ihre westliche Grenze, gegen die gallischen Provinzen hin, genau zu
fixieren, weil diese Schwierigkeit, deren Lüsung wir, soweit sie möglich,
von dem Gallien umfassenden Bantle des C. I. L. hoften, uns hier nicht
näher angeht'^). Das rechtsrheiiMschc Gebiet derselben aber hat in
dem angegebenen Zeitraum nach Osten hin nie eine feste Grenze ge»
habt. Datis von der Zeit des Traian an die Grenze des Reiches von
73) Ob OB in der Thai auch einen limes cisrhtnanus gab, dessen Spuren
man im Wasgau und in der auf den Mosclgebirgcn hei Trier, Bittburg, Kyll u. a. w.
beinahe vierzehn Meilen weit sich hinziehenden 'Langmtfier' gefunden haben
will, bedarf auch noch genauerer Feststellung. Es ist dies bekanntlich die An-
sicht des nm die firforBchting der Kheinlande vielfach verdiüuten Jac. Schneider;
man sehe seine Schriften 'die Trümmer der sogenannten Lnngmauer, Trier 1842
8.', 'zur Geschichte des römischen Befestigungs-weseiui auf der linken Rheinseito,
insbesondere der alten Befestigungen in den Yogesen, Trier 1844 6.' ; vgl. Bonner
Jahrb. S8/34 (1863) S. 173. Neaerdings bat Dr. C. Bone in Trier die Aufmerk-
samkeit von Neuem auf diese eigenartigen Anlagen gelenkt, s. Bonner Jahrb.
68/64 (1873) S. 244 und desaelben Schrift 'das Plateau von Ferschweiler bei
Eafaternach, seine Befestigung durch die Wickiuger Burg und die Niederburg',
mit drei Tafeln, herausgegeben durch die Geseilacbaft für nützliche Forschungen,
Trier 1876 8. Die Meinung E, aus'm Weerth's und Bono's, dass bei Fersch-
weiler das lang gesuchte Äduatuca gefunden sei, welche die Billigung eines vor-
urthcüsfreien militäriachou Beurtheilors gefundon bat, des Generals von Yeith,
Bonner Jahrb. 58 (1876) S. 181 ff. vgl. S. 206 und 69 (1876) S. 183, mag hier
auf sich beruhen. Auch die Ansicht des im übrigen so verdienstlichen Forschers,
des verstorbenen Oberstlieutenant F. W. Schmidt, Bonner Jahrb. 6/6 (1844)
8. 383 ff. 7 (1848) S. 120 ff., dass damit ein grofser Wildpark der späten
Eaiaerzeit umschlossen gewesen sei, bedarf vorerst noch weiterer Begründung,
wie sie die Ausgrabungeo der Villa zu Fliessem (Jahrb. &7, 1876, S, 238) bringen
sollen. Dass diese Linie für die Substruction einer römischen Stral'se zu halten
sei, scheint durch ihre Reste ausgeschloBsen zu sein.
44
Dw
GmnmD is DwtoeMMid.
im
den G«bietCB an, die uuvcifefliaft das mtcre Gcnnanien bildeten,
aUgemeiiieo der Kliein «ar, dafür habn wir ausser anderen das un-
zweideutige ZeQgmss des Tadtas'*). Aber ai^t minder sicher ist,
dass seit Trakaa, welcher ia SUdte jcnseit des RlieiDs wiederhergestellt
hatte '^), betr&chUicbe recktavteiuBebe Gebiete — nicht bIo(^ am
unteren Rhein, wie das der Bataver^X ml an nitttcren, wie das der
Mattiaker^y, sonhn aaoh aa der gaa»a daawischen liegenden Strecke
— in dauernder Occopattoi yhiahwi äad. Aas dem merkwürdigen
Anhang tu dem Vereoeser Vefaäehniss der römischen Provinzen ^^)
scheint^ trotx der Dunkelheit der Aufmkliaaag, «oviel hervorzugehen,
dass in den Gebieten tob fänf rechtsrheimscben gcraaaischen Völker-
schaften römische BimUnagea tacoiy deres Qaartiere in dritten Jahr-
hundert vun den Baitaictt oeflDq»ifft «videa. Diese Benalinngen bildeten
unter Postanms nnd seinen Nachfolgen den Kern des galliachen Gepen-
kaiscrthums. das tu Trier seinen &tz und in Maina and Coln seine
HauptwaflenidHLce hatte ^*). Wraigiiteas in eiaem der rechtsrheinischen
Castello, über welches gleich la redea sein wird, dem von Niederbiber
bei Neuwied, sind Ziegel der LtgkNMB und Coh<vten und Inschriften
der Besatzung in ziemlicher AaiaU gcfimdes worden**). Die hieraus
mit Wahrscheinlichkeit zu folgernde Thatsaehe, dass naächst das Ge-
biet zwischen Lahn und Sieg darch »ne PonseCnng der Limeslinie
gfigen Osten abgeschlossen worden sei, haben die hier angestellten
Ontersuchungen vollauf beslitigt. Vaa Trier aas ging einer der ältesten
StrafseniHue an den Rhein nach Aademnch")- Dort befand sich
74) Oermtaui S9 fnmmi (lUttM eertmm imm «lt«o Rktmum f «if «c
tttmimut f$tr snffitimt t'tifi me 7W«m «riMüL
75) Eutropiat Vtll 9 «r«M trmu Fktmmm m Giwmtmim rtfmrmmt.
78) Q«tm»jtM 39 ifaiAan a«« «altii« «« rijp«> t»i mmdam t%tm ■miii
0BhMt 0. B. w.
TT) Siafae obw & SS fll, vw to« dn TMUMsalifa gf ruahaa ««rdea mL
TH) InK. MillcBboffkG^nMMAdMTMilaiaiMlM I87S 8.) S. 168 e«n-
JatNa tnm* Bkmmm (hmtimm fmt Mnl Oripimmt 1\ikmttm nmUr[mm] . . .
■■riofiui (dir lU. tuiirmtimm mmmii \ C^mmmionmu bkm ammt» crMM»
trmt» JBfct— M formtLmm B^fitme ffimmt radaeter. Ikm* mattUum Mtfam-
tMCMM LXXX l<^fm Iroiw Skmmm Rammmi pttaaitrmaL I$l^ uiÜain *«ik
Galliern^ imptratöre a hurimri» ««e«^!«« ••»1
TS) IL Mälleahoff in da» Ah^adlB^wi dar Ihwl— Aiadcie ««■ 1863
(Berlm 18tS 4) 8l 531.
SO) Branbaeli K. «9 £ — 7M.
8I> F.W. Scbaidt BoMar Jahrb. 31 (IdSl) 8. 61 1, tgL 96 (I^M) S. 70.
n«r römische Grcnzwall iu Doutscbland.
45
vielleicht die zweite der für Caesar von Mamurra, seinem praefec-
tusfahrum, geschlagenen Itheinbrücken *') — die erste hatte sicher iliren
Platz am uiitereD llhein, in (Jer Gegend von Xanten") — ; an der-
selben Stelle im Gebiete der Treverer war auch wahrscheinlich später
noch je nach Bedarf der iJrückenübergang über den Strom zu den
Expeditionen nach dem Osten **•). An ilein von dieser Uebergangsstelle Das Castel
westwärts führenden Zug der Strafse liegt bekanntlich, hinter Neuwied, ^°°i,iber '^
das Castel! von Nifderbiber, welches ähnlich wie die Saalburg zu den
etwas genauer bekannten römischen Niederlassungen der Rheinlande
gehört, Dank hauptsächlich den in den ersten Jahrzehnten «lieacs Jahr-
hunderts von Hoff mann und Dorow*") dort angestellten Nachfor-
schungen. Inzwischen ist freilich die Krhnltung des daselbst noch Vor-
handenen auf das Aeiisserste vernachlässigt worden*"); immerhin aber
ist soviel mit Sicherheit festgestellt, das« das Castell das grMste aller
82) F. RiUer die Pfalilbiücken CAesars bei Bonn und Neuwied, Bonner
Jahrb. 37 {18G4j S. 20 fl" 44;45 (1868) S. 40 ff. A. von Cohaanen Caesars
«weiter Rheinübergang, Bouuer Jahrb. 47/48 (1809) 8, 1 fif. Auch die bekannten
Untersuchungen A. vonGölera über Caesara galliBchen Krieg (drei verschiedene
Broschüren: Caesars ^IHscher Krieg in *1en Jahren 58 — 53 v. Cbr., eine kriega-
wisneDschaftlicbe und philologische Forschung, mit 10 Tafeln, iStuttgart 1858;
Caeaars gallischer Krieg im J. 52 v. Chr. u. a. w., Carlsrube 1859 8. Lex. 6., und
dazu eine Uebersichtskart«, IJeidelberg 1860 Fol.; Caeeara gallische Krieg im
J. 51 v.Chr. u. 8. w, mit 2 TaJVln, Heidelberg' 1860 8.) sind hior/.u zu vergleichen.
63) A. von Co hausen Bonner Jahrb. 43 (1867) S. 1 ff. und desselben
rinnreiche Abhardlnng 'Caesara Rheinbrücken', Leipzig 1867 8 A, Dedericb
Julius Caesar am Rhein, I'aderhorn 1870 8., dazu F. Fiedler Bonner Johrh.
53/54 (187.S) S. 287 ff.
84) So sind wohl des Strabo Worte IV 3, 5 S. 194 C. zu verstehen
nuQoixoint rov 'P^vov Tqhovi^o», *«%>' avs ntnotrjTm ro Cft^ffi* ino rüiv 'PutfiaCutv
vw\ tüiv ajgtttrj^'ovviüjv jor FiqiwvixIjv nülif/ov. Vgl. Moramsen FlerineB 13
(1878) S. 253. Das Cttiyft« braucht keine dauernde feste Bracke gewesen zu sein.
85) C. F. Hoff mann über die Zerstörung der Rönierstädte an dem Rheine
zwischen Lahn und Wied, Neuwied 1823 8. W. iJorow römische Alterthümer
in nnd um Neuwied, Berlin 182G 4. Mau V4?rgleiche auch desselben Verfassers
b«kaauteB grofseres Werk : Üpferstätteu und Grabhügel der Germanen und Römer
am Rhein, 2 .AhtheiUingon in einem Bd. mit 41 Tafeln und einer Karte, Wies-
baden 1826 4.
86) Vgl. die Bemerkungen von A. Rein Boaner Jahrb. 27 (1869) S. 147 f.
und besonders A. von Cobauaen in dem Aufaatr. über Caesars zweiten Rhein-
übergaug, Bonner Jahrb. 47/48 (18G9j S. 44 ff.
46
Der römbche Qrenzwall in Deataohland.
an der Linie des Limes liegenden gewesen ist^ noch bedeutend gröCser
als die Saalburg"), 862 zu 632 römische FuCä (der der Saalburg
beträgt 720 zu 480 römische Fufs). Eine genaue Aufnahme, mit
Benutzung aller früheren Ermittelungen und womöglich nach neuen
Ausgrabungen, soll kaum noch ein Ergebniss versprechen**). Doch scheint
die Anlage, welche wiederum nur die 'allgemeinen Dienstvorschriften* ein-
hält, der der Saalburg sehr ähnlich gewesen zu sein und ganz analoge Um-
wandlungen durchgemacht zu haben, wie schon die daselbst gefundenen
MiUtarziegel und Inschriften zeigen**). Man glaubt sogar den Namen
dieees Castells zu keunen. Im Jahre 246 nämlich unserer Zeitrechnung
unter der Regierung des Gordianus haben, wie einer der in Niederbiber ge-
fundenen und im Schloss zu Neuwied aufbewahrtenlnscbriftsteine lehrt**),
in dem Praetorium des Castells vierzehn Soldaten zu Ehren des kaiserlichen
Hauses ein P>zbild des Genius ihrer Genossenschaft geweiht. Sie nennen
sich baioli und vexiUarii, <1. h. Handwerker und Fahnenträger, collegio
Victoriensium signiferorum, aus der (ienossenschaft der Feldzeichenträger,
Weichesich in der Ciiijclle der Siegesgöttin versammelten"); Reste einer
ErzstAtue der Victoria haben sich in der That daselbst gefunden. Da
nun in dem vorhin (S. 43) angeführten merkwürdigen Anhang zu dem
Veroneser Provinzen verxeichniss unter den alten germanischen Völker-
schaften der Usiper Tubanten und Chasuarier auch die in der Ueber-
lieferung verderbten Namen der Nidretises Nbvarii vorkommen, mit
denen nicht viel anzufangen ist — nur dass in den Nictrmses höchst
wahrscheinlich die Tencteri stecken, weiche mit den Usipern und Tu-
banten ziisiimmengehören — , so hat Professor Jacob Becker in Frank-
furt am Main den, wie mir scheint, nicht glflckliclien Gedanken gehabt,
darin die Victorietises der Inschrift von Niederbiber wiederzufinden,
87) Man sehe die lehrreiche vergleichende Uebersicht der Limesc&stelle zu
Cohausen's zuletzt angeführter Abhandlung Taf. X.
88) Verschiedene daselbst gefundene Altcrthümer tind Bonner Jahrb. 37
(1864) S. 71 ff. mitgetheilt nnd besprochen worden.
89) Dasa dies t-aatell und niuht Mainz, wie man bis dahin annahm, der
Ort der Empörung der germauisclien Legionen gegen Galha im .Tahr G9 gewt^sen
sei, wie F, Ritter Bunucr Jahrb. 39/40 (1866) S. 45 ff. 7.\x erweisen suchte,
entbehrt durchaus der Wahrsoheialiehkeit.
90) ürelli 988 Branibaoh 692 Wilinanns 1526.
91) So, als Ablativus, ist coUtgio meines Eracbtens zn fassen, nicht als
Dativns ; denn eoüegio .... Otnium de mto fecerunt tat nicht die übliche Aua-
drucksweise solcher Inschriften für eine Weihung an das CoUegium.
Der ri'tniaohe Grsnzwall in Deatsohiand.
47
welche er mit Zuhilfenahme der nach den Nicirenses genannten Novarii
zu Vidorienses novi macht"-). Schon fängt man in den Kreisen der
rheinischen Antiquare an, sich dieser vermeintlichen Entdeckung zu
freuen und das Castell von Niederbiber mit dem schönen, aber freih'ch
an sich schon recht auffälligen Namen Victoria nova und seine Be-
wohner als Victorienses novi zu bezeichnen. Eiue Variation die.ser Ver-
rautbung ist jüngst von L. Urlichs vorgetragen worden. Er vermuthet
in dem Castell von Niederbiber das vielgesuchte Novia der Inschrift
von Urhino"*), welches unter Comuiodus durch die achte Legion von
einer Belagerung befreit wunle, womit ürlichs die Notiz in der Vita
des Albinus^*) /.usamraetibringt. Er findet daher in dem Veroneser
Text mit etwas engerem Anschlus>s an die Ueberlieferung den Namen
der Victorienses Novicmi. Ich bedaure der Ansicht des Mitbegründers
der Bonner Jahrbücher nicht beitreten zu können, sondern den daraus
gezogenen irrthüinlichen Folgerungen ihr Fundament entziehen zu müssen.
Denn erstens beweiüit der Name tler Genossenschaft der siyniferi Vic-
torienses keineswegs, dass das ganze Castell den Namen Victoria nova
führte, wie schon die älteren Erklärer der Inschrift fälschlich ange-
nommen haben ^''), uud zweitens, selbst wenn Victoria oder Victrix Novia
erweislich der Name des Castells gewesen wäre, so würde derselbe sich
sicherlich nicht unter die Völkernameu der Veroneser Handschrift
verirrt haben. Wir kennen also den alten Namen dieses Castells so
wenig sicher, wie den irgend eines anderen der Limescastelle. Nach den
für mich in allem Wesentlichen überzeugenden Ausfährungen Hrn. von
Cohauseus halte ich es für ganz glaublich^ daas es an eben der Stelle
liegt, welche Caesar während seines kurzen Aufenthaltes bei den Ubiern
92) Bonner Jahrb. 39/40 (186G) S. 10 S.
98) Orelli 3714 Wilmanna 1459. C. L. Grotefend Epigraphiachea V,
Hannover 18G6 8., S. 7 ff., bat meitiea Wissens zuerst auf sie hingewiesen. ^
94 1 Capitolinus vita Albini Cap. G : Albinus .... per Commodum ad GaV
liam tran»latM8, in qua fw/is fugatü gentibus tran»rhet}ania celebre »omeft «uwtn
et apud Bomanon et apud barbaros fecit.
95) Die Analogieeil des portHS Victoriae ItUiobrigensium (Flinias «, ft. IV
§.111) in Hispanien und einer ziemliub unsicheren Station Victoria im nürdlioben
Britannien «Ptolemaoos II 3, 9. Ravennaa V 31 vgl. 436, 13 Finder) künnen die
Annahme nicht schützen. Der Hafen von luliobriga ist gewiss nie achlcoht-
bin Victoria genannt worden. Was mit dem Wort in den Aufzeichnungen von
Schottland, welche Ptolemaeoa vor sich hatte, gemeint war (etwa ein fiigntim
Victoriae, und dabei eine mafisio), entzieht sieb genauerer FestatelluQg.
48
Der römiBcbe GrenzwBll in Deutschland.
im Jahr 53 v. Chr., nach dem zweiten Rheinübergang, für ein grofees
Standlager ausgewählt hatte {bell. Gall. VI 10, 2). Desswegen kann
es doch leicht auch eines der vielbesprochenen fünfzig Castelle läng»
des Rheines sein, wekhe Drusus angelegt haben soll (Florus II 30).
Ura so weniger wird man, wofern jene Annahmen richtig sind, für
wahrscheinlich halten» dass es den Namen Victoria geführt hat; es hat
gewiss entweder einen alten einheimischen oder einen rein appellativi-
schen Namen, wie castra nova^ übta, Julia oder dgl. gehabt. Ich bin
geneigt die Reste des bekannten silbernen, ursprünglich theilweise ver-
goldeten Cohortenzeichens aus Niederbiber im Museum zu Wied") mit
den Feldzügen des Germanicus in Verbindung zu bringen. Das Rild-
uiss des über dem Tropaeuiu aus germanischen Waffen stehenden Im-
perators kann, irre ich nicht, nur das des Augustus selbst oder allen-
falls das des in ausserordentlicher Stellung commandierenden Germanicus
sein"); an spätere Kaiser ist nicht zu denken"^). Ob es, wie Grote-
fend meinte, das Zeichen einer Cohorte der achten Legion war oder
das irgend einer Auxiliarcohorte (wobei die erhaltene Aufschrift
Coh(ors) V an verschiedene zu denken erlaubt, an die V Diüma-
iarum, V Hispanorum^ die VI Thracum, die VII Raetorum, die Vin
BreumrutHy die alle >)Chon zum ältesten exercitus Germanicus gehört
zu haben acheinen), ist dabei gleichgiltig. Grotefend's Grund, dass
eine Fhalera mit dem Bildniss des Kaisers nur an der Stange des
Legionsadlers sich befunden haben könne, halte ich weder für an sich
richtig, noch für auf dieses Denkmal anwendbar ; doch kann dies hier
nicht, naher ausgeführt werden. Auf alle Fälle gehörte es zu dem
ältesten Inventar der Fahnencapelle im Gastell von Niederbiber.
Die Spuren des Limes selbst aber, welche den vierten Hauptab-
schnitt der ganzen Aalage bildeten, sind auf der Strecke des rechten
Rhein Ufers von Vallendar etwa bis gegenüber von Andernach haupt-
96) Br«mbiich No. 703 e.
97) Die (von ßrambach citiertcu) Abbildungen bei Dorow, in diesen
Jahrbüchern, und selbst bei T-indenachmit sind nicht ausreichend; das
Original, welches «oh hier in Berlin zu sehen Gelegenheit gehabt habe, übertrifft sie
sämmtlich bei weitem und ist, trotz mancher Fehler und einer gewissen Breite
und Flüclitigkeit in der Ausführung, soweit ich urtheilen kann sicher ein Werk
der augtistiscben Zeit. Auch die Schrift stimmt dazu.
98) Auch nicht mit Elberling bei C. L. Grotefend (Epigmphisohe« V,
Hannover 1866 8. S. 4} an den ganz anders aussehenden jugendlioben Comniodus.
Der römische Grenzwall in DeutschlHod.
49
sächlich durch ¥. W. Schmidt'") nachgewiesen worden'"*). Weiter
nördlich sollen dann wieder freilich unsichere f^puren des Liraes östlich
und südöstlich von Linz'"') und hei UnkeP"*) begegnen. Dass hier,
zwischen Lahn und Sieg, soweit wir jetzt sehen, die Spuren des Limes
aufhören und somit der vierte Hauptabschnitt der ganzen Grenzwehr
.geinen Abschluss findet, ist eine für die vielbehandelte Frage nach der
Grenze zwischen dem oberen und unteren Germanien, falls sie sich be-
stätigt, wichtige Thatsache. Ich gehe hier auf die bekannte Coutro-
verse nicht ein: zu erwägen wird künftig bei jedem Versuch ihrer
Lösung sicherlich auch sein, ob und wie weit zu jeder Zeit in gleicher
Weise die Grenzlinie vom linken auf das rechte Rheinufer sich fort-
gesetzt hat.
Für die folgenden Ahschnitto des Limes in den rechtsrheinischen
Landen, welche ihrer natürlichen Beschaffenheit nach in die Gebiete
'bis zur Sieg, von der Sieg zur Wuppcr, von der Wiipper zur Ruhr,
and endlich von der Ruhr bis zur Lippe zerfallen, w^erden die sicheren
Anhaltspunkte der Ueberlieferung immer geringer, die Nachrichten
immer spärlicher und unsicherer.
V.
Vüllig unerforscht ist, so weit meine Kenntniss reicht, in Bezug Rheinland
auf den Limes der fünfte Haujitabschnitt der östlichen Ueichs-
grenze, das Gebiet zwischen Sieg und Ruhr. Es wäre nicht unmög-
lich, daüs die im Norden weit nach Osten hin ausgedehnten Operationen
in Folge der Varusschlacht gehindert worden sind, auf dieser Strecke
auch nach Süden hin sich zu erstrecken, um so mit den später durch
Germaaicus von Cöln und Trier aus gewiss auch in jene Gebiete hin
unternommenen Expeditioneu Fühlung zu gewiunen. Es wäre keines-
wegs unmöglich, dass gerade durch Germanicus der Versuch gemacht
worden ist, die Verbindung zwischen Mainz und Cidn auch auf dem rechten
Ufer des Stromes, mit Benutzung älterer Anlagen, durch ausgedehnte
99) F. W. Schmidt Local-Untei-Huchungen über den Pfahlgrahen sowie
aber die alten Befeatt^uti^eu zwiaohen Lahn und Sieg, Annalen des Vereins für
nassBuische Alterthumskunde und GeacbiohtsforBohung 6 (1859) S. 107 ff. mit
Taf. Hl.
lOOj Siehe die Karte Taf. I n Cohaaseni oben S. 45 Anm. 82 oitierlem
Aufsat?:,
103) Jo9. Pohl Bonner Jahrb. 53;64 (1873) S. 322.
102) J. Schneider Bonner Jahrb. 49 (1870)8. 177 ff., A. von Hoiningen-
Huene ebendss. 38 (1865) S. 171 f., 44/4.5 (1868) S. 280, 55/56 (1875) S. 247.
4
80
Der römäche Gr«ni«in üi Deotachkud.
Befestigungsanlagen zu schützen. Es liegt nahe, die bdcaAoten Ntdi-
ricbten über seine Operationen von Vetera und vom Taunns ans ***) M
xa combinieren; ob das in Niederbiber gefundene Cohortenxeicfaen des
Oermankos, Tiberios oder Augostua darstellt'**), tosBe ich dabei un-
entschieden ; dass ein Kaiser oder Caesar (im römischen Sinn) dargestdtt
und kein spaterer gemeint sein könne, ist mir, wie gesagt, anzweiÜdhaft.
Auf der anderen Seite aber ist das fruchtbare, in zahUoee U9fe ge*
theilte Land zwischen Sieg and Rohr seit Jahrhunderten daer ao m-
tensiven Cultur unterworfen, dass schwieriger wie an<ler3wo hier die
Sparen alter Befestigungsanlagen zu erkennen und zu Verfolges atnd.
Jeder Nachweis ans diesen Ölenden wird daher doppelt envOnchi
und lehrreich sein.
VI.
Wettfalen d. An den nördlichsten Abschnitt der Reicbsgrettze, den sech$l
Niederknde jjj j^^ y^^ angedeuteten lU^iheufolge, au die Linien zwischen Ruhr
und Lippe, knüpfen sich, wie bekannt, die fast nicht mehr zu über-
sehenden Specialforscbongeu nach den Oertlichkeiteo der Castelle Arbalo
und Ahso, der Varusschlacht und der Schlacht von Idisiariso. Den
richtigen Weg der Untersuchung, nämlich zunächst die noch vorhan-
dfenen Beste der alten, vielleicht schon von Agrippa geplanten Strai^en-
aOge festzustellen, hat schon vor mehr als vierzig Jahren der General
von Müffling eingeschlagen'**^). Ihm sind i^iederaffl der Obo^t-
lieutenant F. W. Schmidt*"*; und Jac Schneider in Düsseldorf ge-
* folgt, welcher seit den sechziger Jahren seine auf den Niederrhein be<
zügUchen Forschungen führt >*^^). Bis zum Jahr 1870 hatte dersdbt
103) Tuitos ann. I 50 und 56. Die Abh&ndluog von W. Baabmknn
dt hmite a Tibtrio coepto (Oynmasialprogramm ron Wernigerode 1662 4.) tuobt
ftof Tier 8eit«i tu beweiaan, dmM in der entf enumteo Sl«De d« Ttcitus iniet
im Sinne Ton via lu iuMD eei. För die hier in betradU koBmeode Ff
bleibt sie ohne Ergeboim.
104) C. L. Grotefend Bonner Jahrb. 38 (1865) S. 61 fl.
105) In Mineni ant«r dar Ckiffre 'C. v. W.' pabKeieHeti Buch fiber die
RdtneretnTsen la rechten Ufer dea Niederrbeins, Berlin 1834 S.
106) ZeitMhrift fir veterl&ndieebe Ueeebichte tind Altertbamalcande (We
hleaa) Bd. 20 (der neuen Folge Bd. 10 1 1859 S. 259 ff. (ohne Karte».
107 1 Sieb« denen uÜijaariMhe Mittbeüuugtn aas dem Regierutgebexirk
I>ä»aeldorf. Boaner Jahrb. 86 (1864) S. 78 ff 39/40 (1866) S. 151 ff. und Mbea
•äderen Arbeiten in dlAMb JahrbBdiem und in Piek'e MonaHuchrifl die be-
•onder« Bnohiaoebeo 'nemeat Beiträge cur alten Geeebiehto and Geographie der
Bkrinknd«', bis jelal «If Uafarvpgen. Daaseldorf 1860 bü 1S78 &, mit
Der römitche Grenzwall in DeutacU&nd.
61
bereits fünf Berichte mit umfänglichen kartographischen Aufnahmen
an das üntcrrichtsministeiium eingereicht, über deren luhalt bisher
nur kurze Relationen bekannt geworden sind'*"): es wäre sehr zu wün-
schen, dass besonders die topographischen Aufnahmen zu geeigneter
Verwerthuug kämen. Auch seitdem ist Prof. Schneider fortgesetzt
in derselben Weise thätig gewesen, wie seine neuesten Mittheilungen
über 'alte Verschanzungen an der Lippe''*') zeigen 'i"). In den Um-
gebungen von Duisburg 'i'j und im Bergischen, bei Merkenich und
Solingen "*j, sind neuerdings ebenfalls Reste der alten Grerizwehren be-
merkt worden. Um ili« Erforschung des nördlichsten Abschnittes der
Rheinlande, des Landes der Bataver, hat Professor A. Dcderich in
Emmerich sich bekanntlich mannigfache Verdienste erworben'"*); auch
in den Specialarbeiten über den Aufstand des Civilis von E. Meyer"*)
und C. Völcker"*) findet sich Manches darauf bezügliche. Die von
d^m Bonner Verein von Alterthumsfreunden im Rhcinlande in Aussicht
genommene planmäf^ige Untersuchung aller römischen Strafsenreste
zunächst des linksrheinischen Gebietes"*) wird, wenn sie einmal durch-
geführt sein wird, auch filr dieStrafsenzüge auf der anderen Seite des
Stromes wichtige Anhaltspunkte bieten. Für das rechte Ufer hat
neuerdings L. Hölzer mann von neuem den richtigen Weg der Unter-
!08) Bonner Jahrb. 49 (1870) S. 162 ff.
109) Bonner Jahrh. 59 (1876) S. 104 ff.
110) Im April des Jahres ld7G schrieb mir Professor Schneider, was
ich hier mit loiner KrlaubtiiBs raitzutLeilen nicht unterlaBsen will, dass die
Fundstätte der bei Marrca im üidenburgiachen gefundeneu Alterthümer, welche
ich io den Bonner Jahrb. ü7 (1876) S. G6 ff. veröffeutlicht habe, au dem
von ihm untersuchten und von Nicderbiber in fast gerader Linie nordwärts bis
zum Saarbeckea bei Münster führenden Strafsenzug liegt, falls derselbe sich,
wie antunehmen, über Ibbenbüren nordwäkrts fortgesetzt habe.
111) M. Wilma Bonner Jahrb. 52 (1872) S. 1 ff.
113) F. W. Obligscb läger Bonner Jahrb. 58/64 (1873) S. 273 f,
113) A. Dederioh Beiträge zar rÖmisch-deutBchen Geschichte: dieDamm-
anlagen des Drusus bei der bataviachen lusel, Emmerich 1849 4. Auch acine
neueste Schrift: Julius Caesar am Rhein nebst Anhang &ber die Germania des
Tacitus u. s. w. Paderborn 1870 8., ist siu vergleichen.
114) E. Meyer der Freiheitskrieg der Bataver unter Civilis. Hamburg
1866 4.
115) C. C. C. Völcker Taeitua über den Freiheitskampf der Bataver unter
CiriliB, mit Einleitung, Commentar und zwei Karlen I II Elberfeld 1861—63 8.
116j Siehe Bonner Jahrb. 57 |1876) S. 1 ff.
62
Der römiüche Greozwall in Dcntachland.
suchung Hingeschlagen. Hölzermann's Arbeiten '"), zu welchen er
bekennt hauptsächlich durch die bekannten Werke de« verstorbenen
preussischen Generals von Peucker*'*) angeregt worden zu sein, um-
fassen einen grossen Theil des (auf der Karte A dai'gestellten) Gebietes
zwischen Rhein und Weser, welches von den Flflssen Ruhr, Lippe und
Ems durchströmt ist. Von den Castra Vetera bei Xanten, gegenüber
von Wesel, liat er zunächst besonders den Lauf der Lippe aufwärts
bis Lippspringe auf das genaueste verfolgt (vgl, die Karten B, C und
Tafel V) und, nach Yorausschickung einiger orientierender Bemerkungen
über die auf diesen Gebieten sich bewegenden Feldzüge des Drusas
Tiberius und Germanieus, über die Bezeichnungen 'Burg', 'Hüne',
'Römer*, die sämnitlichen Strafsenzüge, Landwehron und Befestigungen,
die sich ganz oder theilweise erhalten noch vorlinden, persönlich auf
das sorgfältigste gemessen und gezeichnet. Hierdurch unterscheiden
sich seine Arbeiten auf das Vortlieilhafteste von denjenigen aller seiner
Vorgänger, welche nur Weniges der Art überhaupt selbst gesehen und
noch Geringeres genau gemessen und beschrieben, desto schneller auf
oberflächliirhe Kenntnisse die luftigsten Hypothesen aufgebaut haben.
Ob es ihm freilich gelungen mit einiger Wahrscheinlichkeit die ältesten
römischen von den gleichzeitigen oder späteren germanischen, sowie
von den fränkischen und sächsischen Erdwerken (aus der Zeit von
Karls Sachsenkriegen) zu unterscheiden, bleibe dabingestellt. Wenn
Uölz ermann auf seinem methodischen Wege dazu gelangt, das
Gasten von Aliso in das Dorf Ringboke, am Einfluss des Elsen-
baches in die Lippe, ungefähr in der Mitte zwischen Lippstadt und
117) Lokalunterauchungen die Kriege der Römer und Franken sowie die
BefestigungsmaniereD der Germanen. Sachsen und des späteren Miltelalters bo-
treffend von L. Hölzermann, Hauptmann und Compagnie-Chef im 3. nieder-
scbleBischen lafanterie-Regiment No. 50, iiacb deascn Tode berauagegebeo von
dem Vereine für Geschichle und AUerlbumskundo WcNtfalens [durch Professor
W. E. Gieferslj mit 2 Karten und 51 lithographirten Zeichnungen, Münster
(Vni und 124 S.) Lex. 8. Das Werk ist besoDdera durch die treffliche Aus»
fDhning der topographischen Ptäuc au sgcze lehnet; nur Tafel I, die Abbildung
Tun einigen Urnen und Waffen enthaltend, hätte fehlen können, da dergleichen
viel besser in Lindenschmit's bekanntem Werk zu finden sind.
118) E. von Peucker das deutsche Kriegswesen der Urzeiten in seinen
Verbindungen und Wechsfllwirkuugen mit dem gleichzeitigen Staats- und Volks-
l«b«b 3 Bde. Berlin 1860—64 8.
Der römische Grcnzwall in Deatacblatid.
Paderborn, und das varianische Schlachtfeld zwischen Hör ii und
Alt-Schiedcr, südlich von Detmold und östlich von derGrotenburg, an-
zusetzen "^), so hat das immerhin ein anderes Gewicht, als alle bisher
aufgestellten Hypothesen. Allein auch damit dürfte das allerletzte Wort
noch nicht gesprochen sein ""), so sehr ich die Wahrscheinlichkeit von
Hölzer manu 's Annahmen anerkenne. Sein Werk schliesst mit einem
Verzeichniss von nicht weniger als sechs und dreissig 'Heerlagern und
Burgen, deren Untersuchung noch nicht hat geschehen können'. Bis
auch sie geschehen sein wird, bleibt noch einigen Zweifeln, auf die
hier nicht eingegangen werden soll, Raum ""). Nachgewiesen aber hat
Hölzermann, dass auch im Thal der Lippe, wie in dem der Kinzig,
deutliche Reste römischer Limesanlagen vorhanden sind, wie die soge-
nannte 'Königslandwehr' bei Hamm (S. tl2 ff.), und dass diese west-
fälischen Landwehren in Anlage und Maafsen auf das Genaueste mit
den römischen Wällen auf dem linken Rheinufer übereinstimmen (S. 68ff.).
119) Mit Befremdcu wird icau aus Ilolzormann's Werk erfahren, dass
die GrotenbuTg oder TeiitoLiirg, auf welcher das neu errichtete Denkmal des
AnniniuH steht, noch x.um Zweck der Aufstellung dieses Denkmals die Reste
ihres uralten Ronen rings, der bis dahin erhalten war, hat verlieren müssen,
obgleich man die nüthigen Steine ebenso leicht anderswoher aus o&ohslcr Nähe
fa&tte haben können iS. 111 if.)-
120) Es mag hier gestattet sein auch darauf hinsaweisen, dass wie der
Ort so auch die Zeit der Varusscblaclit dazu bestimmt zu sein scheint, nicht
eodun wollende Erörterungen bervurzurufL'ii. Ich nenne nur die neuesten der-
seilten, die längeren oder kürzeren Abhandlungen von H. Brandes (in der Zeit-
schrift "im neuen deutschen Reich' 187fi I 8. 746 ff., der sich für du» Jahr 10
entschied), Abraham (zu den germanischen und pannonisobcn Kriegen unter
Augustus, Programm der Sophienrealschule, Berlin 187& 4.), V. Gardt hausen,
A. Schäfer, C. Lüttgort (in den Jahrbüchern für Philologie 1876 S. '2ib f.
248 1. 541 ff.), C. Schrador (in deuselben Jahrb. 1877 S. 846 ff..), und endlich
Ton Edtn. Meyer ('in welchen Monat des J. 9 n. Chr. fiel die Schlacht im
Teutoburger Walde , Forsch, zur deutschen Gesch. 18, 1878 S. 325 ff., Zoitschr.
fär das Gymnasialwesen 1878 S. 449 ff.). Nach alle dem scheint kein hinläng-
licher Grund vorzuliegen znm Zweifel aiL der bisher meist für richtig ge-
haltenen Annahme, dass n&niHch die Schlacltt im Jahre 9, und zwar wahrschein-
lich zu Ende Juli oder zu Anfang Augu»t, stattgefunden habe.
121) J. Schneiders Anzeige von Hölzermnnns Arbeit in diesen Jahrb.
62 (1878) S. 130—140 hebt die üuvollständigkeit und Uusicherheit der Angaben
fiber die Grenzwehren und Strflfscn in derselben mit Recht hervor, wahrend die
Beschreibungen der Befestigungsanlag^^'n in der überwiegenden Mehrzahl als zu-
veri^sig anerkannt werden.
54
Dor rönisehe Granzwall in DentBohknd.
Es ist vor der Haad, soweit ich die Lage der Untersochung über-
sehe, noch uniiiüglich aus dem Gewirr der zu verschiedenen Zeiten von
Personen der verschiedenartigsten Begabung und Vorbildung angestellten
Beobachtungen eine klare Anscbauung zu gewinnen, zumal die uleuien-
tarste Vorbedingung hierfür, nämlich eine Uebersichtsk&rte der bis-
herigen Funde, fehlt. Soviel aber sieht man schon jetzt; mag auch
ein groteer Theil der auf den weiten Landerstrecken im Osten des
Rheins aufgedeckten Systeme von Berestigungsaolagen und einzelnen
Schanzen und Warten späteres Ursprungs sein, ein Kern römischer Aü-
lagcn, die also nothwondig auf die augustische Zeit zurückgehen müssen,
ist unzweifelhaft vorhanden. Die erste und wichtigste Aufgabe also der
antiquarischen Topographie jener unserem engeren Vaterland ange-
hörigen Gebiete ist, diesen Kern der ältesten Anlagen aus der ver-
wirrenden Masse der späteren Zuthaten und Veränderungen herauszu-
schälen. Die Aufgabe ist schwierig, weil litterarische Zeugnisse, die
sicher verwerthbar wären, und iuschriftlithe Funde (bi^ jetzt wenigstens)
durchaus fehlen; Gräberfelder, Müiizfundc, Funde anderer AI terthümer
haben für die Lösung solcher Fragen ja nur einen bedingten Werth.
Aber ich halte auch diese Aufgabe für nicht unlösbar, d. h. wohlver-
standen innerhalb der vorsichtig abzusteckenden Grenzen, welche sich
aus ihr selbst ergeben. Ob es jemals gelingen wird, Aliso und das
Feld der Varusschlacht festzustellen, hängt vom Zufall ab. Aber sorg-
fältiges Terrainätudium, von militärisch geübten Beobachtern geleitet,
natürlich auf Grund aller zugänglichen schriftlichen und mUndlichen
Informationen, und unterstützt von vorurtheilsloser Schätzung und Ver-
werthung der Zeugnisse der antiken Litteratur, wt4che weder von noch
so eifrigen Localantiquaren noch von noch so gebildeten Offizieren ver-
langt werden kann, sondern Sache der antiquarisch und epigraphisch
geschulten Philologen und Historiker ist, wird und muss auch hier zu
den überhaupt erreichbaren Resultaten führen, so gut wie die gröfsten
Thcils musterhaft geführte Untersuchung des französischen Bodens zu
der schönen carte topographique de la Gaule geführt hat, mit welcher
sich der Kaiser Napoleon IIL iu der That ein bleibendes Denkmal
geschaffen hat. Dass vor der Hand noch von den besten Kennern
jener Gegenden, wie von Jac. Schneider selbst, jeder Zusammenhang
zwischen dem eigentlichen Limes der südlichen Gegenden und den
nördlichen Anlagen geleugnet wird"*), darf nicht Wunder nehmen-,
122) Siehe deMcn Bemerkungen in der Jenaer Literatunseitung 1878 S. 28.
Der römitohe Grenzwalt in DeuUchland.
56
gerade die genaueste Detailkenntniss erschwert oft den UeberbUck über
das Ganze '*"). Es ist sicherem Vernehmen nach jetzt Aussicht dazu
vorhanden, dass diese weder unwichtige noch auch für weitere Kreise
interesselose Aufgabe ernstlich in die iland genommen, unter der
obersten Leitung des grofijen Geoeralstabes unserer Armee den rechten
Mannen übertragen und, unter die Fürsorge des Staates gestellt, auch
zu Ende geführt wird. Dann erst wird es luöglich sein, auch die süd-
lichen Abschnitte der Limesanlage in Bezug auf ihre älteren und
jüngeren Bestandtheile einer eingebenden Vergleichung mit den älteren
nördlichen, später aufgegebenen Anlagen zu unterziehen. So wird die
Eenntniss der gesammten Befestigungslinie auch wiederum der richtigen
Beurtheilung ihrer einzelnen Theile zu Gute kommen. Da die Aufgabe
in unserer alten Rheinprovinz und in Westfalen m'cht halb so einfach
liegt, wie in Bayern, Würtemberg, Baden und in der Provinz Hessen-
Nassau, so werden wir uns doppelt anstrengen müssen, um das dort
gegebene Beispiel der Untersuchung und Aufnahme womöglich noch
ZQ übertreffen.
Vielleicht trägt diese Darlegung des Thatbestandcs dazu bei, über
das Ziel der Aufgabe zu orientieren und den Werth ihrer Bearbeitung
richtig schätzen zu lehren. Völlig wird diese Darlegung aber ihren
Zweck erst dann erreichen, wenn es gelingt, sie durch eine in nicht
zu kleinem Maafsi<tab angelegte Gesammtkarte des ganzen Limesge-
bietofi von Regensburg bis zu den Niederlanden zu übersichtlicher An-
BChauung zu bringen. Die Herstellung einer solchen Karte ist meines
Wissens noch niemals ernstlich in's Auge gefasst worden. Zwar sind,
wie ich höre, hier und da auf Versammlungen deutscher Geschichts-
und Alterthumsvereine Uebersichtskarten der ganzen Limesanlage neben
den Specialkarten einzelner Theile derselben vorgezeigt worden. Aber
zur Veröffentlichung ist meines Wissens keine derselben gelangt. In
geographisch- kartographischer Hinsicht sind wir ja überhaupt noch
gar nicht eine wirklich geeinte Nation. Professor Kiepert hat sich
auf meine Bitte der Arbeit unterzogen eine solche Karte, und zwar im
Maafsstab von 1 : 3O0OO0, zu zeichnen. Noch aber ist es nicht möglich
diese vorzügliche Zeichnung zur völligen Ausführung und VervielEltigung
Zü bringen, so erwünscht dieselbe auch unzweifelhaft Vereinen und
123) Aach Yates, dessen genauere Uebersicht über den Wall mit dem
naaMokchen Abscbnitt endet, ist nicht abgeneigt, eine FortsetKung deeselben
n&rdhcb bis Deatz oder gar mit Einigen bis nach Wyck de Dnnnstede in Holland
anzimehmeu (S. 129 des oben S. 21 citierten Aufsatzes).
Der römisch« Greuzwall in ItouUebUnd.
Einzelnen sein würde. Es bleiben vor allem zunächst noch die Ar-
beiten Ohlenschlagers abzuwarten; auch für die hessischen Gebiete
konnten allerlei schon vorhandene Vorarbeiten vor der Hand noch
nicht verwerthet werden. Die der vorliegenden Uebersicht beigegebene
Karte (im MaafStötab von 1 1 1,500000) mit ihren drei Nebenkarten (in
etwas gröfäeren Muaf^stäben) hat nur den Zweck soweit zu orientieren,
als für das Verständnis^ der ganzen Anlage unbedio^^t nothweodig i.st.
Immerhin wird sie, ebenfalls von H. Kiepert, auf Grund der Vorar-
beiten zu der beabsichtigten Karte im grofsen Maafsstab, mit gewohnter
Meisterschaft ausgeführt, den zahlreichen Lesern dieser Blätter eine,
wie ich glaube^ sehr erwünschte und lehrreiche Zugabe »ein, für deren
Beschaffung und geschmackvolle Vervielfältigung dem Vorstande unseres
Vei-eins aufrichtiger Dank gebührt. Auf eine ausführliche Terraiu-
danstelluog. iüt dabei verzichtet worden; die Terraintöne sollen nur
die Bödenbeschaffenheit in Bezug auf Wegsamkeit, ohne Rücksicht auf
absolute Erhebung des Bodens, anschaulich machen. Auch ist dafür
Sorge getragen, dass alle später etwa eingehenden Mittheilungen über
Limesreste in die Karte eingetragen werden können. Für das nördlichste
Gebiet, das grofse Arbeitsfeld Jac. Schneider'», scheint es überhaupt
noch nicht an der Zeit, eine kartographische Zusammenfassung zu ver-
suchen; auf alle Fälle würde dazu der im übrigen passende Maafsstab nicht
ausreichend sein. Vielfach berührt sich die Aufgabe einer Darstellung
des ganzen Limes mit der, wie schon oben erwähnt wurde, vom Bonner
Verein der Alterthumsfreunde mit glücklichem Takt und schon merk-
barem Erfolg in Angriff genommenen der Herstellung des römischen
Strafsennetzes, zunächst in den linksrheinischen Gebieten '"^). Beide
Aufgaben bedingen und ergänzen sich gegenseitig: möchten sie über
Prcussens Grenzen hinaus unter des Reiches Schutz zu glücklicher
Vollendung gelangen. £. Hübner.
124) Für sie ist in den Abhandlungen Jac. Schneider'« in diesen Jahrb.
60(1877)8. 1 ff,. 61 (1877» S. 1 ff. und im vorliegenden (63) S. 1 ff. - in einem
Correclurbogen mir eben zugekommen — bereits der Anfang gemacht. — Zu dem
8. 80 erwähnten mvm'mentum Traiani fuge ich hier noch nachträglich hinzu, dasa
•eine muthmafsliche Lage von H. E. Scriba im Archiv für heuische Geschichte und
Landeskunde 3, 184'1 Heft 1 No. IV erörtert worden ist; zu dem S. 50 behandelten
nördlichsten Abachnitt des Grenzwalls ist A. Fahne's Aufsatz die Landwehr
oder der Umu imp. Rom. am Niederrhein' in der Zeitschrift des Bergiacben
GesohichtNvereins Bd. 4 (Bona 1867 6.) S. 1—82 (vgl. ebenda«. 10, 1874 S. 116 ff)
KU vergleichen.
InschrifUicbea aus Heidelberg.
67
3. Inschrifth'ches aus Heidelberg
lesonderer Berücksichtigung keltischer Namen aul*
rheinischen Inschriften.
Uiurzu Tafel 111:
Im Jahre 1822 fand man bei Erdarbeiten in den Feldern westlich
von Heidelberg das Terrain eines allemannisdien oder fränkischen Be-
gräbnissplatzes aus nachrömischer Zeit, der mehrere Tlattengräber,
sog. fränkische Grabkaramern ergab. In ihnen lagen, einzehi gebettet,
Skelete mit Waffen, welche bekanntlich den germanischen Leichen als
Beigabe ins Grab mitgegeben wurden, eine Sitte, die bei den Römern
nicht bestand.
Die Erinnerung an diese Begräbnissstätte lebte fort im Namen
des dortigen, jetzt allerdings meistens zu Bauplätzen benutzten Feld-
distriktes, der den bezeichnenden Namen ,In der Seel* oder ^Seelen-
gewann" führt; ein dortiger Weg heisst „Seclenwpg", d. h. Todtenweg,
Namen, die vielfach an Stellen ehemaliger Kin-hhöfe auftreten (so
raehrfai'h in der Nähe von Heidelberg, z. B. bei Kirchheim, als Be-
zeichnung eines alten Pfarrgutes; vergl. Widder, Beschreibung der
Pfalz I, S. 162) ').
Die Lage dieser Stätte war überhaupt bedeutsam, sie bildete den
Scheite! eines Winkels, dessen beide Schenkel Römerstrassen waren.
Die östliche derselben war der sog. Galgenweg oder alte Rohrbacher
Weg, welcher in neuester Zeit den ofticiellcn Namen «Römerstrasse"
I) Dieser Gebrauch rührt daher. Jobb das Wort Socio (altdeutsch sela)
früher mehr wie jetzt für die abgeschiedene Seele im Paradies gebnuicht wiirdo
und daher in einer Menge alter ZusanDmeDtiet2UDgeD geradezu far dio Verstor-
benen im Allgemeinen gebraucht wird, so ist z. B. actambacht, sclmesse =
Seelenamt, TodtenmesBe, gestiftet zum Heil der Seele (seiner eigenen oder anderer
Verttorbener) ; selgeraete licduutet in gfeicher Weise überhaupt letztwillige
Schenkung, Testament, Eine Menge solcher ZueammensetzuDgen sind in Loxor's
mittelhochdeutschen] Handwörterbuch enthalten. Mehrere hierher gehörige Aas-
drücke, wie Seelsorger, sind heute noch allgemein gebräuchlich. Der AuBdruck >die
Seelcnt bedeutet also so viel, wie die Veratorbeiica, gerade so wie die latei-
nischen Manes nicht nnr die Seelen der Abgeschiedenen bedeuten, sondern auch
die irdischen Ueberreslc der Menschen, den Leichnam. Der Begriff des Wortes
»Seele* vermischt sich also hier, wie öfters mit dem von »Belig«. welches
indessen ganz anderer Abstammung ist und besser saelig zu schreiben wäre, wi»
es iu der That in der Schweiz und Oberdeutechlaud noch lautet,
hfti, wennscboo es nieht so nnzweifelhalt M, dass er eine
ioldw war, wie dies beüo wfgüirheai fidiwkd jenes Winkeb der Fall
hA- Dieser letztere wirde nun gebildet dorch die alte Speierer Laad*
tlraaK, deren Römertham dnrch die jüngsten Aosgrabongeo zur rollen
GewisBheit erhoben worden ist.
Dieselbe durchschnitt nämlich nördlich von aoserai -Standpankte
die römhiehe Ansiedelang nnterh&lb des neaen Spitak, am dort aber
die römische Brücke auf das Neoenheimer Ufer zu setzen.
An dieser Speierer Strasse war wohl, wie überhaupt die römischen
Grab-Stelcn an Landstrassen standen, einstens auch der Cippus auf-
gestellt, welcher in dem (südlich von der römischen, näher beim Neckar
gel^enen Niederlassung, nach der Zerstörung derselboi) Ton den
Germanen angelegten Begräbntssorte, seiner platt enformigen Gestalt
w^en als Deckplatte eines der erwähnten Plattengräber verwandt wurde.
Sein Fandort ist also m'cht der ursprüngliche Standpunkt, indem
die Germanen eben die brauchbaren Steine zusammensuchten, um sie.
wie gesagt, als Baumaterial zu roh gemauerten Gräbern zu benutzen.
Dies war aber mit noch mehreren römischen Inschnftsteinen der Fall,
die an die gleiche Stelle der Seelengewann von ihrem benachbarten
ursprünglichen Bestimmungsorte verbracht worden waren.
Als nämlich um das Jahr 1872 hier ein Verbindungsw^ zwischen
dem erwähnten alten Rohrbacher und dem Speierer Weg angelegt
wurde (in Folge dessen letzterer auch von seiner bisherigen geraden
Richtung auf die Mannheimer Landstrasse abgeschnitten worden ist),
»Liessen die Arbeiter wieder auf eine ganze Reihe solcher Plattengräber,
worin noch ganze Skelete mit Waffen lagen und die als Deckplatten
wieder römische Grabstelen zeigten. Leider kümmerte sich aber kein
Mensch hierum, und als wir auf zufällige Benachrichtigung durch einige
Arbeiter an Ort und Stelle eilten, konnten wir blos noch die ganz und
gar zu Chausiicematerial zerklopften Reste römischer Inschriflsteine
eoDstatiren. Die aufgefundenen Waflfon aber wurden von den Arbeitern
nach allen Windrichtungen verschleppt.
Wiederholte sich derselbe Vandalismus nicht allenthalben, so
könnte man versucht sein, auch als persönlich unbetheiligte Privat-
person fUr den einzelnen Fall öffentlich zu protestiren, allein hiermit
würde orfahrungsgoniäss doch nichts erreicht, ^ lange nicht allent-
halben LnkalconservHtoren aufgestellt und Gelder zu Nachforschungen
bewilligt werden. Abel* leider finden dieselben in den Rheinlanden
Überhaupt nicht die erforderliche Unterstützung. Noch unlängst nor-
Inachriftliches aua Heidelberg;
59
mirten die badischen Kammern z. B. das Budget für die Bethätigung
des Conservatora der Altcrthümer zu solch bescheidener Sumnie, dasK
«o Veranstaltung von grösseren Ausgrabungen in Baden kaum mehr
gedacht werden kann. Freilich ist es für den einzelnen kleinen Staat
sehr schwer, neben dem so sehr gesteigerten Aufwand für Unterricbts-
swecke überhaupt, besonders aber für die Universitäten, auch noch
weitere Mittel zu solchen wissenschaftlichen Lokaluntersuchungen zu
beschaffen, allein es wäre doch zu beachten, dass die Kenntniss des
Alterthums nach seiner realen Seite hin von viel grösserem Werthe
für uns ist, als die blosse Beschäftigung mit den Classikem und die
Pflege des theoretischen Theiles der philologiechen Wissenschaften, wie
sie zumeist in unseren Schulen herrscht. Hier gerade wäre der Ort,
den Sinn für Lokaluntersuchungen zu wecken und so einen Stamm
freiwilliger Correspondenten und Conservatoren zu bilden, die ihre An-
zeigen zur Kenatniss einer fachmännisch wirkenden Central-Commission
für Kunst- und historische Denkmale bringen könnten, wie eine solche
Organisation in der That in Oesterreich besteht. Dieses Institut dehnt
gegenwärtig sein Walten auf's Erfolgreichste über Ocsterreichs ge-
flammte alte Kunst und Geschichte aus. Im deutschen Reich dagegen
besteht leider fast nichts dergleichen, und doch würde nur von hier
aus die Errichtung einer solchen hinreichend dotirten Centralcoramission
mit einzelnen Sektionen für die einzelnen Ländergobiete ausgehen
köoaen. Systematische Excavationen sollte man nicht nur dem fremden
griechischen und italienischen, sondern vielmehr auch dem heimath-
licheo Boden aus Keichsmitteln zu Theil werden lassen, —
Was nun die fränkischen Grabkaiinnem im Allgemeinen betrifft,
wie sie gewöhnlich in den Rheingegenden gefunden werden, so sind sie
wie zu Heidelberg in der Regel von grossen Steinplatten gebildet, wozu
oft römische Inschriften verwandt wurden.
Die Errichtung dieser Grabkaramern, die in der Regel die Länge
eines grossen Mannes haben und etwa 2 Fuss hoch und eben so breit
sind, fällt etwa in's 5.-7. Jahrhundert, d. h, in die erste fränkische
Zeit in uusem Gegenden.
Die völlige Unterwerfung der Allemannen durch die Franken fällt
bekanntlich in das H. Jahrb., und damals siedelten sich die Letzteren
auch überall in den Neckargegenden an. Bereits im 8. Jahrb. wird
denn auch schon das Dorf ßergheim in der Nähe des späteren Heidel-
bergs genannt. Das erwähnte Todtenfeld war wohl die älteste Grabea-
fiUtte seiner Bewohner, von deren Wohnort es nur eine kleine Strecke
I InachrifUiches aus Heidelberg.
ablag und zwar im Winkel der alten (wie gesagt, bereits römischen)
Wege, welche von Bergbeim (im 14. Jabrh. eingegangen, jetzt das
Terrain des botanischen Gartens) nach Rohibach und Speier führten.
— Diese Grabesstattc soU liier indessen noch etwas genauer markirt
werden, weil vielleicht bei Neubauten daselbst noch mehrere solcher
Plattengräber zu Tage treten könnten und deshalb die Aufmerksamkeit
<U 1 Altcrthuinsforscher auf jene Gegeml gerichtet sein niuss. Der zu
beschreibende Grabstein selbst wurde, wie gesagt, im Jahre 1822, und
zwar auf einem dem Landnianno Mayer gcbürigeu und in der Seelen-
gewann gelegenen Acker gefunden, über 5 Fuss unter der Oberfläche.
— Die Stelle Hessen wir uns vor Jahren von dem jetzt verstorbenen
Feliibtlter Beiler zeigen, der bei der Auffindung und Ausgrabung des
Steines hauptsächlich betheiligt gewesen war. Seit einigen Jahren ist
an diesem Orte der Rapp'sche Bierkcller „zum goldenen Fdsschen"
errichtet, welcher in der Spitze des Winkels liegt, welcher hier durch
das Zusammenlaufen zweier HahnUnien entsteht, der Mannheim-Frank-
furter einerseits und der Karlsruher Linie anderseits.
Möge diese genaue Fundortsangabe, wie wir sie audi schon in
den Heidelberger Familienblättern 1877, Nr. 49 gegeben haben, dazu
dienen, dass In den dort liegenden Gütern später, wenn einmal das
Interesse für Ausgrabungen lebendiger werden sollte, Nachforschungen
veranstaltet werden.
Gehen wir nun auf die bisherigen Herausgeber des in Rede
stehenden Grabsteines über, die Übrigens schon Branibach (Nr. 1710;
mit Benutzung unserer schriftlichen Angaben zusammengestellt bat, 80
ist als der erste derselben Ditten berger zu nennen im „Boten vom
Uhein und Neckar" 1822, Nr. 9 vom 2. März jenes Jahres, wo er zu-
gleich die Beschreibung der gefundenen Gräber und ihreü Inhaltes giebt.
Fast gleichzeitig berichtete hierüber auch der berühmte Creuzer
in dem von Schoru herausgegebenen .Kunstblatt" des Morgenblattes
vom 18. März 1822, Nr. 22, einem bouicrkenswerthen Aufsatz, der leider
in dem Sammelwerke Grenzer 's „Zur Archäologie" nicht aufgenommen
worden ist.
Dagegen ist in letzterem, Band H, p. 449, eine weitere Arbeit Gren-
zer's über dieses Denkmal enthalten, die dessen 1833 selbstständig
erschienener jjGeschichle altröniischer Cultur", pag. 46, angehörte.
Greuzer*8 I^esung und Erklärung der Inschrift, auf der auch die
von Dittenberger beruht, ist unrichtig, wurde aber trotzdem von einer
Ueihe anderer Editoren kritiklos wiederholt, die hier der Vollständig-
InBcbriftliches aus ITeidelberg.
61
keit wegen erwähnt sein mögen. Es sind: Stalin in seiner Wiften-
borg. Geschichte I, Nr. U)9; Zell (in den Schriften des had. Alter-
thumsvereins I^ 2. Heft (1846) Nr. 31; Happenegger Nr. 47;
Steiner Xr. 922; Ring I, p. 207; Vierordt, badische ("Jeachichte,
p. 75. und endlich Fickler in einem Schriftchen, das wir in den Ver-
handlungen der 24. (Heidelherger) Philologen-Versammlung «niarbeitetea
and erweiterten.
Dort haben wir denn auch S. 212, Nr. 7a die Lesung zueret richtig
gestellt, in gleicher Weise hnt Brambach Nr. 1710 dieselbe nach
unserer, ihm flbersandten Abschrift wiedergegeben, ohne dass jedoch
hierdurch alle zweifelliaft^en Punkte gehoben worden wären.
Die Inschrift des Steines, der aus rothem Sandstein hiesiger
Gegend besteht (in ganzer Höhe 1,90 ni. bei einer Breite von 0,45 nnd
Dicke von 0,20 m.), ist nämlich de.s weichen Materials wegen sehr ab-
geblasst, so dass einzelne Buchstaben hit'rdurch von ihrer Deutlichkeit
eingebüsst liabon. Setzen wir dieselbe gleich her, mit der voraus-
geschickten Bemorkung dass sie auf allen 4 Seiten von einer erhaben
auagehauenen Leiste eingefasst im<i 0,;tO m. hncb ist:
0 1 S • M ■
V O L C 1 O I^E R
CATORI ANXXXX
LVTEIA-CARANTf
CONPIENPOS-
Also: Dis Manibus — Volcio Mercatori annnrum quadraginta
Luteia Caranti (hlia) conjugi pientissimo posuit.
Die erste Zeile mit der bekannten Eingangsformel DIS (nicht
DIIS, wie es in Folge einer kleinen Unebenheit des Steines nach der
Photographie scheinen künnte) Mfanibus,) ist klar, Die Buchstaben
stehen hier in weitem Zwischenraunj auseinander, um die Zeile aus-
zufüllen.
Im engsten Zusammenhang mit dieser Widmung an die verklärten
Geister der Abgeschiedeneu, d. h. di« Manen im Allgemeinen, die in
der Unterwelt wohnend, als unterirdische (iotter angerufen wurden,
scheint der das ganze Inschrillfeld gleichsam auf den nach oben aus-
gebreiteten Händen tragende. 0,18 m. hohe, unbekleidete und geflügelte
Genius, welcher speciell die Seele des einen Verstorbenen zur Dar-
stellung bringen will, um den es sich hier handelt. Denn wenn auch
der Ausdruck dii Manes in der Mehrzahl steht, so ist der.sclbe eben
69
luflchriftlichea ans Heidelberg.
eine typische Formel, die nicht abgeändert werden konnte und daher
auch frir die einzehie dahingcächledene Person gilt.
Vergl. hierüber J.Becker in seinem „Mainzer Museum", p. XV,
wo er denn auch süb Nr. 247 auf einem Grabsteine eine ähnliche
Darstellung aufführt: Die geflügelte Idealgeatalt eines jungen Sclaven,
„wahrscheinlich der auf Grabmiilern gewöhnlich doppelt vorkoraniende
Attis".
Den Genius unseres Heidelberger Grabsteines Casste nun Creuzer
ebenfalls als Todesgeist > der bei den Alten mit schwarzen FlOgeln
gedacht und dargestellt worden wäre, allein man darf, wie gesagt, die
Frage stellen, ob derselbe nicht vielmehr als Sinnbild einer privaten
Apotheose zu fassen ist. Die neuere, besonders französische Forschung
hat nämlich gezeigt, dass auf einer ganzen Reihe von griechischen wie
römischen Grabmonumenten der Veratorbene in verjüngter IdealgCvStalt
abgebildet ist, wie man sich denselben im Jenseits nach seiner Apo-
theose dachte. Gewöhnlich finden sich darauf Scenen dargestellt, die
man bisher Abschieds- oder Trenn ungsscenen genannt hat, die aber in
Wahrheit die Wiedervereinigung des Verstorbenen iu der andern Welt
mit seinen früher verstorbenen Verwandten bedeuten. Hiernach darf
man aber vielleicht annehmen, wir hätten auf unserm Grabsteine neben
der reuten Darstellung des Verstorbenen während seines Lebens (die
oberhalb der luschrift angebracht ist) denselben im höheren seligen
Zustande vor uns, welchen man als dem göttlichen Wesen verwandt
betrachtete. Daher verehrte man den also erhöhten und gleichsam
consekrirten Verstorbenen auf gleiche Weise wie andere Götter und
Geister und bildete ihn, wie diese ja selbst öfters ala Genien erscheinen *)
1) Wie Widinuugen an die Genien der Götter (selbst genio Jovia bei
Wilmunns Nr, 105), wie der Göttinnen vorkommen, so kommen solche aach
auf Ehrcndeakinälern an die Genien der Kaiser vor (Wilmanus 11, p. 475).
Hiermit wird wohl ihre Vergöttlichung angedeutet, wie wir auf dem bekannten
Basrelief von der Basis der zerstörten Ehreusänlc des .\ntoninns Pius sa Rom
den Genius der Welt oder der Ewigkeit auf seinen ausgebreiteten Flügeln diesen
Kaiaer und ««iD» Gemahlin Fauatina sohwebend emportragen sehen, eine Dar-
st<%Ilung, die an unser Heidelberger Denkmal erinnert.
Aber auch Beispiele der Apotheose von Privatleuten giebt ea eine Menge,
so inschriftlich: >Deae sanctae meae, deae domiuae« und Aehnliches bei Wil<
man na, Nr. 241 (wo er auch ein Beispiel aufluhrl, in welchem ein verstorbener
Knabe vom Grabsetzer genanut wird: divus et dominus meua); — dis Manibus
loci in qao corpus crematum est (Wilmanns 230); dis deabus Manibus (231);
Inschriftliches au» Heidelberg.
68
(80 auch iDScbriftlich genios Apollinis, gecius Martis, genius Mercurii
auf rheinischen DfiikmuteiD) auch aiä solchen ab. Sü zeigt sich der
abgeschiedene Geist in iinserni Falle als ziisanimeDgekauerter Knabe,
eine Stellung, die sich durch die Bestimmung desselben rechtfertigt,
ihn zugleicli als Träger der laschrilt zu üeautzeu.
Charakteristisch sind hierbei die ausgebreiteten Flügel, deren jeder
4 Schwingen tMithalt. Die Figur bekommt dergestalt vollständig das
Ansehen eines Engels, wie denn der ausgebildete Engeisglaube der
katholischen Kirche zu gutem Theile dem römischen Heidenthum ent-
Dommen ist.
Bekannt ist es ja, dass die christlichen Priester diejenigen heid-
nischen UeberlieferuMgen und Gebräuche, welche sie nicht ausmerzen
konnten, mit den ähnlichen Formen des Christenthums verschmolzen.
Dies konnte um so leichter geschehen , als der Unsterbliclikeitsglaube
durchaus nicht blos eine semitisuh-christliche Anschauung war, sondern
auch die Grundlage der Pweligionen der arischen (indogerüiaDischen)
Völker bildete. (Vergl. den Anhang.)
So sind denn auch die lateinischen MAnes (von altlateinisch mänüs,
angemessen, gut, dessen Uegensatz im-uiäuis ist) nichts anderes, als
die abgeschiedenen Geister, die, wie Preller treffend bemerkt, durch
den Tod und die Weihe der Restattungsgebräuche geläutert erschienen.
(Ueber die Herleitung dieses Wortes vergl. Vanicek, Griecb.-Latein.
etymologisches Wörterbuch (1877), p. Ü53.)
Ganz auf dieselbe Weise wird dieser ßegriff im Deutschen aus-
gedrückt durch das Wort .selig" (altdeutsch ;,sälig* gut, glücklich,
zum Glück bestimmt, beglückt, ge.segnet, heilsam, heilig, fromm, ver-
storben), das bekanntlich nichts mit dem Worte Seele, altdeutsch s&la,
gothisch saivala (ursprünglich die bewegende, wogende Kraft) zu thun
hat, sondern in seiner ältesten Gestaltung säla, sälja gelautet haben
musB und auch im Gothischen „sels" vorliegt, womit der Begrif!" von
dya&og (gut, tauglich) bezeichnet werden sollte, wie der Gegensatz
daisa durch „uns^ls" /iovi]q6(;. Die älteste germanische Form dieses
Manibus ei genio P. Vatrii Severi (233); die ioferia (Maaibua), deis i&feruin pft-
»Dtum, dia pareutibus etc. (232); deia et geaio Ilbodonis (295). LIeberhaüpt tritt
die Widmuug an deu GeDius väreturbener Phvatleutti öfters auf, auch in diest»r
Form >geaio et bonorii (illius, Ule poiuit). Yergl. Beispiele bei WilmaDDa II,
p. C81, wo übariiaupt noch uiuc Reibe hucbat bedeuluugavoUer drabwidmuugea
aufgufübi't werdea. Dasu gebüruu uocli beaondera solche, wie «dib M. et me*
laoriae aeteroaa«.
G4
Inschriftlichea ane Heidelberg,
Adjektivs, sala, stellt Fick Vergl. W. 3. Aufl. III, 320 auf. Die
deutscheo .Seligen" bedeuten also ursprünglich ziemlich dasselbe, wie
die lateinischen Manes. Sie sind die guten und glücklieben und daher
glück- und heilbringenden Geister, die durch den Tod vom Uebel dieser
Welt gereinigt und erlöst wurden. Gestalt nehmen dieselben an in
den geflügelten Engeln der christlichen Kirche, insofern hierunter die
verklärten Leiber der Seligen verstanden wurden. Hatte man doch
auf zahllosen antiken Grabmälern jene geflügelten Genien vor Augen,
welche die altklassische bildende Kun.st als Tafelhalter erfunden hatte,
die später aber als dii Manes aufgefasst worden sein mochten. Die
christlii-hp Kirclienpalitik cnUehnte also auch in Bezug auf den Engels-
glaulten die Formen dem Alterthuni, indem sie ihnen hlos eine andere
Auslegung im Sinne des Christeothums gab').
Gehen wir nun nach dieser Abschweifoog auf die Erklärung
unserer Inschrift zurQck, so folgt auf die besprochene allgemeine
Sepulcralformel der Name des Verstorbenen, wie gewöhnlich im Dativ.
Derselbe hiess hieniach Volcius Mercator, wobei letzteres Wort Per-
sonenname ist, wie z. B. auch auf einer andern Inschrift aus der Nähe
von Heidelberg, die zu Mannheim aufbewahrt wird (vergl. Haag,
Rüm. Denksteine, Nr. 14). Mit Unrecht fasst Creuzer mercator als
Bezeichnung des Berufes, obwohl in diesem Falle das cognomen fehlen
würde, was nicht wohl anginge.
Betrachten wir uns nun das Aeussere des Verstorbenen, welcher
das Hauptbildwerk (haut-relief) der Grabsäule ausmacht. Eine männ-
liche Figur, 0,80 m. hoch, mit der einfachen tunicp. bekleidet, also bi»
auf die Kniee herab, mit unbekleideten Beinen (woran indessen Spuren
von Fussbekleidung) und ohne Kopfbedeckung, steht in einer, das oberste
Feld des Steines bildenden Nische, deren obere Wölbung muschelartig
verziert ist mit bogenförmiger Bedachung. Hinter den Füssen tritt
ein kleiner spitzohriger, kurzhaariger Hund hervor mit geringeltem
Schweife und erhobenem rechten Vorderfusse*).
IJ Eiu interesBaoter Sarkophag dieser Art vom Niederrbeiu aua späterer
römischer Zeit, woriiuf zwei nackte, geflügelte Genien eine Tafel mit der Grab-
schrifl ha)t«ii, steht im Maiiuheimer Antiquariam (Haug Nr. 73).
2) Nur die üauptseitu des Steines ist ÜLerbatipl ornamentirt and, wie
aus der Abbildung erijicbtlich, in drei Felder eingelheilt, unter denen aioh aber
Qocb ein uoterstor, roh gearbeiteter, 0,56 m. hoher Sockel von derselben Breite
und Dicke, wie der ganze Grabstein, befindet. Derselbe ist datu bestimmt
in die Erde eingegraben tu werden, und auf der Abbildung weggflaseen, —
Ni'beoaeiten und Rücken unseres Steines sind gänzlich uuaculptirt.
Inschriflliohes aua Heidelberg.
6fi
Was die Attribute in den Händen des Verstorbenen betrifft, so
f
roässen natürlich die an die irrthiiniiiche Erklärung Creuzer's ge*"^
knüpften Vermuthungen und Kolgecungeti wegfallen, wie, dass der Stab
in der linken Hand ein Streichholz (rutellum) wäre, womit die Rümer
die auf dem Scheffel (modiiis) aufgehäuften Getreidekörner hinweg-
strichen, und dass Volcius dadurch als ein Getreidehändler (mercator
fnimentarias) kenntlich gemacht würde.
Der angebliche Stab ist nämlich nichts anderes, als ein breites
Lineal, wie es die Bautechniker und sonstigen Werkleute benutzen.
Hierzu stimmt, dass der abgebildete Mann in der gesenkten Rechten
ein dreieckiges gewöhnliches Winkelmaass hält, welnhes übrigens auch
Creuzer als Maasswerkzeug erkannt hatte, wie er denn in Folge
dessen glaubte, <ler Verstorbene hätte zwei Geschäfte in einer Person
vereinigt, er sei nicht nur Kaufmann, sondern auch zugleich Architekt
(mensor aediticiorum) gewesen.
Durch die beiden Messinstniniente war der Stand tles Mannes
genugsam angedeutet und brauchte daher insdiriftlich nicht noch einmal
erwähnt zu werden, was bei den Baumeistern überhaupt selten ge-
schieht Dass aber blos eine solche beim Bauwesen hetheiligtc Persön-
lichkeit vorliegt, die nicht zugleich auch Kaufmann war, steht ganz
ausser Frage. Auch geht aus der ganzen Fassung der Grabschrift,
der blosen Angabe der I^bensjahre: AN(norumJ XXXX (während
keinerlei militärische Stellung, Dienstalter, Truppentheil, Heiniath-
bezeichnung etc. genannt sind), sowie aus der bildlichen Darstellung
unzweifelhaft hervor, dass der Verstorbene dem Civilstande angehörte.
Seinem Gentil-Nanien nach, vor dem wie so oft das praenomen weg-
gelassen ist, weil das cogiiomen in späteren Zeiten als Tersonalnarae
betrachtet wurde, war er römischer Bürger. Hieraus folgt natürlich
nicht, dass er auch Römer von Geburt gewesen wäre, wie denn z. B,
der deutsche Nationallield Anninius ebenfalls einen aus einem fremden,
germanischen Namen gebildeten römischen Gentilnamen führte.
Deutsch ist nun aber der Name Volcius sicher nicht, und die von
einigen Editoren unserer Inschrift ausgesprochene Meinung, es sei der
heutige Familienname Vulz (eine blosse Abkürzung des altdeutschen
B'olkmar),. ist geradezu lächerlich falsch.
Volcius kann dagegen allerdings ebenso wie der mit fast dem-
selben Suffixe gebildete Gentilnamen Volceius zu Rom (W i Imanns 1506)
ein römischer sein, wie denn entweder der Volksname der Volsci mit
Verlust des iolauteuden s oder aber die Stadt Volceja oder Volceji
66
Inschriftliches aus Heidelberg.
(Bewohner V'olcentes und Volceiani) auch Bucinum genannt, jetxt
Buccioo im Neapolitanischen zur Basis dieser Geschlechtsnaraen gedient
haben könnte. Dieselben scheinen nun aber auch eines Stammes m
sein mit anderen römischen Gentilnamen, wie Volcasius oder Volcacius
("Wilmanns Nr. 2103 u. 2503) und Volcatius. Hierzu kann man
lateinisch volcisci = ulcisci „rächen, bestrafen" vergleichen (Vanicek 901)
oder auch ulcus „Geschwür" entstanden aus volcus (ib. 908; Fick I,
778; II, 237). Weiter ab liegt der Feuergott Volcanus, erst späte^
Vulcanus, welchen Fick, vergl. W. B. 3. AuÜ. I, p. 213 u. 772, n, 237 vo™
Wurzel VAR, VAL, „warm sein, wallen" ableitet; dagegen von VARK
„glänzen" Vanicek 918. Andererseits weisen jene Namen wieder auf
keltischen Ursprung. Sicher ist dies <ler Fall bei dem Namen des
gallisclien Volkes der Volcae, sowie bei dem Personennamen Catu-volcus
(zusammengesetzt mit dem gallischen catu „pugna", vergl. Fick I,
548 und 545). Aus dem einfachen Volcus kann aber mittelst dei
lateinischen Gentilsuffixe das Gentile Volcius gebildet sein.
Dass eine Menge Namen der römischen Nomenklatur aus de
Keltischen stammen, namentlich solche, die in den cisalpinischc
Gegenden entstanden sind, ist eine bekannte Erscheinung. Hierher'
gehören z. B. Galba (vergl, hierüber Fick I, p. 568 u. II, p. 798),
sodann Plinius, Livius, wohl auch Virgilius, Lucallus u. andere.
Ebenso kann das römische praenomen Lucius mit seiner doppelten
griechischen Transcription Lnkios und Leukios zunächst ebenso gu^
keltischer Abkunft sein, wie lateinischer, in letzter Linie jedenfalls abc
der allgemein arischen (indoeuropäischen) Wurzel RüK, später
europäischem Boden luk (leuchten, scheinen, schimmern) entsprossen,
woher auch lateinisch lüceo, lux; griechisch leukas und lychnos (Fick I,
199, 756; U, 225, 456,654; III, 274—275; Vanicek 816-819). Auf
dieselbe Wurzel geht vielleicht auch der auf unserer Inschrift erschei-
nende, zunächst wohl ebenfalls keltische Gentilname Luteia zurücluH
wenn man annimmt, dass derselbe aus einem nrspriinglichen Lucoteia/H
Lucteia zusammengezogen ist , wie Lugdunum aus Lugodunum , das
übrigens einem andern Wortstamme angehört (keltisch lugu — »minor",
Fick I, 750, U, 217).
Jene Annahme würde sich gründen auf den Wechsel der Formen
im Ortsnamen Lutetia Parisiorum, auch Lutecia geschrieben, mit Luco-
tecia (Lucotetia).
Mit Bezugnahme hierauf handelt ausführlich aber die gaHisclien
Namen des Stammes LUC Mowat in der Revue Arcb^ul. von 187i
innohriftliohea aus Heideiberg.
FÄvrier, p. 101 sq., während Franz Stark schon früher in seinen
keltischen Forscliungen (Wiener Sitzungsberichte, Jahrgang 1869, Jufi,
p. 241) eine kleinere Sammlung derselben veranstaltet hatte. Es geht
daraus hervor, dass Lucius nicht allein als römischer Vornamen, son-
dern auch als gallischer Pei-sonalname (cognomen) und als Einzelname
von Töpfeni ii. dergl. verwandt wurde.
An gleicher Stelle nun bringt Franz Stark auch keltische
Namen anderen Stammes, so Lotacus, Lutacus, und stellt dazu auch
den bekannten römischen Gentilnamen Lutatius, der schon im Livius
vorkommt (bei Wihiianns kommt derselbe nicht allein wie gevköhnlich
als Gentile vor, so Nr. 176, sondern auch als cognomen, Nr. 884.
Eine solche Annahme ist aber sehr gewagt, da ein Stamm lut
sich nicht allein im Keltischen, sondern auch im Griechischen und
Lateinischen nachweisen lässt, so in lat. lotus „das Waschen", hilus,
Iftutus „gewaschen" (vergl. Curtins, „Griech. Etymologie", 4. Aufl.,
p. 371; Fick, 3. Aufl., II, 223—224). Derselbe kommt von Wurzel
LU „spülen, wa.schen"; Vanicek 849. Hierauf ist aber auch das
lateinische lutuni (Schmutz) zurückzuführen, das wieder mit dem alt-
irischen loth (Sumpf, Kotb) übereinstimmt (Fick I, 75G). Letzteres
würde man heranzuziehen haben, wenn die angeblichen matres Lutatiae
Suebae einer verlorenen niederrheinischen Inschrift (Brarabach 95) sich
wirklich als Lokalgottheitcn erweisen Hessen, die ihre Namen einer
Oertlichkett zu verdanken hätten.
Die gallische Stadt Luteva und das britannische Lutudarum sind
aber offenbar kelti.sch und doch wohl eines Stammes mit Lutetia.
Neben Lucotecia könnte ja der Name Lutetia Parisiorum davon
unabhängig gegolten haben, so dass die beiden in verschiedener Zeit
oder für verschiedene Theüe desselben Ortes gebraucht worden wären.
Wird doch auch in Spanien, in der Nähe von Numantia, eine
Stadt Lutia genannt, von der man mit Unrecht angenommen hat, sie
sei mit einer anderen der dortigen Gegend Voluce identisch.-
In Bezug auf die letztere nimmt Philipps ,die Wohnsitze der
Kelten" (in den Wiener Sitzungsberichten, Juli 1872) S. 734 und 745
an, ihr Name sei iberisch, allein man könnte ihn auch als keltisch
betrachten und den Namen der gallischen Volcae hiernach aus Volucae
contrahirt denken, also etwa zu Wurzel VAL „sich bewege» „ (in lat.
volare, volurer) stellen (Vanicek 936) oder zum europäischen Stamme
val, vol „wollen" (vergl. Vanicek 889; Curtius, Griech. Etymo-
logie, 4. Aurt., p. 539; Fick, 3. Aufl. I, 777; U, 247).
68
Tnschriftliohes aus Heidelberg.
Näher liegt aber doch die europäische Wurzel valg „netzen*, die
auch in den neukeltischen Sprachen lebt (Fick I, 778), desgleichen im
Germanischen (hier in der Grundform valk „feuchten, nässen" ib. III,
208). Es sind nbrigens noch weitere Vergleichungen möglich, wie mit
der Wurzel valk, velk „reissen, ziehen" (ib. I, 778: Vanicek 905),
wovon das ureiirnpäische valka „Wolf" abgeleitet ist (ib. 908; Fick 1, 773).
Oder wären Volcae = veloces? (irisch folg „schnell")-
Was nun weiter das obige Lutia betrifft, so hält dies Philipps
gleichfalls für einen iberischen Städtenamfn . obgleich sich auch dieser
wieder, wie wir gesehen haben, keltisch erklären Hesse.
Für keltische Namen des Stammes Lut könnte man aber ver-
sucht sein, noch eine andere Etymologie aufzustellen, wonach sie ein
anlautendes C eingebüsst hätten, also eigeutlicfi zum Stamme Kluto
gehörten („gehört, berühmt'*, part, pf. pa.«js. von klu „hören"). Allein
dieser letztere ist selbst schon si» häufig in altkeltischen Personen-
namen, sowie noch als Wortstamm in den iieukeltisrhi-n Sprachen vor-
handen (so in kyniriüch clot „gloria'\ altirisch cloth „berühmt"), dass
an einen solchen Abfall des C in so früher Zeit nicht wohl zu denken
ist, wenn es auch vielleicht auf lateinischem Boden gegenüber cluere
(hören) im Stamme laud- (Lob) geschehen sein sollte. (?) (Vergl.
Curtiits ib. p. 150, Nr. (32; Bacmeister, „keltische Briefe", S. 7;
Fick I. 62, 552-554; U, 71 u. 801; in, 89; Vanicek 172).
Im Deutschen hat dieselbe arische Wurzel KRV, in den euro-
päischen Einzelsprachen KLV (^.fhören'*) ihren Anlaut jedenfalls erst
in später Zeit verloren, vergl. altdeutsch lilüt, jetzt ,,laut" und den In
zahllosen deutschen Personennamen vorkommenden Stamm hlud, bei
den allen Franken chlod (beriihnit, Ruhm), jetxt in Namen, wie Ludolf.
Ludewig, ohne den alten Anlaut, gerade wie in den wohl gleichfalls
hierher gehörigen, gleichbedeutenden Eigennamen, wie Rudolf von
einem alten hruod (Ruhm, Sieg), ein Wurt, das auf ein altgermani-
sches hrötha zurückgeht (Fick 1, 41 und III, 85, hält es dagegen für
andern Stammes).
Die entsprechenden keltischen Namen sind sowohl von Philipps
in den Wiener Sitzungsberichten, Jahrgang 1872, S. 75G, zusammen-
gestellt, wie vorher schon von Franz Stark an gleicher Stelle, d.h.
Juli 1869, S. 225—226.
Es Sinti solche wie Cloutius, Clotius, Clutius, Clutamus etc. —
Wenn darunter nun auch ein I^utios Clntarai f. vorkommt, so ist klar,
dass beide nicht wohl von demselben Stamme sein können, dass mit
Inschriftlicbcs aus Heidelberg. 69
aadern Worten Loutios keiu anlautendes C verloren haben kann, während
es bei Clutanius erhalten ist. Das mit dem lateinischen lautus im Sinne
von „prächtig, ansehnlicli, voniehm" au vergleichende keltische Loutios
und Cloutius sind also höchstwahrscheinlich stanimhaft verschieden, wie
dies anderseits auch mit Lutetia und Lucotecia der Fall zu sein scheint.
Betrachten wir nun nochmals die Wurzel LVC dieses letztere» Orts-
namens, so könnte man auch an ein dem lateinischen Worte locus
(Wald, Ilftin), altlateinisch loucos, entsprechendes keltis<;hes Wort
denke», wozu dann auch das keltische Volk der Lucenscs oder Lukensii
in Spanien (Philipps, S. 713 u. 714) u. Anderes zu nehmen wäre.
Das russische lug, böhmische luh „Waldwiese, Busch wiese" ge-
hören wohl auch hierher. Da dieser Stamm auch im Deutschen vor-
handen ist und entlehnte Wörter in früherer Periode seltener vor-
kommen, so ist Urverwandtschaft aller dieser Wörter anzunehmen.
Man kann daher das lateinische lücns nicht als ein Er/cugniss specitisch
gräko-italiacher Sprachentwickelung ansehen, wie dies Ortmann thut in
der Zeitschrift für Gymnasialwescn, Mai 1878, S. 308, in einem Aufsatze
„zu Tacitus Germania''. Die Bedeutung von altdeutsch „der loch" ist
nämlich die von Buschwald, niedrigem Gehölz, Hain, und dies stimmt
auch in Bezug aul" die Quantität vollkommen zu lateinisch liicus. Das-
sdbe ist auch der Fall bei mittelhochdeutsch „die lä'^ oder „16" Sumpf-
wiese, ein Wort, das die ursprüngliche Bedeutung der allen diesen
Ausdrücken zu Grunde liegenden Wurzel beibehalten zu haben scheint.
Auch das erwähnte lateinische Wort könnte ursprünglich eine feuchte
Bodenstelle, uiit Gebüsch bew;kchsen, bezeichnet haben. Ist doch schwä-
bisch Lauch = fliessendes Wasser (Birlingers „Alemannia" VI, 1).
Nach Ort mann wäre lucus ein massiger Bcstaiui von dicht-
stehenden hohen Bäumeo, die nur ein Halblicht durchscheinen la.ssen,
ohne Unterholz (?). Das Wort hänge zusammen mit liiccre, nur nicht
in der von Festus überlieferten Weise: lucus a non lucendo. Zum
Vergleich böten sich das griechische amphilyke nyx und lyktiphös»
sowie das im lex. Piaton. von Timaeus überlieferte Uyr^. Darnach be-
zeichne die Wurzel lue ursprünglich das Halbdunkel oder das Dämmer-
licht (1!), lücus (dessen Quantität von Ortmano übrigens gar nicht
beachtet wirdj wäre eine Specialisjrung des Begritles silva, und immer
sei das Schaurige, Dunkle, Geheimnissvolle ein wesentliches Merkmai
des Begriffes lucus.
Den Gegensatz dazu bilde gleichsam das Wort nemus [— nemos,
ein gräko-italisches Wort, nach Laut und BegritI bekanntlich eigentlich
70
loBchriftliches auB Heidelberg.
die Waldtrift, von Bäumen beschatteter, grasreicher Boden, vergl.
Vanicek 4:^3, Curtiua, 4. Aufl., S. 314—], dem das Heitere, Freund-
liche, Liebliche anhafte, auch wo seine ursprünghche Bedeutung nicht
festgehalten werde. Bilde dies einerseits sein unterscheidendes Merkmal
von liicus, so unterschieden sich beide Ausdrücke, eben wegen der
erwähnten wesentlichen Merkmale der Begriffe (die etwas das Gemüth
Ansprechendes, Poetisches hätten und im deutschen „Ilain" zusammen-
träfen) anderseits von silva und saltus.
Gegen diese Ausführung Ortmann's ist nun aber vor allen
Dingen zu erinnern, dass das Wort Idcus, wie wir gesehen haben, rein
arischen Ursprungs ist, d. h. der vor der Absonderung des gräko-
italischen Volksstaroraes bereits vorhanden gewesenen, gemeinsamen
arischen Ursprache und Cultur angehört.
Die Ergebnisse sprachwissenschaftlicher Forschungen bestätigen
daher solche aus arischen (indoeuropäischen) Kinzelsprachcu gezogenen
Schlüsse keineswegs. Die Bedeutung einer Sprachwurzcl ist nur aus
der Vergleichung der in diesen verschiedenen Einzelsprachen vorkom-
menden, von derselben Wurzel abgeleiteten Wörter zu erschlieasen.
Es ist deshalb eine unerklärliche Thatsache, dass eine grosse
Mehrzahl von klassischen Philologen lediglich den grako-italischen
Volksstamra in das Bereich ihrer etymologischen Betrachtungen zieht,
der doch, wie die übrigen europäischen HauptcuUurstämme, arischen
(indoeuropäischen) Ursprungs ist und sich von ihnen nur als selbst-
ständiges Glied getrennt hat, aber sonst in keiner Weise Originalität
der Abstammung beanspruchen kann. Der gemeinsame Ausgangspunkt,
die Heimath aller dieser Völker, war ja das Hochplateau von Mittel-
asien, wie mit Hülfe der vergleichenden Sprachwissenschaft längst fest-
gestellt worden ist. Von hier aus, wo sie ein ungetheiltes Ganze ge-
bildet hatten, breiteten sie sich erst nach Europa aus, um sich dort
allmählich als neue Typen, d. h. als Sondervölker auszubilden.-
Im asiatischen Stammlande herrschte .anfangs nur eine gemeinsame
arische Ursprache unter dem arischen Urvolke, die sich aber schon
vor der Absonderung und Ausscheidung einzelner Stämme in Dialekte
schied, aus welchen sich dann beim Betreten des europäischen Bodens
die Einzelsprachen, je nach der Folge der Ausscheidung selbstständig
und eigenartig entwickelten.
Es ist im Allgemeinen anzunehmen, dass, je näher sich räumlich
die Stätten der ersten Niederlassungen der einzelnen europäischen
Culturstamme an dem asiatischen Stammlande befinden, und je später
Imchriftliohes aua Ueidelberg.
71
ihre eigene historische Entwickelung fällt, um so mehr Ursprüngliches
zeigen ihre Spruchen in ihrem Bau unil Wortvorrathe. Die frühesten
arischen Ansiedler sind aber im mittleren Europa wohl die Kelten
gewesen, die auch am weitesten nach Westen vorgedrungen sind.
Diese Andeutungen mögen hier genügen um die gänzliche ünhalt-
barkeit einer isolirenden Behandlungsweise auf dem Gebiete der beiden
sogenannten klassischen Sprachen zu zeigen, wie sie die Philologie im
Gegensatz xur Linguistik versucht. Kehren wir nun zurück zu unserer
Frage bezüglich der Herkunft und Bedeutung des lateinischen Wortes
loaco-s, Bpäter Kicus (Hain), so finden wir seinen nächsten Verwandten,
wie oben gesagt wurde, im deutschen 'der loch' (Gebüsch), sodann aber
vorzüglich im litauischen laukas (gleichfalls masc.) „Feld, Acker", auch
„das Freie im Gegensatz des Hauses". Aber auch auf arischem Boden
begegnet uns derselbe Stamm im sanskr. löka (masc.) „Ort, freier
Raum, das Freie, Raum überhaupt, daher später auch Welt, Leben",
Fick I', 199 — 200 setzt daher ein indoeuropäisches mascul. rauka,
später zu lauka entwickelt, in der Bedeutung von freier Kaum. Lich-
tung, Ausblick, lichtes Gehölz, Hain an, das er zu einer Wurzel rauk,
spater lauk 'sehen, schauen, erblicken, gewahr werden* stellt, die
freilich eine Weiterbildung aus der Urwurzel HUK 'leuchten* ist, ohne
dasa die letztere aber die BegriffsbJldung der aus lauk (sanskrit. lok
'videre, aspicere, intueri') beeinflusst haben könnte. Also liicus non a
lücendo, jedenfalls nur in ganz übertragener, indirekter Weise! Im
Eranischen, sowie im Griechischen fehlt der Stamm, im Keltischen ist
er aber wohl vorhanden in kymrisch llwch (masc-)*See, Sumpf, Bucht,
Graben', bretonisch louch 'Meerbusen', die auf ein altes lue zurück-
zugehen scheinen, was in mehreren Städtenainen in Gallien und Spa-
nien als LÜCU3 vorkommt, auch zusammengesetzt z. B. in Penni- Penne-
oder Penuolucus am Genfer^see (jetzt Villeoeuve).
Hierzu stimmt nun aber wieder nicht der kurze Vokal in altirisch
(schottisch) loch ,,See", was vielmehr dem latein. läcus lautlich wie
begrifflich entspricht. (Vergl. Curtius * p, 159 Nr. 80; Vanicek 824;
Fick P, 748, II, 216.) Auch altdeutsch lacha (i^Lachc, Pfütze, Erd-
vertiefung mit stehender Flüssigkeit«), das mit lat. l&cus urverwandt
sein könnte, wenn es kein Lehnwort daraus ist, sowie das germanische
lagu 'Nass, Meer" (vergl. Fick III, 262) berühren sich nicht mit jenem
altkeltischen hic-. Wohl aber schwäbisch Lauch, Loch „Wasscrlanf".
Vielleicht aber ist hiermit das schon erwähnte mittelhochdeutsche
die la oder 16 'Sumpfwiese' und wohl auch daz 16 (gen. löwes) „Gerber-
TS
loechrirtliches aus Heidelberg.
lohe" (abgelöste Pflanzentheile), sodann slavisch lach «Moiir«, sowie
lat. lücus zu vergleichen. Wie dem auch sei, die ursprüngliche Be-
deutang dieses letzteren muss »freies Feldu gewesen sein, die sieb
allerdings aus dem Begriff ».\usblicku entwickelt haben kann, wie dies
auch Vanicek p. 818 zugibt').
Die Begriü't?bildung des mit dem lateinischen Worte formell über-
einstimmenden keltischen Wortes loucos, spSter lücus (in keltischen
Ortsnamen), wenn wir als Bedeutung des.selben See, Sumpf annehmen,
kann nun die gewesen sein^ dass sich <Ier ursprüngliche Begriif von
freiem Feld, insofern dasselbe feucht war, zu dem von sumpfiger Boden-
stelle entwickelte; man kann aber auch an eine direktere Herkunft
aus der Wurzel luk »ileuchten« denken und zwar ist» wie uns scheint,
der leuchtende, schimraernde Wasserspiegel die Ursache der Benennung
gewesen. Hat doch auch Cor ssen in derselben Weise das allgemeine
europäische Wort mari (= lat, mare) zu der Wurzel MAR 'tlimmern,
glänzen' (F ick I, 719) gestellt, nicht wie Curtius* p. 333 und Fick I,
717 zu Wurzel MAR 'sterben' als «todtes« Wasser,
Das Resultat dieser Untersuchung dQrfte nun dies sein, dass im
Altkeltischen eine Stammform louco in doppelter Bedeutung bestand,
einmal in der so eben be.-iprochenen übertragenen, sodann aber auch
in einer ursprflnglichen direkt von der Wurzel luk 'leuchten' abge-
leiteten. Die letztere Bedeutung tritt auf in einigen altkeltischen
Adjektiven loucios, loucetios, loucotios, lucotios, lucoticnos, leucuUos,
die als Eigennamen von Personen und in Ortsnamen vorkommen, be-
sonders aber als epitheta des keltischen Mars*).
1) Seiner Bedeutung nach könnte zwar auch das lateiniBche IScua, wie
Bopp in der Thal versucht, hierher gestellt werden, seino altlateiniecho Form
Btlocas widerstrebt aber (Curtius. p. 211; Vanicek 1149). Gänzlich unsicher
ist es aber anderseits wieder dieses Wort dem ariscb-etiropäiscben Stammworte
stara, später sUla >Ot, Stellet zuzutheilen, wie Fick I, 246 und 821; 11,274 tbut.
2) Mars Leucetius oder Loucetius bei Brambach 929 u. 930 auy Marien-
boro; sodann ebenfalls aus der Gegend von Mainz ib. 925 (= Becker, Mainzer
Museum 105); desgl. ib. 1540. Aber auch bei Brambach 1790, auf einer von
uns verglichenen Inschrift ist derselbe Mars zu verstehen, wenn er auch nicht
aasdrücklich als solcher genannt ist. Er ist indessen daselbst mit der Lokal-
göttln der Nemetcr und Trierer, mit Nemetona gepaart, wie auf einer Inschrift
zu Bath in England , die von einem »oivia Trever« Namens Peregri nus Secundi
fil. gewidmet ist. Vergl. Revtie Archeol. 1878, p. 103 und C. Inscr. Lat. VII,
Nr. 37. Eine Inschrift aus Piemont ist gewidmet dem tdeo Marti Leucimalaoo«
(Mowat Revue Arch. 1. c., p. 105).
loBchriftliohoB aui Heidelberg.
78
Mowat vergleicht die Bedeutung derselben mit dem Mars Albiorix
und der Göttin Albiorica (vuii einem keltisch-lateinischcu Worte albus
»weiss« und keltisch rix, rica = lat. rfix, rßgina; vergl. Fick II, 213).
Ebenso stellt er ein Ex-voto hierher, worauf sich die Widmung
befindet 'deo Borvoni et Candido'. Ueber den Gott Borvo oder auch
Bormo, der oft mit Ai)0llo identifidrt wird, hat bereits J. Becker
gehandelt im Frankfurter Archiv von 1805. Seine Auffassung als
Sonnengott erklärt die Zusammenstellung mit einem Gottc, dessen
Name «Candidus« die lateinische Uebertragung des keltischen Loucetios
oder Leucetius zusein scheint. Dieser Name ist nun aber wieder mittelst
des Sutfiies -et abgeleitet aus dem thenia louco, dessen Nebenform
leuco ist, mit dem bekannten Wechsel der ae<iuivalcnten altkcltischen
Diphthonge ou und eu.
Das einfache keltische Adjektiv Icucos mit der wahrscheinlichen
Bedeutung »weiss, glänzend*« liegt vor im Namen eines gallischen
Flusses und im Volksnamen der gallischen Leuci, die nach Mowat
von der weissen Farbe eines Theiles ihrer Kleidung genannt waren.
Dieselbe Bedeutung kam nun aber wie gesagt auch dem hieraus abge-
leiteten Namen des Mars Loucetius zu, der sich wieder, was höchst
bemerkenswert!! ist, formell mit dem römischen Jupiter Lucctius
(oder Leucesius) und mit der Juno Lucetia deckt (die etymologisch
und begrifflich mit der Juno Lucina (archaisch Loucina) überein-
stimmt. Mit Recht bemerkt Mowat, wir hätten hier das interessante
Beispiel eines Wortes, dessen Bildung durch das Lateinische wie durch
das Keltische, unabhängig von einander, mit gemeinsamen linguistischen
Mitteln vor sich gegangen sei, d. h. mit gleicher Wurzel und gleichem
Suffix. Wenn nun aber Mowat auch den Namen von Paris, Lutetia,
hierher zieht, das eigentlich Loucetia in ursprünglichster Form geheissen
habe, d. h. die weisse (benannt vom Baumaterial), so wurde schon oben
dagegen bemerkt, dass ein selbständiger Stamm lut- im Keltischen
nachweisbar ist, der z. B. auch im Ortsnamen Luteva vorliegt. Sicher
keltisch sind daher Namen wie Lutevus, Lutullus (Brambach 1845 u.
1852) und wohl auch das Geotile Luttonius (ib. IJOo). Lin von uns
zu Neuenheim bei Heidelberg gefundener Töpfersterapel mit dem Namen
LVTKVS stimmt freilich vollkommen mit dem lateinischen Adjektiv
Inteus (»aus Lehm gemacht«) oder mit dem damit nicht verwandten
lüteus ('goldgelb*, von lütum *gelbe Farbe', Gelbkraut) überein. (Nach
Fick I, 579, 580 u. 11, 83 stände lütum für hliitum = hultum von
Wurzel ghal 'grüngelb*. VergL auch Vanicek 249.) Der Frauenname
74
Inschriftliches aus Ueidelberf^.
LVTEIA der vorliegenden Inschrift scheint dagegen keltisch za sein, be-
sonders wenn man den Umstand in Betracht zieht, dass der Vater
derselben den ausgesprochen keltischen Namen Carantus trägt. Auch
ist dieselbe wie die nicht römischen Frauen (und Männer) überhaupt
mit nur einem Namen bezeichnet, dem dann derjenige des Vaters zur
Beurkundung der Abstammung beigefügt ist. Da also kein cognomen
folgt, 80 kann auch nicht etwa eingewandt werden, dass Luteia ein
regelrecht gebildeter lateinischer Gentilname sei mit dem Sufinxe -eins,
das z. ß. auch in dem Niuiien des C. Vereins Clemens einer von uns
niitgetheilten neuen Heidelberger Inschrift auftritt und von gleicher
Bedeutung ist wie die gewöhnlichere gentilicische Endung -ius. Zudem
kennt die altkeltischc Sprache die gleichen ableiterischcn Suffixe EI,
AI u. s. w., wie dies in grammatica celtica, ed. II, p.29 — 32, sodann
p. 764 u. 782 von Zeuss und Ebel nachgewiesen wird.
Wie dem nun auch sei, so müssen wir den Namen LVTEIA hier
für sicher annehmen, wenn auch das T darin in Folge seiner nahen
Stellung bei dem vorausgehenden V und einer Unebenheit des Steines
fast ein F zu sein scheint. (Jedenfalls ist es aber kein E, wofür es
Creuzer ansah.) Eine offenbar zufällige Vertiefung im Steine nach
dem L kann natürlich nicht als Punkt aufgefasst werden, da die Weiber
in der Kaiserzeit blos Gentilnamen nnd cognomen hatten, oder, wie wir
gesehen haben nur das letztere, wenn sie keine Römerinnen waren ')•
Creuzer's Lesung L(ucia) VERIA oder Viria ist aber sonst
auch verkelirt, denn von einem R ist nirgends eine Spur vorhanden,
vielmehr ist der betreffende Buchstabe ein ganz deutliches E, das durch
eine kleine Beschädigung des Steines an dieser Stelle in nichts ver-
ändert wird. Fickler gar, der den Aufbewahrungsort des Steines
gar nicht kannte, machte aus Creuzer's Lesung eine Luceria Carantia
oder Carantina zurecht, wozu aber die Inschrift selbst nicht die ge-
ringste Handhabe bietet. Nach LVTEIA. CARANTI, wie die vierte
Zeile unzweifelhaft lautet, kann aus absolutem Raummangel kein ein-
ziger Buchstabe mehr gefolgt sein. Vielmehr ist einfach das Wort
l) Einzelne Ausnahmen hiervon, deren Wilnianns II, p. 403, unter
»praenomioa muHcrnm vel coguomina praescripta« erwähnt, wie z. B' Prima.
Paulla können aber Belbstvcrständlich hier nicTil iu Betracht kommen. Ebenda
pag. 404 werden auch einzelne >libcrtae nomine servili pro praenomine asae«
aufgeführt, z. B. Posilla Senenia; sodann gleichfalls aueuahinsweise einige
■Ub«riae oognomine careoten«, denn die freigelassenen Frauen haben gewöhnlich
swei Namen, wie die Freigeborenen.
loBchriftlicbes aus Heidelberg.
75
tilia zu ergänzon, wie in so vielen FällcDj wo es nicht ausdrücklich
durch die Sigle F bezeichnet ist.
Die Dedikaotin führt aläo wie gesagt nur einen Namen, der
daher nicht als nomen gentilicium aufzufassen ist, sondern als Pcrso-
nalname (cognonien), wie z, B, auch trotz seiner gentilicischen Form
der Name eines Galliers auf einer Mainzer Inschrift (Hang, Mann-
heimer Denksteine Nr. 42), Adbogius, dessen Abstammung durch
»Coinagi filius« angedeutet wird ').
Diese Art der Namengebung steht also t. B. auf einer Linie mit
der eines weitern zu Mannheim aufbewahrten Grabsteines (Haug Nr. 56),
worauf eine Frau Aiassa Siri erscheint, mithin die Tochter eines ge-
wissen Sirus, welcher einen keltischen N'aiucn geführt haben könnte
(Fick II, 259 hat sir »longEsw)>der auf einem Mainzer Grabsteine bei
Becker Nr. 232 zusammengesetzt vorkommt: Blussus Atusiri filius.
Allein Sirus ist doch eher das häufige cognonien Syrws oder ein Gcntile
Syrius, womit auch der Herr derÄiassa, statt des Vaters gemeint sein kann.
Die Namen des betreffenden Steins stehen, wie wir uns überzeugten,
alle unzweifelhaft fest Der weibliche Name Aiassa wird schon durch den
raännlichcn Aiasus der tabula Vclcias bei Wilmanns 2845 gedeckt,
der von dem griechischen Namen Aiax, Aias (z. B. ib. 2844 vorkom-
mend) abgeleitet zu sein scheint. Der Mann der Tochter oder Sclavta
des Sirus führt den Namen Arruntio Curturionis [seil, filius oder aber
libertus oder servus]; der Sohn der beiden den einfachen Namen
Clemens, was allerdings auf eine Freigelassenen- oder eher Sclaven-
familie deutet. Die Wörter servus und libertus werden ja öfters aus-
gelassen, so z.B. zu Mainz (Becker Nr. 36) Felicio Secci, d. h. Sclave
oder Freigelassener des Seccius. (Vergl. dazu ib. Nr. 244 — 246J -').
1) Eine andere zu Maniiheim befindliche loBohrift, die wir vohon früher
Biitgetheilt haben (vergl. Haug, Nr. 89), lautet dagogen MERfourio?) ||
OOMITIA II FACVND || 1NI(A} PRO |] (se et suis), also Domitia Facundinia, wobei
letsteres trotz geDtiticiBcber Endung cognom^n ist, wie z. U. Ilaug, Nr. S3,
lulia Vcgeti fllia Mandia steht; oder bei Wilmanns II, p. 324 Domitia Oslatia,
Domitia Grapia; oder in Hühner^ epaniBcbom Inschrirtcnwerk Domitia Attia etc.
Ebenda aber auch Domitia Nolaesi, und köunte man biernacii auch zu Mannheim
losen Domitia Faoundini (seil fiUa), doch scheinen noch Spuren eines A zu folgen.
2) Der Name Seccius wird auch Seoius geschrieben und acheint lateinisch
zusein, abgeleitet von aecus, urspriingüoh >folgend« (Vanic'^ek 981). Dies geht
äbrigena anf eine indoeuropäische Wurzel SAK »folgern zurück (Fick ^ I, 224
u. 790), wozu auch der keltische Name Secco zu stellen ist. Man konnte zu
76
InschrifLliches aus Heidelberg.
Dieser Umstand macht es oft schwierig zu entscheiden, ob Sciavcn
oder freigeborene, nichtiömische Männer oder Frauen gemeint sind,
da beide Classen mit nur einem einzigen Namen bezeichnet werden.
Aber nicht nur wenn dem letzteren ein einfacher Genitiv ohne beige-
fügtes servus oder tiliiis folgt, wird die Entscheidung dieser Frage oft
schwer, sondern aucli wenn gar nichts folgt. In diesem Falle wird
in der Regel die Art des Namens zu entscheiden haben, der bei Sclaven
bekanntlich vielfach griechisch oder doch sonst characteristisch ist.
Eine Sciavin oder Freigelassene war z. B. wohl sicher die llomula,
Gemahlin eines Firmius Firminus einer Wiesbadener Inschrift (.Bram-
bach 15U).
In andern Fällen ist dies ganz ungewiss, so z. B. beim Weiber-
nanicn I'crpertua einer Mainzer Inschrift (Becker Nr. 2^), oder bei
Bella einer solchen aus Gudesberg (diese Jahrbücher XLIV— V p. 81),
indem dieser letztere Name nicht allein lateinisch ist, sondern auch
keltisch, wie der Name der gallischen Bellovaci und der spanischen
Belli beweist. Vergl. auch die keltischen Namen Bellanco Gimionis
eines Votivsteines aus Remagen, zu Mannheim (Haug Nr. 27);
L. Bellonius Marcus ebenda aufbewahrt (ib. Nr. 10); Bellius, Suavig
filius zu Spei er (Brambach 1765, Ton Ilaug verbessert); Belatulla
(Brambach 1773, nicht aber 1775, wie im index cogn. steht}; BelatuUus
m Mainz (Becker Nr. 82 u. p, 102 Nr. 2G) und auf Stempeln aus
Miltenberg u. s. w. Es laufen hier verschiedene Stämme durcheinander:
1) lateinisch bellum (für duellum), wozu der Name der römischen
Kriegsgöttiu Bellona gehört, desgleichen die Bezeichnung Bellius (fQr
duellius); bellator 'Krieger', fem. bellatris etc. (vergl. Vanicek 373).
2) lat. bellusi 'hübsch, schön* aus bonulus entstanden (ib. 875).
H) eine indoeuropäische Wurzel BAL »stark sein», die im sanskr.
bali voilicgi, äuvrie wohl auch im lateiu. valere (ib. 566). Hierzu
können vielleicht auch die keltischen Namen gestellt werden. Ein
solcher ist auch Bellutorix (Brambach 1877, nicht 1878, wie im index
siebt, zusammengesetzt mit keltisch rtx (lat r^xj. Bellus, der
entsprediende Männernaine xu Bella auf einem Mainzer Legions-
stcinc (Brambach 1302) kann natürlich, wie Freudenberg an-
nimmt, eben so gut lateinisch sein. Sicher keltisch ist dagegen
wieder der Name einer Frau Mcddil« auf einem Grabsteine aus Neckar-
diMem Ntmen über auch di« Wanel mk ■
tioliQD (vorgl, Vnuiiick 999; Ftck 11, 2h2).
Ut«in. seoare »MhDeidea« heran-
Inschrifltlicliea aua Heidelberg.
77
gomünd (Hang 85), der zu dem liekannten keltischen Namensstanime
MEBÖ gehört, mit sog. gestrichcnein keltischen B (vergl. die Revue
Arcli6ol. Fevrier 1878 p. 98), während Fiauenuamen wie Medella
(bei Wilraanns 177) und medulla (ib. 2128) lateinisch sind, vom
Stamme medio, medi — woher auch das Wort medulla eigentl. das
Innerste, Mark, sowie der Name einer albani.schen Colonif bei Rom
Medullia. (Vergl. Vanicek ötl7; Fickll, 106.) Dies inedio ist aber auch
keltisch, daher Medio-niatrici „die um die (elsässische) Matra wohnen".
Wi'M'ter wie meditiiri )ibedenken«i, mcdi'Ti 'heilen', medela 'Heil-
mittel', medicus 'Hcilkünstler* sind aber andern Stammes. Diese ge-
boren zu einer indoeuropäischen Wurztd madh 'klug sein, lernen, heilen',
die auch in der griechischen Stammform math vorliegt (vergl. Vanicek
665 u. 669; Curttus'' \k 242 — 243 u. p. 312 — 3i;i; Fjck" I, 107
u. 714 — 715. Hierher sind wohl auch die obigen keltischen Namen
des Stammes medh oder metth zu. stellen, wenn man auch an indo-
europäisches madhu, medhu 'ein süsses Getränk' denken könnte
(Curtius* p. 260; Fick 1, 711; II, 190; 111, 242; Vaaicek 694).
Komnica wir nun nach diesen Auseinandersetzungen zurück auf
unsere Luteia Caranti (nicht Carantii, denn das scheinbar längere I
am Ende des Wortes beruht auf einer Verletzung des Steines), so
ergibt sich aus ihnen, dass wij- die letztere nicht sowohl als Sclavin
oder weibliche Freigelassene des Carautus zu denken hiiben, sondern
als freigeborene Tochter eines gallischen Peregrineu. Sein Name
Carautus kommt vielfach auf rhetnischeu Inschriften vor; so Branibach
921, 1321 und 1769 = Haug, Mannheimer Denkstein 55, wo eiu
Quintus (hier, wie sehr häutig cognomcn) und eine Saturnina als
Kinder eines Carantus erscheinen. Desgleichen nach Art unseres
Volcius obwohl keltisch, doch als römisches Gentilc verwandt in der
Form Carantius, bei Branibach 108, 713, 710, 1968 a, 1331 —
Becker, Mainzer Museum 127; aber auch anscheinend als oognomen
in dem ganz keltischen Namen Meddillius Carantius mit seiner Tochter
daran tia Ae 1 1 a bei B r a m b a c h 15 69 ' ).
1) Dieso ftrabschrjft zeigt viole Aehnlichkeit mit der nchon orwähnten, aus
Neckargemünd (Haug 85), weiche ein FORTIO IlLIVS, d. b, EliiiH (AeliuB),
deaseu Namen nach unserer •wiederholten Vorgleichunjij vollut&ndig sicher ist,
dem Petoatix und der Mcddita setzen.
Hüljuer apricht Tiiin zwar in der Jeaaer Literaturz«iiuog 1877, Artikel 396,
die Vermutbaiig aus, hier Htünde gewiss uur, oder wäre gomcint, »Fortis tilins«,
ftlleiii dfi- StPJD zeigt so scharfe uud tief eiugebaaede Züge, das» au obiger Lesung
78
InschriflliclieB aus Heidelberg.
Die Mutter führt zwar nur den einfachen Namen Victorina, il
Geschlechtsnanie war aber wahrscheinlich Aelia, den sich die Tochti
nach- statt vorsetzte, was gegen die gowöhnliche Regel, in späterer Zeij
dennoch öfters so vorkommt, wie denn auch der Gebrauch, den Gentil
nameo der Mutter statt den des Vaters anzunebraen (z. B. Haug Nr. 73j
Auch der Vater hiess vielleicht eigentlich in umgekehrter Ordnung
Carantius (Gentile) Meddillius (cognomcn)} seine Frau, wie gesagt^!
Aelia Victorina uud die Tochter Aelia Carantia. In jedem Falle i«^*
aber Carantia als cognomen anzusehen, entnommen aus dem väter-_
liehen Namen.
Sonst führt die älteste Tochter gewöhnlich das cognomen der
Mutter (oder auch ein daraus gebildetes Gentile, wie z. B. Becker
Mainzer Museum 22n). Carantius als Gentile kommt auch andern Orts
in Keltenländern vor, so »prope Genavam« (Wilmanns 1584). Daraus
entwickeln sich weiter Carantinus (im Luxemburgischen) und hieraus
wieder ein Gentile Carantinius zu Mainz (Brambach 1329:= Wil-
manns 2277 [nicht, wie es im iodcx heisst 2272] = Becker Mainzer
Museum 86 und ähalicbe Sprossformen, die Becker schon in den
Nassauischen Annalen VII S. 33 einem keltischen Stamme CARAN"]
zugewiesen hat.
Derselbe ist aber wohl nur eine Nasalirung des einfachen Stamme
CARAT, der in keltischen Namen wie Caratius (Brambach 1862
18(>3), Caratacus (ib. 1390), CaratuUus (1639) u. s. w. auftritt.
Die arische Wurzel, wozu diese Worte gehören, ist vielleicht
dioselbe, wozu auch griechisch keryx (Bote, Herold) zu stellen ist,
dessen dorische Form käryx lautete (vergl. die „Revue Critique"
1878 p. 150).
nicht zu 7.weife]n ist. Der Name Portio (nicht Fortis) wurde zudem von an»
auch an anderer Stelle belegt, d. h. aaf einer Oaterburkener Inschrift, worauf
Btebt Cattonius Fortio S. oder -^ (=3 singularis oder aber centurio) ex comi-
o(ulario). Auch aaf einer eu Miltenberg am Main gefundenen Griffelitischrift
kommt nach unserer Vergleichung der Name Fortio vor.
HiDsictitlicb dea IILIVS könnte man nur annehmen, der Steinhauer habe
die Aus7.eichnuiig ala F vergeaaeu , allein es erscheint doch in derselben Zeil
ganr. deutlich mit der bekannten Form F (ähnlich wie ein K) im Namen Fortio^
ebenso ia der letzten Zeile, so dass man nicht annehmen kann, es läge hier ein
Versehen vor. Es bleibt daher kaum etwas Anderes übrig, als IILIVS für ELIVS
EU nehmen, da der Stein alle E durch II bezeichnet, wie er überhaupt solche
spätere Schriflformen mit Hinneigung zur Coraive aeigt.
iDRchriftliches ttiiB [leidelberf;.
79
Dieses Wort liegt auch im Sanskrit vor, wo käru ^Sänger* berleutet
(von Wurzel kar 'rufen, neoneii, tönen'], Vergl. Fick, 3. Auflage,
I. p. 41 u. II. p. 53; Vanicek 140. Näher noch liegt aber dem
keltischen Wortstamme ein indoeuropäisches kara, karant, 'junger
Mann, Diener', dessen verschiedene Formen in den Einzelsprachen
Fick I, p. 43 u. p. 521 — 522 unter der Wurzel kar »currere«
zusammengestellt.
Noch andere Vergleichungen böten sich im Namen der Ceres
(der altitalischen Göttin des Getreidebaues und der Feldfrüchte), sowie
im altlateiu. cerus nSchöpfer« (von der Wurzel kar im Sinne von
»machen, schaffen und gedeihen^; vergl Vanicek 120; Fick I p.520
u. II, 53) oder im griech. kara »Haupt« (vergl. Curtius, 4, Aufl.
p. 142; Vanicek 125).
Eine nähere Begründung dieser, sowie überhaupt der Etymologien
auf dem Gebiete des Keltischen unter Zuziehung aller verwandten
arischen Sprachen wird erst möglich sein, wenn die Specialgrammatik
und Etymologie der einzelnen keltischen Dialekte, bis jetzt einer der
vernachlässigtsten Theile der vprgleicheuden Grammatik, eine einge-
hendere Behandlung erfährt. Unsere grössten Hoffnungen setzen wir
in dieser Beziehung auf W indisch in Strassburg. Von ihm allein
könnte eine dritte Auflage der berühmten gramraatica celtica aus-
gehn! Wenn man weiss, welcher Unfug auf keltischem Gebiete zum
Theil noch heutigen Tages von Seiten der Dilettanterie , den sog.
Keltomanen verübt wird, so muss man nur urasomehr die Calamität
beklagen, dass die Mehrzahl der Philologen fortfährt, bloa die bekannteren
Bahnen der griechischen und lateinischen Grammatik zu wandeln, ohne
zugleich auch die übrigen Zweige des arisch-europäischen Sprachstiimmes
zu berücksichtigen.
Diese Beschränkung auf das sog. klassische Alterthum mag ja aus
äusseren Gründen gerechtfertigt erscheinen^ ist aber an sich doch nur zu-
fällig und liegt durchaus nicht im Wesen der Philologie begründet.
Fasst man deren sprachliche Seite zunächst ins Auge, so kann man
in ihr nur einen Theil der Linguistik erkennen, wie dies ganz neuer-
dings (»Sur les rapports de la linguistique et de la philologie«) auch
in der sehr empfehlenswerthen neuen französischen Zeitschrift nRevue
de Philologie«, tome II, Janvier 1878, von einem der gewiegtesten
I französischen Sprachforscher anerkannt wird. Die äusserst nahe Ver-
wandtschaft zwischen der italischen und keltischen Sprachfamilie, das
Vorkommen zahlloser keltischi'r Namen und Gottheiten in der latei-
80
InBchrirtlichaq an» Heidelberg.
nifichon Literatur, besonders aber in der Epigraphik, die Vermischung
römischer und keltischer Cultus- und Culturformen , das Abspielen
eines wesentlichen Theiles der römischen Geschichte auf keltischem
ßodeti u. 8. w., dies Alles drängt aber unaufhaltsam darauf hin, dass
endlich einmal das Gebiet der klassischen Philologie wenigstens nach
dieser Seite liin erweitert werde. Betont man endlich, wie die Mehr-
zahl ihrer Vertreter thun, mehr die geschichtliche Seite der Philologie,
deren Begriff ja mit. dem der Gpschiehte im weitesten Sinne zusam-
menhilngt, indem mati beide Disciplinen mit Böckh nals Erkenntniss
des Erkannten« betrachtet, — so ist gerade aus den eben angedeuteten
Punkten zu entnehmen, welch grossen Gewinn die Geschichte des
Altcrthums aus der plaiinilissigen streng philologischen Durchforschung
dos vorhandenen epigraphisch-literarischen Materials der gallischen
Sprache und der daraus hervorgehenden Erkenntniss des Culturzustandes
des keltischen Vulksstummes Oberhaupt /ii ziehen berechtigt ist. Diese
Erkenntniss ist aber nur möglich durch gemeinsame, dasselbe Ziel ins
Auge fa.ssende Arbeit von Linguistik und I'hilologie und kann nur auf
Grund der vielseitigsten Einzelforschuogen allmählich erreicht werden.
Nachschrift.
Hinsichtlich des auf »ler oben beschriebenen Grab-Stele unter der
Inschrift betindlichen Basreliefs, welches wir für eiuen Genius erklärten,
erlaubten wir uns nachträglich auch die Ansicht eines der ersten
Kenner auf diesem Gebiete, des Herrn Hofrath Stark einzuholen und
stehn nii-ht an, weiter unten, zum Schlüsse seiue, von der unsern im
Ganzen abweichende Anschauung, wörtlich mitzutheilen.
Natürlich kann es uns nicht iu den Sinn kommen, derselben in
dem vorliegenden speciellen Falle entgegentreten zu wollen, indessen
wagen wir iu einem besonderen folgenden .Vnhang uusere eigene Mei-
nung in Bezug auf diese Art DarstclluDg von Genien überhaupt, näher
SKU begronden.
Zur Vermittlung beider Ansichten liesse sich sagen, dass wenn
auch nach Stark 's Annahme auf dem abgebildeten Grabsteine wirklich
ein Vjos, wie in so vielen Fällen •), als Tafelhalter verwandt ist, dabei
1) Ein intere«MUit«r Grabstein dieser Art von hober Schönbeit der oma-
mentalen Composition ist derjenift« der Claudia Semne fWilmanns Nr. 240).
Entsprfditmd der Widmung >Fortuo»e, Spei, Venen et memoriae (iUius)
Sacrutn* sind die Symbole dieser Gottbeiten dargestellt, worunter auch, wiq
Inschriftlicbeg aus Heidelberg.
dennoch die Idee eines geflügelten Genius, etwa als Symbol der Zeit und
Ewigkeit, mit unterlief, wie wir ihn ähnlich in so musterhafter Technik
z. B. auf der oben schon erwähn tec Ehrcnaäule des Antoninus Pius
zu Rom erblicken.
Die Aehnlichkeit in der Darstellung von Amoretten und Genien,
die beide als jugendlich nackte Flügelgeatalten erscheinen und das
künstlerische Bestreben, sie beide auf Grund strenger stilistischer
Anforderungen als der Ornamentirung dienende Motive zu verwenden,
mussten zu einer Vermengung derselben führen.
Der Umstand jedoch, dass diese Flügelgestalten zumeist auf
Grabdenkmälern zur Verwendung kamen, bewirkte unzweifelhaft, dass
man in ihnen schliesslich nur noch eine Beziehung auf ein neues Leben
nach dem Tode erkannte und sie demnach für die Idealgestalten der
Verstorbenen hielt. Zur Begründung dieser Ansicht mag folgender
Anhang dienen:
Zur Gräbersymbolik uud über die Oenien im Allgemeinen.
Das Gemeinsame der religiösen Anschauungen bei grösster Ver-
schiedenheit der Glaubenskreise UDd Völkerindividuen, wie es sich auch
in Bezug auf den Unsterblichkeitsglauben deutlich zeigt, geht aus dem
überall sich gleichbleibenden innerster^ Wesen der menschlichen Natur
hervor, das zu seiner Entfaltung allerdings einer gewissen Stufe der
Cultur bedarf). Ist diese aber einmal gewonnen, dann sehen wir, wie
sich häufig in dem religiösen Vorstell ungskreis der verschiedensten
Völker dieselben Gestalten bilden, ohne dass man dabei immer an
EntlehnuDgen von einander zu denken hat. So ändet sich denn auch
der Glaube an individuelle Sehutzgeister bei sehr vielen Viilkern.
Dies kann bei den polytheistischen Religionen der Arischen Familie
natürlich nicht auffallen. Neben die Götter, die nur das grosse Ganze
Wilraann* aich ausdrückt, eine »Corona quam duf> Amoret sustinent«. Von
Interesse ist auch die in der Inschrift aaogeiprochene BestlTuniung: >huic monn-
meoto cedet borlaa in quo aedicolae , in quibua simulaora Claudiae S6mnea in
formam deorom« etc.
1) Die Ergebaiise der Forschungen auf dieiem Gebiete hat neuerdings
Edmund Spicsa EusammengeatelU in seiner »Entwicklungageschicbte der Vor-
stellungen vom Zustande na<:h dem Tode, anf Grund vergleichender Religious-
forschung« (Jena 1877), woeu die auafuhrliche Besprechung dieses Werkes von
Moll in Oskar Schade's »wiasenscbaftliobeQ Monats blättern« von 1878, Nr. 3,
SU y«rgltiiohen ist.
6
82
Inachriftliche? auR Heidelberg.
im Auge hatten, stellten sich hier naturgeniäss unsichtbare göttliche
Wesen, welche für Wolü uutl Wehe der einzelnen Menschen sorgten.
Sie spielten eine Vermittlerrolle zwischen den Menschen und den
Göttern, in der Art etwa, wie in der modernen Spiritiatenlehre sog.
Media den angeblichen Verkehr mit den abgeschiedenen Seelen ver-
mitteln. Ganz dieselbe Vorstellung finden wir nun aber merkwürdiger
Weise auch bei semitischen Völkern, trotz deren ursprünglichem Mono-
theismus, dessen absolute Gewalt hierdurch bedeutend gemildert
»'rscheint. Die biblischen Engel sind nach altorientalischer Anschauung
zunächst Mittelwesen zwischen Gott und den Menschcu. Allmählich
dehnte sich aber die Engellehre viel weiter aus. Man dachte sich ein
Heer von Engeln als förmlichen Hofstaat und Dienerschaft Gotte,s,
dessen Thron umgebend. Dire Anfangs geringere Zahl wuchs auf diese
Weise nach und nach in'a Unen<lliche. Am ausgebildctsten zeigt sich
dann das Sywtcm der Engel im neuen Testament und fortan im Christen-
thum. Hier wird ihnen neben Geschlechtslosigkeit auch die Flügel-
geatalt zugeschrieben, und es erfolgt so allmählich ihre Vermischung mit
den römischen Genien, in deren Formen sie nun, wie schon oben bemerkt
wurde, mehr oder weniger hinüberwuchsen. Die Bedeutung der jüdisch-
christlichen F.ngel und der Genien des italischen Glaubens war schliesslich
eine so übereinstimmende, dass bei Annahme des christlichen Glaubens
von Seiten der Römer keinerlei Aendei'ung der Anschauungen in Bezug
auf diese Art Wesen mehr stattzufinden brauchte. Bios der Name
änderte sich, indem der bislierige rüraische Genius einfach als angelus
fortlebte. Die polytheistische Vorstellung, die dabei zu Grunde liegt,
blieb aber auch in der christlichen Kirche ganz dieselbe. Waren doch
schon seit den Zeiten des babylonischen Exils, ganz im Sinne des
Polytheismus, der Einwirkung der himralischen Heerschaaren die ver-
schiedenen Erscheinungen der Natur unterstellt.
Lagen in dieser Beziehung schon vielfache Anknüpfungspunkte an
das römische Genienwesen, wonach ebensowohl wie jeder Mensch, auch
jeder Ort seinen besonderen Genius hatte (gleichsam die verborgene
Seele der betreffenden Lokalität, die höhere Ursache ihres Vorhanden-
seins bezeichnend), — so erschien das die besonderen Religionen in
dieser Hinsicht noch Unterscheidende völlig aufgehoben in der sowohl
altrömischen, wie alijüdisch-christlichen Lehre, dass die Ueberwachung
und Leitung nicht blos der einzelneit Iinlividuen, sondern auch ganzer
Völker und LändiT besonderen Schutzgöttern übertragen sei. So be-
kamen einerseits ultmiihiich auch alle Vorgänge des Geschichtsleben.s
Inschriftlicliea tiis Ileidelherg.
m
ier Menschheit schon bei den alten Juden besondere Vorstände in der
Engelwelt, so wurde später 8t. Michael unter Andern der Schutzengel
der Deutschen, so erhielt aber auch anderseits bei den alten Römern,
als sich der Glaube an Genien immer weiter ausdehnte, jedes irdische
Verhältniss, jede bedeutende Thiitigkeit und Lebensbestim mung ihren
Genius. Nirgends war ja diese Lehre so vollkommen ausgebildet und
zum Cultus erhoben, wie in Rom.
Wenn man hier nun glaubte, dass jeder Person ihr Schutzgott,
der durchs ganze Leben hindurch eine, besondere Aufsicht über sie zu
fahren berufen sei und selbst nach ihrem Tode schützend fortwirken
konnte, schon von dem Augenblicke ihrer Geburt an beigegeben wäre,
80 beruht dies auf dem Bewusstsein der urspiüiif!;lichen Bedeutung des
Wortes Genius, die nian auch darin anerkannte, dass man diese Art
Götter nicht nur an allgemeinen Festtagen öffentlich verehrte^ sondern
ihnen, Jeder für sich, auch an seinem Geburtstage Opfer brachte.
Genius lautet nun in seiner indoeuropäischen Urform gania mit
der Bedeutung 'erzeugend' und medial »erzeugt^i (von der Wurzel
GAN »zeugen«, dann »entstehen«). Die übertragene Bedeutung des
Stammwortes gania, in späterer gräko-italo-keltischer Form genio, ist
besonders ersichtlich im Altirischen, wn gein "Kind«, geine i>Geschlecht«
bedeutet, wie lat. pro-genies (vergl. Fick " 1, 6(3 u. 558, II, 85).
Am nächsten kommt der Bedeutung von genins aber das lat.
Wort in-gen«ura d. h. die angeborene, natürliche Art und Beschaffen-
heit, Natur, (iemüthsart, Sinnesweise, geistige Anlage u. s. w. kurz
das Wesen, die ideale Seite des Menschen, welche eben in dem genius
gleichsam göttliche Individualität gewonnen hat. Man kann denselben
hiernach als Verkörperung des ingenium's oder als personificirtes, indi-
vidualisirtes nunien betrachten, insofern dasselbe, um zur Darstellung
zu gelangen, einer Vermenschlichung bedurfte. Die Genii sind indessen
blos Repräsentanten des Ideals der Männlichkeit, gerade wie die soge-
nannten lunones solche der Frauen. Wie jeder Mann seinen Genius
hatte, so hatte jede Frau ihre Juno.
Man findet nämlich ausserordentlich häufig auf Götteraltären die
Juno opfernd dargestellt nach Art einer römischen Ehe- oder Hausfrau,
deren Ideaiisirung sie ja bei den Rümeru war (wesshalb sie denn auch
als Mutter des römischen Staates galt), während sie bei den idealer
angelegten Griechen noch als Repräsentation des Ideals erhabener
Weiblichkeit überhaupt angesehen wurde, was mehr ihrer ursprüng-
lichen Bedeutung als höchster Himmelskönigin entsprach (Jü-no wie
84
iDschrifUicbuB aua Heidelberg.
Jö-piter von indoeurop. DIV 'Tag, Himmei', vergl. Fick II, 128).
Wie nun Juno als Oplerfrau, so wurde vielfach in ganz analoger Weise
auch der Genius als opfernd dargestellt. Das Opfer, welches einerseits
die Frauen, anderseits die Männer den genannten Gottlieiten sonst
als Symbol der Frömmigkeit der Menschen selbst darbringen, erscheint
also hier auf diejenigen guttlichen Wesen übertragen, in welchen sie
sich idealisirt dachten. Kurz der Genius ist das Wesen, die Ideal-
gestaJt des Mannes und wird hieraus auch klar, was es mit den schon
weiter oben erwähnten inscliriltlichen Genien von Göttern auf sich hat
Preller (röm, Mythol. 74 f.) hält dieselben für das »lokalisirte uumeu«
der betreuenden Gottheit, allein es handelt sich hier ja gar nicht um
Gottheiten, die in einem bestimmten Ortlichen Cultua verehrt wurden,
sondern um Darstellungen von miiunlichen Göttern, die anstatt in
ihrer eigenen Gestalt mit den ihneu selbst zukommenden Attributen,
als Genien mit Füllhorn und Opferschale gebildet sind. Der Zweck
dieser Darstellung war aber offenbar wieder ganz derselbe: wie man
die Menschen idealisii-te und als opfernde Genien darstellte, so war
dies auch mit den Göttern der Fall.
So linden wir also z. B. auf einem Votiv-Denkmal des würtem-
bergischen Neckarkreises die Widmung »genio Martis« und darüber
das Bild eines opfernden Genius, nicht aber das des Mars (vergl.
Brarabach 1011; Hang »Inschriften in würtem bergisch Frankeno
Nr. 15). Ebenso war eine .Mannheimer Basis mit der Widmung »genio
Mercurii Alauni« offenbar nicht die einer Merkursstatue, sondern die
eines (jetzt verlorenen) kleinen Bildes eines Genius (vergl. Hang
'römische Denksteine in Mannheim' Nr. 88).
In beiden Fällen, wie in allen andern hegt eine Idealisirnng des
in der Inschrift genannten Gottes vor, der nicht nach seiner gewöhn-
lichen Erscheinung und Ausrüstung aufgefasst ist, sondern dessen
Charakter imd innerstes Wesen in erkennbarer Weise sinnlich ver-
dichtet werden sollte. Hierzu wurde aber einfach die typische Dar-
stellung des opfernden Genius verwandt, dessen Funktionen ihn in
zweierlei Beziehung charakterisiren : Einnial durch die rein menschliche
Handlung des Opfems und die Jünglingsgestalt als idealisirten Menschen,
sodann aber wieder durch das auf solchen Darstellungen gewöhnliche
Attribut eines Füllhornes als göttliches Wesen.
In dieser Vertlieilung der Symbole nach beiderlei Richtung hin
spricht sich deutlich da.s Bestreben aus, das Menschliche in der Götter-
natur und das Göttliche in der Menschenuatur, also so zu sagen den
luBChriftHcbes aus Heidelheri^.
Anthropoinorphismus zur Darstellung zu bringen. Insofern nun diese Art
Idealgestalten Ropräsentanten von in der Widmung genannten, be-
stimmten Göltern vorstellen, so kann man doch weniger mit Prellcr
sagen, dass sie, die ja aktiv opfernd dargestellt sind, '»gleichsara an-
statt dieser Gottheit die Opfer, Gebete und Gelübde der Frommen in
Empfang nehmen«. Da sie vielmehr das Opfer selbst ausüben, so
sollen sie hiermit als ideale Ilcberbringer oder VermittJer desiselben
an die betreffenden Götter gekennzeichnet sein. Sie sind es, welche
durch ihr Beispiel zeigen, was der Mensch diesen letzteren schuldig
ist und auf welche Weise er diese Schuldigkeit zu bezeugeu hat.
Diese Art Darstellung der Genien auf GMteraltären und Votiv-
steinen ist nun aber nicht die einzige, in welcher sie erschienen, indem
wir schon oben von einer andern Auffassung derselben, als Flügcl-
gestalt gesprochen haben. Auch war es nur diese zumeist auf Grab-
monumenten veiTvandte Darstellung, welche auf die christlichen Kngei
überging, als dieselben allmählich auch Flügel annahmen. So hat
sich die schöne antike Anschauung des Unsterblichkeitsglaubens^ welche
sich den Verstorbenen in gertügelter Idealgestalt wieder auHebend
dachte und ihn so darstellte, bis auf unsere Tage ungeschwächt fort-
erhalten. Die Idee des Genius ist die der Ewigkeit, des Absoluten,
des Wesens der Dinge; sie ist »das Ding an sich«, welches, um in die
Welt der Erscheinung treten zu können, einer Darstellung bedurfte
und dies war eben die der Genien. Karl Christ.
An Herrn Carl Christ.
Beifolgend theile ich Ihnen meine Auffassung der merkwürdigen
Darstellung auf unserem Grabsteine des Volcius Mercator mit.
Zo dem Steine des Vnlcins Mercator.
Die im Flachrelief gebildete, ganz en face erscheinende, nackte
'geflügelte Knabcngestalt, welche mit breit auseinander gesetzten Füssen
kauernd sitzt und zugleich mit ausgebreiteten Armen und dem mit
reichem Haarwuchs bedeckten Haupt die darüber befindliche grosse
Inschrifttafel berührt, sie zu stützen scheint, hat zunächst eine rein
künstlerische Bedeutung in diesem Motiv, als Tafelhaltor. So lialten
auf unzähligen Sarkophagen und überhaupt Denkmälern schwebende
Flügelgestalten links und rechts eine Inschrifttafel, ein Porträtmedaillon
u. dcrgl. Dieser gehaltene Gegenstand erhält dadurch den Charakter
des Freischwebenden, frei Aufgestellten und zugleich weithin Sichtbaren ;
86
loscbrifllichea auB Heidelberg.
diese Flügelgcstaltcn machen auf ihn aufmerksam und sind wie Ver-
künder des Inhaltes.
Damit ist aber die Sache nicht erschöpft, Die geflügelte Knaben-
gestalt gehört zu dem weiteren Bereiche der Eroten, diesen Reprä-
sentanten aller Wünsche, Neigungen, lebhaften EmpfioduDgen des
Menschen, welche sein Schicksal mit bestimmen (Philostrat. Imag. I, 5:
To &vrjxnv ixnav dtcuißeQvöints, JioXXni dia nnUa lov igiüatv ol
ttv&Qumni). Er ist weder ein Todesgenius im Allgemeinen, wie Creuzer
(Deutsche Schriften II, 2. S. 454) meint, noch etwa stellt er die Dii
Manes dar. Sehen wir ihn uns nun näher an, so muss uns sofort die
eigenthüniliche Bildung der Flügel auffallen, sie bestehen aus wenigen
sangen, weitgeschwungenen Fodern, deren oberes Ende sich aber in sich
leibst zurückrollt, Flügel ähnlich denen des Auerhahns und anderer
Hähne des Waldes.
Diese Flügel gehören aber aus dem grossen Bereiche der Eroten
einer bestimmten Classc derselben an. Emil Braun hat zuerst fein-
sinnig bei Publikation eines Reliefs im Palazzo Colonna mit zwei im
Fackelrennen wetteifernden Eroten und des Reliefs aus Ischia, jetzt in
Neapel mit zwei um eine Palme ringenden Eroten (Antike Marmorwerke,
2. Dekade Tafel V. a. b.) unter Heranziehung von Pausauias VI, 23, 3, 5
darauf aufmerksam gemacht, wo uns genau dasselbe Relief ausOlj'mpia
geschildert wird, und den einen der Streitenden mit solchen Flügeln Anteros
genannt. Beide Male sind es diejenigen Eroten, welche den Kürzeren
ziehen, welche vergeblich um die Palme kämpfen, welche zurückbleiben im
Wettlauf. Die Sage vom Culte des Anteros, des Bruders des Eros in Athen,
zeigt ihn als Dämon unglücklicher Liebe des Metoeken gegenüber dem
Bürger, als den zum Tode führenden Dämon, der unerhörte Liebe
auch rächt. Sehen wir uns nun die nicht sehr zahlreichen Dar-
stellungen dieses Eros an, wie sie bei Müller-Wicseler, D.d. alten
Kunst IL Taf. 51 ff. unter andere Erotendarstellungen gemischt sind,
so Taf. LI, 64fi; Lü, 664, 6r>7; 1.111,071, 660; LlV,fi83; LV, 706, so
tritt uns überall die Beziehung zu einer Liebe, die ilu" Ziel nicht erreicht,
oder die uin den Geliebten trauert, die den Gegenstand der Liebe verloren
hat, entgegen; besonders charakteristisch ist die Sarkophagdarstellung des
PublilJusSevereanus uml seines Sohnes Blulo (Nr.6G9). Wir zweifeln daher
keinen Augenblick {laran, dass auch auf unserem Steine, den eine treue
Gattin ihrem früh verstorbenen Manne gesetzt hat, in jenem Eros ans
die Beziehung zur Liebe, die ihren Gegenstand verloren hat, gegeben ist.
B. Stark.
Insühriftlichea aus Heidelberg.
87
Schlussbemerkung.
Eine merkwürdige Bestätigung des voo uns oben ausgesprochenen
Gedankens, dass die Bedeutung der Genien in ihrer Verwendung als
Motive zu Grabzier raten mit derjenigen von Amoretten, als welche
diese Art Grabestypen von Stark aufgefasst werden, zusammenfalle,
erhalten wir nun ganz neuerdings von K, Dilthey in seiner höchst
lehrreichen Besprechung von Kckul('''s ,, Griechischen Thonfiguren" aus
Tanagra, in der Jenaer Literaturzeitung vom 13. Juli 1878, Nr. 28:
„Nach uraltem Glauben der Griechen ist Aphrodite Herrscherin
im Todtenreich, Artemis, die Jägerin, der Frauen Todesgöttin, und me
die Gestalten aus der Umgebung des Baltchos uns mahnen an die alt-
vererbten Vorstellungen vou dionysischer Lust und ewiger Trunkenheit
der Abgeschiedenen, so haben die Eroten in gewissen typischen Ver-
bindungen und dekorativen Verwendungen glrichsam die Bedeutung von
Genien bewahrt, die in den heitern Regionen der Seligen walten und
bisweilen mit dem Bilde der seligen Abgeschiedenen selber in Eines
zusammenlliessen, ganz so wie die Enget der christlichen Mythologie,
die eben nur getaufte und leicht verkleidete Eroten sind."
Der letztere Satz ist nun freilich nicht vollkommen richtig, da
das Wesen der christlichen Engel zunächst, wie wir gesehen haben,
aas dem alten Testamente übernommen und nur ihre äussere Dar-
stellung den Flügelgestalteo römischer Gräberausstattung nachgebildet
ißt. Insofern man diese letzteren aber zunächst als Genien, also eine
Art Mittel wesen zwischen den Menschen und Göttern auffasst, welche
auch die seligen Abgeschiedenen selbst repräsentircn können und die
als solche geflügelt erscheinen: so waren es mehr die Genien, wie die
Eroten , an welche sich die jüdisch-christlichen Engel als Vermittler
zwi.schcn Gott und den Menschen, als stete Begleiter der Letzteren und
in noch vielen weiteren Beziehungen anlehnen konnten.
Die sich in diesen verschiedenen Eigenschaften aussprechenrle reli-
giöse und mythologische Bedeutsamkeit der alttestamentarischcn Lehre
von den Engeln zeigt sich ferner aucli darin, dass ihre Grundzüge auch
iu den Islam aufgenommen worden sind, wo es ebenfalls Legionen guter
Engel giebt, wclclic Gottes Thron tragen, seine Befehle ausrichten und
die übrigen der geschilderten Funktionen verrichten,
(In hervorragender Weise ist hier aber daneben auch die Lehre
von bösen Engeln, Dämonen ausgebildet, welche als Genossen des
Satans den Menschen zum Bösen verleiten und ihn Zaubereien lehren.
Vergl. „Einige Glaubensartikel de.s Islam in der Zeitschrift ,,Ausland"
1878, Nr. 27."). _____ Karl Christ.
88 Griecb., röm. u. etruak. (iegenatinde in dof Hamburger Altertbämer-Sammlung.
4. Beschreibung der in der Hamburger Alterthümer-Sammlung
befindlichen griechischen, römischen und etruskischen Gegenstände.
1. Etruskischer Spi«gel. S. g. Kabiren.
Bronze. Durchm. 0,13. Am Griffe durchgebrochen, doch fast
ganz erhalten. Die convexe Spicgelseite sehr von Rost zerfressen.
Die coDoave RQckseit« des Spiegels ist mit folgender cingravirter
Darstellung geschmückt: In der Mitte steht ein nackter, mit verbrämten
Stiefeln und einer vor der Brust zusammengeknöpften Chlamys, die im
Rücken lierunterhängt, bekleideter Jüngling. Seine erhobene R. hält
einen aufgestützten Stab, die L. hängt herab; auf seinem lockigen Haar
scheint eine Zackenkrone zu liegen. Die Muskulatur seines r. Beines
ist durch eine fein schraffirte Linie ausgedrückt. Da.s Antlitz wendet
er auf den r. sitzenden, an seinem Pilos kenntlichen Dioskuren, welcher
die auf seinem emporgezogenen r. Beine mit dem Ellenbogen ruhende
R. wie im Gespräch mit der beschriebenen Figur erhebt, während er
mit der herabhängenden L. das um seinen Unterkörper geschlungene
Gewand festhält. Die Füsse sind beschuht Sein Profil (n. I.) ist etwas
missrathen. Ihm gegenüber sitzt 1. der zweite, wie der vorige ge-
kleidete und ihm auch in der Kürperhaltung entsprechende Dioskur
(n. r.). Seine Arme hängen beide herab. Im Hintergründe zieht
sich über den Köpfen der drei Personen eine mit kegelförmigen pe-
genständen besetzte Leiste (jedenfalls die wie oft bei diesen Spiegeln
höchst flüchtige Andeutung einer Bautichkeit) hin, von welcher sich r.
und L, wie derContour eines zusammengerafften Parapetasma's, je eine
Linie abzweigt. Der Rand der Darstellung ist mit zwei von dem Griffe
ausgehenden, sich kranzartig vereinigenden Lorberzweigen geschmückt.
Der einfach aber stilvoll ornamentirte Griff endet in einem stiliairten,
fiscbartigen, aber rait Ohren versehenen Thierkopfe. Die schon sehr
handwerksmässige, doch keineswegs rohe Zeichnung, welche ohne Zweifel
die in der grossen Masse der Apuliscben und Lucanischen Vasen er-
reichte Kunstentwicklung erst zu ihrer Voraussetzung hat, darf somit
zeitlich auf keinen Fall früher als die Nachalexandrinische Epoche
angesetzt werden.
Gnech,, röm. u. etrusk. Gegenst&Qde in der Hamburger Alterlhtinier-Sammlung. 89
Sehr ähnliche Griffe findet man abgebildet bei Gerbard, Etr.
Spiegel I, XXil, 7, XXUI, :i tf. und besonders XXIV, 12. — Ein archi-
tektonischer Abschluss verwandter Art ebendas. I, XC. — Die Dios-
kuren im Gespräch miteinander, ein auf etruskischen Spiegeln bekatmt-
lich überaus häufig dargestellter Gegenstand, findet man bei Gerhard,
a. u. 0. 1, XLIV— LIl, mit einer weiblichen Figur (Helena? Aphrodite?)
zwischen sich II, CCIII und mit einer männlichen Figur gruppirt I,
LV, 7; besonders ähnhch erscheinen die Spiegel III, CCLVl, 1 und 2,
— Die Zackenkrone kehrt gleichfalls öfter wieder, so bei Gerhard,
a, a. 0. III, CCLXXVI. Die besonders von Gerhard vertreteiiG An-
sicht, nach welcher die Dioskuren mit einer dritten Person gruppirt als
„Kabiren" gelten sollen, hat nicht einmal den Grund der „Dreizahl"
(vgl. Fricderichs, Berlins Ant. Bilder II, S. iM, No. 105) für sich,
da dieselben Dioskuren auch mit zwei anderen Personen, sowol männ-
lichen als weiblichen^ gruppirt erscheinen, ausserdem die dritte P'igur
einmal inschriftlich als Menelaos, ein ander Mal uls Jolaos bezeichnet
wird (vgl. Friederichs, a. a. 0. S. <.irt, No. lli), die Bezeichnung
der ,*!l^mxfg" aber, welche vielleicht die Verschmelzung der Dioskureu
mit den Kabiren vermittelte (vgl. Preller, Griech. Myth. 672, Anm. 3),
doch nur auf jene passt. Uebrigens scheint es, als ob weniger die Bedeut-
samkeit des Gegenstandes als der Umstand, dass gerade die beiden sym-
metrisch sitzenden Dioskuren mit einer stehenden Figur in ihrer Mitte
sich zur Ausfiillung eines Spiegelrundes" eigneten, zu der Häufigkeit der
Darstellung Veranlassung bot. — Der CuUus der Dioskuren muss schon
ziemhch früh zu den Etruskem gelangt sein (vgl. Corssen, Spr. d. Etr.
I, 858 f,), dennoch begegnet man ihrer Darstellung auf andern etruski-
schen Bildwerken als Spiegeln nur höchst selten.
2. Fragment eines Marmorkopfes in Form eines Reliefs.
Erhalten hat sich nur die r. Profilseite eines auf eine quadratische
Platte von ital. Marmor reliefarlig aufgeleimten Kopfes von mehr grob-
körnigem, wohl griech. Marmor (Gsl. 0,14). Erg. Nase, Stück des Halses
und eine lose in den Nacken hängende Locke.
Der Kopf hat stark gesträhntes, von einem Bande zusammen-
gehaltenes Haar, welches über den Schläfen und hinter dem Ohre zu-
rückgeschlagen ist. In dem etwas vorstehenden Munde wie in den
schmal geöffneten Äugen und der niedrigen Stirn liegt etwas portrait-
haftes, das jedoch in eigenthümlicher Weise mit einem archaistrenden
Element vermischt erscheint. Letzteres zeigt sich besonders in dorn
90 Grieob.. röm. u. eiruBk. Gegenstände in der Hamburger Allerthümer-Sammlang.
etwas hochstehenden Ober- und Hinterkopf, der besonders an archai-
schen ApoUonköpfen gewöhnlichen Haarbehaudlung uod deo noch ftwas
schräg gestellten Augen. Das Haar ist scharf und dnihtartig wie nac
Bronze ausgearbeitet.
Der Umstand, dass in der Hamburger Sammlung einst ein Kopf
des Antinoos vorhanden gewesen sein soll, legt die Vermuthung nahe,
dass sich in vorliegendem Fragmente der Rest davon erhalten hat.
Der stilistische Charakter desselben spricht durchaus für die Zeit des
Hadrian, dessen Liebling übrigens auch oft in göttlichen Gestalten
dargestellt worden ist. Vgl. Meyer, Gesch. d. bild. K. II, p.251 ff.
und Overbeck, Gesch. d. gr. Tl. U, S. 372 f.
3. Bemalte griechische Vase.
Durchm. 0,19,H. 0,08. Schwarzfigurig. Flache, zweihenkeJige, runde
Schale mit einfachem Fuss. In mehrere Stücke zerbrochen, aber wieder
zusanmiengcleimt. Trägt vielfach die Spuren einer Ausgrabung, stammt
also wohl aus einem Grabe. Im Innern der Schale befindet sich ein
Zettel befestigt mit der Aufschrift: „Marathon".
Die Darstellung wird r. und 1. von einem, auf ithyithallischem
Maulthier reitenden, mit einer Chlamys bekleideten Reiter abgeschlossen,
welcher einen Rebzweig hält. Zwischen beiden Heitern erblickt man
eine in einen langen Mantel gehüllte Figur, die im BegrifT ist, einen
Wagen zu besteigen und mit beiden Händen die Zügel der 4 (?) den
Wagen ziehenden Pferde ergriffen hat. Hinter diesen ragt der Ober-
körper eines mit einem Mantel bekleideten Mannes (Apollon) n. r.
hervor, welcher eine Lyra hält. Dem Zuge entgegengekehrt und halb
von den Pferden verdeckt, steht der bekleidete, bärtige und bekränzte
Dionysos, welcher einen besonders langen Rebzweig hält. Die Schenkel
der Reiter, die also wohl dadurch als Knaben (Satyrn?) bezeichnet
werden sollen, sind weiss, ebenso der Saum am Gewände des Dionysos,
und wie es scheint, haben sich auch Spuren weisser Farbe am Gesicht
der den Wagen besteigenden Figur erhalten. — Dieselbe Darstellung
wiederholt sich auf der Gegenseite der Schale. Als Mittelbild der
Innenseite ist ein Kreis ausgespart und in diesem eine in einen Mantel
gehüllte, eilig nach r. schreitende Figur, welche in der Linken die
Lyra h<, aufgemalt. Die Falten der Gewänder, Einzelheiten der Ge-
sichter, sowie Zügel, Beine und Schwänze der Pferde sind dnrch ein-
geritzte, ziemlich tlott gezogene und mit weisser Farbe ausgefüllte
Linien angegeben, die sich jedoch keineswegs immer mit den Umrissen
iriocb., rom. u. etruak. Gegenetäude in der Hamburger Alterlhümer-Sftmmlung. 91
der Figuren ilecken. Der Stil der Vase ist archaisch, jedoch ohne
Sorgfalt bebandelt.
Vgl. 0. Jahn, Beschr. d. Vasens. zu München, p. CLVIII ff.
Die Form der Schale entspricht den bei 0. Jahn a. a. 0. Taf. I, 12
und lleydemann, Vasens. des Museo Naz. Taf. I, 14 abgebildeten.
Figuren, meistens Mann und Frau, ein Viergespann besteigend, von
Äpollon mit der Lyra begleitet, von Dionysos empfangen sind überaus
häufig auf archaischen Vasen , wenn auch in ihrer Bedeutung noch
nicht hinreichend aufgeklärt. Vgl. bes. die Zusammenstellung bei
0. Jahn, Arcii. Aufsätze, S. 92 ff. Weit seltener erscheint in dieser
Darstellung ein einzelner Mann, den Wagen besteigend, so bei Ger-
bard, Auserlesene gr. Vasenb. I, XVIII, zwischen Hermes, Dionysos
und Athena, einmal ist derselbe durch den Dreizack als I'oseidon be-
zeichnet (Gerhard, a. a. 0. IX.). Sollte die den Wagen bestei-
gende Figur in der That weiblich sein, so wäre die Münchener Vase
(0. Jahn, Vasens. 353), wo Athene den Wagen besteigt, und Dio-
nysos neben ihr steht, oder 484, woselbst sich der Göttin ApoUon,
Lyra spielend, Dionysos, Herakles und Hermes zugesellen, zu ver-
gleichen. Der Bakchischc Character der Darstellung ist hier übrigens
noch besonders durch die Reiter, jedenfalls Satyrn, auf ithy phallischen
Maulthieren angedeutet, welche auch sonst auf Vasen Bakchische Dar-
stellungen abschliessen, z. B. auf der Etrurischen Vase bei H e y d e -
mann , a. a. 0. 2615. Nahe verwandt ist auch die Composition einer
Vase aus Ruvo ebenilas. Nr. 2451. Ein Innenbild (Lyra spielender
Knabe, davor ein Mann) einer Vase bei Gerhard, a. a. 0. III,
CCXXXIX.
4. Schwarz figurige Lekythos.
H. 0,22. Grösster Umfang 0,33. — Zum Theil sehr beschädigt.
L. steht, in langen Mantel gehüllt, ein Mann (n. r.), in der Linken
einen Speer haltend. R. von ihm schreitet ein Krieger, bekleidet mit
kurzem Chiton(?), Beinschienen und Helm mit grossem Bügel (n. l),
mit der Linken einen grossen runden Schild nebst Lanze haltend; er
wendet den Kopf zurück und greift mit der Rechten nach einer ihm
folgenden, mit langem Chiton und umgeschlagenem Mantel bekleideten
Frau, welche die Rechte etwas erhoben hat. Ihr folgt r. in ruhigem Schritt
ein wie der vorige gerüsteter Krieger, der den Helm vor das Gesicht
gezogen hat. Den Schluss dieser Gruppe bildet r. eine bekleidete, ruhig
dastehende, sehr verwischte Figur mit k:ippemirtigeni Helm, deren Ge-
92 Grieoh., röm. n. einiak. G«g«ii»(iiiile in d«r Hsmbnrgrer Alicrthiimer-SBininlao^.
sieht eioen weiblichen Eindruck macht (Atheoa?); sie hält in der Linken
eine Lauze. Der Hals der Lekythos ist mit einem auf Vasen archai-
sdien Stils (z, B. auch auf der Amphora des Berliner Museums, A r c h.
Zeit. 1868, Taf. 9) öfters wiederkehrenden, aus stilisirten, ineinander-
geflochtencn Rebzweigen bestehenden Ornament bemalt. Die inneren
Conluuren der Figuren sind wie bei der Vase Nr. 3 behandelt. An
den doppelt umnss^en Schildiündern bemerkt man deutlich, das aie
mit einem zirkelartigen Instrument hergestellt sind.
Die Darstellung der Mittelgruppe — auch das umsehen deoi
einen ivriegers nach der Gefangenen — wiederholt sich auf achaisdiea
Yftsen Öfters, wie die von 0. Jahn, Arch. Beitr., S. d6, Anm. 95
ud H. 11 ey de mann, üiupersis, S. 21, Anm. 8 und 8. 22, Adid 3
goammelten Beispiele lehren. Mao hat bei ihrer Erkliruog zwischen
der Befreiung der Helena durch die Dioskuren uud der der Aithra
durch Damophon und Akamas geschwankt. Heydemann a. a. O. tieht
er vor, si^gar Huf jede «heroische* Erklärung zu verzichten; nlleiodie
Aüwescnheit der Athen« scheint ziemlich bestimmt für die ZtigeiiOi%-
keit wenigstens der vorliegenden DarsteUong zum Troischeo Sageo-
kreine zu spredieiL
5. Schwsrzf tgnrige Lekjthos.
An Grßsse, Form, Omamentining osd Stil Nr. 4 estsprecbeod«
dodi etwas besser erhalten.
In der Mitte sitzt auf einen mit Polster bdegten Sttse Athen«,
bekleidet mit langem Chiton ond omgeschUgeneoi Mantel, in der
Lmken einen Speer halteod und den Kopf ra dem engten der beideB
1. Ton ihr alebendea Figuren wendend, welche beide mit Ingm CSötoa
Mantel bekleidet sind nnd mit der linken eine
Lnue kalten. Zwei ebenen gekleidete Fignren (n. L)
■iahen r. Ton der Göttin. Die inaiwmte Figur r. txigt ein Bnad im
Htar, doch darf man wohl anch in ihr, wie in den drei ibcigen Per-
stMi «iMn Unna orkcMen. Allerthüükher StiL Die Mnkrei ist
ohM Feinheit ■niyfthrt.
Atikene iniM.hijn B|>ielendM Kriegvn bei Gerhnrd, AuerL
gr. Vn&L. Tal OCXCL, zwischen je eiaem Beüer and Krieger aof eiaer
Vase (bei a J nhn, Dewhtdbang elc, Nr 7221. iwisehea
KfifBgera, ebpafilli «af cIbv Miachwnfr Vase (0. Jahn,
n.n. a 13SS).
Oriecb., rüm. u. etrusk. OegfeiiständL' in (]«r Haiiiltur^<*r AlttirthüTner-Sammlung. 93
6. Roth figurige Vase, s. g. Oxybaphon.
Die Vase entspricht iu der Form der bei H e y d e ni a d d , Vasens.
Taf. U. 34, 0. Jahn, Beschreib, d. Vasens. etc. II, 54 und Ger-
hard, Berlins ant. ßildii. I, 18 abgebildete«. H. 0^30. Durcbin. 0,30.
— Das Gefäss ist durchgebrochen, aber wieder zusammengeleimt.
Einzelheiten sind mit schwarzer, brauner, weisser und gelber P'arbe
aufgemalt. Ergänzt ist ein kleines Stück der Vorderseite.
Die Darstellung betindet sich oberhalb eines ringsumlaufenden
Mäanderstreifens.
A. Von I- schreitet ein bis auf eine, über den linken Unterarm
geworfene Chlamys nackter Jöngling, durch dessen Haar eine weisse
Binde geht, heran, in der xurückgestreckten Rechten einen Stab, in der
Linken eine Patera, über welcher ein Zweig liegt, haltend. Kr blickt
auf eine vor iliuu auf einer natürlichen Erhöhung sitzende Frau, welche
mit Schuhen und langem gegürteten Chiton bekleidet ist. Ihr Haar
ist mit einer Sphendone zusunimengehalten ; die Linke ruht auf dem
Sitze, die mit einem Armband geschmückte Rechte greift um den
Stamm einer kleinen neben ihr wachsenden Palme (?). Ueber den Figuren
aur Ausfüllung des Raumes drei Rosetten angegeben.
B. Zwei eng in ihre langen Mäntel gehüllte Jünglinge, welche
dt'n linken Arm in die Seite gestützt haben, stehen sich anblickend
einander gegenüber. Zwischen ihnen spriesst eine stiliairte Pflanze
emjjor. Ueber ihnen schweben zur Ausfüllung des Raumes drei Bälle.
Unter den Henkeln je ein Palmettenornament. Ueber der Dar-
stellung beider Seiten zieht sich ein Lorbeerzweig hin. Leichte ge-
wandte Zeichnung, offenbar unteritalischer Herkunft. — Auf dem Boden
der Vase ist ein rundes Loch st-chen geblieben; dieselbe war also wohl
nicht für den Gebrauch, sondern nur zum Schmuck des Grabes be-
stimmt. Ueber die Verwendung von PttanKenoruaraenten zur Aus-
füllung des Raumes vgl 0. Jahn, Be.schreibung etc. p. CCXX.
7—56. T h 0 n 1 a m p e D.
7. 0. H. Vorn abgebrochen. Ein oben und unten profilirter
viereckiger Altar in perspektivischer Darstellung mit brennenden Früchten
und r. und I. davon je eine Cypresse.
Analoge Darstellungen auf Lampen angeführt in den Bonner
Jahrbüchern, LXI, S. 111, Nr. 86. Vgl. auch B e g e r , Lucemae
vet, sop. I, 13.
8. Bruatbild eines bärtigen Mannes (o. 1.) mit Panzer und grie-
94 Grieche röm. u. etroBk, Gegen^tinde in der Hamburger Alterthainer»S>nnnlimg.
chischein Helm mit hohem Busche. — Vorn dn feines Loch «am Dorcb-
stecken der Nadel, — Rcks. :
@
CIVNSIT
Ein ähnliches Brustbild auf einer Lampe wird von Passeri
(Lucernae I, XXII) auf Mars gedeutet, was gewiss nicht richtig isL
Eher wird man an den Portraitkopl eines Feldherrn oder Kaisers n
denken haben. Kaiserköpfe auf lumpen z. B. in der Sammlang des
Wiener Antikencabinets, beschrieben von Kenner, Die antiken Tbon-
laropen etc. zu Nr. S5 ff.
9. Trimyxos o. H. Ein Scorpion, welcher seine Scheeren am das
Oelloch legt. — Rcks,:
FABL (I?)
F
Wahrscheinlich eine christhche Lampe; rgl. Bonner Jahrbb. LXI^
S. 110, Nr, 82 und Fröhner, Inscr. t c raa. Nr. 1065 : OF FABI.
10. 0. H, Ein gettagelter nackter Erot, das linke Knie auf eine
Erhöhung (Felsen?) seilend, den Kopf nach L wendend und mit beiden
Händen einen schmalen Gegenstand (Fackel?) gegen die Erde kdirend
oder von der^lben aufhebend.
11. 0. U. Etwas beschädigt. In einem Kreise, da mit einem
uagetahnten Rande umgeben ist (vielleicht Nachahmung eines Nim-
bus?), befindet sich das bekleidete BrustbUd der Selene vor einer llood-
akhel Ceber ihrer rechten Schulter scheint der Köcher her> orzuragen ;
durch das Haar geht ein Band.
Vgl Passeri, Lucemae H, LXXXIQ ff. und Kenner, a. a. 0..
a 29 L
U. O. H. finutbiki d^ beUeideCeB Seloie (o. r.), auf deren Stirn
die Ifondaickel schwebt; abrigeas ist der Kopf Terkehrt ai%epresst,
da die Brust der Henkebeite der Lampe zagevendet ist.
S. «u Nr. 11.
13. fitwaa DerbrodnDf aber oflieBbar aiemalB griiraaciiL Zwei-
keakdige, zieaüidi flache Vase, derea Baach mü Zweigca gesehmaekt
aa aeia acheiaC Vom ein feiaes Lodi warn Vnnloawii dea Dochteai
Rcks.: üaleBerlieher StempeL
AehaKehe GefXase aad Vasen bei Kenner, a. a. O., S. 64, Nr.
2M £
kriech., rom. ii. etrutik. Gegenstände in der Hamburger Alterthütner-SaminluDg. 95
14. Nach r. hinspringender Hund (?) mit geöffnetem Maule. — Rcks.
C POMDI O
(Etwa C, Pompei Digni — Di?i — o fficina?). Vgl. Kenner,
a. a. 0., Nr. 154.
15. 0. H. Vorn ein feines Loch zum Vorstossen des Dochtes. —
Auf einem n. r. galoppirenden Pferde sitzt ein nackter Knabe, mit der
Linken die Ziegel anziehend, die Rechte wie zum Schhige erhebend.
Die Darstellung des Pferdes ist sehr gut.
16. In der Mitte eine Rosette. Der umlaufende Rand ist mit
Rebzweigen und Trauben ornamentirt. — Rcks.: Nackter Fuss als
Stempel.
Ueber das vermuthlich christliche Symbol dieses Stempels vgl.
Bonner Jahrbücher, LXI, S. 110, 77, Aehnlich verzierte Lampen
finden sich auch in der Sammlung Herstadt in Köln.
17. In der Mitte eine Rosette; der umlaufende Rand ist mit
Perlen ornamentirt. — Rcks.:
Wahrscheinlich ein Fabrikstempel.
18 — 21. Christliche Larapen von plumper Form („Geschenk des
Herrn Fr. Stammann, 1876") nach beigefügter Notiz „di Catacombe di
S. Lorenzo fuori le mura". Grosses Oelloch; der obere Rand mit kleinen
Tüpfchen besetzt.
19. Um das Eingussloch herara ausgebrochen. Am Rande be-
finden sich drei deutliche Ansätze, durch welche ein Draht oder Faden
zum Aufhängen der Lampe gezogen werden konnte. Rcks.:
MARCEL
^-
Der Zweig deutet vielleicht auf die Lampenfahrik eioes christ-
lichen Besitzers. Vgl Bonner Jahrbücher LXI, S. 114, 118 und
110, 80. Fröhner. a. a. 0. 1457-64.
20. Lampe von ähnlicher Form und gleicher Herkunft wie Nr. 18.
— Rcks.:
VIBIAT (?)
9(i Oriecb., rata. u. etnrak. Gegenstände in der Hamburger Altertbümer-Sammluug.
Vielleicht VIBIAN, wie auf einer Lampe bei Kenner,
a. a. 0. Nr. 377 ft. Fröhner a. a. 0. 2119.
21. 0, U.— Ikks.:
ATIMETI
Vgl. Fröhner, a. a. 0. 206.
22. Rcks.: FORTIS und darunter ein Kranz mit flatternden
Bändern.
Lampen mit demselben Stempel und Fabrikzeichen und gleich-
falls ohne bildliche Darstellung, befinden sich in der Sammlung Her-
stadt in Köln (vgl. B. Jahrb. a. a. O., S. 97, 10 und S. 98, 15). Der
Stempel FORTIS findet sich übrigens auch häufig mit andern, sowie
ganz ohne Fabrikzeichen.
23. Christliche Lampe. Henkel abgebrocben. Zwiacheo zwei
Eingusslüchern das Monogramm
Am Rande schraffirte Dreiecke nebeneinander gestellt.
Lampen in ähnlicher Weise ornamentirt sind aufgezählt in den
Bonner Jahrbb., a.a.O., S, 110, 78, Vgl. auch Beger, a. a. O. III, 26.
Das Monogramm, wobei das P in ähnlicher Weise aufgelöst ist, nicht
ein „Hakenkreuz" wird auch auf der Kölner Lampe (Bonner Jahrbb.,
LXI, S. 115, Nr. 122) anzunehmen sein.
24. Christliche Lampe. In der Mitte ein Fisch; der umlaufende
Rand ist mit Blättern und conceatrischen Kreisen ornamentirt. — llcks. :
@
2.'j. In der Mitte zwischen zwei Eingusslöchern ein nach 1. schrei-
tender Hahn in flach gedrücktem Relief mit stitisirten Federn. Der
herumlaufende Rand ist mit concentrischen Kreisen, Lotosblüthen,
Schachbrettmuster und herzförmigen Blättern ornamentirt. — Rcks.:
Die Lampe stammt also wohl aus derselben Fabrik wie Nr. 24.
Dass sie christlich ist, darauf scheinen sowohl Lotosblütheu als Hahn
(„der Verkundiger des Lichtes und der Auferstehung") liinzuweiseu.
26. 0. H. Ein Ornament, b&stehend aus vier Kreisen, hinter
denen zwei sich kreuzende Zweige hervorsehen. Wahrscheinlich christ-
liche Lampe.
27. Lampe, welche napfartig zur Aufnahme des Oels geöffnet ist.
Griecli., röm. ti. etru«1c. Gegenstände in der Hamburger Altertbümer-Sammlutij^. 9T
mit einem zapfenartigen Ansatz in der Mitte, um welchen vermuthlJch
der Docht heriiingelegt werden konnte.
Lauipen von gleiclicr Foini beschrieben in den B. Jahrbb., a. a. 0.,
LXI, S. 113 und abgebildet bei Ueydemann, Vasensammlmigen des
Mus. Naz. z. Neapel, III, 180.
28 — 56, Fragment von I-,inipeii, in zwei ßypstafeln eingelassen.
28, Löwe, der auf ein Thier (Reh?) sjiringt.
29, Nach I. sclireitender Lüwe.
30, Pantherweibciien, die Vorderfüsse auf eine mit Frachten ge-
fällte Vase setzend.
Vgl. Bonner Jahrbb., LXI, S. 96, 1.
31—36. Springende, wilde Thiere.
37. Ein Reh (?) n. r. wendet den Kopf zurück nach einem an
seinem Euter saugenden Jungen (V).
38. Ein Huhn, der einen Palmzweig in der Kralle trägt.
Vgl dazu Bonner Jahrbb. LXI, S. 99, 12.
39. Sitzende, mit doppeltem Gewände bekleidete Fratiengestalt
(e, f.), eine Tateia iu der Lirikeu haltend, wahrscheinlich Fortuna.
Vgl. Passer i, a. a. 0. II, LXVL
40. Zwei miteinander kämpfende (iiadiatoren.
41. Mänulicher, bärtiger Protilkopf (n. I.) mit Helm,
Vgl. zu Nr. 8.
42. Weibliches Brustbild (e. f.) mit perückenartigeiii Haar, von
welchem fünf Sti-alilen ausgehen. (Selene?)
Vgl. zu Nr. 11.
43. Aehnlich wie Nr. 42.
44. Weibliches Brustbild (e. f.); von der Brust gehen zwei Flügel
aus (Sphinx 0.
45. Fragment eines weiblichen Profilkopfes (n. r.) mit zurück-
gestrichenem Haar, auf welchem wie ein zurikkgcschobener Helm die
Haut eines Menschenkopfes ntit geringeltem, walleudem Haar — MedusaV
— ruht. Modern?
46. Kopf des Zeus Ammon (e. f.)-
Vgl. Bonner Jahrbb. LXI, S. 97, 8.
47. Zottige, bärtige Figur (vielleicht Pan?) von sehr barbarischem
Aussehen, die Arme in die Seite stemmend.
48. Tragische Maske, von welcher r. und 1, Lorbeerzweige ausgehen.
Vgl. Passeri, a. a. 0. II, 53—57.
98 Orieob., röm. q. etmik. Gegenstände in der Hamburger Alterlliänier-Sftiniiilra^
50—56. Sieben Lampenfragmente mit Masken, theils tragisch
theils komischen, mit aufgerissenem Munde.
Mit diesen Fragmeuten vermischt sind die folgenden Bruchstücke:
57. Weibliches Köpfchen von Terracotta mit Schleier auf dem
Iliüterhaupte.
58. Ein dickes Kinderköpfchen (h. 0,04) von Thon.
59 u. 60. Scherben von Gefässen aus teiTa sigillata, darunter ein
aus einer Grotte hervorspringendes Thier und der bocksartige Kopf
eines gehörnten, bärtigen Paus.
Unter den griechischen Thongefässen ohne bildlichen Schmuck
und von sehr verschiedenen Formen sind hervorzuheben eine unten
spitz zulaufende Amphora, kleine Balsamerien, offene Ilenkelschaleu
und Oiuochoen. Ein roraisches Gefäss von Porpbyrerde mit acht länglich
runden Eindrücken im Bauche ist vernuithlith Kheinischeo Fundorts.
Unter den zerstreut nebeneinander liegenden Thonfragmenten sin^
bemerkenswerth ein männlicher, bärtiger, mit Stephane geschmückter'
Kopf von archaistischem Charakter — unter der Stephane kommt das
Haar in kurzen, regelmässigen Locken hervor; eine komische Maske
mit weit aufgerissenem Munde; ein Satyrköpfchen mit weit aufgerissenem
Munde und dicht bekrilnztem Haar; ein weiblicher mit Stephane und
hinten herabhängendem Schleier geschmückter Kopf, an welchem noch
Farbspuren bemerkbar sind; das Fragment eines Medusenkopfes; das
Fragment eines weibliehen, maskenartig gearbeiteten Kopfes, wie solche
L. Ross (Arch. Aufsätze I, 71) aus Gräbern von Kheuaia stammend
in Mykonos gesehen haben will; endlich eine ganze Auitahl weiblicher,
theils Köpfe, theils Brustbilder mit hohem Kopfschmuck, von Figurei
die auf der linken Schulter mit der Linken ein Kästchen halten unc
deren rechte Brust oft entblosst ist; einige von ihnen sollen aus Pästum^
stammen; vielleicht sind es Fragmente von ausgehöhlten Thonreliefs,
wie ich deren ähnlich aus Kölner Sammlungen (Bonner Jahrbb. LXI,
S. 121 , Nr. 173 f.) beschrieben habe. Thonreliefs der Art kommen
Dach Ross a. a. 0. gleichfalls in griechischen Gräbern vor.
Die auf zwei Gipstafeln eingelassenen Stücke von Wandmalereien
sind ohne besonderen Werth, bemerkenswerth darunter ist nur das
Fragment eines schön gezeichneten, über Ranken dahinschreitendc
Pferdes. U. Dutschke.
Römisohe Gläser.
99
5. Römische Gläser.
a. Altchristliche Goltlgläser vom Rhein.
(Hierzu Taf. IV ». V.)
Bis zur Veröffentlichung der Anfungs der Sechsziger Jahr« in
Köln bei S. Ursula und S. Severin getiindenen, im 36. und 42. Hefte
unserer Jahrbücher verötfeiitlichten römischen Glasschalen mit gold-
gemalten chri.'^tlichen Darstellungen ■), hegte man die bestimmte Moinung,
es seien solche üoliigläser eine lediglich den Kntakoniheii und ihren
christlichen Bewohnern eigenthiindiche und auf Rom beschränkte Kunst-
art*). Freilieh hätte von einer solchen Annahme die Erwägung, dass
das jugendliche Christenthum seiner ganzen Natur nach nicht geeignet
war, als Schöpfeiin neuer Kunstrichtungen und bisher nicht geübter
Kunstgewerbe aufzutreten, ebenso abhalten sollen, wie die Wahrneh-
mung der mannigfachen, rein heidnischen Darstellungen auf denselben.
Folgerichtig müssen solche zu den christlichen Anschauungen in
keinerlei Beziehungen zu bringende Bilder heidnischen und mytho-
logischen Inhaltes: des Herkules und Achill, der Venus, Grazien,
Kingkümpfer, Wagenlenker, Handwerker u. dergl. doch zu der Ueher-
zeugung führen, dass das praktisi;he christliche Bethlrfniss des Ge-
brauchs von Glaagefässen sich der bereits im häuslichen Leben vor-
handenen bediente und zu keinen neuen Erfindungen schritt. Weiter-
hin deutet dann das gleich massige Vorkf^nmen dieser Goldglüser in
den Katakomben auf eine gleiche gemeinsame Zweckbestimmung daselbst.
Durchgiingig waren nämlich diese Gläser in den frischen Kalk-
bewurf der äusseren Grabwände eingedrückt, sf> dass der Fuss und der
untere Theil der Schaale in diesem gefestigt erschienen, während der
1) Die GlaBpateoe mit kleioen lilauen, in 6old figurirtcD Modaillons \m
8. Severin gefunden, Heft 36, Taf. III, befindet sich noch in der uuvergleichlicb
kostbaren Sammlung römiacber tTläser des Herrn Carl Disch in Köln; während
der bei S. Ursula gefundene, Hüft 42, Taf. V abgebildete Glas-Teller ans dem
Besitz des Herrn Eduard Heratatt in Köln mit der Sflinuiluug Slade in das Bri-
tische Musenm gelangte. S. 50 dea Catalogue of tho Collection of Glass formed
bei F. Slade, London 1871; de Rossi, Bulletino 1864 u 1866.
2) Garocci bei Kraus, Koma Sotterauea, S. 291.
100
Römisch« flliiwr.
offene obere Theil gleich einem umrahmten Medaillon anschaabar
die Wandtläche hinausragte. Dadurch erklärt es sich von selbst^ dass
die vorstehenden dünnen Gefässwände im Verlaufe der Zeit leicht ab-
gestosscn wurden und nur die im Mörtel eingeknickten goldgeschmiickten
Gefässbüden — die deshalb den Namen fondi d"oro bekamen —
sich erhieUeo. Dennoch dürfte die merkwürdige Thatsache, dass mit
wenigen Ausnahmen an allen römischen fondi d'oro die Reste und
Spuren der Gefassraäntel fehlen, nicht nur durch Zerbrechen, sondern
durch andere Gründe zu erklären sein ')- Indem die Controverse, ob diese
GUser bei den Christen als Abendmahlsgefasse oder als Tiinkbecber dtr
Liebe^m&hle, oder wie sonst anzusehen sind, hier dahin gestellt bleiben
mag*), können wir als feststehend ansehen, dass ihre weitere Ver-
wendung zum iosseren Grabschmuck sehr bald eine aasgebreitete*)
und eine solche war, der nicht sowohl oder nur das Andenken an den
orBprltaigbciien Gebnveh, sondern wesentlich die Anschaanng der igtr-
tiefaea Dar^efloii; za Grande', lag. Die^Bilderfeindlickkeit den CkriaCai-
tkons steht dem nicht entgegen, da nasere Glaser scboa den S. nd
4. Jahrhundert angehören*).
Tketll laaB ana die Aaskht, dass die Aageböng«« (ier Verstoi
bei Aabeftnag der goUfigarirtoi GUser in dea swistea FiOen aar die AI
aidit hegten, das Grab nüt jenea hetligen Daratellangen dert*oldmeda3loa8
der GefiissbAien n sdiaUkken, daan wird nua gewiss aach aiit Baehl
verauithea dtifea, dass «fiese MedaiUaas gesoadect aad aUete fir ach
§eiert%t aad als BiMcr sDetn aad fSur äA iiiauadtt varden. Diese
faa mar bereits vor 14 Jabrea aasgespro^aae Miiaaag erhält ihre
«•Da Bititigawg darcfa die Betrachtnag der becUaMeB Glaa-FaiaM
dw Tlswnlai^ des Herrn e ari Disdi ia KSIa. Die chmbI
dtoeea aad einer AaiaU äbnlicb«^ GUstst laaca aicfat dea
1) Wirw alt Ibodi i^mo BUn
Bm* far wcki mtäm. Sms «
lULXXnX 7« •. Tbc 1»
1) Kr«««, Boa
S) Dm «iim<i A«
Tairi Maaftt « 6|«M M
4) 6«r«c«i. TfeC
SLaot.
mh fi*rr««ei
Kr»««, S.
Römische Glftser.
101
Zweifel dailiber Gestehen , dass die Hprstelhing der Gefässe und der
daran befindlichen kleinen bunten Medaillons eine getrennte und von
einander unabhängige war. Man kann nämlich sowohl an dem Disch'sdien
Glase, wie an den auf Taf. V, 1, 2 u. 3 ab^^cbildcten Bechern der Vereins-
sanimlung und des rrovinzialmuseums in Bonn deutlich erkennen, dass
diese kleinen Medaillons in die äusseren Wandungen der geblaseneu
Gefässe, während diese noch flüssig waren, eiugedrück't wurden'), sie
mithin vorher für sich gefertigt und in Vorrath zur Hand sein mussten.
Wenn man nun den Zustand und die Herstellungsart der fondi
d'oro studiert, wird man zu dem Resultate gelangen, dass auch diese
Medaillons für sich fabricirt und dann später als fertige Stücke
ebenso zu solchen Gefassen liinzu genommen wurden, deren Böden man
damit zw schmücken gedachte. Noch heute werden Medaillons ähn-
licher Art zu amiereni Zwecke gemacht. Die Olaswürfel, welche zur
Herstellung der goldenen Hintergründe der römischen und byzantinischen
Wand-Mosaiken dienten, geben dazu eine erwünschte Analogie. Prüft
man diese Würfel, so sieht man, dass sie bezüglich der Herstellung
wie die fondi d'oro beschaffen sind, indem das auf einer Glasfläche
durch einen Klebstoff gefestigte Schaumgold — in welches man bei den
fondi d'oro die Darstellung gravirt — durch einen Ueberfang von Glas
geschützt wrd. Aber die so hergestellten (ilaswürfel, welche man bei
einem grossen Wand- oder Kuppel-Mosaik zu Hunderttausenden ver-
braucht, ist es nicht üblich einzeln zu verfertigen. Ginge das auch an,
so würde es dem Bedürfniss des ausführenden Mosaicisten, bald einen
kleineren, bald einen grösseren, bald einen Würfel von dieser, bald von
jener Gestalt zu verwenden, nicht entsprechen, einen Vorrath gleich
grosser, regelmässiger Würfel zu haben. Die Seitenwände der Glasstifte
zeigen auch deutlich, dass sie aus grösseren Stücken nach Belieben
und Bedürfniss wahrscheinlich mit der Zange gebrochen oder mit
dem Hammer abgeschlagen sind. Der belehrenden Freundlichkeit
des bekannten Erneuerers der alten venetianischen Glasindustrie uud
besonders der byzantinischen Wand-Miisaiken, Herrn Dr, Salviati in
Venedig, verdanke ich eine der Platten , wie sie in seiner Fabrik als
Material für die weitere Mosaikarbeit hergestellt werden. Es sind
l) Innen läuft die Glaswandung annnterbrochen ober die Medaillons htn-
Kwg. Vor«!. Taf. IV, 6,6a a. 6b, welche an einem Fragmente des Glases von
Ditcb die Art und Weise zeigen, wie die blauen Medaillons in den weissen Ge-
da^Wandungen eingesetzt sind.
102
Römische Gläser.
runde Glasscheiben, deren Unifiingsich nach der Grösse aeraufltegendea
viereckigen Schaumgoldblätter — dieselben, die zu allen rindern Ver-
goldungen im Handel zwischen dünnem rajjier in Büchelchen verkauft
werden — richtet. Aus dieseo Scheiben (Taf. IV, 5) schlägt der Mo-
saicist seine Stifte, so wie er sie braucht, heraus.
Mir ist es nicht zweifelhaft, dass man die Boden-Bilder der Gold-
gläser in ähnlicher Weise zunächst für sich allein, vielleicht in besonderen
Fabriken als Medaillons anfertigte und dann einestheils als Bilder, andern-
theils, je nach Bestellung und besonderen Zwecken, als figurirte Gefiiss-
böden verwandte, indem man die Gefässwände nachträglich besonders
aDblies. Denn so gut wie man in dem noch elastischen Mantel der
Kölner Schaale die kleinen blauen Medaillons eindrücken konnte, wird
man auch die Ränder der grossen Medaillons so weit wieder zu erglühen
vermocht haben, um daran einen Mantel anblasen zu können, oder aber
in die fertig geblasene, indess noch glühende Schale das vorhandene
Medaillon in den Boden einzudrücken vermocht haben.
Ist diese Ilerstellungstheorie, welche mir das Disch'sche Glas ao
die Hand gab und welche die weiterhin abgebildeten und manche andere
Gläser ') bestätigen, richtig, so hat sie eine bedeutsame Folgerung für die
Beurtheilung der fondi d'oro. Waren nämlich die heiligen Darstellungen
der für den sacralen Gebrauch bestimmten Glasschalen in der Bilder-
erlaubten Zeit erst einmal beliebt, ein Gegenstand des Wunsches frommer
Geniüther, so wird man schnell dazu übergegangen sein, sich lediglich
diese, die im Handel zu huhendeo Medaillons zu kaufen, um sie als
christliches Bild zu Trost und Schutz so anzubriogeQ, wie wir dieselben
an den Grabwänden der Katakomben vorfinden.
Die Mehrzahl der fondi d oro sind aber dann niemals Böden zer-
brochener Gefässe gewesen, sondern sie sind heute noch, was sie ehe-
mals waren, religiöse Bilder in der Form runder Glas-Medaillons*).
Wie ich bereits vor 14 Jahren in der glücklichen Lage war, durch
i'ublicirung des Disch'schen Glases die Ansicht von der lediglich in
Rom, beziehentlich lediglich in Italien vorhandenen Technilc der Gold-
gläser zu erweitern und hinzuftigen darf, dass auch vor 2 Jahren bei
1) Ein Glas mit glsltcn blauen wie grünen MedailloDS im Kölner Mus.
erw&hole ich bereila Heft 30, S. 128.
2) Cennini in geinem Traotat «1er Malerei (14. Jahrb.), herausgegeben von
Ilg (Wien 1871), lehrt c. 172 die Anfertigung ähnlicher Glaebilder mit Gold und
Farbi<u und sagt auadrücklich, de seien zur Verzierung der Reliquien entatanden.
Römische Gläser.
108
S. Ursula nochmals ein Rest eines fondi d'oro inCöIn gefunden wurde'),
80 bin ich heute im Stande, nicht aliein die geographische Ausdehnung
der Funde abermals zu erweitern, sondern auch die Ausdehnung der
eigeöthümlichen Kunstart auf andere Geräthe als Gefäss-Böden.
Unsere Taf. IV zeigte in gleicher Grösse 4 Glas-Plättchen, welche
einst die Wände eines kleinen Kastens bildeten. Zum Deckel diente
Platte 1, als Langseiten haben wir 2 und 4 anzusehen, wahrend 3 und
ein bis auf undeutliche Spuren schmucklos gewordenes und deshalb
nicht abgebildetes Täfelchen die Schmalseiten abgaben. Hass sich an
einer der Laogseiten ein Verschluss befand, ergiebt die Raunmus^pa-
ruDg an der oberen Seite der zweiten Tafel. Die Berandung sänimt-
licher Stücke bildet ein einfaches Zickzackornament mit Piinktinmgcn,
ausgeführt in rother, blauer und gelber Farbe. Die bildlichen Dar-
stellungen sind aus aufgeklebtem Schaumgold herausgearbeitet. Ein
Zusammenhang unter denselben, eine Beziehung der einen Darstellung
auf die andere ist nicht zu erkennen, um so weniger, als die Zer-
störung schon beim Funde zu weit vorgeschritten war, um die sichere
Bestimmung sämmtlicher Figuren zu ermöglichen.
Betrachten wir zuerst das Deckelbild. Von den drei Figuren
desselben sind die beiden zur Seite befindlichen als Petrus und Paulus
überschrieben. Dadurch ergiebt sich von selbst, dass in der Mitte
zwischen diesen beiden Aposteln der Heiland anzunehmen ist, eine
Annahme, der auch die segnende Rechte der mittleren Figur entspricht.
Ob der Erlüscr in der Linken, wie waht^cheitilich ist, ein Buch hielt,
ob er auf einem Throne sitzend dargestellt war, ob die Pfauenaugen,
die den unteren Körper umgeben, dem Gewand angehören, ob innerhalb
des Himraelsbogens zu seinen Füssen, noch eine symbolische Gestalt,
vielleicht die des Himmels*) sich befand: das Alles sind Fragen, welche
sich aus der maogeShaften Abbildung nicht beantworten lassen.
Etwas besser erhalten erscheint die zweite Dar.^'telluug. An den
Seiten stehen, ebenso wie in den vorigen, zwei männliche Gestalten
mit der Beischrift IPPSLITS und SVSTVS, Der letzte Name ist in
dieser alten, meines Wissens auch in den Katakomben vorkommenden
1) Die fragmentirto Platte kam aus dem Kunathandel in den Besitz des
Herra Carl Discli und wird im Catalog der Kölner kunathistorisohen AuBBtellung
TOD 1876, S. 6, Nr. 30 als Evangelist Marcus init dem Löwen bezeichnet
2) So auf dem Sarkophag des Juuius Bassuö und anderwärts, rerg). Piper
Mythol. und Symbolik der cbriatl. Kirche II, S. 44.
104
Römiflche Oliaer.
Schreibung gleichbedeutend mit Sistus und Sixtus und bezeichnet den
im Leben des S. Laurenliua vorkommenden Papst und Märtyrer. Im
ersten Namen wird man im vierten Buchstaben einen Schreibfehler
anzunehmen und statt des S ein O zu setzen und ippoiit(u)s zu lesen
haben. Hyppolitus, Märtyrer und Zeitgenosse des h. Sixtus kommt
ebenfalls in Gemeinschaft mit dem h. Laurentius vor, der ihn taufte.
Hippolitus scheint in der Rechten ein Buch getragen zu haben. Die
zwischen den Märtyrern Sixtus und Hyppolitns vorgehende Handlung
begiebt sich, wie zwei die Localität andeutende Bäume zeigen, im
Freien. Eine männliche Person sitzt auf einer Erhöhung, eine andere
steht abgewendeten Gesichtes vor ihr und hält eine an langem Stil
befestigte Scheibe ihr entgegen. Die Ueberschrift lautet lOB BLASTEMA.
Auch hier haben wir einen Schreibfehler des Zeichners und statt
T die Buchstaben PH im letzten Worte anzunehmen, wodurch
uns die ganze Darstellung sofort klar wird als die Trübsal Job's.
Job sitzt, dürftig bekleidet, auf einem Mist- oder Ascheuhaufen und
vor ihm erscheint, mit abguwendetem Gesicht, seine Frau. Das ab-
gewendete Gesicht spricht offenbar Ekel und Angst vor Ansteckung
aus. Zur deutlicheren Kennzeichnung dieser Emptindungcn dient häufig
auf sonstigen Denkmälern <ler Leiden Job's das Zuhalten der Nase.
In unserem Bilde tritt ein anderes Moment mehr in den Vordergrund,
indem die Gattin des frommen Dulders, zwischen Angst und Mitleid
schwankend, zwar das Gesicht abwendet, aber doch zugleich demselben
auf langer Stange einen Gegenstand hinreicht. Beide Momente sieht
mau auf dem berühmten Sarkophag des Junius Bassos in den Vati-
canischen Grotten vereinigt: Vor dem auf einem Aschenhaufen sitzenden
Job stehen seine beiden Freunde, von denen sich der eine die Na»e
zuhält, der andere den gleichgeformten runden Gegenstand dem ge-
prüften Gottesmanne entgegenhält. Auch auf mannigfachen anderen
Monumenten-) wiederholt sich derselbe Vorgang. Man hat den hiniJie-
haltenen Gegenstand bald für einen Wedel oder Fächer, bald für einen
Spiegel, ein Weinsieb, einen Prügel u. dergl. gehalten'), ohne zu be-
denken, dass derselbe doch jedenfalls die Zweckbestimmung hatte.
1) Halitam meum exliorrmt nior mea. Job 19, 7 (YulgraU). BottariXCl.
2) Maoasor. d. Greg. V. Nuianz der Paris. Bibl. (m. gr. Nr 510 fol. 71)
abgebildet in les arts eomptuaires. Vergl. Revue aroheol. y. 1860 eto. Mar-
ti gn 7, DicUonaire des Antiqa. obret. nouv. Edition 1877, S. 396.
8) Bottari zu Taf. XV, Garucot, Hogiogl)*pha, Note tu p. 60.
Römisch» QltB«r.
106
JTgetid ein Bedtirfniss des LeHletidcn zru bpfViedigen, seine Lage zu er-
leichtern. Scverauo*), der Hcrausfj^cber von Bosio's Roma sottcranea,
und später in besonderer Schrift Ediiioud le Blaot*) haben richtig
erkannt, dass es ein rundes Brod ist, welches JoVs l'Yau hier ihrem
Gatti-iQ, in dessen unmittelbare Nähe sie weder zu kommen noch ihn mit
der Uünd zu berühren wagt — auf langer Stange dnrreichL Wollte
mau aus innereiiGründen diese Deutung noch nicht für zwingend
erachten, so würde schon die vollständige rileirhheit der römischen
Brode. wie man sie in Pompeji gefundtni, mit der runden Form und
sternförmiger Verzierung in unserem Bilde dieselbe rechtfertigen').
I Die Darstellung auf der entsprechenden anderen Langseite (4) ist
leider in der Mitte zerstört und lässt deshalb keine ganz bestimmte
oder vielmehr eine mehrfache Deutung zu. Auf der einen Seit^j erblickt
man eine stehende Figur mit der Beiachrift PETR(V)S, auf der andern
einen durch Bart und Mtltze gekennzeichneten Juden, dessen aufge-
hobene Hände Firstaunen über einen Vorgang aui-idrücken, der zwischen
Petrus und einer vor diesem kriieendeii Person statthat. Petrus hält
mit der rechten Hand ein Schwert oder einen Stab, was nach der
Mangelhaftigkeit der Zeichnung des sehr zei'störten Bildes mit Sicher-
heit nicht festzustellen ist. Entscheidet man sich flir ein Schwert, so
werden wir im Garten von Gethsemane den Moment dargestellt er-
blicken, wo Petms dem Malchus ein Ohr abhaut und der Heiland dies
wieder anheilt. Das aufgehobene Schwert deutet auf die That selbst,
wohingegen das Knieen des Makhus und das l^rstaunen des Juden
mehr auf das Wunder der Heilung hinweisen. In diesem Falle würde
in der zerstörten Mittelflächc die Gestalt des Heilandes anzunehmen
sein. Es kommen nun in symbolischer Bedeutung auch Dar.stelluageu
Petri im Bilde des aus dem Felsen Wasser schlagenden Moses vor.
loa vom herein würde man gewiss entfernt nicht daran denken, jene
»artigen, mit dem Stabe den Felsen anschlagenden Gestalten zweier
Ibndi d'oro für diejenigen des Petrus zu halten; ja es würde absurd
[sein, nicht Moses darin erkennen zu wollen, — wäre nicht ausdrücklich
1) Baaio, Koma soiteranea 1, U, o. 8. u. S, 614. of. Arin^hi üb. IL c. 10.
ä) Edm. Ic Blaut, d'une Rcpreacnlation inödite de Job sur an Sarcopliag;e
l*Arl68. Paris 1860.
8) Man vergl. die Brode bei Overbeck, Pompeji S, 611; Rieh, Wörter-
^ch d. Auig. V. Müller, S. 442 uad auf den cbristl. iSarkophagen bei Bosio
Sm. 42&. &13.
106
Römische Gläser.
der Name Petrus beigeschrieben'}. Ob aber hier die Annahme eines
Stabes den Vorzug vor dem Schwerte verdient, Petrus als der dem
Felsen Wasser entlockende Moses anzusehen ist, möchte ich nach Ver-
gleich sämratlichpr mir vorliegender Copien unseres kleinen Denkmals
bezweifeln : die meisten derselben deuten in der Nähe der fassenden
Hand auf einen Schwertgriff').
Von den Tafeln der beiden Schmalseiten war die eine bis auf die
Spuren einer mittleren Fi^iur und die links neben dem Kopfe stehenden
Buchstaben 10, welche ebenso wohl auf lOB wie lOH ANNES deutbar
sind, zerstört; die andere vergegenwärtigt den Sündenfall und zeigt
den l^aum mit der Schlange, wie die Gestalt der Eva noch wohl erhalten,
während die Figur des Adam zerstört ist. Man erkennt deutlich, dass
I'',va , auf Adam schauend ^ ihn zum Essen des Apfels auffordert, und
durch die Handbewegung auf ihren Mund besagen will, dass sie bereits
von der verbotenen Frucht genossen hat.
So zerstört auch diese Tafeln, so roh sie in ihrer Zeichnung sind,
80 wichtig erscheinen sie für die weitere Bestätigung der geographischen
Verbreitung der Goldgläser-Industrie über Rom hinaus, ganz besonders
aber für die zum ersten Male bekannt werdende Ausdebnong derselben
auf andere Gegenstände, als die fondi d'oro.
Die Täfelchen gehören einem am 12. März 1847 in Neuss ge-
machten Grabfunde an und gingen sofort in den Besitz des um die
Rheinische Alterthumskunde hochverdienten Sanitätsrathes Dr. Jäger
in Neuss über. Das Einzige, was über den Fund bekannt wurde, ist
die nachfolgende Mittheilung vom 20. März 1847 im Feuilleton der
Dnsseldorfer Zeitung:
Zur Alterthumskunde von Neuss.
Zu dem Funde von römischen und mittelalterlichen Alterihüroem, den
icb im Feoilleton der Nr. 73 dieser Zeit, beedirieben, bat aidi am 12. d.
M. Math 1647 schon ein anderer eines antiken Grabes aogereibei, valchca
in vielen Beziehongen, besonders aber weg«n der achSnen gläsemeo Gefiase
und Glaat&felchen mit Goldmalereiea *), als höchst intereasaat arsclMiat.
I) Abbildang bei Eraua, B. 800 u. Tat VI, 4. Martignj L c S. 474.
da Roati, Bollctioo 1S77, S. T7 C
3) Dem ersten Etndmck nach könnte man such wolü die knieende Figur
fir «i»a «aibiieh« bähen oad darin eine der Mägd« arhaaiwa, daMB geg—Sbar
Tvlraa dsn Harm variaag— te.
3) Bekanntliob gehörtaa glisen« GeftaM od GlaHaoboB ibttkaopi sa
Eb fand nämlich der, mit Aufschürfen seinen Gartens behufs Sand-
gewinnang, der er im Winter gewöhnlich obzuliegen pflegte, vor dem Ober-
thore zu Neuss, rechts von der Kölner Strasse, dicht am sogenannten
Gütchen nnd am Erftkanal wobneode Gärtner und Blumenhändler Gif 1er,
zwei FuBS unter Dammerde auf Sand ruhend, einen mit einem steinernen
Deckel versehenen, sechs und einen halben Fuss langen, zwei Fuss tiefen
und eben so breiten, drei Zoll dicken, oben etwas weitern als unten mas-
siven Sarg, aus Liedberger Braunkohlensnndstein konätruirt. Der Deckel,
welcher, wie der Sarg selber, durch den Einfluss der Jahrhunderte lang
eingewirkt habenden Nässe des Bodens erweicht und fast bröcklig gemacht,
wurde beim Abnehmen zerbrochen, ist aber in seinen Stücken noch vor-
banden. Der Inhalt des Sarges wur folgender: Im Schlaram schwimmend
lag ein nach Osten gerichteter, sehr vermodeiier, morscher Körper eines
Erwachsenen, wovon sieb besonders die Wirbelsäule and die Höbrenknochen
der Glieder erkenntlich machten. Ueber diesem Skelette waren einige Eimer
einer weissen in Elumpcn vertbeüten schmierigfettig anzufühlenden Masse ver-
breitet, welche sich bei der mit ihr in der Apotheke des Herrn Sels hier-
selbst vorgenommenen genauen Untersuchung als nichts Organisches,
sondern als Gips erwies. Vielleicht rührte diese Substanz von zerbröckelten
Statuetten von Heiligeabilder, so mau dem Grabe beigefügt hatte, oder
von einem Gubb zur Conservirung des Leichnams her. So findet man bei
den römischen Gräbern in Särgen und Tufstein genauer eine ähnliche Be-
legung mit präparirtem Thon, oft von P/it Fuss Dicke. Weiter enthielt
den kostbarsten Gegenständen des hohen Alterthunis. Viele Jahrhnnderte waren
die Phönizier allein im Besitze der von ihnen erfundenen Fabrikaliou dea Glases,
wozu einige an Nitram reiche Stellen der Küste ihnen das nöthige Material
lieferten. Als aber die Glasfabriken in Sidon und Sarepta'nach der Eroberung
des Landes unter Alexander ihr gewinnreicUes Monopol verloren hatten, erhob
sich in der neuen cgyptiacheu HauptaLadt Alexandria die Glasfatbrikation zur
grossen Vollkommenheit, da in Egypten eine Bchmeizbare Erde gefunden wurde,
ohne welche die beliebten vielfarbigen oder schillernden Gläser nicht gemacht
werden konnten. Was Strabo (XYI, 2) von der Leichtigkeit und Färbung des
römischen Glases bemerkt, wird durch die im Nassauisohen bei Mains, Trier,
Köln, Xanten, Zell, Neuss gefundenen Gläser vollkommen bestätigt. Man findet
aber nicht nur buntes, sondern auch helles, crystallähnlicbeB, weisses Glas in
römischen Gräbern, das vorzüglich hoch geschätzt wurde. (S. Bokmannn's
Beiträge zur Geschichte der Erfindungen, I. Band; Creuzer's Abriss röm. Anti»
quitäten, Becker's Gallus, Boettiger's kleine Schriften und Houben's Anti-
quarium etc.)
t98
Römische Gläser.
der Sarg 1) eine toUergroese flach«, blaue grünlich violette anjirolnof
SchüBsel (Opferscbftale) von Glas; 2) «wei gläeerne Thranenfläschchea —
Lacriinatorien — dickhäuchig, mit Inngeni Halse, wie eines in dem lloa-
beDBcheu Fürstengrab vorgcfandcn nnd auf Taful 48 abgebildet iBt*)d
3) eine grosse itinde dickbivuchigc Flasche mit engem langem Halse von
gräulich Bchillerndem dicken (ilase, ühnlich von Nr. 6 auf der Tafel 30 des
Antiqanriama von Honbeo. Yermiitblich ist es ein Behälter für Weihwasser
gewesen ; 4) eine kleinere dickbäuchige Flasche von weissem dickem kry-
stallhellem Glase, welches zum Aulheben von Schminke oder einer wohl-
riechenden Essenz gedient haben kann; 5) flinf an ihreo Rändern mit
banten röthlich-blau-gelber Färbung verzierten Streifen and im Schilde mit
Güldmalerei aasgescfamiickte Glastafeln von etwa 6 Zoll Breite und 3 Zoll
Höhe mit vier dazu gehörigen ungefähr einen Zoll breiten Glasstüoken,
welche Letztere Kimi Befestigen der Kanten dieser Tafelcfaen geganenmodor
benutzt gewesen.
Die Malerei, durch aufgeklebte und radrrie Goldblättchen darf^
Btellt, seigt ahtegtameutnrische nud biblisch-chrlBtliche Vorgünge in Bildern,
deren Bezeichnung reBp. Aufschrift ganz leserlich und in römischer Lapidar- 1
Bcbrift gegeben war; eines dieser Täfekhen, das grösst« und schönste,
hatte in der Mitte der hintein Leist-e einen ZoU weiten und einen Unit
1) Houben sogt Seite 37 seines Autiquariums: Es lässt sich aber ans
keiner Stelle der Alten jene gar zu Benlimciital« Sitte beweisen, wonach die
Leidtragenden oder die Klagofrauon Fläschclien unter die Augen hielten und
ihre Thränen einträiifolu licsseu. Die grfliidlicbslen Alterthumsforscher haben i
gezeigt, dnss diese kleinen (lefnsse von Glas oder Thon stets zu Salben und]
wohlriechenden Essenzen bestimmt gewesen sind. Die Stellen der alten Dichter^^
welche einige Antiquare für die Existenz der ThräDenfläschchcn aufrufen , b«>-
weisen nur das Anfeuchten der Aj^che mit Thränen. Die alte lateinische Sprache
hat nicht eüima] ein Wort für ein solches Thränen krüglein; erst die neueren
Sprachen haben ein Lacrimatorio, Laerimatoire, Vascukim lacrimatorium in der
Latinität den .Antiquare des 17. Jahrhunderts; auch in christlich-rnmischcn
Gräbern, wie das jetzt aufgefundene ein solches darstellt — findet man dies«J
Flfisohchen, die hier aber mit dem Chrisam oder mit Weihwasser gefällt, dem!
Todten in'« Grab gegeben wurden, oder das Weibwasser, womit der Priester deaj
Körper znlutzt besprengt hatte, war darin gewesen, nach vollzogener Bestattunf
rief man den Manen des Todten noch das letxte Lebewohl zu und wenn die Veawl
Sammlung durch Besprengen mit geweihtem Wasser gereinigt war (Lustratio)J
wnrde sie mit dorn Kufe: iliuet entlaaseu; die vorgefundene Opferscbaale and
die grossen Flaschen von Glas halten wahrschcinbch bei dem inglichen Tc
zu diesen Verrichtungen gedient.
Römiaobe GliMr.
loe
■inen halben Zoll tiefen Einschnitt, worin TieUeacht ein SchlosB oder ein
Charnier befestigt gewesen.
Ea hat mathmastUcb Kam Deckel eines Kiatchena gedient, welches
BUS den fünf glüBcrnen Tiifelchin construirt war, das obere Täfelchen war
mit der Aufschrift: Job piftstema (violleioht der Name des Aofertigers der
Glasmalerei) in Lapidarsehrift versehen und zeigte eine Gruppe von Figuren
mit alterthümlichen Trachten; dieses SchnmckkiBtchen enthielt Tielleicht
bei der Beerdigung des Todten wcrthruUe Kleinodien desselben , die mit
der Zeit zerstört oder in dem Schlamme des iSarges verloren gegangen sind^).
6) Das Fragment eines feinen, glatten, mit edlem Rost bedeckten
Metallspiegels in ähnlicher Art, wie wir ihn auf Tafel 3 in Houbens Anti'
quarium seht'u; endlich 7), S) und 9) von Thongefässen eine Amphora —
zweihenkeliger Krug — von feinem weissem Thon, ein Opferteller mit nach
innen umgebogenem Rand von grober rother Erde, und ein einhenkeliger
Ascbenkrag mit weiter Mündung von gleicher Beechaflenheit '). Die glä-
sernen und thonernen Oefässe waren sämmtlich mit Sand angefüllt, die
niedrige Lage dos Terrains in der Nühe der Neusaer \Viese und des Erft-
kanals nach Selikum, wo der Sarg lag, machte denselben den vielfachen
Ueberschwcmmungen bei Neuss zugänglich und verursachte es, dasa das
Grab hunderte und hunderte Mal mit Wasser angefüllt gewesen, beim
Zurückweichen des letzteren blieben sodann Lette und Band zurück und
föilten nebst dem Sarge die darin befindlichen Gefäaae trotz dem, das«
ersterer mit einem Deckel versehen war, an. Ueberdies saugte der poröse
Sandstein oft F-enchtigkeit au» dem Hoden ein, die dann ebenfalls das
Innere des Sarges durchdrang. Man kann sich deshalb nicht über die
1) Es ist von dem bieaigon Zeichnenlehrer und Maler Herrn Küppers eine
Abzeichnung der Bilder der fünf Täfelchen entworfen worden, die später litho-
graphirt und mit einer Beschreibung dca Fundes vervieirältigt der Publicität
übergeben werden soll.
2) Die Form dieser Thongefässe ist zwar immer noch gefällig im römi-
schen Styl, aber wie man auch am Bruch und an der Glasur des Opfertetlers
und des Aschenkruges deutlich sehen konnte, ist dazu anstatt feinem weissem
Thon grobe grau-rölhlichc Erde angewandt worden. Bereits mit Ende des 2.
Jahrhunderts nach Chr. linden wir in den römiHchen Thongeßasen die Masse
früher stets von feiner lehmiacher Erde hergenommen, ihre Bearbeitung und
Färbung verschlechtert, es hatte der Verfall der Kerameutik oder Töpferkunst
begonnen und später, besonders in der Zeitepocbe, wo unser Orak entstanden,
viertes, fünftes oder sechstes Jahrhundert, war dieses noch mehr der Fall.
HO
BSfldaohe Gläser.
Zerstörungen wundern , die die Zeit auf den Inhalt des Grnbes ausgeübt
hat. Man moss aber dabei noch gesteben, dass die Goldnialerei sich bei
der langen Zeit, in der sie diesen verderblichen Einflüssen ausgesetzt
gewesen, noch ziemlich gut erbalten hat.
Das Grab stammt ohnstreilig aus einer vornoittelalterlichen frühem
christlichen Zeit, aus einer Epoche her, wo die Römer eben den deutschen
Boden durch den Einfall der Völker aus dem fernen Osten — Hunnen-,
Gothen- und Franken-Wanderungen — verlassen hatten '), wo in den Ge-
bräuchen und Sitten unserer Altvordern noch vieles von Römern, die hier
über vier Jahrhundertc lang ansässig gewesen, anklebend geblieben; daher
das Gemisch von römischen und christlichen AuBSchmückungen in dem
steinernen Sarge, das Nichtverbrennen der Leiche, welches das Christea-
thum verbot, das Beisetzen von gläsernen uad thönernen Gef&ssen, von
Geräthen aus Erz mit römischen Formen unter Bi?ifügung von Bildern,
die dem christlichen Cultus angehören^).
Was es aber för eine Person gewesen , die hier der Erde wieder-
gegeben worden, und Was es endlich in kunstgeachichtlicher Hinsicht mit
diesen Goldmalereien auf Glas, ob sie eine Art Enkaustik, Wachsmalerei
der Alten, so Pliniua in seiner historia naturalis 35 so meisterhaft be-
schrieben und der Winckelraann und Goethe einen Theil ihrer Forschungen
gewidmet, ist oder nicht — für eine Bewandtntss hat, überlasse ich der
Beurtheilung einer tiefern Forschung der Arohaeologen, der Techniker ond
Kunstkenner, und will hier deren Urtheilen in dieser Sache nicht vorgreifen.
Es muBs schliesslich noch bemerkt werden, dass der Gärtner Gifler
während dieses Sommers den Fund dem Publikum gegen eine kleine Ver-
gütung gerne zeigen wird.
Netus, den Ifi. März 1847. Dr. Jftger.
So sehr es diesem Berichte, den wir zugleich aus Pietät für den
um die AlterthumskuDde von Neues und unsern Verein so hoch ver>
1) Es steht historisch fest, daaa schon seit der Mitte des dritten Jahr-
hundert« die Franken kÄnflg vom rechten Rheinufer Einfalle in das römische
Land am Niederrbein machten und sich zu Anfatig des fünften Jahrhunderts ganz
in den Besitz der römischen Provinzen Germanien, Belgien und Gallien setzten.
2) Da hier keine Verbrennung der Leiche, keine Ascbo und Kohle um das
Grab vorgefunden worden, so kann die Beerdigung nur nach altgermanisoher,
christlich-römischer Sitte vor sich gegangen sein.
Komische Gläser.
111
dienten Verfasser hier zum Alnlruck bringen *) — bezüglich der so
überaus wichtigen Glastafeln an Ausführlichkeit und Genauigkeit fehlt,
so bestimmt können wir daraus auf ein Grab schliessen, welches der
allerletzten Römischen Zeit, vielleicht !?chon der fränkischen Prrtode
angehört. Nicht allein die lange Sargform, der unverbrtuinte Leichnam,
sondern besonders die Uebei'giessung desselben mit Gips deuti-n auf
diege späte Zeit'). Leider erfahren wir nicht, ob di» goldenen Figuren
mit der charakteristisilirm Ginsschicht liberMasen waren^), auch stimmen
die angegebenen Masse nicht mit der wirklichen Grösse unserer Zeich-'
nuDg überein. Von den vier, einen Zoll breiten Ginsleisten, welche die
Täfelchcn gegen eimmder befestigten, wissen wir nichts Genaueres ; eben-
sowenig, ob der kleine Glaskasten ein Futter oder einen Einsatz hatte,
denn leider sind sümmtliche Täfelcben wie Leisten bis auf
diesen Tag spurlos verschwunden.
Von dem im Princip richtigen Standpunkte, dass die Funde von
Alterthümern ihre volle Bedeutung erst im Zusammenhang mit dem
Fundorte gewinnen, hatte König Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1844
und 1845 dem Sanitätsrath Jäger Zuschüsse zu seinen Ausgrabungen
bewilligt, um daraus in Neuss ein Local-Museum zu bilden, welches
zuerst int Rathhause, dann im Gymnasium seine Aufstellung fand und
nach.Jäger's Bericht inventarisirt war*). Wie bei so vielen ähnlichen
Lokal-Musceu hat sich auch hier die traurige Erfahrung bewahrheitet,
dass ohne dauernde und verantwortliche Verwaltung eine Sicherung
des Besitzes nicht zu erlangen ist. Durch Jäger'a Begeisterung ent-
standen, verlor das werthvolle Neusser Museum mit seinem Tode bald
die WeiterfUhruDg und Aufsicht*). Möge es dem neuerdings gebildeten
1) Dr. Jäger erscheint schon im ersten Verzeichnias (li;r VercinBinitgUeder,
Jftbrb. I, S. 136, als Mitglied und ausw, Secretär und gab in den Jahrb. II, 45;
m, 125; IV, 204; V, 407; VIII, 131 Derichte seiner Ausgrabungen.
2j Vergl. JahrL LIX, S. 64.
S) Es lässt sich wohl annehmen, dass ohne einen schütsenden Ueberfang
die Bilder in dem aufgogosseneu Gips ganz zerstört worden wären. Es darf
hier freilich nicht verschwiegen werden, daas auch der Herstatt'schen Glaspatene
der Ueberfang fehlte. Da von dieser aber der Raud abgeschlagen war, so kann
mit demselben auch der Ueberfang sich abgelöst haben. Glasmalereieti in der
Art der footli d'oro ohne Ueberfang, wie sie C e n n i n i in der angeführten Stelle
beschreibt, dQrften vor dem 14. Jahrhundert nicht nachzuweisen sein.
4) Jahrb. YIU, S. 182.
5) Ein Beispiel dafür, dass die hervorragendsten Local-Bestrebungen durch
die Begeisterung einer einzelnen Persönlichkeit entstehen und mit derselben ver-
112
Römisobe OlSaer.
Neosser Alterthums- Verein gelingen, wenigstens Theile das Verlorenen
wieder zu beschaffen; vor Allem mit grösserem Erfolge die Bemühungen
fortzusetzen, die ich seit mehr deun 10 Jahren auf die Auffindung
der üold-Täfelchen verwendete.
Gleich nach ihrem Bekanntwerden wurden die Fragmente der
kleinen Glas-Cassette zur V^orzeigung beim Könige nach Berhn gesandt.
Von dort kamen sie, gemäss einer an mich gerichteten Mittheiluug des
verstorbenen Geueral-Directors der Köiiigl. Museen v. (Uters vom
16. Februar 1869 nach Neuss zurück'). Zum Zwecke der Besjirechung
am Winckelniann's Feste. 9. December 1847*), und der VcntÖffntlichung
in unsern Jahrbüchern, schickte Dr. Jäger die Täfelchen dann nach
Bonn an den derzeitigen Vereinssecretär Dr. Laurenz L er seh 3). üeber
ihre Rücksendung von hier finde ich keine Notiz. Ebenso wenig
erinnern sich derselben die noch lebenden Mitglieder des damaligen
Vorstandes die Herren Consistorialrath Prof. K r af ft und Prof. Freuden-
berg. Dr. Jäger starb 1848 kinderlos. Seine Erben waren sein Bruder
der Antiquar Jäger in Köln und seinein zweiter Ehe mit dem Justizrath
Schmelzer in Düsseldorf verheirathete Wittwe. Weder im Ncusser Mu-
seum*), noch im Nachlass der Familie Jäger"^) war eine Spur des Vcr-
BchwindeD, gevitirt der Verein von S.Wendel, der 1836 durch die Thätigkeit
dea Regierunggrathes Engelmann GnUtand und mit dessen Tod voltsTändig
einschlief. Das Bchätzenswerthe Muaenin (vprgl. I. Bericht dns Vereins von
S. Wendel. Zwcibräcken 1838) ist deshalb dem Provinzial-Museum in Trier
nunmehr glücklicher Weise einverleibt worden.
1) .,Die mit Figuren in Gold geschmückten Glastafeln sind von Neusa nur
hierher geschickt worden, um dem hoohaeligen Könige gezeigt zu werden, da er
SU den Nachsuchungen bei Grimmlingbauaen die Kosten auf meine Bitte hergab;
sie gingen an den Dr. Jäger zurück, welcher die Sammlung zuerst bei sic^, dann
im Rathhause und endlich, wenn ich nicht irre, im Gymnasium in guter, Eweck-
m&asiger Ordnung aufgestellt hatte." gez. v. Olfers.
2) Jahrb. Xil, S. 202.
3) J&ger schreibt am 16. Februar 1848 an Lora ob: „Wenn die Vor-
richtung zum bossern Schutze der Glastafeln nicht kostspielig ist, so bitte ich
selbige für mich anfertigen zu lassen. Ich komme binnen kurzer Zeit nach Bonn
und werde sie dann wieder abholen. Verrauthlich werden Sie dann auch deren
Anschauung zu den Mittlieilungen in dem nächsten Hefte über diesen Fund
genügend Iwnut^t haben."
4) Für die freundliche Beihülfe meiner Nachforschungen in Neuss statte
ich den Herren Bürgermeister lliddcr, Com. Keiadorf und Bildhauer Künen
meinen TerbiodliohBtcD Dank ab.
5} Der verstorbene Kölner Antiquariua Jäger vermuthete die üildcbeu
Römiacfaa Ol&ser.
US
bleib's der einzig in ihrer Art dastehenden christlichen Goldbihler zu
entdecken. Unsere ganze Kenntnis» derselben beschränkt sich deshalb
auf eine Anzahl Zeichnungen, die im Archiv unseres Vereins, im Nach-
lass des Professors Franz Fiedler in Wesel und im Besitze des Herrn
C. Reisdorf in Neuss sich vorfanden. Sie sind, mit Ausnahme der
Reisdorf'schen, meistens Copien der ersten Zeichnung, welche der Üym-
nasial-Zeichenlehrer Küppers füf Dr. Jäger 1847 anfertigte, und in
keiner Weise hinreichend für die Würdigung der Darstellung und ihres
Stils'). Wir müssen eine solche deshalb bis zu dem Zeitpunkte hinaus-
schieben, wo ein glücklicher Zufall, oder vielleicht die durch diese
Zeilen hervorgerufene Aufmerksamkeit das kleine ßcliquiari um von
Neuss wieder zum Vorschein bringen, denn ein solches war es gewiss,
bestimmt, durch seinen heiligen Inhalt für den Verstorbenen eine
schützende Beigabe zu bilden.
Der Schlussfolgerung > dass das dreimal wiederholte Vorkommen
der Goldgläaer in Köln und der Fund des kleinen Schreins in Neuss
auf eine Fabrikation ausserhalb Rom 's und zwar am Rhein schliessen
lasse, milchte ich vorerst noch keine Berechtigung zuerkennen. Sollten
aber hierfür weiterhin häufigere Funde entscheiden, so würde — ebenso
wie für die Fabrikation der Terra-Sigillata-Gefässe und der schwarzen
Trinkbecher mit weissen Aufschriften — der Kölner Bezirk vor jedem
andern den Vorzug beanspruchen dilrfen.
Daran wird man festhalten müssen, dass die griechischen Inschriften
vieler Goldgläser auf eine ursprüngliche griechische Herkunft
deuten. Auch die von Athenäus'} ervi&hnieü iähva Siäxevaa Ovo des
Ptolemäus beziehe ich gegen Garucci, den sein Standpunkt, nur Rom
und den Christen die Goldgläser zuzusprechen, davon abhält, auf letztere.
Ueberleitung der Fabrikation nach Rom mag zwar frühzeitig geschehen
im Scbmelzer'Bchen Besitze. Die dahin (j^eheDden , besonders durch Herrn
Archivrath Harleas in Düsseldorf unterstützten Naohforsohangen de« Sohuiel-
eer^sohen Nachlasses (Sohmelz^r starb 1865, seine Wiltwe 18fi8) ergaben kein
Küsultat.
1) Man gewahrt bei Betrachtung der ZeichnungeD sofort, dass ihre Anfer>
tiger die dargestellten Vorgänge nicht erkannten , was die verFchriebenen Bei-
acbriften, die Anfügung eines Bartes im Gesichte der Frau Job's u. dergl.
deutlich beweisen.
2) Athenäus, Deipnos. V. 199 ff.
8
lU
Bömische Gläser.
sein; sie war aber jedenfalls im 10. Jahrhundert dort erloschen'),
während sie in Byzanz noch im 11. Jahrhundert bestand*).
Die Kunst „Cennini's" im 14. Jahrhundert ist eine andere, eine
neue und durchweg verschiedene Technik , nicht allein wegen der Zu-
that von Farben, welche ja auch hin und wieder bei den fondi d'oro,
bei dem Herstatt'schen Glase und an den Leisten des Neusser Käst-
clieus vorkommen, sondern weil hier eine Bemalung der Glastafeln zu
beiden Seiten atattzußnden .scheint, und von einem schützenden Glas-
überfang überhaupt nicht mehr die Rede ist.
Ein merkwürdiges Stück dieser Art scheint mir ein im Museum
zu Basel befindliches Fragment eines kleinen GlasTellei"s zu sein,
welcher auf blauem, goldbesterntem Hintergrunde einen thronenden
König in grünem Gewände und rothem Mantel darstellt. Obgleich ich
der gütigen Vermittlung des Herrn I'pf. Bern o ul li eine colorirte Abzeich-
nung venlanke, bin ich doch vor genauerer Untersuchung des Originals
zu einer weiteren Aeusserung nicht im Stande. Cennini's Bilder
sind in Oclfarhon ausgeführt, E^s wird deshalb zunächst vor Allem
darauf anknmmen, festzustellen, ob solche auch bei dem Baseler Bilde
zur Anwendung gelangten.
Es liegt ganz ausserhalb meioer Absicht bei dieser Gelegen-
heit, wo lediglich eine vorläufige Kcnntniss des merkwürdigen kleinen
Denkmals von Neuss gegeben werden soll, in die kritische Prüfung
des gesammten Materials der Goldgläser einzutreten, um so weniger,
als ich demnächst 4iarauf zurück zu kommen veranlasst sein werde').
E. aus'm Weerth.
1) Ich kann mit Friedrich (Ueber die üoldgläser, in der „Wartburg"
Nr. 9 V. 7G/77) und gegen ll||f (Ueraoliu», vod den Farben und Künsten der
Römer, berausgegebon votillg. Wien 167S) die Verse dcsHeraclius (10. Jahrb.)
8. 7 „de fiolifi auro decoratio'' nur bo veretehen, dass derselbe eine bei den Uömern
verloren gegangene Kunst wieder erfand, nicht aber, ala habe Ueraclius sie
noob vorgefunden.
2) Thaophilui (11. Jahrh.) Sohedula diversarum artium Attb. 1. o. 18.
3) Die DarsteUoQg des altchristlicheu Glasbechers Taf. V. 4 u. 4a gehört
schc»n KU meinem zweiten Aufsätze über ßömiache tiläaer im nächstco Jahrbuoh.
Du Haue des Hersog« voo Brsbaat so Eöla.
IIB
6. Das Haus des Herzogs von Brabant zu Köln.
I.
Die Bewohner der vielfach gesegneten Gebiete des Herzogthums
Brabant und des Erzstifts Köln standen von je her in lebhaften ge-
genseitigen Verkehrsverhältnisseil, die sich aus dem früh gehobenen
Culturzustande, der regen Handels-, Kunst- und Gewerbethätigkeit,
der daraus hervorgegangeneu Wohlhabigkeit und ganz besonders auch
aus der nachbarlichen Lage der beide» Länder, bei Uebereinstimrnung
der Sitten und verwandter Sprache, naturgcmäss entwickeln mussten.
Um 80 mehr sahen sich denn auch üire Fürsten nahegebracht. Die
Geschichte leitet aber noch zu Thatsachen, denen man ebcofalls eine
erhebliche und dauernde Kinwirkung auf diese Verbindung zuschreiben
mochte. Wir gedenken nicht, in die Ejioche der Rönierherrschaft zurück-
zublicken, selbst nicht in die Zeiten der merovingisoheu und karoiin-
gischen Könige des Frankenreiches. Wir erinnern nur, dass schon im
Jahre 843 Brabant und das kölner Land in engerer Verbindung unter
ein gemeinsames Scejtter gekommen sind; beide gehörten bei der
Theilung des väterlichen Reiches zwischen den Söhnen Kaiser Lud-
wig's L, des Froramen, zu den Bestandthcilen des von Kaiser Lothar L
behen'schten, noch immer grossen Ländergebietes. Schon nnter dessen
drei Söhnen wurde dasselbe wieder getheilt, in Italien, ßurgund und ein
Lotharingien, welches jedoch von weiterem Umfange war, als das ein
Jahrhundert später bestandene. Bei diesem letzteren suchen wir die
näheren Beziehnngen zwischen den beiden Ländern auf.
Nach dem Ableben des Erzbischofs Wichfnd von Köln wurde sm
Jahre 953 Bruno L, Kaiser Heinrich's L und Mathildcos der Heiligen
jüngster Sohn, zu seinem Nachfolger gewählt. Bruno war damals am
Hofe seines Bruders, Kaiser Otto's des Grossen, und versah mit
höchstem Ruhme das Amt des Erzkanzlers. Ein gewaltiger Aufruhr
durchwiithete das deutsche Reich, dessen Hauptschaupiatz am Ober-
üod Niederrheine war. Lndolf, des Kaisers ältester Sohn aus früherer
Ehe, und Herzog Konrad von Lothringen, Otto's Schwiegersohn, waren
die Anführer der Rebellion. Der Kaiser entsetzte Konrad und übertrug,
bevor er mit seinem Heere nach Baiern zog, die Verwaltung der west-
lichen Lande, nämlich Lothringen's, seinem Bruder, dem Bisehof Bruno.
Dies war die Veranlassung, wodurch Bruno mit dem Herzogthura
Lothringen, von welchem Lande das erst später entstandene Herzog-
116
Dta Haus det Hereogs von Brabant eu KöId.
thum Brabant einen Theil bildete, belehnt worden ist. Ich gebe zu-
nächst hier den (theil weise freilich irrigen) Bericht der Koelhof sehen
Chronik der Stadt Köln aus dem Jahre 1499:
„Wie LothriDf?en das Herzogthuin und durch wen an das Bis-
tbum von Köln gekommen ist, und zu welcher Zeit ein Bischof
von Köln ist belehnt worden mit dem weltlichen Schwerte.
In der Zeit (von Kaiser Otto 's Abwesenheit in Italien) sog
Herzog Giselbrecht von Lothringen nach Deutschland und trieb
viel Brandes und Raubes» besonders viel in dem Stift von KuId,
und plünderte viele Schätze und Heiligthilmer und führte sie mit
sich nach Lothringen. Das ward Bischof Bruno kund gemacht,
der brach auf mit einem Theile seines Heeres gegen Herzog Gisel-
brecht und gewann Lothringen und plünderte die Hauptstadt und
äng den Herzog mit all seinem Ilaube und führte das alles mit
sich und hielt ihn im Getangniss bis zur Zurückkunft seines Bru-
ders Otto, des Kaisers, damit der Über ihn Gericht halte und ein
Urtheil spreche. Als Kaiser Otto wieder in's Land gekommen
war, berief er einen grossen Hof und er besprach sich mit den
Fürsten darüber, und mit Bewilligung und gleichem Rathe aller
Fürsten ward ausgesprochen, dass das Herzogthum des überwun-
denen Herzogs dem Bischof V(m Köln und allen seinen Nachfolgern
gehörten solle. Und wie sie sich Bischöfe schrieben, so sollten sie
fortan sich auch Herzoge nennen und mit dem Schwerte urtheilen,
fechten und streiten, sie, die vorhin nur einen Stab mit einer
Krücke zu gebrauchen piiegten. So entsetzte (ier Kaiser den Her-
zog Giselbrecht von Lothringen und belehnte Bischof Bruno damit,
ewiglich sein Herzogthum zu sein und dem Bischof zu dienen, so
dass der Bischof sich schrieb: Erzbischof zu Köln und Herzog zu
Lothringen, was früher nie erhiirt worden war, dass ein Bischof
mit dem Schwerte richtete, denn vor der Zeit hatten die Bischöfe
nicht das weltliche Schwert, sondern allein das geistliche Gericht.
Vor der Zeit hatte die Stadt Köln das weltliche Schwert von dem
Reiche."
Die Chronik irrt hier in dem wesentlichen Punkte, dasa es sich
beim üebergange Lotluingeu's an Bruno nicht um die Niederwerfung
des Giselbrecht'scheu Aufstandes handelte, der weit früher, da Bruno
noch im Knabenalter stand, stattgefunden hatte. Ebenso anrichtig
ist die Angabe am Schlüsse der obigen Stelle.
Die Auffassung, welche die Chronik über die Ansprache des
Dm naoB des Herzog« von Brabant eh Köln.
kölner Erzstifts auf die Herzogsviürde von Lothrioßen ausspricht, ist
zwar auch von manchen, sowohl der älteren wie auch der neueren
Geschichtschreiber gethcilt worden, sehr entschieden wurde sie noch
im Jahre 1786 von H. B. von Blum in einer zu Bonn erschienenen
Schrift: „Zufällige Gedanken über das mit der Kölnischen Kirche ver-
banden gewesene Erz- und Herzogthuui Lotriugen" verfochten. Da-
gegen bat auch schon seit lange eine wesentlich andere Anschauungs-
weise dieses Verhältnisses ihre Anhänger gefunden, die es verneint,
dass auch nur auf einen einzigen von Bruno'« Nachfolgern im erzbi-
8chöflJi:hen Amte von Küln die HerzogswiJrde von liOthringen über-
gegangen sei, wobei man mit Nachdruck darauf hinweist, dass keiner
von ihnen sich diesen Titel je selbst beigelegt habe. Auch Bruno, des-
sen erhabenes Gemüth nicht an weltlichem Glänze hing, habe seine
Stellang nicht als eine sich forterbende aufgefasst. Im Gegentheil er-
weisen es die geschichtlichen Thatsachen, dass er, sobald die Ordnung
in dem durch Aufruhr zerwühlten Herzogthume wieder hergestellt war,
die weltliche Verwaltung diiselbst in andere Hände übergehen liess.
Er tbeilte das Land in zwei Herzogthünier, Ober-Lothringen pder das
Mosciland übergab er dem Grafen Friedrich, Unter-Lothringen oder
Brabant dein Herzoge Godefrid, die jedoch beide, so lange Bruno lebte,
nur seine Stellvertreter waren. Die nähere Umgebung der Stadt Küln,
dabei die Hauptstädte Bonn und Neuss, sehen wir hingegen von da
an sich bleibend als ein der weltlichen Herrschaft der Erzbisehöfe un-
terworfenes Territorium gestalten.
In den zunächst folgenden Jahrhunderten triüt man die Herzoge
von Brabant häutig au dem Hoflager der Erzbischöfe von Köln ; manche
von diesen letzteren erlassene Urkunde ist auf uns gckunimeB, an
welcher sie als Zeugen betheiligt sind. Namentlich verdienen hier
zwei Urkunden des Erzbischofs Philipp 1, von Heinsberg angezogen zu
werden. Die eine betrifft einen Zwist, der zwischen dem erzbischöf-
lichen Burggrafen zu Küln, Heinrich von Arberch, und dem Ritter
Gerhard von Eppendnrp, erzbischüflichem Vogte daselbst, wegen ihrer
beiderseitigen Gerichtsbarkeit ausgebrochen war. Der Erzbischof ent-
schied in dieser Angelegenheit, indem er ein altes Weisthum erneuerte
und bestätigte, in welchem die amtliche Stellung eines jeden der
Streitenden bezeichnet ist; unter den vielen geistlichen und weltlichen
Zeugen, welche Philipp bei dieser Gelegenheit in seinen Palast zu
Köhi berufen hatte, nennt die Urkunde auch als „fidelis noster" den
Uerzog Godefrid von Brabant, «Inen Nachkommen des Grafen Godefrid
118
Daa Haui des HerzogB von Brabant zu Köln.
des Bärtigen von Löwen. Sie trägt am Schlüsse die Datirung : „Actum
et datum in palatio nostro Coloni